Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Regelung der Gleichberechtigung handelt es sich nicht zuletzt auch um Fragen der Familie und ihrer inneren Ordnung. Nachdem das Ministerium für Familienfragen geschaffen ist, dürfte es meine besondere Aufgabe sein, einiges Grundsätzliche vom Standpunkt der Familie her im Laufe der heutigen Aussprache beizutragen. Ich will dabei nicht zur Frage der Ehescheidung Stellung nehmen, weil im Regierungsentwurf die Ehescheidungsfrage nicht behandelt ist und bei der Regie-
rung auch nicht die Absicht besteht, diese Frage schon in diesem Gesetz zu regeln.
Die Gründe dafür sind ja bekannt.
Ich möchte mich bei meinen Ausführungen nicht näher mit einzelnen Vorschriften befassen und auch nicht in parteipolitische Auseinandersetzungen eingreifen. Ich möchte vielmehr versuchen, auf der gewiß allen Mitgliedern dieses Hauses gemeinsamen Grundlage der Bejahung der Familie als Institution einige Gedanken über das Wesen der Familie und ihre heutige Lage zu entwickeln, Gedanken, die auch auf die Auffassungen der beiden christlichen Kirchen abgestimmt sind und von denen ich glaube, daß sie als wesentliche gemeinsame Ausgangspunkte für die zu treffenden Entscheidungen dienen und sie damit erleichtern können. Ich wäre dankbar, wenn meine Darlegungen allseits mit der Bereitschaft zur eigenen inneren Klärung aufgenommen würden, mit der ich mich selbst an dieser Aussprache beteilige.
Zunächst einige Gedanken über das Wesen der Familie.
1. Die Familie als Gemeinschaft von Mann und Frau und der ihnen zur Erziehung anvertrauten Kinder hat einen doppelten Sinn: einmal die eheliche Lebenseinheit von Mann und Frau, sodann als eine wesentliche Aufgabe dieser ehelichen Verbindung die Weckung neuen Lebens und die Erziehung der Kinder. An diesem Wesen der Familie gingen sowohl der Individualismus wie der Staatssozialismus vorbei.
Der Individualismus sah in Überbetonung des einzelnen nur noch die persönlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau. Das Kind lehnte er vielfach ab. Die Folge waren viele kinderlose Ehepaare oder die Zwergfamilie, die auf die Dauer den Bestand eines Volkes in Frage stellen muß. In seiner Blickverengung verneinte der Individualismus häufig nicht nur die biologische Aufgabe der Familie, auch die Ehe schränkte er von der Lebensgemeinschaft auf die bloße Liebesgemeinschaft ein. Die Kameradschaftsehe, die Ehe auf Zeit oder die sogenannte freie Liebe waren Konsequenzen einer solchen Haltung.
Gleichsam als ideologische Gegenbewegung gegen diesen Individualismus sah ein überspitzter Staatssozialismus weithin die ausschließliche Aufgabe der Familie in ihrer bevölkerungspolitischen Funktion.
Die Mißachtung des einzelnen, der seinen Wert angeblich lediglich der Gesellschaft verdankt, und die Mißachtung von zwischenstaatlichen Gebilden wie der Familie, die den Zielen eines omnipotenten Staates irgendwie im Wege stand, führten schließlich — gleichberechtigt mit der Aufgabe der Familie — zur sogenannten Gebärdienstpflicht jedes gesunden Mädchens, wie wir es im Nationalsozialismus erlebt haben. Die Unhaltbarkeit dieser individualistischen und der übertriebenen staatssozialistischen Theorie braucht heute nicht mehr bewiesen zu werden. Soweit diese Theorien praktiziert wurden, sind sie durch die Geschichte widerlegt.
Erinnert sei übrigens auch an die Wandlungen der Familienpolitik in der Sowjetunion von einer rein kollektivistischen Einstellung zur Familie zu einer gewissen Wiederherstellung des Schutzes der Familie als Institution.
2. Ein charakteristisches Merkmal der Familie ist die sich aus der Aufgabenverteilung der Familienmitglieder notwendig ergebende Autorität. Die heutige Scheu vor der Autorität ist verständlich nach den Erfahrungen mit der staatlichen Autorität von 1933 bis 1945. Aber eine geordnete Gemeinschaft ist nun einmal ohne Autorität nicht möglich. Auch die Demokratie bedarf ja der Autorität. Es ist falsch, daß die Würde des Staatsbürgers dadurch gerettet würde, daß er der Staatsgewalt die Anerkennung der Autorität verweigert. Man übersieht dabei, daß Gehorsam gegenüber den Gesetzen gerade dadurch mit der menschlichen Würde vereinbar wird, daß dem Befehlenden Autorität zukommt.
