Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Bei der großen Bedeutung der Berliner Konferenz für Deutschland erscheint eine ausführliche Darstellung des Verlaufs der Konferenz und eine Analyse der auf ihr gemachten Vorschläge notwendig.
Die Teilung Deutschlands beruht nicht auf einem innerdeutschen Zwist, sondern auf dem Konflikt der vier Großmächte. Infolgedessen hat Deutschland ein vitales Interesse daran, daß der Ost-West-Konflikt entspannt und so die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf Grund einer Übereinkunft der vier Großmächte ermöglicht wird.
Nach dem Tode Stalins deuteten vielleicht einige Anzeichen darauf hin, daß die Sowjetunion ihre starre außenpolitische Haltung, die zum Scheitern der bisherigen Versuche zur Lösung der deutschen Frage geführt hatte, aufgeben und an einer Entspannung ihrer Beziehungen mit der freien Welt interessiert sein könnte. Die Bundesregierung und mit ihr die drei westalliierten Mächte vertraten deshalb die Auffassung, daß der Zeitpunkt gekommen sei, eine neue Konferenz der vier Mächte einzuberufen und zu versuchen, die Spaltung Deutschlands neun Jahre nach Abschluß des Krieges endlich zu beseitigen. Die Sowjetunion hat sich dem Ansuchen der drei Mächte um eine Konferenz I nicht entzogen.
Dem Notenwechsel, der der Berliner Konferenz voranging, war allerdings deutlich zu entnehmen, daß der Sowjetunion weniger an einer Entspannung und Normalisierung der Verhältnisse in Europa als vielmehr an einer Veränderung der gegenwärtigen Situation in Ostasien gelegen war. Das Motiv dieser Einstellung lag wohl in der Erkenntnis, daß die Westmächte, Deutschland und Österreich sich darin einig waren, die Voraussetzung für jede Entspannung in Europa müsse der sowjetische Verzicht auf die Unterwerfung freier Völker sein. Die Sowjetunion sollte damit auf die Rolle einer normalen Besatzungsmacht zurückverwiesen werden, die sich der Wiederherstellung des natürlichen Rechts der Völker auf ihre innere und äußere Selbstbestimmung nicht widersetzt. Deshalb ist die Forderung nach freien Wahlen in ganz Deutschland schon der Mittelpunkt der alliierten Noten gewesen.
Der Sowjetunion war diese Forderung unbequem. Sie hoffte, bei der Behandlung asiatischer Themen einen leichteren Stand zu haben. Hier glaubte sie mit einer Aufspaltung der drei Westmächte rechnen zu können. Sie wußte, daß die westalliierten Auffassungen hinsichtlich der gegenüber der chinesischen Volksrepublik zu vertretenden Politik sich nicht immer deckten, und sie zählte gewiß auch darauf, daß die sozialen revolutionären Bestrebungen in den Völkern Ostasiens ihren eigenen Zielen dienstbar gemacht werden könnten.
Schließlich mußte ihr die Aufnahme Rotchinas in das Konzert der Großmächte dringend angelegen sein, einmal weil die rotchinesische Führung dringend verlangte, die wirtschaftliche und politische Isolierung, die das Ergebnis dieser Freundschaft mit der Sowjetunion ist, zu durchbrechen, zum andern weil der Eintritt Rotchinas in die Gruppe der anerkannten Großmächte auch die Sowjetunion selbst aus der weltpolitischen Vereinsamung herausführen und ihre krasse Minderheitsposition in den Vereinten Nationen durch den Aufbau eines Weltsystems der fünf Mächte ablösen sollte.
Zu Beginn der Berliner Konferenz war denn auch festzustellen, daß der sowjetische Außenminister versuchte, der Behandlung der deutschen und der österreichischen Frage so lange wie nur irgend möglich auszuweichen und dagegen die asiatischen Probleme in den Vordergrund zu stellen. Alle sowjetischen Vorschläge waren darauf gerichtet, erstens die UNO auszuhöhlen und zweitens an ihre Stelle ein mehr oder weniger ständiges Direktorium der Großmächte zu setzen, dem in jedem Fall die Chinesische Volksrepublik angehören sollte. Das gilt sowohl für Molotows Plan einer Fünfer-Konferenz als auch für seinen Vorschlag einer Weltabrüstungskonferenz sowie selbst für seine handelspolitischen Angebote.
