Meine Damen und Herren! Diese Debatte über die Bestimmungen der Bundeshoheit in Wehrfragen hat gestern und heute mit einem ganz gewaltigen Kanonendonner begonnen, mit einem Kanonendonner, der von der Rückzugskanonade herrührt, die die SPD auf außenpolitischem Gebiet begonnen hat.
Gegenüber derartigen Rückzügen und Rückzugskanonaden
gibt es zwei Möglichkeiten des Verhaltens. Die rein
militärische würde darin bestehen, nachzustoßen.
Die politische ist anders: Lassen wir die Dinge sich entwickeln, warten wir ab, bis sich der Pulverdampf dieser Rückzugskanonade verzogen hat.
Dann nämlich stellen wir folgendes fest.
Wir haben aus den Reden von gestern und heute feststellen können,
daß erstens die SPD bereit ist, in puncto Sicherheit alles zu tun, nur im Rahmen der Vereinten Nationen oder, wie sie es ausgedrückt hat, im Rahmen einer kollektive Sicherheit gewährleistenden Vereinigung.
— Auch?
Unter dieser kollektiven Gemeinschaft sehen Sie die Vereinten Nationen. Aber übersehen Sie doch bitte nicht, daß über der Tür, die in die Vereinten Nationen hineinführt, die Überschrift steht: Zutritt für Deutsche verboten!
Wenn Sie also die Sicherheit irgendwie gewährleisten müssen, dann wollen wir uns umsehen, ob es nicht einen anderen Rahmen kollektiver Sicherheit gibt. Den sehe ich vorläufig, wenn auch in kleinem Rahmen, in der EVG, in der europäischen Gemeinschaft.
Wenn Sie also schon auf dem Wege zu dieser Entwicklung sind, bitte, bedienen Sie sich doch dann zunächst einmal dieses Nahzieles und steuern Sie es an.
Zum zweiten haben Sie zum Ausdruck gebracht — ich begrüße es, daß Herr Kollege Erler das gesagt hat —, Sie seien durchaus bereit, an der Wehrverfassung mitzuarbeiten, mit anderen Worten: Sie stellten sich auch auf den Standpunkt, daß Deutschland eine derartige Verfassung haben muß. Wir freuen uns darüber, auch wenn wir nicht jetzt schon die Erwartung haben, daß ein Vertreter der SPD, wie Herr Kollege Erler meinte, von dieser Tribüne aus die Politik der Bundesregierung verteidigt.
Kommen wir zum Thema! Im Jahre 1950, als im Anschluß an Korea zum ersten Male die Frage der europäischen Verteidigung auftauchte, haben wir in Straßburg im Europarat eine große Debatte darüber gehabt. Im Rahmen dieser Debatte habe ich, an unsere französischen Nachbarn gewandt — ich hatte das Glück, daß zwei Plätze von mir, in alphabetischer Reihenfolge, Herr Bidault saß —, folgendes gesagt. Es gibt drei Möglichkeiten der Verteidigung für Europa. Die eine Möglichkeit ist, daß dieses Deutschland völlig unbewaffnet bleibt. Konsequenz: Wir Deutschen gehen kaputt und Frankreich mit.
Die zweite Möglichkeit ist die, daß sich jeder Staat seine nationale Wehrmacht von früher wieder zuschneidern läßt. Das kann kein Staat mehr finanziell tragen — gemeinsam trägt sich das in vereinfachter Form leichter —, und es führt wieder zu den
alten Streitigkeiten und Differenzen, auf die der Osten ja nur spekuliert, um sich ohne heißen Krieg in den Besitz dessen zu setzen, was er noch braucht, um den Marsch von Moskau nach Paris zu Ende zu führen.
Die dritte Möglichkeit ist die gemeinsame europäische Verteidigungsarmee. Auf dem Wege zu ihr sind wir, und um diese Verteidigungsarmee mit den Bestimmungen unseres Grundgesetzes in Einklang zu bringen, deshalb heute die Vorlage und deshalb heute diese Debatte.
