Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag vom 1. Dezember 1953 — Drucksache 99 — begehrt die Deutsche Partei:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, einen Gesetzentwurf vorzulegen mit dem Ziel, die Ausspähung industrieller Geheimnisse unter Strafe zu stellen.
Nach Überweisung durch das Plenum hat der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht über diesen Antrag beraten. Es wurde hierbei folgendes erwogen. Das frühere Reichsrecht und auch das Recht der Bundesrepublik kennen kein Spezialgesetz zum Schutze industrieller Geheimnisse. Diese Geheimnisse werden aber in weitem Umfang durch die Normen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Strafgesetzbuches geschützt. Dieser Schutz ist ein strafrechtlicher und ein zivilrechtlicher.
Um die Problematik verständlich zu machen, will ich, auf kürzeste Form gebracht, die Rechtslage skizzieren. Strafbar sind Angestellte und Arbeiter, die während der Dauer ihres Dienstverhältnisses Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse ihres Unternehmens verraten. Strafbar sind daneben betriebsfremde Personen, also Konkurrenten, sonstige Interessenten, aber auch Angestellte und Arbeiter, wenn sie ausgeschieden sind, die Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse verwerten oder weitergeben, sofern sie die Kenntnis dieser Geheimnisse entweder durch einen strafbaren Geheimnisverrat oder durch eine eigene Handlung erlangt haben, die gegen die Gesetze oder gegen die guten Sitten verstößt. Die Strafbarkeit erfaßt neben vollendeten Taten auch das Erbieten und sogar das Verleiten zu diesen Delikten. Das Wettbewerbsrecht droht Geldstrafe in unbegrenzter Höhe und Gefängnis bis zu drei Jahren an; soll das verratene Geheimnis im Ausland verwertet werden, so können Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden.
Seit dem Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 kann der Verrat industrieller Geheimnisse auch unter dem Gesichtspunkt des Landesverrates strafbar sein, allerdings nur in engen Grenzen. Eine Bestrafung wegen Landesverrats setzt nämlich den wohl seltenen Sonderfall voraus, daß ein technischer Sachverhalt als Staatsgeheimnis anzusehen ist und daß darüber hinaus die Geheimhaltung gerade dieser Technik für das Wohl der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder erforderlich ist.
Soweit nun dieser strafrechtliche Schutz besteht, geben die Gesetze naturgemäß auch Ansprüche auf Unterlassung oder auf Schadensersatz. Die allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts und des Wettbewerbsrechts und vor allem die vertraglichen Bindungen, die zum Schutz von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen weitgehend geschaffen werden, geben darüber hinaus derartige zivilrechtliche Ansprüche und schließen einige Lücken, die das Strafrecht offenläßt.
Von den Antragstellern und in der Ausschußdebatte wurde auf gewisse Schwächen und Begrenzungen des gegenwärtigen strafrechtlichen Schutzes hingewiesen, wobei folgende Gesichtspunkte im Vordergrund standen. Bei uns ist der Versuch solcher Taten nicht strafbar. Dann endet der strafrechtliche Schutz, wie ich schon erwähnte, grundsätzlich mit der Auflösung des Dienstverhältnisses. Schließlich bestehen gegen die Inhaber der Betriebe, denen das Geheimgut gehört, keine Strafandrohungen. Zuletzt aber tritt die Strafverfolgung bei uns nur auf Antrag ein. Man hob in diesem Zusammenhang auch auf die strengen strafrechtlichen Sondernormen ab, die sich 1935 die Schweiz und die Tschechoslowakei gegeben haben. Demgegenüber wurde in der Aussprache darauf hingewiesen, daß die Rechtsprechung den strafrechtlichen Schutz gegen Verrat durch ausgeschiedene Betriebsangehörige stark erweitert habe und daß eine umfassendere Strafnorm hier deshalb zu fragwürdigen Ergebnissen führen müsse, weil sie eine zu starke Beschränkung der grundsätzlich bestehenden Freiheit bringe, erworbene Kenntnisse und Erfahrungen ungehindert zu verwerten.
Über die hier vorhandenen Interessengegensätze sind seit Jahrzehnten Diskussionen im Gange, die zu keiner einheitlichen Meinung geführt haben, aber zumindest doch zeigen, daß gegen die Ausdehnung des strafrechtlichen Schutzes in dieser Richtung gewisse Bedenken bestehen.
Man brachte im Ausschuß auch zum Ausdruck, daß Strafbestimmungen gegen die Inhaber der Unternehmen, denen diese Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse gehören, wohl kaum zu rechtfertigen sind, da es bei dem Geheimnisschutz in erster Linie darum geht, die Industrie, nicht den Staat, gegen unerlaubte Eingriffe zu schützen.
Allgemein waren noch folgende Erwägungen bemerkenswert: Zunächst steht die zu schützende Industrie den hier in Betracht kommenden Strafverfahren deshalb nicht immer positiv gegenüber, weil es zum Nachweis der Strafbarkeit notwendig sein kann und meistens sein wird, industrielle Geheimnisse in der Verhandlung und zumindest den Prozeßbeteiligten in einem größeren Umfange bekanntzugeben, als es dem schon erfolgten Einbruch in die Geheimnissphäre entspricht. Sodann: Man hat gerade auf diesem Gebiet die Wirkung weitgehender und sehr scharfer Strafbestimmungen immer erheblich überschätzt. Schließlich entspricht es einer langen Erfahrung, daß der beste Schutz industrieller Geheimnisse in dem Selbstschutz, also darin liegt, durch betriebliche Maßnahmen die Möglichkeit eines Einblickes in geheime Vorgänge auszuschließen und die Voraussetzungen für den Verrat betriebsinterner Dinge zu beseitigen.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht konnte mit Rücksicht auf diese Überlegungen dem Antrag insofern nicht folgen, als er von der Bundesregierung die sofortige Vorlage eines Gesetzentwurfes verlangt. Aber er hielt eine nochmalige und genaue Prüfung der hier vorliegenden, wirtschaftlich zweifellos bedeutsamen Probleme für angebracht, zumal das Bundesjustizministerium im Rahmen der großen Strafrechts-
reform schon Erwägungen anstellt und vor allem den Auftrag zu einer rechtsvergleichenden Spezialuntersuchung gegeben hat. Der Ausschuß empfiehlt daher, und zwar auf Grund eines einstimmigen Beschlusses:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Schutz industrieller Geheimnisse — Drucksache 99 — der Bundesregierung als Material zu überweisen.