Die Außenminister der drei Westmächte sind diesem sowjetischen Vorgehen mit einer sehr geschmeidigen Taktik begegnet. Sie haben von Anbeginn — bei der Wahl des Konferenzortes, der Frage des Vorsitzes, ja selbst bei der Festsetzung der Tagesordnung — eine Reihe von zum Teil keineswegs nebensächlichen Zugeständnissen gemacht, weil sie ihrem sowjetischen Verhandlungspartner keine Möglichkeit zur Verzögerung geben, sondern zur Sache, zu ihrer und zu unserer Sache kommen wollten.
Nachdem Molotow vergeblich versucht hatte, dem Sowjetzonen-Regime zu einer Art de-facto-Anerkennung durch die Großmächte zu verhelfen, indem seine Vertreter neben den Vertretern der Bundesrepublik auf der Konferenz gehört werden sollten, gelang es dem britischen Außenminister Eden, unverzüglich den Plan der drei Mächte für die Wiedervereinigung Deutschlands zur Sprache zu bringen.
Der Eden-Plan beruht im wesentlichen auf den mit deutschen Sachverständigen durchgeführten Vorarbeiten der Alliierten und lehnt sich eng an die Beschlüsse des Bundestags vom 10. Juni 1953 an. Er beruht auf dem Grundgedanken, daß freie Wahlen die Grundlage und den ersten Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands bilden müssen. Nur aus freien Wahlen kann eine Nationalversammlung hervorgehen, die legitimiert ist, eine Verfassung auszuarbeiten und auf der Grundlage dieser Verfassung eine gesamtdeutsche Regierung zu bilden, die dann in der Lage wäre, Friedensverhandlungen zu führen und mit verbindlicher Wirkung für ganz Deutschland abzuschließen.
Unter den Bedingungen, meine Damen und Herren, die heute in der Sowjetzone Deutschlands herrschen, kann die Freiheit der Wahlen jedoch nur dann als gesichert gelten, wenn ihre Durchführung von unparteiischen Organen überwacht wird, die dafür sorgen, daß bestimmte Freiheitsrechte vor, während und nach der Wahl garantiert sind. Der Eden-Plan schlug daher eine Überwachungskommission vor, die sich aus Vertretern der vier Mächte mit oder ohne Teilnahme Neutraler zusammensetzen sollte. Ein von den vier Mächten zu erlassendes Wahlgesetz sollte die Einzelheiten des Wahlverfahrens regeln und es der Bundesrepublik er-
sparen, Wahlrechtsfragen mit Vertretern des SED-Regimes verhandeln zu müssen. Eine von der Nationalversammlung bestellte vorläufige gesamtdeutsche Behörde sollte schon frühzeitig ins Leben treten, die Nationalversammlung bei der Ausarbeitung der Verfassung unterstützen und gegebenenfalls Vorbereitungen für Friedensverhandlungen treffen.
Der Nationalversammlung sollte es obliegen, zu bestimmen, wie die Befugnisse der Bundesregierung und der sowjetzonalen Behörden auf die gesamtdeutsche Regierung übertragen und die bisherigen Teilgewalten aufgelöst werden sollten. Die gesamtdeutsche Regierung sollte befugt sein, vertragliche Rechte und Pflichten der Bundesrepublik und der Sowjetzone zu übernehmen und neue Verträge zu schließen. In der Zeit bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrags sollten die Kontrollbefugnisse der Besatzungsmächte auf diejenigen Vorbehaltsrechte beschränkt werden, die auch im Deutschland-Vertrag vorgesehen waren.
Der Aufbau des Eden-Planes zeigt, daß es das gemeinsame Bestreben der Westalliierten und der Bundesregierung gewesen ist, ihren Plan zur Wiedervereinigung Deutschlands von jeder für die Sowjetunion unzumutbaren Forderung freizuhalten. Er enthielt vor allem, was den Zeitabschnitt vom Tag der freien Wahlen bis zum Abschluß des Friedensvertrages angeht, nicht unbeträchtliche Risiken. Wir waren der Meinung, daß wir ein Wagnis eingehen mußten und auch durften, nicht zuletzt deshalb, weil wir uns auf die demokratische freiheitliche Gesinnung aller Deutschen in Ost und in West fest verlassen können.
