Rede von
Dr.
Johannes-Helmut
Strosche
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Filmkomplex, der heute vormittag zur Debatte stand, zerfällt offensichtlich und wohl auch zwangsläufig in zwei Teile: in einen mehr kulturpolitischen Charakters mit wirtschaftspolitischem Einschlag und in einen anderen Teil mehr wirtschaftspolitischen Charakters mit kulturpolitischen Nuancen. Das ist bedingt durch die Art der Vorlagen.
Lassen Sie mich einige Worte zu den mehr wirtschaftspolitischen Dingen sagen. Ich beziehe mich auf die SPD-Anfrage, Drucksache 250, und auf die CDU/CSU-Anträge betreffend Koordinierung der Filmpolitik des Bundes und der Länder in bezug auf Steuererleichterungen und betreffend Ufi-Vermögen und Finanzierung deutscher Filmproduktion, Drucksachen 380 und 381. Wir wissen, daß es der Sinn des Ufi-Konzern-Entflechtungs- und Reprivatisierungsgesetzes vom 5. 6. 1953 war, Filmwirtschaftsmonopolen, übergroßem staatlichen Einfluß und damit auch der Möglichkeit einer gewissen Politisierung der Filmwirtschaft Einhalt zu gebieten. Es ist offensichtlich geworden, daß die auf Grund dieses Gesetzes eingesetzte Treuhandverwaltung, etwas zu langsam, vielleicht auch etwas zu sehr verborgen und allzu diskret gewirkt hat und daß sie oftmals doch ein wenig vom Sinn dieses Gesetzes abgewichen ist. Ich möchte da insbesondere auf die Fragen der Koppelung von Filmatelierverträgen mit Filmkopierverträgen usw. hinweisen, auch auf jenen § 8 Ziffer 3 des UfiGesetzes, nach dem die heimatvertriebenen Filmschaffenden bei der Reprivatisierung berücksichtigt werden sollten. Im übrigen sind hier schon viele richtige Worte gefunden worden, insbesondere von dem sehr verehrten Herrn Kollegen Dr. Mende, etwa, daß wir auch auf diesem wirtschaftspolitischen Felde eine gesunde und richtige Mitte finden müssen, auf der einen Seite eine maßvolle Entflechtung, auf der anderen Seite das Bestreben, keine Atomisierung herbeizuführen.
In Verbindung mit diesen Fragen muß zwangsläufig die Steuerlast der Filmwirtschaft behandelt werden, die im Vergleich zum Ausland sehr groß ist. Gerade die Vergnügungsteuer, die früher etwa 7 % betragen hat und jetzt über 20 % steht, ist zweifellos untragbar. Es müßte das Bestreben sein, für alle prädikatisierten Spiel- und Kulturfilme, vor allem für die als „besonders wertvoll" prädikatisierten Filme und für besondere Jugendvorstellungen in allen Bundesländern eine Ermäßigung zu schaffen. Das ist eine Angelegenheit des guten Willens auf Länderebene, zum Teil auch die Aufgabe einer Finanzreform.
— Es steht dann noch die Frage an, warum auch in diesem Falle keine „Großhandelsvergünstigung" bezüglich der Umsatzsteuer Platz gegriffen hat.
Auch wir begrüßen jede sinnvolle Koordinierung zwischen Bund und Ländern, die wir verstärkt auch einmal auf der kulturpolitischen Ebene sehen möchten. Herr Kollege Dr. Mende hat mit Recht gefordert, daß diese Dinge auch in anderen Sparten des kulturellen Lebens vorangetrieben werden, nicht nur auf diesem engbegrenzten Felde. Unbestreitbar liegen gewisse Gefahren darin, daß sich über Strohmänner — das Schlagwort ist aufgeklungen — ein „Weg zurück zu Hugenberg" anbahnen könnte. Vor allem aber ist dem Aufkauf deutscher Substanz, wenn ich so sagen darf, durch das Ausland, besonders durch die Sperrmarkbesitzer aus den USA, stärkster Widerstand entgegenzusetzen.
Nun aber zu den mehr kulturpolitischen Fragen, die heute bei dieser Generaldebatte aufgeworfen worden sind! Die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers sind zweifellos für uns alle nicht unerfreulich und in vielfacher Richtung dankenswert und beruhigend gewesen, beruhigend, da gewisse Kulturkampfmöglichkeiten aus den Augen gerückt worden sind. Allerdings sind sie durch die, wie ich meinen möchte, nicht sehr überzeugenden Ausführungen des Herrn Familienministers doch nicht ganz und nicht für alle Zeiten ausgeschaltet.
Wir hätten die Bitte, insbesondere an den Herrn Familienminister, sich in Hinkunft besonders auch mit jenen Gebieten zu beschäftigen, in denen das Wohl, der Standard und damit auch der kulturelle Aufbau und die kulturelle und menschlich-sittliche Entwicklung einer Familie wirklich ruhen, nämlich mit dem sozialen Feld.
Nach der Katastrophe von 1945 muß vor allem dieses Feld bestellt werden; es ist gerade auch im Hinblick auf die Fragen, für die der Herr Familienminister zuständig erscheint und die er meistern will, ganz besonders wichtig.
