Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir den bisherigen Ablauf der Debatte um den Film und über den Film zu vergegenwärtigen versuche und wenn ich insbesondere die Rede, die Herr Kollege Kühn hier gehalten hat, überdenke, dann erfüllt mich zunächst ein Gefühl des Dankes dafür, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit haben, auch solche heiklen und schwierigen Streitfragen in so vollkommener Offenheit zum Austrag zu bringen, wie das hier geschieht. Freiheit ist eine große Sache. Ich glaube auch im Namen meiner Fraktion sprechen zu dürfen, wenn ich sage: wir von der CDU werden auf alle Fälle dafür eintreten, daß auch in Zukunft diese Freiheit zur offenen Aussprache selbst über die heikelsten und schwierigsten Dinge hier in der Bundesrepublik gesichert bleibt und möglichst bald für ganz Deutschland geschaffen und gesichert wird. Wir hoffen, daß man es auch uns nicht übelnimmt, wenn wir ebenso offen das sagen, was wir auf dem Herzen haben, und daß auch Sie, meine Herren von der Opposition, uns gestatten, ganz freimütig unsere Meinung und unsere Überzeugung hier zu bekennen.
Zunächst liegt es mir am Herzen, gewissermaßen zur Bereinigung der Situation und der Atmosphäre, in der wir sprechen — denn es kommt ja ungeheuer viel darauf an, daß wir die Diskussion über lebenswichtige Probleme unseres Volkes in einer sauberen und guten Atmosphäre vollziehen —, zunächst ein Wort zu den persönlichen Angriffen sagen, die Herr Abgeordneter Kalbitzer gegen meinen Fraktionskollegen Dr. V o g e l gerichtet hat.
Meine Damen und Herren, ich habe den Kollegen Dr. Vogel zu der Zeit nicht gekannt, auf die Herr Kalbitzer Bezug genommen hat. Aber ich kann Ihnen eines sagen: mir liegen unbestreitbare Beweise vor, wonach es keinesfalls sicher ist, daß die von Herrn Kalbitzer zitierten Sätze auch von Dr. Vogel geschrieben worden sind. Ich will darauf verzichten, diese Beweise hier vorzutragen. Ich könnte es jederzeit tun.
Wenn wir versuchen, uns in jene Zeit des Jahres 1938 zurückzuversetzen, so wissen wir doch ganz genau, daß es damals unzählige gute und ehrliche und redliche Demokraten gegeben hat, die, wenn sie überhaupt ihr Gewerbe als Schriftleiter und als Journalisten durchführen wollten, genötigt waren, sich nach außen hin irgendwie abzuschirmen, nach außen hin zu tarnen und jeden frei geschriebenen Satz gewissermaßen in ein braunes Papier einzuwickeln, um überhaupt weiterleben zu können. Meine Damen und Herren, solche Journalisten, die unter diesem Druck, unter solchem Zwang standen, gab es damals nicht nur in unseren Reihen, sondern sie gab es auch bei der SPD.
Aber ist es denn so schwer, sich an das zu erinnern, was damals geschah? Ist es denn so schwer? Meine Damen und Herren, sehen Sie bitte die Lage an, in der sich die Deutschen in der Sowjetzone befinden! Es ist Ihnen genau so gut wie uns bekannt, daß unzählige gute und ehrliche Demokraten, die heute in der Sowjetzone leben, wenn sie überhaupt noch ihre Existenz führen wollen, genötigt sind, sich nach außen hin zu tarnen und mit Maßnahmen abzuschirmen, die ihnen selbst innerlich zuwider sind, die sie aber einfach ergreifen müssen, um leben zu können.
Nun, wollen wir so weitermachen, wie Herr Kalbitzer mit seinen persönlichen Angriffen begonnen hat? Muten Sie uns zu, wollen Sie uns dazu zwingen, nun zur politischen Vergangenheit von Männern Stellung zu nehmen, die in Ihren Reihen stehen?
