Rede von
Dr.
Wolfgang
Stammberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freie Demokratische Partei muß aus grundsätzlichen Erwägungen beiden vorliegenden Gesetzentwürfen ihre Zustimmung versagen.
Es haben zweifellos Voraussetzungen für ein Straffreiheitsgesetz vorgelegen, als sich in den Jahren nach dem Kriege die Länder und im Jahre 1949 der Bund konstituierten. Wir sind auch der Meinung, daß es der Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz rechtfertigt und sogar gebietet, daß wir im Zuge einer Nachtragsamnestie alle diejenigen Fälle noch erfassen, die wir damals aus irgendwelchen Gründen nicht erfassen konnten oder durften. Das gilt insbesondere — da stehe ich etwas im Gegensatz zu Herrn Kollegen Greve — für die Urteile aus der Entnazifizierungsgesetzgebung. Niemand von uns denkt daran, strafbare Handlungen, die damals — wenn auch unter politischen Aspekten — begangen worden sind, heute zu begnadigen. Es handelt sich aber nicht um strafbares Unrecht, das damals begangen worden ist und wozu die Vorschriften des Strafgesetzbuches zu einer angemessenen Ahndung ausgereicht hätten, sondern es handelt sich lediglich um die Taten, die auf Grund irgendeiner politischen Zugehörigkeit zu verbotenen Organisationen usw. unter Strafe gestellt waren.
Wir sind auch der Meinung, daß gewisse Wirtschaftsstraftaten, insbesondere Interzonenhandelsgeschäfte, wie das der Herr Kollege Höcherl bereits angeschnitten hat, amnestiert werden müssen. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß der Befehlsnotstand im Sinne des § 8 der Regierungsvorlage in irgendeiner Form durch die Amnestie geregelt werden muß, soweit nicht in dieser Hinsicht bereits die Rechtsprechung durch die Anwendung der Lehre vom subjektiven Tatbestand zu befriedigenden Ergebnissen gekommen ist.
Wir sind aber nicht der Meinung der Bundesregierung, daß es auch notwendig sei, politische Beleidigungen zu amnestieren.
Meine Damen und Herren, wir stehen auf dem Standpunkt, daß sich eine politische Auseinandersetzung, d. h. das Ringen um die beste und um die richtige Entscheidung auf einem höheren Niveau und auf einer anderen Ebene abspielen muß als unter Berücksichtigung der §§ 185 bis 187 des Strafgesetzbuches vor dem Amtsrichter,
und wir sind der Meinung, daß das auch dann zutrifft — im Gegensatz zur Meinung des Herrn Bundesjustizministers —, wenn diese beleidigenden Äußerungen von seiten rechts- oder linksradikaler Organisationen oder von Angehörigen dieser Organisationen gefallen sind; denn wenn sie von dort gefallen sind, wird man das Gefühl nicht los, daß sie dort einer gewissen Grundhaltung entstammen und nicht etwa nur im Übereifer erfolgte Entgleisungen darstellen.
— Dann ist es um so bedauerlicher und dann wäre es ein Zeichen dafür, daß es Leute gibt, die sich zu dieser Erkenntnis noch nicht durchgerungen haben. Wir sind der Meinung, daß jemand, der gegen diese Spielregeln einer gesunden parlamentarischen oder sonstigen politischen Auseinandersetzung verstößt, nicht zu erwarten hat, daß er dafür straflos ausgeht.
Wir können uns auch nicht entschließen, der Tendenz des § 7, d. h. doch praktisch der Kaschierung der Platow-Amnestie — der Herr Bundesjustizminister hat es ja sehr deutlich gesagt — zuzustimmen. Meine Damen und Herren, ich stimme durchaus mit Herrn Kollegen Greve überein, wenn er sagt, daß die Amnestie nicht dazu dienen darf, den Justizbehörden die Arbeit zur Niederschlagung von einzelnen Verfahren durch Gnadenerweise wegzunehmen. Aber diese Folgerungen hätte er auch noch weiter ziehen müssen. Zu seinen Ausführungen bei der Platow-Gesetzgebung, zu seiner anfangs geäußerten Ansicht standen sie nämlich durchaus in Widerspruch.
