Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Weber befindet sich im Irrtum mit seiner Annahme, mein Parteikollege Carlo Schmid habe das von meinem Parteikollegen Erler gesprochene Wort vom Ermächtigungsgesetz zurückgenommen. Das trifft nicht zu. Herr Kollege Carlo Schmid hat nur sehr deutlich erklärt, daß niemand von uns Ihnen eine Gesinnung oder eine Absicht unterstelle, wie sie in dem Ermächtigungsgesetz vom März 1933 enthalten sei,
und das bestätige auch ich hier noch einmal. Aber daß diese Vorlage ein Ermächtigungsgesetz ist, das ist unser aller Überzeugung.
Herr Kollege Weber, man kann Ermächtigungen
j a nicht nur an die Exekutive, an eine Regierung geben, sondern man kann sie auch an ein Parlament und an ein Gesetzgebungsorgan geben, und hier wird in der Frage der Wehrverfassung dem Bundestag sogar eine Blankettermächtigung erteilt,
mit der alles geregelt werden kann, da nunmehr lediglich die Frage der allgemeinen Wehrpflicht in das Grundgesetz eingefügt werden soll.
Zweitens - wenn ich mich noch weiter mit Herrn Kollegen Weber auseinandersetzen darf — Herr Weber: Sie haben hier wiederum betont, aber ohne dafür eine Begründung zu geben, daß nach ihrer Meinung die Verträge von Bonn und Paris mit dem unantastbaren Verfassungskern des Bonner Grundgesetzes nicht in Widerspruch stünden. Nun, warum scheuen Sie dann eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht, die einzige Stelle, die diese Rechtsfrage unbefangen und für uns alle verbindlich entscheiden kann?
Diese Frage hätte ich gern einmal von Ihnen beantwortet.
— Ja, sehen Sie, mit dem „leid tun" ist folgendes. Sie haben hier das scharfe Wort von der „bewußten Vergiftung der öffentlichen Meinung" hineingebracht, obgleich wohl niemand in Abrede stellen kann, daß meine Freunde Fritz Erler und Carlo Schmid hier nach bestem Wissen und Gewissen ihre Überzeugung kundgetan haben. Da sprechen Sie von der „bewußten Vergiftung" der öffentlichen Meinung! Ich glaube, wir brauchen in dieser Frage nicht pathetisch zu werden. Wir können es der öffentlichen Meinung selbst überlassen,
ob sie sich dadurch vergiftet glaubt, daß Männer von der Gewissenhaftigkeit und der Ehrbarkeit wie Carlo Schmid und Erler hier von der Tribüne des Bundestages aus ihrer rechtlichen und politischen Meinung Ausdruck geben, oder ob ein solcher Vorwurf berechtigt ist aus den Kreisen, die eine Verantwortung dafür tragen, daß sich während des Bundestagswahlkampfes die Fälle Schroth und Scharley ereignet haben.
Meine Damen und Herren! Ich darf mich jetzt den Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz zuwenden. Der Herr Bundesminister der Justiz hat sich hier zum Gedanken des Rechtsstaats bekannt, und, ich glaube, Herr Bundesminister, darin treffen wir uns alle in unserem Bemühen. Sie haben sich aber gegen den Gedanken eines Justizstaates ausgesprochen, ohne uns klar zu sagen, was man unter einem Justizstaat verstehen soll. Wir haben ja diese Frage insofern nicht zu entscheiden, als das Bonner Grundgesetz eine Vorentscheidung getroffen hat und verfassungsmäßig klarstellt, wann ein Parlament und wann ein Gericht zur Entscheidung berufen ist. Sie dürfen diese Frage hier nicht so vereinfachen, daß Sie sagen, es sei eine rein politische Frage, ob man die Verträge abschließt oder nicht, ob man sie über das Grundgesetz stellt oder nicht.
Gewiß sind die Verträge auch eine politische Frage, eine sehr wesentliche politische Entscheidung. Aber in unserer rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie haben sich nach dem Grundgesetz alle politischen Entscheidungen auf der Grundlage des Rechts abzuspielen.