Molotow hat den alliierten Vorschlag zunächst damit kritisiert, er sei nicht großzügig genug und lasse Deutschland nicht genug Freiheit. Er legte seinerseits im Laufe der zweiten Konferenzwoche den Entwurf eines Friedensvertrages und einen Plan für die Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung und die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen vor. Obgleich dieser letzte Plan Molotows von freien Wahlen sprach, will er nur solche Wahlen zulassen, die mit den bekannten Mitteln totalitärer Staaten zu dem gewünschten Erfolge, in diesem Fall zu einem kommunistischen Siege führen würden. Zu diesem Zwecke lehnte Molotow jede Form unparteiischer Überwachung der Wahlen ab, forderte volle Betätigungsfreiheit für alle sogenannten demokratischen Organisationen und auf der anderen Seite das Verbot solcher Organisationen, die von den Kommunisten als faschistisch, militaristisch, antidemokratisch oder friedensfeindlich bezeichnet werden. Ohne das Ergebnis der Wahlen abzuwarten, sollte schon vorher eine gesamtdeutsche Regierung durch den Bundestag und die Volkskammer gebildet werden; ein Versuch, den Herren Pieck, Grotewohl und Ulbricht eine Legitimation zu verschaffen, die sie sich aus eigener Kraft bisher nicht erringen konnten,
zugleich ein Versuch, ein trojanisches Pferd in den gesamtdeutschen Staat hineinzuführen.
Der Plan gipfelte in der unter dem Vorwand der Ausschaltung fremder Einmischung erhobenen Forderung, daß die Besatzungstruppen mit Ausnahme beschränkter Kontrollkontingente noch vor den Wahlen aus ganz Deutschland zurückgezogen werden. In diesem Punkte berührte sich der Plan mit
dem Kerngedanken des sowjetischen Friedensvertragsentwurfs, der sich auf den bereits im März des Jahres 1952 bekanntgegebenen sowjetischen Vorschlägen aufbaute, diese aber nicht unerheblich ergänzte und verschärfte. Den Kernpunkt dieses Entwurfs bildete nach wie vor die Bestimmung, daß Deutschland keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse eingehen dürfe, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat. Diese auf die Zwangsneutralisierung Deutschlands gerichtete Bestimmung wurde noch verstärkt. Neben dem Abzug der Besatzungstruppen wurde nach wie vor die Beseitigung aller ausländischen Militärstützpunkte auf deutschem Gebiet verlangt. Die eigenen nationalen Streitkräfte, die der Entwurf vom März 1952 Deutschland zubilligte, wurden nunmehr in der Weise beschränkt, daß sie nur noch inneren Ordnungsaufgaben, der lokalen Grenzverteidigung und dem Luftschutz dienen sollten.
Noch deutlicher als der Plan für die Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung und die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen erweist sich dieser Entwurf eines Friedensvertrages als ein wohlberechnetes Mittel zur Sowjetisierung ganz Deutschlands.
Zur Begründung hat der sowjetische Außenminister immer wieder auf die Gefahr des Wiederauflebens des deutschen Militarismus hingewiesen, die unter allen Umständen und mit allen Mitteln gebannt werden müsse. Aus dem sowjetischen Vorschlag muß man entnehmen, daß die Sowjetunion nur dann einer Wiedervereinigung zustimmen würde, wenn ihr der Prozeß der Wiedervereinigung die Möglichkeit gäbe, den sowjetischen Einfluß auf ganz Deutschland auszudehnen.
Selbst dann sollte das wiedervereinigte Deutsch-
land isoliert bleiben und als Staat minderen Rechts
eine diskriminierende Sonderbehandlung erleiden.
Das wurde deutlich, als Molotow in der letzten Konferenzphase die sowjetischen Vorstellungen von einem System kollektiver Sicherheit entwickelte. Die Ziele dieses Planes sind, die Vereinigten Staaten und praktisch auch Großbritannien vom Kontinent zu entfernen,
die Bündnisse der freien Staaten zu sprengen, dagegen das Allianzsystem des Ostblocks zu erhalten und der Sowjetunion so die Vorherrschaft in Europa zu sichern.