Meine Damen und Herren, wir lehnen die Entwürfe deswegen ab, weil sie — auch der Regierungsentwurf, nicht nur der Entwurf der CSU — eine allgemeine Amnestie darstellen sollen. Wir haben das Gefühl — und dieses Gefühl teilt sich mit dem Gefühl weitester Kreise der Bevölkerung —, daß diese Amnestie mit dem Ergebnis der Bundestagswahl in irgendeinem Zusammenhang steht. Das könnte gewisse Erwartungen und Folgerungen nach sich ziehen, die auch bei der nächsten und den kommenden Bundestagswahlen eine Regierung in Versuchung bringen könnte, das Zuckerbrot der Amnestie zu gewähren.
Es sind durchaus berechtigte Erwägungen, daß man die Verkehrsdelikte herauslassen wollte, weil man die Menschen wieder zu der Auffassung bringen soll, daß Verkehrsdelikte keine Kavaliersdelikte sind. Was aber für Verkehrsdelikte gilt, gilt im selben Umfang auch für Delikte anderer Art. Durch die Schnelligkeit und durch das Übermaß an Möglichkeiten, durch das man in den letzten Kriegsjahren und auch in den Jahren nach dem Krieg ins Gefängnis wandern konnte, sind in der Bevölkerung so manchmal die Ansichten entstanden, daß derartige kleine Straftaten nicht so besonders wichtig zu nehmen seien. Es ist unsere Aufgabe als gesetzgebende Körperschaft, dafür zu sorgen, daß die Staatsbürger wieder das Gefühl haben, es macht sich jemand strafbar, wenn er gegen die Gesetze verstößt, die sich die Gemeinschaft zur Ordnung ihres gemeinsamen Zusammenlebens gesetzt hat. Das scheint uns auch eine gewisse Verantwortung zu sein gegenüber dem weit überwiegenden Teil der Bevölkerung, der sich an diese Spielregeln hält und der allmählich kein Verständnis mehr dafür haben wird, wenn man von Zeit zu Zeit, weil das aus irgendeinem Grunde zweckmäßig erscheint, alles das in Bausch und Bogen amnestiert, was in den vergangenen Jahren geschehen ist. Das gilt um so mehr, als durch eine jetzt beabsichtigte Generalamnestie keine Urteile getroffen werden, die in sehr unruhigen und turbulenten Zeiten gefällt worden sind, sondern als es sich hierbei um Urteile handeln wird, die ergangen sind oder ohne eine Amnestie noch ergehen werden unter einer rechtsstaatlichen Ordnung, unter sorgfältiger und peinlicher Wahrung der materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften.
Wir sind der Meinung, daß es zum Bewußtsein des Verantwortungsgefühls eines jeden Staatsbürgers gehört, zu wissen, daß eine Verletzung der entsprechenden Gesetze auch die Strafbarkeit nach sich zieht. Wir fürchten, es könnte ein Gefühl aufkommen, daß Geldstrafen und auch Freiheitsstrafen bis zu einer gewissen Anzahl von Monaten eben Bagatellen sind, die auf kurz oder lang, spätestens nach der nächsten Bundestagswahl, durch eine Amnestie bereinigt werden. Bei einer Amnestiedebatte im Reichstag, der in der Frage von Amnestien ebenfalls nicht gerade kleinlich war, ist einmal das Wort gefallen: „Amnestien sind Meilensteine auf dem Leichenweg des Rechts". Das Parlament als gesetzgebende Körperschaft hat auch die Aufgabe, Hüter dieses Rechts zu sein. Eine Verletzung dieses Grundsatzes würde dazu führen, daß eben auch dann, wenn es aus irgendeinem Grunde opportun erscheint, für Einzeltatbestände Amnestien gewährt werden, wie wir es heute bei der Platow-Amnestie sehr ausführlich diskutiert haben. Dieser Entwicklung müssen wir Einhalt gebieten. Daher lehnen wir beide Entwürfe ab und stimmen auch gegen ihre Verweisung in die zuständigen Ausschüsse.
Eine Bitte haben wir aber: daß, wie auch immer die Entscheidung ausfallen mag, sie schnell getroffen wird. Wir sind durchaus der Meinung des Herrn Kollegen Höcherl, daß sich die Akten auf den Richtertischen angehäuft haben und daß nach dem monatelangen Gerede um diese Amnestie nur eine schnelle Entscheidung des Parlaments hier eine Klärung schaffen kann. Wir sind aber nicht der Meinung des Herrn Kollegen Höcherl, daß dieses Problem der Aktenanhäufung nur dadurch gelöst werden kann, daß sie durch einen Federstrich mit einem Amnestie-Gesetz unter den Tisch fallen. Wir sind der Meinung, daß eine derartige Praxis der Würde des Gerichts und dem Ansehen des Rechts, das die Gerichte zu sprechen haben, widersprechen würde.