Rede von
Frieda
Nadig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Herren und Damen! Wie oft haben wir uns von dieser Stelle aus mit der Neuordnung des Familienrechts im Sinne des Grundgesetzes beschäftigt, ohne daß es möglich gewesen ist, eine Einigung zu erzielen. Wir begrüßen darum, daß der Herr Justizminister die Gesetzesvorlage zu Anfang dieser Legislaturperiode vorlegt. Das schafft Raum für eine gründliche Behandlung der Frage und schafft hoffentlich auch Raum für eine gute Einigung.
In der Zwischenzeit war kein Stillstand. Die Entwicklung ist in bezug auf die Rechtsgleichheit zwischen Mann und Frau vorangeschritten. Die Rechtssituation ist ja heute eine wesentlich andere als vor einem Jahr. Nach Ablauf der im Grundgesetz gesetzten Fristen hat sich nun am 1. April vorigen Jahres die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann vollzogen. Das ist eine Tatsache, an der nach dem Spruch unseres höchsten Gerichts nicht mehr gedeutelt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof haben inzwischen entschieden, daß der Grundsatz der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau geltendes Recht ist. Die Rechtsverwirrung, das Rechtschaos, das befürchtet wurde, ist nicht eingetreten. Das hat soeben auch der Herr Bundesjustizminister bestätigt. Es hat sich gezeigt, daß die Richter der unteren Gerichte schon vor dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts sich bei ihren Entscheidungen auf das Grundgesetz und seine Auslegung stützten. Vom Rechtsstaatlichen her zweifellos erfreulich. Aber ist darin nicht auch eingeschlossen, daß in der öffentlichen Meinung schon jetzt gleiches Recht zwischen Mann und Frau stärker akzeptiert wird, als man es bei der CDU/CSU wahrhaben will?
Wir Sozialdemokraten halten es für richtig, daß der heute vorgelegte Entwurf die Neuordnung des Ehescheidungs- und Eheschließungsrechts nicht mit aufgenommen hat. Der FDP-Entwurf bringt zwar Vorschläge für diese Neuordnung; wir sind aber der Meinung, daß wir uns an die Aufgabe, die uns durch das Grundgesetz gestellt ist, halten müssen und nicht darüber hinausgehen dürfen, d. h. daß wir uns auf die Neuordnung der Gesetzesbestimmungen beschränken müssen, die dem gleichenRecht von Mann und Frau entgegenstehen. Wir sind überzeugt, daß die Nichteinbeziehung des Ehescheidungs- und Eheschließungsrechts auf die Öffentlichkeit nur beruhigend wirkt, haben doch die Verlautbarungen des Herrn Familienministers über die Änderung des Ehescheidungsrechts und die Abschaffung der Zivilehe sehr viel Unruhe in die Bevölkerung getragen.
Ich unterstreiche die Grundsätze, die der Herr Kollege Dehler soeben zu diesen Fragen ausgeführt hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat durch seinen Rechtsspruch eine Reihe von Fragen klargestellt. In eingehender Begründung ist dargelegt, daß alles dem Art. 3 GG entgegenstehende bürgerliche Recht auf dem Gebiet von Ehe und Familie mit dem 1. April 1953 außer Kraft gesetzt ist. Damit ist aber auch eine Wiederaufhebung des gleichen Rechts zwischen Mann und Frau unmöglich gemacht. Ich erinnere an die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts über die Gesetzgebung. Der Art. 3 GG ist ein Teil der einklagbaren Grundrechte. Wenn in Zukunft der Gesetzgeber den Spruch des Bundesverfassungsgerichts nicht beachtet, kann jede Frau, die sich in ihrem Grundrecht benachteiligt fühlt, sich der Verfassungsbeschwerde bedienen. Glauben Sie, meine Herren und Damen, daß das Hohe Haus einen solchen Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit, wie ihn der jetzige Regierungsentwurf darstellt, auf sich nehmen könnte?