Dieser sogenannte Sicherheitsplan Molotows, der sich aus zwei Dokumenten zusammensetzt, mit der Überschrift „Sicherheitsgarantien in Europa" und „Gesamteuropäischer Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa", bemüht sich nicht, zu verbergen, daß er von der fortdauernden Teilung Deutschlands ausgeht und die europäische Friedensordnung auf dieser Voraussetzung aufbauen will. Bis zu dem heute noch völlig ungewissen Zeitpunkt, an dem der Friedensvertrag einmal in Kraft treten wird, sollen die Besatzungsmächte das Recht behalten, ihre zunächst zurückgezogenen Besatzungstruppen wieder in die bisherige Besatzungs-
zone zurückzuführen. Der nur schlecht verhehlte Hintergedanke dieser Bestimmung zielt darauf ab, die britisch-amerikanischen Truppen zum Verlassen des Kontinents zu bewegen, in der sicheren Gewißheit, daß sie nicht so rasch zurückkehren könnten wie die an den östlichen Grenzen Deutschlands stationierten Sowjettruppen.
Die Partner des kollektiven Sicherheitsvertrages sollen sich verpflichten, sich an keinen Koalitionen oder Bündnissen zu beteiligen, deren Ziele im Widerspruch zu den Zielen dieses Vertrages stehen. Diese Bestimmung zielte offenbar auf den Nordatlantikpakt, wenngleich es der sowjetische Außenminister verstand, allen darauf gerichteten Fragen auszuweichen und eine klare Antwort zu vermeiden.
Eine andere Bestimmung des kollektiven Sicherheitsvertrages sah vor, daß alle diejenigen internationalen Verträge und Abkommen bestehenbleiben sollen, deren Grundsätze und Ziele den Grundsätzen und Zielen dieses Vertrags entsprechen. Damit suchte sich die Sowjetunion eine Grundlage für die Aufrechterhaltung ihres eigenen Bündnissystems mit den östlichen Satellitenstaaten zu sichern.
Im Endergebnis machte Molotow mit diesem Sicherheitsplan den etwas naiven Vorschlag, daß sich die freien Nationen Westeuropas dem Schutze derjenigen Macht anvertrauen sollen, von der sie sich bisher einzig und allein bedroht fühlen.
Die drei alliierten Außenminister haben in der sowjetischen Konzeption mit Recht den Ausdruck einer unverhüllten Machtpolitik gesehen. Sie haben diese Politik als überholt, reaktionär und friedensgefährlich gebrandmarkt. Sie haben dem Geist von Versailles, von Jalta und Potsdam eine Konzeption gegenübergestellt, die eine Frucht der bitteren Erfahrungen ist, die die Menschheit zweimal in der kurzen Spanne einer Generation machen mußte. Diese Konzeption ist entstanden aus dem Gedanken der Völkergemeinschaft, die zustande kommt, weil die einzelnen Völker in Souveränitätsbeschränkungen einwilligen, aber nicht unter Zwang, sondern aus freien Stücken. Diese Handlungsfreiheit kann allein die Grundlage von Vertragstreue sein. Sie macht auch diskriminierende Kontrollen überflüssig, die nur Keime zu neuen Konflikten sind.
Die Alliierten haben in zäher Verhandlung versucht, Molotow zu überzeugen, daß nur eine auf Recht und Vertrauen gegründete Ordnung den Frieden gewährleisten kann. Sie sind ihm entgegengekommen, indem sie jeden Zweifel über die völlige Handlungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung im Hinblick auf von der Bundesregierung geschlossene Abkommen beseitigten. Sie haben in der Frage der Wahlkontrolle und des Wahlgesetzes Zugeständnisse gemacht. Statt einer aus Vertretern der Vier Mächte mit oder ohne Neutrale zusammengesetzten Überwachungsorganisation erklärten sie sich bereit, einer Überwachung durch Kommissionen zuzustimmen, die sich aus je einem Vertreter der Bundesregierung und der Sowjetzone und einem Neutralen zusammensetzen. Ebenso erklärten sie sich bereit, auf der Grundlage des Weimarer Wahlgesetzes zu verhandeln, für das sich der sowjetische Außenminister ausgesprochen hatte. Sie haben schließlich ihre eigenen Vorstellungen von einem System kollektiver Sicherheit entwickelt und darüber hinaus die Gültigkeit der bestehenden alliierten Verträge mit der Sowjetunion bekräftigt sowie ihre Verlängerung angeboten. Es handelt sich, meine Damen und Herren, um die Verträge, die zwischen der Sowjetunion und Frankreich und zwischen der Sowjetunion und Großbritannien seinerzeit geschlossen worden sind.