Entsprechendes gilt von der Autorität in der Familie. Wie die Autorität nicht nur dem totalen Staat eigen ist, sondern auch der Demokratie, so ist auch unter Familienautorität nicht nur ihre patriarchalische Form oder gar die hausväterliche Despotie zu verstehen.
Die verschiedenen Bedenken gegen die Autorität als ein wesentliches Merkmal der Familienordnung sind unbegründet. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Ansicht vertreten, daß die Autorität in der Familie, insbesondere in der Erziehung der Kinder, die Ursache für spätere politisch-autoritäre Haltung sei. Das hat sich als falsch erwiesen. Gerade in vielen ländlichen Gegenden, in denen sich der familiäre Patriarchalismus am längsten erhalten hat, sind am wenigsten radikale Gruppenbildungen festzustellen. Die moderne Familiensoziologie lehnt daher diese Angsttheorie als zeitbedingt ab.
Auch das zweite Bedenken, daß die Autoritätsverfassung der Familie gegen die Menschenwürde verstoße, ist unzutreffend. Es beruht auf einem Mißverständnis echter Autorität. Wenn das Familienoberhaupt als Inhaber und Träger der Autorität als Ersatz einer fehlenden Einigung zwischen Mann und Frau entscheidet, so tut er das nicht im eigenen Namen, sondern kraft seines Amtes innerhalb der Familienordnung.
Der Sinn der Autorität ist Sorge und Verantwortung für das Familienwohl, und sicher mehr eine Pflicht als ein Recht.
Wir sollten überhaupt den Fehler der französischen Revolution von 1789, immer nur an Rechte zu denken, nicht täglich wiederholen, sondern auch die Pflicht zur Verantwortung sehen, deren Erfüllung den Rechten erst ihre innere Rechtfertigung gibt.
Einer solchen Autorität, wie ich sie meine, entspricht Vertrauen und Achtung, nicht aber. blinder Gehorsam des anderen Partners. Die Abhängigkeit der Autorität vom Familienamt ergibt sich daraus, daß die Frau selbstverständlich den Platz des Mannes einnimmt, wenn dieser versagt.
Auch wenn die Autorität selbstsüchtig mißbraucht wird, ist dies kein Argument gegen ihre grundsätzliche Berechtigung. Dasselbe gilt ja auch bei der Staatsautorität.
— Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich wäre doch sehr dankbar, wenn wir die grundsätzliche Erörterung dieser Fragen
mit dem Ernst führen würden, der der Wichtigkeit der Sache als solcher zukommt.
Einerseits kann in solchen Mißbrauchsfällen der Gehorsam verweigert werden, zum anderen verlangt das Wohl der Familie
in schwierigen Situationen auch einmal ein Opfer des einzelnen. Nichts wäre falscher, als für solche Gefahrenmomente im Leben der Familie den Staat in Form des Vormundschaftsrichters zu bemühen.
Wer solches fordert, verkennt die vertrauliche Persönlichkeitssphäre der Familie und die Würde des ehelichen Verhältnisses.
Die Auffassung, die Familienautorität sei mit der Würde des anderen Ehepartners unvereinbar, hat ihre Ursache darin, daß die individualistische Betrachtungsweise den Sinn für den Ordnungs- und Institutionscharakter der Familie verloren hat. Denn wenn sich in der Familie nur einzelne gegenüberstehen, wird die Autorität nicht mehr aus dem Amte direkt, sondern lediglich aus dem Willen des einzelnen abgeleitet. Der tiefste Grund für dieses
Mißverständnis ist aber wohl darin zu sehen. daß selbst bei Anerkennung der Familienordnung diese Ordnung nicht mehr als naturgegeben angesehen wird.