Damit würden wir das in unseren jungen Staat gesetzte Vertrauen aufs stärkste untergraben. Es würde dazu führen, daß in diesem Hause wohl von der Rechtsstaatlichkeit gesprochen, aber nicht nach ihren Grundsätzen gehandelt wird.
Aus diesem Grunde ist der uns vorgelegte Gesetzentwurf, der so stark von dem gleichen Recht zwischen Mann und Frau abweicht, nicht tragbar, und darin unterscheiden wir uns, Herr Bundesjustizminister, von Ihrer Auffassung, die Sie vorhin darlegten.
Da ist zunächst das so umstrittene ehemännliche Entscheidungsrecht, das schon in den alten Entwürfen der Regierung aufgeführt war. Es mag ja nicht ganz leicht für den Ehemann sein, auf das, was er seit Jahrhunderten als sein verbrieftes Recht ansah, zu verzichten. Aber ist draußen im Laufe der letzten 50 Jahre nicht längst eine Anpassung an gleiche Rechte erfolgt?
Übersehen wir nicht, daß das ungleiche Recht zwischen Mann und Frau in vielen Fällen die Ursache der Ehekonflikte gewesen ist! Es ist ein sehr großer Unterschied, ob die Überlegenheit des Ehemannes auf seinen geistigen und charakterlichen Fähigkeiten beruht oder ob ihm die Entscheidungskraft durch das Gesetz übertragen ist. Der Überlegene wird fast immer stillschweigend anerkannt. Ich bin der Überzeugung, daß das gesetzlich verankerte mindere Recht der Ehefrau sich nur zerstörend auf die Ehe auswirken wird. Die Frau wird in die Rolle der Zerstörerin auch viel zu leicht gedrängt, weil sie immer wieder auf den
Klageweg verwiesen wird. In § 1354 des Regierungsentwurfs wird in gewundener und widerspruchsvoller Weise an dem Entscheidungsrecht des Mannes in Ehe und Familie festgehalten.
Die jetzige Fassung geht noch weiter als die im ersten Regierungsentwurf, der immerhin noch die Einschränkung enthielt, daß jeder Ehegatte auf den wirklichen oder mutmaßlichen Willen des andern Rücksicht zu nehmen habe. Die jetzige Formulierung besagt, daß die Ehegatten alle Angelegenheiten, die das gemeinschaftliche Eheleben betreffen, im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln haben, daß aber der Mann entscheidet, wenn beide sich bei Meinungsverschiedenheiten nicht einigen können. Es ist zwar gesagt, daß er auf die Auffassung der Frau Rücksicht zu nehmen habe, und wenn seine Entscheidung dem Wohle der Familie nicht entspricht, so soll sie für die Frau nicht bindend sein. Sehr interessant! Widerspricht seine Entscheidung dem Wohle der Familie — nicht: dem Wohle der Frau! —, dann ist die Entscheidung des Mannes für die Frau nicht verbindlich. Es ist jedoch durchaus denkbar, daß der Mann Entscheidungen trifft, die die Frau oft tief verletzen, die aber mit dem Wohle der Familie nicht oder kaum zusammenhängen.
Die Frau hat nicht die Möglichkeit, sich gegen solche Entscheidungen zu wehren. Außerdem kann die Frau die Feststellung, daß die Entscheidung des Mannes dem Wohle der Familie widerspricht, nur über einen langwierigen Klageweg erwirken. ) Der § 1354 im jetzigen Regierungsentwurf wird in den kranken Ehen zweifellos dazu führen, der Frau in ungerechter Weise den Willen des Mannes aufzuzwingen. Diese Regelung hat mit dem gleichen Recht zwischen Mann und Frau nichts zu tun und widerspricht dem Grundgesetz.
Der FDP-Entwurf hat den so umstrittenen § 1354 gestrichen, eine Auffassung, der man eventuell zustimmen kann.
In dem von der sozialdemokratischen Fraktion vorgelegten Entwurf heißt es:
Die Entscheidung in allen das eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten wird von den Ehegatten gemeinsam getroffen.
