Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als ich soeben Herrn Wink e 1 h e i d e hörte, habe ich ihn bewundert wegen seiner Überzeugung, daß er nun endlich die „klassische Lösung" gefunden hat.
Denn Herr Kollege Winkelheide weiß, daß wir dreieinhalb Jahre lang im Sozialpolitischen Ausschuß gerungen haben und daß wir schließlich eine gewisse Einigung erzielt hatten. Es stimmt nicht, Herr Kollege Winkelheide — ich muß das mit Bedauern feststellen —, daß wir uns immer auf den Standpunkt „alles oder nichts" gestellt haben.
Wir waren bereit, um der Mütter und Kinder draußen willen Konzessionen zu machen, die uns sehr schwergefallen sind. Wir fanden einfach, daß es unmöglich ist, daß der 1. Deutsche Bundestag auseinandergeht, ohne endlich zu einer Lösung gekommen zu sein.
Herr Kollege Winkelheide, wenn Sie jetzt sagen, die Lösung, die sie heute bringen, sei die klassische Lösung,
dann habe ich etwas Angst um Sie — seien Sie mir nicht böse —,
ich fürchte, es könnte Ihnen jetzt genau so gehen wie in einer der letzten Sitzungen des Sozialpolitischen Ausschusses, daß Sie kommen und sagen müßten: Meine Fraktion und die Koalition machen mit mir nicht mit.
Wir haben ja jetzt schon ein paar kleine Beispiele an Herrn Hammer, Herrn Becker usw. gehabt. Auch die Frau Kollegin vom BHE steht nicht gerade auf dem Standpunkt Ihrer „klassischen Lösung". Lieber keine großen Worte; denn es könnte Ihnen noch einmal eine große Panne passieren.
Nachdem ich nun den Herrn Arbeitsministerzu der Frage gehört habe — er ist jetzt nicht mehr da —,
— entschuldigen Sie, Herr Minister — bedauere ich um so mehr, daß Sie, Herr Minister, nicht endlich selber einen Regierungsentwurf gebracht haben.
Manches von dem, was Sie uns hier gesagt haben, war für den einen, manches für den anderen Entwurf. Da war manches, worin wir Ihnen zustimmen können, manches, was wir ablehnen. Aber wenn Sie schon diese Gedanken haben, Herr Minister — Sie sind noch nicht erst jetzt Minister geworden, sondern Sie waren es schon in der ersten Bundesregierung —, hätten Sie selber einen Entwurf vorlegen sollen. Da hat Herr Kollege Horn recht: im Jahre 1949, ich glaube, es war im September oder November, hat die CDU bereits den Antrag gestellt, der Minister — der doch der CDU angehört — solle einen Entwurf vorlegen. Dieser Entwurf ist nicht gekommen. Daraufhin haben wir im März 1950 einen eigenen Entwurf gebracht. Wie gesagt, er ist gescheitert, genau so wie der dann auch gekommene Entwurf des Herrn Kollegen Winkelheide. Jetzt haben wir aber schon ein halbes Jahr den 2. Bundestag. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, daß wir einen solchen Entwurf bekommen sollen. Der Sprecher der Opposition hat dem voll zugestimmt. Aber immer noch haben wir den Entwurf nicht. Herr Minister Storch, seien Sie mir nicht böse, aber das ist, glaube ich, eine Verschleppung der ganzen Angelegenheit, die kaum zu verantworten ist,
wenn man für die Mütter und Kinder draußen wirklich etwas tun will.
Nun ein Wort zu den großen Bedenken wegen einer staatlichen Kinderbeihilfe. Herr Winkelheide hat sie ausgesprochen, Herr Horn hat sie ausgesprochen. Herr Winkelheide hat auch da große Worte gebraucht. Er hat gesagt, wir dürften die Familie nicht zu stark vom Staate abhängig machen. Es ist von einer neuen Rentnergruppe gesprochen worden. Nun, eine neue Rentnergruppe wird auch durch Ihren Entwurf geschaffen. Denn daß jemand Rentner ist, hängt nicht davon ab, ob er die Rente vom Finanzamt oder von der Berufsgenossenschaft bekommt.