Wir könnten das wirklich tun. Ich könnte es wirklich tun. Die Namen stünden zur Verfügung. Ich will sie aber nicht nennen. Es läge zwar sehr nahe, meine Damen und Herren von der Opposition. Aber ich will es nicht tun. Einfach deshalb, weil ich glaube, daß wir als Willensträger der Demokratie und also solche, die gemeinsam berufen sind, die Demokratie nach außen hin zu verteidigen, die Hände davon lassen sollten, uns gegenseitig auf diese Art und Weise zu zerfleischen.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Thema des Tages kommen. Es ist ein Thema, das breite Schichten unseres Volkes brennend interessiert. Ich glaube, es ist gut und nützlich, daß der Deutsche Bundestag einmal die Gelegenheit ergriffen hat, eine Grundsatzdebatte und eine Generalaussprache über den Film zu führen. Im Hintergrund dieser ganzen Aussprache, im Hintergrund alles dessen, was wir heute hier zu verhandeln haben, steht irgendwie die Frage: Welche Stellung hat der Staat, in unserem Falle der Bund, zum Film einzunehmen? Soll der Staat in bezug auf den Film etwas tun? — wenn ja: was soll er tun? Oder soll er ganz die Hände vom
Film lassen, soll er auf jegliche Aktivität in bezug auf den Film verzichten?
In der letzten Sitzung des zuständigen Fachausschusses des Bundestags hat ein Vertreter der Opposition eine Erklärung abgegeben, die für mich, wie ich Ihnen offen sagen möchte, sehr erstaunlich war und die dahin ging, nach der Verfassung habe der Bundestag keine Verantwortung für den Film.
Nun, meine Damen und Herren, nach dem, was bei uns in Deutschland in der Vergangenheit geschehen ist, haben wir ganz gewiß allen Anlaß, die Grenzen, die dem Staat für seine Tätigkeit gezogen sind, sehr, sehr sorgfältig abzuschätzen und zu überprüfen. Dies gilt doppelt für die Tätigkeit des Staates gegenüber dem Film. Der Film hat heute in der Welt eine geradezu beispiellose Macht errungen. Der Film entfaltet heute für Millionen von Menschen, darunter für zahllose Jugendliche, eine normenbildende Kraft. In einer Zeit, in der sich das Gewicht des gesprochenen Wortes allein immer mehr vermindert, wird sich — ich glaube in dieser Vermutung nicht fehlzugehen — die Macht des Films in der Zukunft sehr wahrscheinlich noch sehr viel mehr steigern. Diese Macht kann ebensosehr zum Guten wie zum Bösen benutzt werden. Die Zukunft unseres Volkes hängt mit davon ab, daß sich diese Macht in unserem Volk zum Guten auswirkt. Aber auch die ganze Zukunft des Films hängt davon ab, daß er seine erstaunlichen technischen Wunder in den Dienst des Guten stellt.
Gleichzeitig jedoch muß ganz eindeutig ausgesprochen werden: Der Staat und seine Organe können das letztlich Entscheidende dazu, daß der Film diese seine Bestimmung erfüllen kann, nicht tun.
Wenn ich dies ausspreche, so bedeutet dies aber ganz und gar nicht, daß ich damit der Auffassung Ausdruck geben wollte, der Bund könnte gegenüber dem Film völlige Abstinenz üben. Dies halte ich in der Tat für unmöglich. Totalitäre Staaten benutzen den Film heute noch als eines der wichtigsten ideologischen Kampfmittel zur Aufrechterhaltung ihrer totalitären Herrschaft und zur Überwindung der freien Welt. Schon aus diesem Grunde kann es uns nicht gleichgültig sein, was in der freien Welt und in der freien Bundesrepublik mit dem Film geschieht. Aber auch im Blick auf das Grundgesetz — Herr Kollege Kalbitzer, Sie gucken mich gerade an — muß der These Ihrer These —, der Bund habe nach dem Grundgesetz keine Verantwortung für den Film, nachdrücklich widersprochen werden.