Wir glauben, daß an dieser Stelle die Gemeinschaft, die die Ehe darstellt, besonders betont werden sollte, und — damit gehe ich mit Ihnen einig, Herr Kollege Weber — auch wir sind der Meinung, daß das Eingehen der Ehe beiden Ehegatten Verpflichtungen auf Anpassung auferlegt.
Beide Ehegatten haben sich eben in die Gemeinschaft einzuordnen.
Die gleichen Verstöße gegen das Grundgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts enthält die jetzige Regelung der elterlichen Gewalt im Regierungsentwurf. Aber auch im Entwurf der FDP ist der Stichentscheid des Vaters enthalten. Praktisch ist hier dieselbe Regelung, wie sie im ersten Regierungsentwurf verankert war, wieder aufgenommen. Das ist um so verwunderlicher, als diese Regelung in der Öffentlichkeit sehr stark diskutiert und abgelehnt worden ist. Der § 1627 spricht von der elterlichen Gewalt. Aus den folgenden §§ 1628 und 1629 ergibt sich aber eindeutig, daß es sich nur um eine väterliche Gewalt handelt. Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet der Vater. Er hat die letzte Entscheidung über Erziehungs- und Berufsfragen der Kinder zu treffen. Dazu kommt noch, daß das Recht der Vertretung des Kindes ausschließlich dem Vater übertragen ist. Wie lebensfremd ist diese Regelung!
In der Praxis wird in unzähligen Fällen die Vertretung durch die Mutter vorgenommen.
Das, was sie täglich tut, will der Gesetzgeber ihr vorenthalten; nur weil wir vor Jahrhunderten im Patriarchat lebten
und damals der Mann der souverän, allein entscheidende Teil war, glaubt er auch heute noch seinen Herrschaftsanspruch geltend machen zu müssen.
Daß sich inzwischen grundlegende Wandlungen vollzogen haben, will man nicht wahrhaben. Die heutige Frau und Mutter steht selbständig und verantwortungsvoll im Staats- und Wirtschaftsleben. War es nicht diese Frauengeneration, die durch ihre körperliche und geistige Leistung mit dazu beitrug, unseren staatlichen Zusammenbruch zu überwinden? Jahrelang haben die Frauen die elterliche Gewalt und die elterlichen Pflichten allein ausüben müssen.
Daß der Gesetzgeber jetzt der Mutter die Rechte
über ihre Kinder vorenthalten will, ist nicht nur
kurzsichtig, sondern auch nicht zu verantworten.
Die Frauenwelt wehrt sich gegen die hier vorgesehene Regelung
— ein sehr erheblicher Teil! —,
das Entscheidungsrecht und die elterliche Gewalt weiterhin dem Manne zu übertragen. Ich habe eine Fülle von Zuschriften und Eingaben von Frauenverbänden und Einzelpersonen erhalten,
die sich alle für gleiches Recht zwischen Mann und Frau aussprechen. Glaubt das Hohe Haus, den Willen dieser Wählerinnen mißachten zu können?
Die Rechtsprechung hat seit dem 1. April 1953 den Grundsatz vertreten, daß beide Elternteile die elterliche Gewalt gemeinsam ausüben. Der SPDEntwurf hat diese Regelung aufgenommen und schlägt für § 1627 folgende Fassung vor:
Beide Eltern haben gemeinschaftlich kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen.
Sie haben beide das Recht der Vertretung des Kindes. Be; Meinungsverschiedenheiten soll auf Antrag eines Elternteils das Vormundschaftsgericht entscheiden können.
Wir glauben, daß durch die Möglichkeit, das Vormundschaftsgericht anzurufen, allen echten Belangen Rechnung getragen ist. Wesentlich ist bei dieser Regelung, daß vom gleichen Recht zwischen Mann und Frau ausgegangen wird. Ich halte den Vorschlag des Herrn Kollegen Dehler durchaus für tragbar, daß man hinzusetzt: Das Vormundschaftsgericht soll nur die Meinung eines Elternteils, die dem Wohle des Kindes am besten entspricht, für Recht setzen können.