Aber was heißt das, was wollen Sie damit sagen: 'die Empfänger der Leistungen würden Fürsorgeempfängern gleichgestellt und zu sehr vom Staate abhängig gemacht? Verehrter Herr Winkelheide, wir haben ja einen Familienminister. Ich glaube, er gehört Ihrer Fraktion an.
Mit welchem Recht haben wir denn einen Familienminister, wenn alle diese Fragen nicht in Verbindung mit dem Staat stehen sollen? Ich meine, der Familienminister ist doch bestimmt nicht nur da, damit er schöne Reden hält,
damit er vom sterbenden Volk und ähnlichen Dingen redet, sondern er soll doch etwas schaffen!
Wenigstens hoffen wir immer noch, daß wir das erleben werden.
Was bedeutet es also, daß, wenn jemand eine ganz große Leistung für den Staat vollbringt, er nun auch vom Staat eine ganz kleine Hilfe bekommt!
Die ganz große Leistung vollbringen doch unsere
Mütter und Väter, die dem Staat Kinder geben
und sie erziehen. Mit 20 Mark ist das nicht abgetan,
das ist eine ganz kleine Beihilfe. Aber wenn Sie so denken, daß niemand etwas vom Staat bekommen darf, ja, was sagen Sie denn dann zu den Beamten? Die bekommen doch schon immer Kinderbeihilfen, und die bekommen sie doch vom Staat!
Also ich muß Ihnen sagen, für diese Ausführungen habe ich kein Verständnis.
Nun hat Herr Kollege Horn gesagt, man wolle doch die Selbstverwaltung schützen. Ja, Kollege Horn, wenn Sie das bloß schon immer gesagt hätten,
auch in den Fällen, in denen w i r die Selbstverwaltung gefordert haben! Wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer Leistungen zu einer Aufgabe beitragen, fordern auch wir selbstverständlich die Selbstverwaltung. Wir haben auch hier gar nichts gegen die Selbstverwaltung. Was wir aber verhindern wollen, ist die Zersplitterung in die große Anzahl von Berufsgenossenschaften. Sie können uns auch wirklich nicht davon überzeugen, daß das nicht teurer werden soll als eine einheitliche staatliche Kinderbeihilfe. Es kommt hinzu — das haben auch die Herren Redner der FDP und der DP und ebenso die Frau Kollegin vom BHE mit vollem Recht aasgeführt —, daß bei Ihrem Antrag ein großer Teil von Menschen, die eine solchen Kinderbeihilfe unbedingt bedürften, ausgeschlossen wird.
Herr Kollege Horn und wohl auch der Herr Arbeitsminister haben davon gesprochen, daß der Leistungslohn für eine Familie mit zwei Kindern ausreichen soll. Ist es denn wirklich so, daß der Leistungslohn immer eine Familie mit zwei. Kindern ernährt? Frau Gräfin Finckenstein hat bei einem anderen Anlaß erklärt, daß es in 'Deutschland noch drei Millionen Menschen gebe, die bis 120 DM im Monat verdienten. Ist das ein Leistungslohn, der auch für einen solchen Zweck ausreichen würde? Einige der Damen und Herren waren. glaube ich, kürzlich zusammen mit mir auf der Kundgebung der Deutschen Angestelltengewerkschaft betreffend die geistige Arbeit. Sie werden dort gehört haben, welche Einkommen gerade auch die Angestellten heute noch haben.