Die Mitglieder der 'alliierten Delegationen haben immer wieder in persönlichen Gesprächen mit den sowjetischen Persönlichkeiten zu erkunden versucht, ob Ansatzpunkte für ein Kompromiß bestanden, die in einer Geheimsitzung zu behandeln sich gelohnt haben würde.
Die sowjetische Reaktion war immer die gleiche und zeigte absolute Unbeweglichkeit. Entgegen manchen Erwartungen waren die Sowjets nicht bereit, irgendeinen Preis für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit auch nur zu nennen, auch nicht die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.
Die Behandlung des österreichischen Staatsvertrages zeigte, daß diese negative sowjetische Haltung sich nicht nur auf Deutschland, sondern generell auf Europa bezog.
Obwohl die Westmächte und Österreich bereit waren, die bisher strittigen Artikel des Staatsvertrages in der sowjetischen Fassung anzunehmen, hat Molotow durch das Hinzufügen neuer Bedingungen, von denen er wußte, daß sie unannehmbar waren, den Abschluß des österreichischen Staatsvertrages verhindert.
Das Ziel dieses Manövers war, die sowjetischen Truppen auch fernerhin in Österreich halten zu können und sich damit zu gegebener Zeit den Zugriff auf dieses Land zu sichern. Auch die Bereitschaft Österreichs, sich aus freiem Entschluß aller militärischen Bindungen an die eine oder andere Mächtegruppe zu enthalten, hat Molotow nicht von seiner Forderung abgebracht, weiterhin die Rote Armee in Österreich zu belassen.
Das heißt, meine Damen und Herren, sogar ein neutrales Österreich würde nicht frei werden, sondern ein besetztes Österreich bleiben.
Dieser Zumutung hat sich die österreichische Regierung widersetzt.
Ich möchte, meine Damen und Herren, zusammenfassend feststellen, daß die sowjetische Politik in Europa von dem Gedanken beherrscht ist, den Status quo hinsichtlich der Besatzung, hinsichtlich der politischen Stellung aller unter ihrer Kontrolle befindlichen Gebiete aufrechtzuerhalten.
Ihre Pläne lassen aber befürchten, daß die Sowjetunion den Status quo zu gegebener Zeit zur Basis eines weiteren Vordringens in Westeuropa machen wird.
Das letzte Ziel ist die sowjetische Vorherrschaft in Europa.
Bei der Erörterung der asiatischen Frage hat sich die Sowjetunion dagegen verhandlungsbereit gezeigt. Diese Bereitschaft fand ihren Ausdruck in den Geheimsitzungen der Konferenz. Das Gespräch der vier Mächte über diese Fragen wird am 26. April in Genf fortgeführt werden. Wir müssen sein Ergebnis abwarten. Ich möchte aber schon jetzt sagen, daß die Bundesregierung hofft, die Genfer Konferenz möge das Ende des Krieges in Indochina bringen.
Ich möchte die Darstellung des Konferenzverlaufs nicht abschließen, ohne den drei westlichen Außenministern für die ausgezeichnete und sehr eindrucksvolle Art, in der sie die Sache der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit auf der Berliner Konferenz vertreten haben, herzlich zu danken.
Die Bundesregierung zieht aus dem Verlauf der Berliner Konferenz die folgenden Schlüsse:
1. Um dem sowjetischen Streben nach einer Vorherrschaft in Europa entgegenzutreten, besteht mehr denn je die Notwendigkeit, Europa zu einen und seine Kräfte zusammenzufassen.
Dazu gehört auch, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft Wirklichkeit wird.
2. Die Bundesrepublik muß ihre auf Freiheit und Recht gegründete innere Struktur festigen und die geistige und materielle Kraft entwickeln, die notwendig ist, um jeden Versuch, ganz Deutschland zu sowjetisieren, vereiteln zu können.
3. Die Bundesregierung muß durch Worte und Taten klarmachen, daß die Deutschen sich niemals mit der Spaltung Deutschlands abfinden und niemals die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen werden.
4. Die Berliner Konferenz hat gezeigt, daß die Deutschlandfrage nicht für sich allein gelöst werden kann. Die Bundesregierung begrüßt es daher, wenn der Versuch gemacht wird, Konfliktstoffe in anderen Teilen der Welt zu beseitigen,
weil sich die dadurch erzielte Entspannung auch auf die deutsche Frage auswirkt.