Herr Kollege Gerstenmaier hat Ausführungen gemacht, denen ich mich im Grundsätzlichen anschließen kann. Lassen Sie mich das, was hierzu zu sagen ist, in den einen Satz zusammenfassen, der schon einmal an anderer Stelle, im Parlamentarischen Rat. gesprochen worden ist, in den Satz, daß die allgemeine Wehrpflicht das legitime Kind der Demokratie ist. Der Satz ist zutreffend. Ich glaube, er wird vom ganzen Hause anerkannt, und ich nehme an, daß Herr Kollege Erler sich bei seiner Erklärung, daß auch seine Freunde bereit seien, an der Wehrverfassung mitzuarbeiten, auf diesen Satz gestützt haben wird. Ich darf aber auch hinzufügen. damit kein Mißverständnis entsteht, daß Art. 26 unseres Grundgesetzes ausdrücklich vorsieht, daß eine Wehrmacht lediglich — und das sage ich für alle die. die es hören wollen und sollen — zu Verteidigungszwecken geschaffen werden kann und darf.
Die FDP hatte für diese Wehrverfassung drei besondere Wünsche. Ich werde sie im einzelnen durchgehen, nicht von der juristischen Seite her, sondern von dem her, was politisch dazu zu sagen ist. Der eine betraf die landsmannschaftlichen Vorbehalte, die in der ursprünglichen Vorlage enthalten waren und die jetzt noch im Ausschuß verblieben sind. Sie wissen genau, welche Bedenken da anzumelden waren. Wir haben im einzelnen über diese Dinge in privaten Aussprachen maßgeblicher Persönlichkeiten verhandelt. Es handelt sich nicht darum, daß jedes Land in Deutschland eine eigene Verteidigungsorganisation aufbaut. Es handelt sich nicht darum. daß Landeskommandanten geschaffen werden. Wohl aber handelt es sich darum, daß in Durchführung des an sich nun einmal im Grundgesetz festgelegten föderalistischen Grundsatzes und entsprechend der bisherigen Übung, auch entsprechend den praktischen Erfordernissen z. B. im Meldewesen, in der Garnisonierung. in der Frage der Einziehung zu dieser oder jener Truppengattung. allen diesen Bedürfnissen Rechnung getragen wird. auch hinsichtlich der Aufstellung von Verbindungsstäben und Verbindungsstellen. Darüber wollen wir uns — und deshalb ist diese Frage zurückgestellt — in aller Ruhe im Ausschuß unterhalten. An Hand konkreter Maßnahmen läßt sich das alles klar festlegen, und Sie haben gehört, daß unsere Vereinbarung. unser Kompromiß. das fair ausgehandelt ist, dahin geht, daß diese Dinge in einer verfassungsmäßigen Form, d. h. als Teil des Grundgesetzes, erledigt werden sollen.
Die Frage der Bundesverwaltung auf dem Gebiete des Wehrwesens ist ebenfalls in dem Kompromiß, von dem ich eben sprach, geregelt. Wir haben die Zusage, daß es nicht nur selbstverständlich und natürlich sei, sondern daß es auch gewollt sei, eine derartige Verwaltung des Wehrwesens
neben der Gesetzgebung, d. h. beides, dem Bund zu überlassen. Auch das wird im Rahmen des Grundgesetzes geregelt, also auch mit den Modalitäten, die für Verfassungsänderungen vorgeschrieben sind.
Auch einige Worte zu der dritten Frage, der Frage des Oberbefehls. Wenn dieser Antrag gestellt worden ist, dann ist er so gestellt worden, als wenn wir heute noch in einem Parlamentarischen Rat wären. Er hat also keinen Bezug auf irgendwelche bestimmte Persönlichkeiten, sondern nur auf Institutionen. Und weiterhin: eine der treibenden Kräfte für diesen Antrag war eine Sorge, der auch der Kollege Erler Ausdruck gegeben hat, nämlich die Sorge, daß wir dem deutschen Soldaten das Gefühl geben wollten, daß er unter einer von parteipolitischen Erwägungen und Einflüssen völlig freien, neutralen Stelle seinen Dienst versieht. Dieser psychologische Eindruck war uns eines der wesentlichsten Motive bei Stellung dieses Antrages.