Dann erinnere ich Sie daran, daß es angestelltenähnliche Berufe gibt, die nicht auf Grund eines Tarifvertrages entlohnt werden, die sogenannten kleinen Selbständigen. Herr Kollege Hammer hat auch auf die Herren auf der Journalistentribüne hingewiesen. Ich erinnere Sie an viele andere, an die Handlungsreisenden und andere sogenannte selbständige Berufe, die sich oft noch sehr viel schlechter stehen, als es hier der Fall ist, wo Sie von einem Leistungslohn sprechen. Dann erinnere ich Sie — und vor allen Dingen meine Kolleginnen in diesem Hause —an die Frauen. Es hat leider heute nicht jede Frau, die Mutter wird, einen Mann. Wir müssen auch an die vielen Witwen, die vielen geschiedenen Frauen denken, die ihre Kinder allein durchs Leben bringen müssen, auch an die alleinstehenden Frauen, die den Mut haben, unehelich Mutter zu werden.
— Ja, was denn? Was schütteln Sie denn da den Kopf, Herr Minister Lübke? Was erscheint Ihnen da so komisch? Ist das so komisch, oder haben Sie den Mut, zu sagen, in einem Staat, dem der Krieg,
dem die Nazizeit die Männer genommen hat, muß
jede Frau ohne Mutterschaft durchs Leben gehen?
Haben Sie den Mut?
— Dann bitte ich Sie, gehen Sie in eine Versammlung von Frauen und sagen Sie das.
— Gut, dann sagen Sie es!
Aber Sie müssen sich auch die Frauenlöhne einmal ansehen. Sie müssen an die Witwen und an die Frauen denken, deren Männer noch nicht aus dem Kriege zurückgekommen sind und die ein Kind von 12 oder 13 Jahren oder auch zwei Kinder haben. Diese Frauen verdienen, wenn sie berufstätig sein können, fast ausschließlich noch geringer als die Männer.
Sie können uns nun vorhalten: In eurem Antrag steht drin, daß ihr die Kinderbeihilfe erst vom zweiten Kind an geben wollt. Darauf muß ich antworten — und das sage ich auch dem Herrn Kollegen Winkelheide —: leider haben wir uns dazu ganz schweren Herzens— das sage ich Ihnen ganz offen — entschließen müssen, um endlich etwas zu schaffen, damit Sie uns nicht wieder entgegenhalten: Es ist unmöglich. Aber wenn Sie nun gar bis zum dritten Kind gehen und immer davon sprechen, das dritte Kind solle 20 D -Mark haben, dann glaube ich, müssen wir uns die Sache doch einmal plastisch vorstellen. Die Familie, die vom dritten Kind an 20 D-Mark pro Kind bekommt, hat dann für die drei Kinder zusammen nur 20 DM, denn für das erste und zweite Kind bekommt sie nichts.
Sie hat also drei Kinder und bekommt 20 DM; daß das nicht ausreicht, werden Sie mir zugeben.
Nun möchte ich noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Hammer sagen. Er hat uns eine sehr interessante Angelegenheit hier vorgetragen; er hat mit Hitler angefangen und bei der Todesstrafe geendet. Das betraf alles die Kinderbeihilfe, nehme ich an.
Das war alles ganz amüsant, Herr Kollege Hammer. Zum Schluß haben Sie aber ein Wort gesagt, das nicht amüsant war; ich glaube, das war etwas, was Sie sehr zurücknehmen müßten. Sie haben nämlich die Kinderbeihilfe zu einer Zuchtprämie degradiert.
Dagegen muß ich allerdings als Frau und im Interesse der Frauen und Mütter protestieren.
Und wenn der Herr Kollege Becker gemeint hat, die Kinderbeihilfe müsse auf die Steuerreform abgestimmt werden, so kann ich nur erwidern: umgekehrt, die Steuerreform muß auf die Kinderbeihilfe abgestimmt werden.
Wir können es nicht ertragen, daß in Deutschland, in dem auch heute noch trotz des „Wirtschaftswunders" so viel, so ungeheuer viel Not vorhanden ist, ausgerechnet den Ärmsten der Armen
diese Hilfe, die wir für notwendig halten, vorenthalten wird. Ich bitte Sie deshalb alle, und ich bitte insbesondere Herrn Minister Storch, der davon gesprochen hat, er müsse die Dinge im Kabinett besprechen: beeilen Sie sich endlich, damit unsere Familien draußen nicht noch länger warten müssen!