Das steht im Grundgesetz, und darum ist von der Frage, ob der Abschluß und das Inkraftsetzen der Verträge politisch richtig ist — diese Frage haben wir hier im Hause zu entscheiden —, die
Rechtsfrage zu trennen, ob sie nach dem Grundgesetz z u 1 ä s s i g sind oder ob nicht zuvor erst die Verfassung verändert und erweitert werden muß. Ich darf Sie immerhin darauf aufmerksam machen, daß das Bundesverfassungsgericht durch seinen berühmten Beschluß vom 8./9. November des Jahres 1952 mit der bekanntgegebenen Mehrheit von 20 gegen 2 Stimmen mit überzeugender Begründung ausgesprochen hat, daß diese Frage eine Rechtsfrage, und zwar eine sehr schwierige Rechtsfrage sei. Ich kann nicht annehmen, daß Sie als Bundesminister der Justiz sich da in einen so offenen Widerspruch mit dem Plenum des Bundesverfassungsgerichts zu setzen wünschen. Also mit dem Schlagwort: „Wir wollen keinen Justizstaat!" ist der Ernst dieser Frage nicht abzutun.
Nun ein weiterer Punkt aus Ihren Ausführungen. Sie haben sich auch des so beliebt gewordenen Wortes von der authentischen Interpretation bedient. Ich möchte einmal in ein schlichtes Deutsch übersetzen, was das in diesem Falle heißt. Das Fremdwort „authentische Interpretation" heißt nichts anderes als: Urteilen in eigener Sache.
Das ist es, was damit gemeint ist.
Von den Staatsrechtlern, die Sie angeführt haben, sind die Meinungen, die Sie zitieren, geäußert worden auf der Grundlage einer vollkommen anderen Verfassungsordnung der Weimarer und der Vorweimarer Zeit.
Für das Bonner Grundgesetz gibt es keinen einzigen Lehrer des Rechts, der je bisher behauptet hätte, daß nach dem Grundgesetz der Bundestag, auch mit verfassungändernder Mehrheit, befugt sei, in eigener Sache zu urteilen — was Sie „authentische Interpretation" zu nennen belieben.
Ich habe mit Erschrecken gehört, daß Sie gesagt haben, die Normenkontrolle könne auch durch eine Verfassungsänderung beseitigt werden. Ja, meine Damen und Herren, wo stehen wir denn, wenn der Bundesminister der Justiz uns etwas Derartiges sagt?
Es ist richtig, Herr Bundesminister, daß die Art der Ausprägung, die besondere Form, die man im Bonner Grundgesetz dieser richterlichen Prüfung gegeben hat, abänderbar ist. Aber ich darf auch hier wieder einmal dieses Fremdwort „Normenkontrolle" in die deutsche Sprache übersetzen; dann heißt es: richterliche Prüfungsbefugnis, und als solche ist die richterliche Prüfungsbefugnis im Artikel 20 in Verbindung mit Artikel 79, letzter Absatz, für unantastbar erklärt. Es wird dort ausdrücklich als unabänderlich gefordert, daß die richterliche Nachprüfung, ob ein Akt, sei es des Gesetzgebers, sei es der Verwaltung, mit der Verfassung und dem Recht im Einklang steht, von einem Organ vorgenommen werden muß, das weder gesetzgeberisch noch verwaltungsmäßig zuständig ist. Infolgedessen ist das richterliche Prüfungsrecht nach dem Grundgesetz unabschaffbar und unantastbar.
Sie aber wollen hier folgendes machen: Sie wollen gesetzgebende und rechtsprechende Gewalt in einer Hand vereinen.
— Jawohl — indem Sie hier sagen: Diese Frage, ob die Verträge von Bonn und Paris mit dem Grundgesetz vereinbar sind, die entscheiden wir selbst in sogenannter authentischer Interpretation.
Mit einem Wort darf ich nun noch auf den Herrn Kollegen Weber in diesem Zusammenhang zurückkommen. Man sagt, es sei ja nicht nur das, sondern es handle sich überdies auch um eine nochmalige politische Bestätigung des Gesetzgebungsbeschlusses. Herr Kollege Weber, das trifft nicht zu. Die über 500 Mitglieder dieses Hohen Hauses haben die Verträge von Bonn und Paris bei der Verabschiedung dieses Gesetzes hier nicht beraten. Es ist deshalb nicht der Gegenstand dieses Beschlusses, überhaupt nicht verhandelte Verträge durch diese Abstimmung irgendwie erneut zu bestätigen.