Die mehr oder minder massiven und manchmal verallgemeinernden Angriffe auf die deutsche Filmwirtschaft sind nur zum Teil begründet. Man darf nie vergessen, wie schwierig wirtschaftlich, aber auch geistig-seelisch und damit künstlerisch und ästhetisch die Ausgangsposition des Jahres 1945 auch für unsere Filmwirtschaft gewesen ist. Diese Katastrophe, die bekanntlich nicht nur eine materielle, sondern auch eine seelisch-geistige gewesen ist, hat unsere Filmwirtschaft zweifellos vor eine Aufgabe gestellt, angesichts deren Größe wir der Filmwirtschaft für die teilweise Meisterung
— das wurde schon von dem Herrn Vorredner gesagt! — unseren Dank aussprechen müssen.
Der Begriff der Volkszensur, der hier so leidenschaftlich umstritten wurde, — —
— Herr Kollege, ich habe ruhig zugehört, als die anderen Herren Kollegen gesprochen haben; ich kann dasselbe auch von Ihnen erwarten. —
Der Begriff der „Volkszensur" ist erfreulicherweise auch durch den Herrn Bundesinnenminister etwas geklärt, etwas „entspannt" worden. Aber wer etwa in der Stadt Regensburg die Krawalle um „Die Sünderin" miterlebt hat, der muß sagen, daß hier Möglichkeiten bestehen, die Volksmeinung nach bestimmten Richtungen hin, auch bei diesen Problemen, derart aufzuwiegeln, daß man sehr vorsichtig sein und jede Art von Nebenzensur und sonsti-
gen Möglichkeiten terroristischer Beeinflussung ausschalten muß.
Man wird eine Zensur nur in dem Sinne für richtig halten, und so ist sie wohl auch gemeint gewesen und vom Herrn Bundesinnenminister interpretiert worden, die einer nichtterroristischen Kritik, einer gewissen Selbstläuterung im Geschmack und auch in der Einstellung zum Film und zum Kunstwerk ihre freie demokratische Möglichkeit läßt.
Man soll im übrigen keine zu geringe Meinung vom Publikum haben. Bei aller Notwendigkeit, den unreifen Menschen, den Jugendlichen, in einem gefährlichen Lebensabschnitt abzuschirmen und zu lenken, hat sich herausgestellt — das ist heute auch bereits einige Male betont worden —, daß der gute Film sich bezahlt machen kann und daß im allgemeinen die Menschen wissen, was wirklich wertvoll ist, wenn auch hier und da einige„ schwarze Schafe" dabei bleiben.
„Staatspolitisch wichtig"?! Es wird keiner abstreiten, daß Film, Presse und Rundfunk staatspolitisch wichtig sind. Wir müssen aber wohl versuchen, den besten Weg zwischen Einhaltung der Freiheit und gewiß notwendiger Verhütung abträglicher Auswüchse zu finden und vor allem in der Gestaltung, auch in der ästhetisch-künstlerischen Gestaltung des Films eine Mitte zu finden, was zweifellos nicht immer leicht ist, die aber dann auch jeden Kulturkampfes enthoben sein kann.
Ich glaube, die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft hat tatsächlich so gearbeitet, daß wir bezüglich ihrer Prüfungsgesichtspunkte und der Prüfungsarbeit, die in ihren Ausschüssen geleistet wurde, Vertrauen zu ihr haben können. Sie hat relativ sehr gut gearbeitet! Einen hundertprozentig befriedigenden Zustand wird man bei all diesen Dingen nie erreichen können. Es darf jedoch nicht vergessen werden — das ist eine Art Binsenwahrheit, die aber in die Erinnerung zurückgerufen werden soll —, daß alle klassischen Kunstwerke, auch unserer Klassik an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, vor allem in der Zeit des Sturms und Drangs, als ganz besonders revolutionär, schockierend, aufregend und bei gewissen Volksteilen sogar als abstoßend empfunden worden sind und doch nach einer gewissen Zeit ihren ewigen Gehalt ästhetischer, künstlerischer und menschenbildender Form geoffenbart haben. Hier einen gewissen Spielraum der Entfaltung freier schöpferischer Kräfte zu lassen, ist und bleibt ein Risiko, das man eben eingehen muß und das man nicht irgendwie formalistisch verengen und allzu nah und kurzsichtig betrachten sollte. Es ist also besser, den gegenwärtigen nicht hundertprozentig befriedigenden Zustand zu bewahren, als auf irgendwelche gesteuerte Volksmeinung hin einen Freiheitsentzug durch staatlich-bürokratische, kulturpolitische oder sonstige Einflußnahmen anzubahnen, dessen Ende nie ganz zu übersehen ist und der, wie wir heute mit Recht gehört haben, oftmals in das Gegenteil dessen umschlägt, was wir alle wünschen.
Was wir aber alle wünschen, das ist der wertvolle deutsche Film, der bei Einarbeitung alles dessen, was uns als deutschen Menschen im Rahmen der abendländisch-christlichen Kultur wert und teuer ist, doch auch große Möglichkeiten in sich birgt. Er könnte der ausländischen Öffentlichkeit interessant und gewichtig genug erscheinen, weil er echte Probleme des Lebens mit all ihrer Tragik in einer künstlerisch vollendeten Form aufgreift. Wenn wir diesen weltoffenen und doch unserer gesamten Auffassung entsprechenden Film gefunden haben, dann bedarf es auch nicht irgendwelcher einschränkender formalistischer oder irgendwie im schlimmen Sinne reaktionärer Einflußnahme, sondern dann können wir im Vertrauen auf unser junges demokratisches Leben auch auf diesem Sektor zuversichtlich in die Zukunft schauen.