Dazu haben wir inzwischen auch noch einiges andere überlegt. Ich teile die Auffassung des Herrn Kollegen Erler, daß bei der Regelung des Oberbefehls die Frage mit zu lösen ist, inwieweit vom Parlament aus Kontrollen einzubauen sind. Gerade weil diese Frage im Zusammenhang mit der Frage des Oberbefehls mit zu regeln ist, haben wir uns in unserem Kompromiß ausbedungen, daß sie nur als Teil des Grundgesetzes — nicht sonst — geregelt werden darf und daß sie auch nur geregelt werden darf unter den Modalitäten, nach denen eine Grundgesetzänderung zu erfolgen hat.
Herr Kollege Erler, Sie sprachen dann noch von Ermächtigungsgesetzen. Ich glaube, wir wissen alle, was in Wirklichkeit ein Ermächtigungsgesetz ist.
Ein Ermächtigungsgesetz ist eine gesetzliche Regelung, die dahin geht, daß die Exekutive Bestimmungen treffen darf, die sonst nur die Legislative im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsganges bringen darf.
Von einem derartigen Ermächtigungsgesetz ist hier keine Rede.
Lesen Sie das Grundgesetz nach, und Sie werden finden, daß an vielen Stellen des Grundgesetzes gesagt ist: Das Nähere bestimmt ein Gesetz.
Oder versetzen Sie sich in die Zeit der Weimarer Verfassung zurück, wo ja nun auch, getragen von Ihren Stimmen , die Frage des Oberbefehls, die Frage der Bundesverwaltung, die Frage der Bundesgesetzgebung für diesen und jenen Zweck, auch für Militärzwecke, geregelt war. Dann werden Sie finden, daß das Wehrgesetz, das dann später erlassen worden ist, nicht durch die Verfassung vorweggenommen war, sondern daß dieses Wehrgesetz im ordentlichen Gesetzgebungsgang entstanden ist.
Also ein Ermächtigungsgesetz liegt nicht vor. Sonst wäre jeder Rahmen, der in der Verfassung für eine Zuständigkeit abgesteckt ist, ein Ermächtigungsgesetz; und das ist er nicht.
Im übrigen aber, Herr Kollege Erler, wenn all die Einzelheiten, die Sie aufgeführt haben und die zweifellos auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung im Wehrgesetz zu regeln sind, Ihrer Auffassung nach schon im Grundgesetz stehen müßten, — ich weiß nicht, wie lang, wie dick und wie umfangreich ein solches Grundgesetz dann werden soll; denn dann müßte der von Ihnen proklamierte Grundsatz nicht nur für die Wehrverfassung, dann müßte er für alle möglichen anderen Fragen ebenso gelten.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, wir haben uns in unserer Fraktion sehr viele Gedanken über die Rechtsfragen, von denen ich heute nicht spreche, und über die politischen Fragen gemacht. Wir sind im Wege einer vertrauensvollen Aussprache mit den anderen Koalitionsparteien zu einem Kompromiß gekommen, das unsere Bedenken dahin gelöst hat, daß die strittigen Fragen im späteren Zuge der Gesetzgebung anschließend hieran in den von mir und von dem Herrn Berichterstatter vorgetragenen Formen der Verfassungsänderung erledigt werden sollen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit dem Herrn Berichterstatter — es ist bisher noch nicht geschehen — für den Bericht, den er hier vorgetragen hat, ausdrücklich danken.
Ich hebe hervor - Herr Kollege Erler setzte Zweifel darein, ob derartige Absprachen gehalten würden —: Herr Kollege Erler, ich bin in meinen jungen Jahren Hauptberichterstatter im Kurhessischen Kommunallandtag gewesen und habe dort als Vertreter der Rechten mit dem Vertreter der Linken, mit Ihrer Partei, auch sehr vertrauensvolle Absprachen getroffen, ohne sie in irgendein Gesetz oder eine Verfassung hineingeschrieben zu haben. Sie sind gehalten worden. Vertrauen gegen Vertrauen! Und das gilt auch heute und hier!