Ich komme jetzt auf das zurück, was ich über die Vereinigung von rechtsprechender und gesetzgebender Gewalt in einer Hand sagte, wobei ich erklärte, daß das auch der verfassungändernden, der Zweidrittelmehrheit nicht erlaubt ist. Herr Bundesminister der Justiz, das Bonner Grundgesetz spricht nicht bloß davon, daß man das Grundgesetz nur mit einer Zweidrittelmehrheit ändern oder ergänzen dürfe. So war es einmal, jedenfalls in der Praxis der Weimarer Zeit. Der Art. 79 sagt sehr viel mehr. Er sagt, im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, Herr Weber, in seiner Ganzheit unabänderlich, sonst hätte er ja gar keinen vernünftigen Sinn, daß das Grundgesetz nur durch eine Vervollständigung seines Wortlautes geändert oder ergänzt werden kann und außerdem lediglich in den Grenzen, die durch das demokratische Prinzip. das rechtsstaatliche Prinzip und die Unantastbarkeit der menschlichen Grundrechte gesetzt sind. Das bitte ich dabei doch nicht zu vergessen.
Gerade hier entsteht auch die Frage, die das Bundesverfassungsgericht angeht. Es ist schlecht, Herr Jaeger, wenn Sie meinen, von einem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen und den höchsten ' Richter anzurufen, das sei irgendwie etwas, was die Würde der Verfassung antaste. Ich darf dazu die Worte eines Landsmannes von Ihnen zitieren, der neulich hier gesagt hat:
Es ist ein ganz falscher Schluß, wenn man glaubt, in dem Umstand, daß wir zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten ein Bundesverfassungsgericht berufen haben und daß dort auch tatsächlich Fragen entschieden werden, einen Beweis für ein schlechtes Funktionieren unseres Staates zu sehen. Das Gegenteil ist richtig. Hier öffnet sich ein Ventil. In anderen Staaten, die diese Verfassungsgerichtsbarkeit nicht kennen, werden die Spannungen politisch ausgetragen, im Zweifel durch Mehrheitsabstimmung. Es ist doch nicht so, daß die Politik eine Rechenaufgabe ist, die immer aufgeht. Das Gegenteil ist der Fall, und die Frage ist nur, w i e die Spannungen ausgetragen werden.
Das geschieht bei uns in Deutschland bei Spannungen in Rechtsfragen durch eine höchstrichterliche, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung. Ich habe eben die Worte zitiert, die Ihr Landsmann, der Herr Kollege Dr. Dehler, am 4. Februar von dieser Stelle aus gesprochen hat.
Die verfassungsändernde Mehrheit kann also nach
dem Bonner Grundgesetz keineswegs alles, sondern sie ist an Voraussetzungen und bestimmte Formen gebunden.
Nun darf ich einmal die Frage aufdecken: Warum wählt man trotzdem diese merkwürdige Art der Verfassungsdurchbrechung? Doch aus zwei Gründen. Einmal will man, und zwar im Gegensatz zu dem Prinzip des Art. 79, unsichtbar lassen, wie sehr das Bonner Grundgesetz durch die Verträge von Bonn und Paris durchlöchert wird. Man will unsichtbar lassen, wie sehr die Rechte des Bürgers dadurch eingeengt und wie außerordentlich die Befugnisse seiner Obrigkeit ausgeweitet werden. Das können Sie sofort feststellen, wenn sie sich einmal die Mühe machen — wir haben es im Rechtsausschuß nur ganz kurz und andeutungsweise besprochen —, jetzt bei jedem Artikel im Grundgesetz dazuzuschreiben, inwieweit er durch die Verträge aufgehoben, eingeengt oder abgeändert wird. Dann werden Sie sehen, daß aus unserer Verfassung — entschuldigen Sie den etwas anrüchigen Vergleich — eine Art von Schweizer Käse geworden ist, so viel Löcher werden durch die Verträge hineingebracht, nach einem Wort von Friedrich von Logau—ich verdanke es Herrn von Merkatz—, das er vom Westfälischen Frieden gesagt hat: „Reißt viel Verfassung ein." Sie scheuen sich, so wie es Art. 79 verlangt, Punkt für Punkt klarzumachen: Bürger, paß auf, hier ist in deiner Verfassung etwas abgeändert!