Die Regelung des Regierungsentwurfs bedeutet, daß die Rechtsentwicklung, die sich seit dem 1. April 1953 auf dem Gebiet der elterlichen Gewalt vollzogen hat, rückgängig gemacht wird, — ein glatter Verstoß gegen das Grundgesetz. Die Diskussion um das Entscheidungsrecht des Mannes und Vaters wird immer wieder auf das Geleise des Ideologischen und Weltanschaulichen geschoben. Darum geht es aber nicht; das führt auch immer wieder zu Verwirrungen auf diesem Gebiet. Es handelt sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie um ein Rechtsproblem. In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgelegt, daß der Gleichberechtigungsartikel im Grundgesetz nicht nur ein politisches Programm, sondern eine echte Rechtsnorm darstellt.
Bei den Pflichten hat es der Regierungsentwurf viel besser verstanden, nach dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung die Frau heranzuziehen. Der § 1360 legt die Unterhaltspflicht beider Ehegatten gegenüber der Familie fest, besagt aber, daß die Frau mit der Führung des Haushalts ihre Unterhaltspflicht im allgemeinen erfüllt und eine Erwerbstätigkeit nur dann aufzunehmen hat, wenn die Arbeitskraft des Mannes und das Einkommen aus dem Vermögen beider Gatten für den Unterhalt nicht ausreicht. Wir sind der Meinung, daß hier eine Ergänzung im Sinne des Bundesratsvorschlags durch den Zusatz notwendig ist: „soweit der Frau eine Erwerbstätigkeit zuzumuten ist". So wird die Frau vor einer unnötigen, doppelten Belastung bewahrt. Die Arbeit der Hausfrau ist der Erwerbstätigkeit des Mannes gleichgestellt und als Berufsarbeit anerkannt. Es heißt ausdrücklich, daß .die Frau den Haushalt in eigener Veranwortung führt. Das ist ein Fortschritt, den die Frauen ganz zweifellos begrüßen werden.
Sehr problematisch erscheint es uns aber, die Unterhaltspflicht auf die Verwandten, Eltern und Kinder des andern Ehegatten auszudehnen. Die Frage wird einer eingehenden Beratung im Ausschuß bedürfen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat über das Familienrecht hinaus entscheidende Bedeutung für die Lohnpolitik. Fest steht, daß es sich bei Art. 3 des Grundgesetzes um eine echte
Rechtsnorm handelt, die es verbietet, Mann und Frau aus dem Geschlecht heraus rechtlich verschieden zu behandeln. Tariflich müssen Mann und Frau bei gleicher Arbeit und gleicher Leistung gleichen Lohn erhalten. Es kommt darauf an, diesen Rechtssatz in die Praxis umzusetzen. In diesem Zusammenhang wende ich mich an die Regierung mit der Bitte, innerhalb ihres Bereichs bei Behörden und Verwaltungen dafür zu sorgen, daß der Rechtssatz, bei gleicher Arbeit und gleicher Leistung den gleichen Lohn zu zahlen, endlich Erfüllung findet.
Nachdem von unserem höchsten Gericht die Frage des gleichen Rechts zwischen Mann und Frau so eindeutig klargelegt wurde, kann dieser Bundestag nur ein Familienrecht schaffen, in dem ohne Einschränkung gleiches Recht für Mann und Frau verankert ist. Diese Regelung wird wesentlich zur Aufwärtsentwicklung der Ehe und Familie beitragen. Im Parlamentarischen Rat waren alle Parteien der ungeteilten Meinung, daß Mann und Frau innerhalb der Ehe gleiches Recht zuzubilligen sei. Vollziehen wir, was damals eine geschichtliche Notwendigkeit war und was sie heute noch ist, endlich die Grundsätze, die der Parlamentarische Rat im Grundgesetz verankert hat! Das, Herr Weber, wird — davon bin ich ganz fest überzeugt — keine Gefährdung der Familie und Ehe darstellen, sondern ihre Aufwärtsentwicklung mit sich bringen.