Die Bundesregierung wird sich bemühen, auch von sich aus zu einer allgemeinen Entspannung beizutragen, die neue Verhandlungen über Deutschland möglich macht. Sie wird insbesondere für den Aufbau eines auf der freien Zustimmung und der Gleichberechtigung aller Mitglieder beruhenden Systems kollektiver Sicherheit eintreten, das die Sowjetunion veranlassen kann, die sowjetisch besetzte Zone aus ihrem Machtbereich zu entlassen.
5. Die Bundesregierung wird alle in ihrer Macht stehenden Maßnahmen ergreifen, um den Deutschen in Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone ihr schweres Los zu erleichtern.
Sie appelliert an das Hohe Haus und an die Bevölkerung der Bundesrepublik, sie dabei mit Rat und mit Tat zu unterstützen.
Meine Damen und Herren! Die Wiedervereinigung Deutschlands ist zunächst an der Haltung der Sowjetunion gescheitert. Das ist die bittere Wahrheit. Wir werden aber in unseren Bemühungen nicht nachlassen, neue Mittel und Wege für die Wiedervereinigung Deutschlands zu finden. Die Sowjetunion muß wissen, daß der Westen immer bereit ist zu konstruktiven Verhandlungen. Wir wollen hoffen, daß Fortschritte in anderen Fragen, die Ost und West trennen, die Sowjetunion auch zu einer Revision ihrer Politik in Europa bringen werden.
Die Bundesregierung sieht in der Tatsache, daß die Berliner Konferenz die Solidarität des Westens eindeutig bewiesen hat, ein positives Resultat der Konferenz.
Die Sowjetunion muß sich nach dem Verlauf dieser Konferenz im klaren sein, daß ihre Annahme, die westlichen Mächte würden sich untereinander entzweien — eine Annahme, auf der ihre ganze jetzige Politik beruht —, falsch ist.
So kann die Berliner Konferenz zum Ausgangspunkt einer neuen Phase der russischen Politik werden, die durch eine richtigere Einschätzung der Realitäten gekennzeichnet wird. Die schmerzliche Enttäuschung über den Verlauf der Berliner Konferenz wird durch die Gewißheit gemildert, daß die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem Anliegen der gesamten freien Welt geworden ist.
Wir dürfen insbesondere der Hilfe und der Unterstützung der Westalliierten gewiß sein.
Noch ein Wort zur Handlungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung. Sie gehört nicht nur von jeher zum Programm des Westens für die Wiedervereinigung, sondern sie ist auch im Art. VII Abs. 3 des Deutschland-Vertrages statuiert. Was diese Bestimmung des Deutschland-Vertrages betrifft, so war sie notwendig angesichts der staats-
und völkerrechtlichen Probleme, die die Wiedervereinigung aufwirft, deren juristische Form heute noch niemand voraussagen kann. Man sollte aber über den akademischen Fragen die politischen Realitäten nicht vergessen.
Das deutsche Volk einschließlich der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung der Sowjetzone fühlt sich schon heute mit der Gemeinschaft des Westens verbunden.
Die Willenskundgebungen vom 17. Juni und vom
6. September des letzten Jahres haben den Beweis dafür geliefert, daß insbesondere die Politik der europäischen Integration, die die Bundesrepublik verfolgt, von der weit überwiegenden Mehrheit des Volkes gebilligt wird.
Ich glaube, ich kann hieraus die Berechtigung entnehmen, schon jetzt zu sagen: nicht nur wird jede Regierung der Bundesrepublik Deutschland alles tun, um ganz Deutschland in der im Bonner und Pariser Vertrag gegebenen Form in die Gemeinschaft der freien Völker zu führen, sondern wenn die Stunde der Wiedervereinigung gekommen ist, wird das ganze deutsche Volk diese Entscheidung zu der seinigen machen.
Inzwischen gilt es, meine Damen und Herren, die deutsche Einheit zu erhalten mit der Kraft des Geistes, des Opfers und der Liebe.
Es gibt nur ein einziges deutsches Vaterland.
Wir werden nicht ruhen und rasten, bis es seine Einheit wiedergefunden hat in Frieden und in Freiheit.