Das zweite, was Sie mit dieser merkwürdigen Art der Gesetzgebung bezwecken, ist das, zu verdecken, daß die Verträge auch mit dem unantastbaren Kern des Bonner Grundgesetzes nicht vereinbar sind, und diese Frage nach Möglichkeit auch einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung zu entziehen. Das ist der Hintergrund, aus dem sich Ihr Verfahren erklärt. Das können Sie auch mit einer Zweidrittelmehrheit nicht erreichen.
Ich komme jetzt zum letzten, was ich zu sagen habe. Herr Bundesminister der Justiz, Sie halten sich — und ich bin mir bei Ihnen dessen bewußt, vertraue auf Ihr Wort— für verpflichtet, gerade das Grundgesetz und die Verfassung zu wahren. Aber hören Sie bitte noch einmal, was der Berichterstatter Herr von Merkatz als Mehrheitsmeinung des Rechtsausschusses hier vorgetragen hat, und zwar in Übereinstimmung mit Ausführungen, die einer der Herren Ihres Ministeriums im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht gemacht hat. Ich zitiere jetzt wörtlich aus dem Bericht des Herrn Berichterstatters von Merkatz:
Diese Schranken,
— nämlich die Schranken, die der Verfassunggeber in Art. 79 auch für Verfassungsänderungen gesetzt hat —
die der Verfassungsgesetzgeber selbst der späteren Verfassungsänderung gezogen hat, sind nach Auffassung der Mehrheit für die Verfassungsänderung selbst nicht unüberschreitbar. Diese Schranken, die der Verfassungsgesetzgeber selbst seinem Nachfolger in der Verfassungsänderung setzen will, können durch eine Verfassungsänderung überspielt werden, sie können . . . . formal beseitigt werden.
Schon das Wort „überspielt" läßt doch hier außerordentlich aufhorchen.
— Ich habe hier ganz wortwörtlich nach Ihrem Manuskript, Herr von Merkatz, zitiert.
— Das steht hier nicht drin.
— Als unveränderlichen Kern der Verfassung — das haben Sie heute morgen noch hinzugesetzt — wollen Sie aber auch nur die Menschenrechte anerkennen. Aber auch Sie haben im Ausschuß der Auffassung Ausdruck gegeben, daß der Art. 79 über die Voraussetzungen und Formen der Verfassungsänderung oder -ergänzung oder die Einschränkung durch den Art. 79 Abs. 3 vom verfassungsändernden Gesetzgeber selber wieder geändert werden könne. Meine Damen und Herren und Herr Bundesminister der Justiz, damit wird doch klar gesagt: Zwar hat das Bonner Grundgesetz erklärt, es will diese Schranken setzen, auch für die verfassungsändernde Mehrheit, aber wir, die verfassungsändernde Mehrheit, brauchen uns in diesem Falle an das Grundgesetz und an den Verfassunggeber nicht zu halten; denn wir sind selber so viel wie er. Wenn Sie das einmal in seiner letzten Tiefe bedenken, so heißt das nichts anderes, als daß sich hier die Zweidrittelmehrheit vom Grundgesetz lossagen und über das Grundgesetz stellen will.
Ein sehr ernstes Wort dazu als Abschluß. Der Streit um die Verträge wird vorübergehen, die Welt und Deutschland werden vielleicht schon in wenigen Jahren anders aussehen. Es wird dann der Geschichte angehören, ob man die Verteidigung in dieser oder jener Form, nach dem EVG-Vertrag und durch den Generalvertrag machen sollte oder hätte machen sollen. Auch Sie wollen ja, daß der Generalvertrag keineswegs ewig besteht, sondern recht bald verschwindet. Hier ist es also eine Frage der Tagespolitik, die vorübergeht. Bedenken Sie gut, ob Sie deshalb die Verfassungsordnung in einem ihrer tragenden Grundsätze durchstoßen wollen. Denn wenn die Verträge auch vorübergehen, so wünschen wir uns alle doch eins — Sie bestimmt nicht weniger als wir —: daß die freiheitliche Verfassung bleibt. Aber dann können Sie ein solches Gesetz nicht machen!