Neulich sprach mal ein Journalist mit mir und sagte: Es wäre doch eigentlich gut. daß wir die FDP hätten;
denn bei den anderen Parteien hörte man eigentlich gar nichts. Die FDP gäbe doch wenigstens ab und zu mal Stoff zu Berichten.
Wir haben es getan, und ich glaube, die Herren der Presse sind uns keinesfalls undankbar deswegen Ich habe dem Herrn darauf gesagt: Das eignet sich eigentlich für ein Gegenseitigkeitsgeschäft; wir sorgen dafür, daß Sie nicht arbeitslos werden, und Sie sorgen dann dafür, daß uns damit gewissermaßen Lebensversicherungsprämien bezahlt werden.
— Nachher, gerne!
Nun noch einen Blick nach außen, und zwar zu unseren französischen Nachbarn. Wir hören immer wieder die Zweifel, die uns gegenüber als Deutschen geäußert werden. Lassen Sie mich nicht alles das wieder die Zweifel, die uns als Deutschen gegenüber
büne hiergegen gesagt worden ist. Lassen Sie mich nur einen Gesichtspunkt noch hervorheben. Als 1879 der Fürst Bismarck auf dem Berliner Kongreß seine Vermittlerolle zur Erhaltung des europäischen Friedens gespielt hatte, hatte er es damit mit Rußland verdorben, so daß die frühere Verbindung Preußen-Rußland, die von 1815 ab gedauert hatte, zerrissen war. Nach dem Westen ließ sich damals kein Band knüpfen. Er mußte eine Mittelstellung in Europa ausbauen, und er tat dies in der Form des Dreibundes.
Seine Nachfolger wollten die Politik einer bewaffneten Mittelstellung weiterführen, und das Ergebnis war der Krieg von 1914 bis 1918 und sein Ende. Dann hat trotz aller dieser Erfahrungen Hitler noch einmal dasselbe Experiment gemacht, und das Ende war unser Zusammenbruch und unsere Vernichtung. Es gibt in diesem Europa, an dieser Stelle, wo Deutschland liegt — eine Stelle, die zugleich gefahrvoll für uns, aber politisch entscheidend ist -, keine selbständige Politik mehr ohne Anlehnung an die eine oder andere Seite. Daß keine Anlehnung nach dem Osten hin möglich ist, ist klar. Übrigbleibt nur die Anlehnung an den Westen. Ich glaube, die Entwicklung auch der Auffassung der SPD dahin zu verstehen, daß sie ebenfalls zu dieser Überzeugung kommen wird. Es würde mich freuen. Wir haben alle aus diesen Erfahrungen gelernt und werden diese bitteren Erfahrungen, die wir gemacht haben, nie vergessen.
Dann noch ein Zweites! Im Verteidigungsausschuß der französischen Nationalversammlung ist die Frage aufgeworfen worden, was eigentlich die Deutschen jetzt an ihrem Grundgesetz änderten und wozu. Das müsse einmal gründlich untersucht werden. — Wenn im 19. Jahrhundert, im Zeitalter eines Übernationalismus, derartige Fragen aufgeklungen wären, hätte es bestimmt eine große Pressefehde gegeben. Ich antworte statt dessen — und ich glaube, meine Damen und Herren, in Ihrer aller Namen zu sprechen — mit folgendem. Ich bitte hiermit die französischen Kollegen, nach Bonn zu kommen. Wir werden ihnen in der fairsten, in der loyalsten und in der weitestgehenden Weise hier an Ort und Stelle Auskunft geben, warum das geschieht, warum wir das alles nach unserer Unterschrift unter den EVG-Vertrag nötig haben. Dann, möchte ich hoffen und wünschen, müßten sich Zweifel und Mißverständisse beseitigen lassen. Ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage: die Herren mögen, wenn sie untersuchen wollen, kommen; sie sollen uns zur Aufklärung willkommen sein.