Die recht verstandene Familienautorität verstößt drittens aber auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung. Der Satz, daß alle Menschen gleich seien, wird mißdeutet. Solche Mißdeutung sieht in der Gleichberechtigung nichts anderes als eine schematische Gleichmacherei, Gleichsetzung und Gleichbehandlung. Gleichberechtigung meint, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Daher darf auch der die Gleichberechtigung von Mann und Frau statuierende Art. 3 des Grundgesetzes nur in Verbindung mit Art. 6 des Grundgesetzes, der den besonderen Schutz des Staates für Ehe und Familie fordert, gesehen werden.
Darf ich in diesem Zusammenhang einmal ein interessantes Zitat aus einem Nachbarland anführen, nämlich aus dem französischen Code civil, dessen Art. 213 in der Fassung des Jahres 1942 folgendermaßen lautet:
Der Mann ist das Haupt der Familie. Er übt diese Funktion im gemeinsamen Interesse der Ehe und der Kinder aus. Die Frau wirkt mit dem Manne zusammen, um die moralische und materielle Leitung der Familie sicherzustellen, für ihren Unterhalt zu sorgen, die Kinder zu erziehen und ihnen eine Versorgung zu bereiten. Die Frau vertritt den Mann in seiner Leitungsfunktion, wenn er außerstande ist, seinen Willen kundzutun,
sei es, daß er dazu unfähig ist, sei es, daß er abwesend ist oder sich entfernt hat, sei es aus irgendeinem anderen Grunde.
Hier sind sowohl der innere Zusammenhang von Ehe und Familie, als auch die für Ehe und Familie verbindliche natürliche Ordnung in vorbildlicher Weise festgelegt. Und dies im bürgerlichen Gesetzbuch des Volkes, das die modernen Freiheits- und Gleichheitsideen geboren hat!
3. Der Grundirrtum, der dem Individualismus wie dem Staatssozialismus gemeinsam war, bestand darin, daß man glaubte, die Ordnung der Familie willkürlich den Wünschen des einzelnen bzw. des Staates anpassen zu können. Man übersah, daß die Ordnung der Familie in ihrem Wesen, gründend in der Natur von Mann und Frau und ausgestaltet durch die Geschichte vorgegeben ist. Auch die moderne Familiensoziologie begreift heute die Familie nicht nur als eine Gruppe, in der einzelne Personen, nämlich Mann und Frau und Eltern und Kinder, in gegenseitige Beziehung treten, sondern als eine soziale Institution, in der jedes Mitglied seine Aufgaben und seine Verantwortung hat. Die Ordnung der Familie, soweit sie im Wesen von Mann und . Frau sowie der Kinder gegründet ist, wird weder allein durch einen privaten Vertrag zwischen Mann und Frau noch allein durch den Willen des Staates als Gesetzgeber begründet. Der Irrtum des Individualismus bestand eben darin, daß er die gesamte Rechtsordnung privatrechtlich verstand. Das auf dem Gebiet des Privatrechts gültige Prinzip der Vertragsfreiheit, nach dem der Inhalt eines Vertrages ausschließlich vom Willen der Vertragsschließenden abhängt, hat er verabsolutiert. Alle organisch gewachsenen und geschichtlich ausgeprägten Vereinigungen, wie Familie, Stand, Gemeinde sowie die staatliche Gemeinschaft, betrachtete er als Gruppen von Personen, die lediglich im Sinne des bürgerlichen Rechts vertragsmäßig verbunden sind.
Der Ehevertrag ist jedoch nicht nur ein solcher Vertrag. Sein Sinn ist auch der, daß dieser Mann und diese Frau sich darüber einig sind, daß sie beide in der ehelichen Ordnung leben wollen. In einem Gesellschaftsvertrag des bürgerlichen Rechts wird zwar die Ordnung der Gesellschaft in Form der Satzung durch die Gesellschafter festgelegt; im Ehevertrag dagegen wird die Ordnung der Familie nicht mehr festgelegt, da Wesen und Zweck der Familie vorgegeben sind. Dies ist übrigens nicht etwa eine nur von der Katholischen .Kirche vertretene Auffassung, sondern auch die Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche, auf die sich Herr Kollege Weber vorhin bereits bezogen hat. Ich möchte diesen einen Satz aus der Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche vom 22. März 1952 an den Herrn Bundesjustizminister doch wörtlich verlesen. Da heißt es:
Die Ehe ist eine auf der Grundlage der geschlechtlichen Differenziertheit zwischen den Ehegatten geschlossene Gemeinschaft, in. die sie eintreten, ohne über sie zu verfügen.