Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich eine Art familienrechtliche Verpflichtung, eine Vaterspflicht, wenn ich Ihnen meinen Sprößling, meinen Entwurf eines Familienrechtsgesetzes vorstelle und Ihrer Huld empfehle, wenngleich es ein Kind der Vernunft und nicht ein Kind der Liebe ist.
Es ist ein nasciturus und hat trotzdem schon einen Leidensweg hinter sich: im Kabinett, im Bundesrat, im Bundestag. Herr Kollege Weber meint, man habe im ersten Bundestag nicht entscheiden können, die Zeit sei zu knapp gewesen. Nun, wenn die Dinge so gelaufen wären, wie ich es für richtig gehalten habe und wie ich es erwarten konnte, hätte man entscheiden können. Auch der Bundestag hätte noch entscheiden können; denn der Entwurf war, glaube ich, ausgereift; er war gut. Der strittigen Fragen waren wenige. Man hätte diese strittigen Fragen entscheiden müssen. Aber man ist der Entscheidung ausgewichen.
Wir wollen uns doch nichts vormachen. Die Dinge sind doch in aller Öffentlichkeit dargelegt worden: ein Kampf um die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, des Grundsatzes, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind.
Es ist nicht ohne geschichtliche Ironie, wenn mein Freund Neumayer heute seinen Entwurf zur Ausführung dieses Grundsatzes vorlegt und wenn ich als Bundesjustizminister des ersten Kabinetts damit befaßt war. Denn wir, die Freien Demokraten, waren im Parlamentarischen Rat — nun, ich will einmal sagen — keine fanatisierten Anhänger dieses Grundsatzes; das will ich doch bekennen. Vielleicht haben wir politischer gedacht als andere. Wir sahen für unser Volk andere Sorgen, wir hatten ein gewisses Gefühl für die Rangfolge der politischen Aufgaben, wenngleich wir uns durchaus bewußt waren, wie sehr unser Familienrecht reformbedürftig ist. Aber wir haben uns fair dem verfassungsrechtlichen Gebot unterzogen, und diese Verpflichtung, meine Damen und Herren, steht auch vor Ihnen. Der Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt", steht ja nicht isoliert. Es bedurfte dieses Grundsatzes nicht. Er ist in dem Abs. 3 des gleichen Artikels schon enthalten, der verbietet, daß Männer und Frauen nur ihres Geschlechtes wegen vom Gesetzgeber verschieden behandelt werden, der also die personelle Differenzierung nur des Geschlechtes wegen ausschaltet. Schon dieser Grundsatz führt zu der gleichen verfassungsrechtlichen Verpflichtung, alles auszumerzen, was die Frau ihres Geschlechtes wegen rechtlich mindert.
Selbstverständlich untersteht dieser Gleichberechtigungsgrundsatz dem Gleichheitsgrundsatz, dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze, also dem Grundsatz, daß der Gesetzgeber Gleiches gleich und Verschiedenes nach seiner Eigenart, also Ungleiches ungleich behandeln muß. Es widerspricht also in keiner Weise dem Grundsatz der Gleichberechti-
gung von Mann und Frau, daß der Gesetzgeber die natürliche Verschiedenheit der Geschlechter und die sich daraus ergebenden funktionellen Unterschiede berücksichtigt. Das ist selbstverständlich, es ist ein Ausfluß des Gleichheitsgrundsatzes. Der Gesetzgeber hat sogar die Pflicht, diesen Unterschied zu berücksichtigen. Aber, meine Damen und Herren, es ist keinesfalls möglich, den Gleichberechtigungsgrundsatz dadurch auszuhöhlen, daß man etwa sagt: Selbstverständlich muß man die Frau als ebenbürtige, als gleichwertige Gefährtin anerkennen, aber deswegen braucht man sie nicht im Recht gleichzustellen. Wer so verfährt, der will den Gleichberechtigungsgrundsatz contra legem auslegen.
Gerade nach dem, was mein verehrter Herr Kollege Weber gesagt hat, ist es notwendig, festzustellen, daß es nicht denkbar ist, den Gleichberechtigungsgrundsatz vom Standpunkt der religiösen und der kirchlichen Auffassung über das Wesen der Ehe zu ändern. Der Staat, der Gesetzgeber, kann sich nicht die Aufgabe stellen und kann auch nicht verpflichtet werden, die Ehe als göttliche Schöpfungsordnung zu sichern.
Es obliegt ihm lediglich, die Ehe und die Familie als gesellschaftliche Ordnung zu gewährleisten. Es wäre eine Überforderung des Gesetzgebers, ich meine, es wäre auch eine unerträgliche Ausweitung der Macht des Staates, wenn die sakramentale Bindung der Ehe durch weltliches Gesetz sanktioniert werden sollte.
Es wäre auch eine Entwertung der religiösen und kirchlichen Ordnung, wenn sie des Zwanges des staatlichen Gesetzgebers bedürfte.
Ich sage das betont, meine Damen und Herren, und ich meine: mit dieser Feststellung sind die Erwägungen, die obligatorische zivile Trauung zu beseitigen oder die Ehescheidung dem kirchlichen Gesetze zu unterstellen und dadurch auszuschließen oder zu beschränken, unvereinbar. Diese Erwägung gilt auch für die Frage, ob der Gleichberechtigungsgrundsatz an der göttlichen Ordnung, an dem ius divinum naturale, an dem göttlichen Naturrecht, scheitere, da er für einen Christen nur insoweit verbindlich sein könne, als er mit der christlichen Ordnung vereinbar sei. Mein Standpunkt: Der Gesetzgeber beeinträchtigt die christliche, die göttliche Ordnung nicht, er berührt sie nicht; er regelt nur die weltliche Ordnung im Recht.
Der Satz der Gleichberechtigung von Mann und Frau verträgt überhaupt keine außerrechtliche Auslegung. Er ist logisch klar. Es handelt sich ausschließlich um die rechtliche Auslegung dieses Satzes. Deswegen stimme ich auch dem Antrag des Herrn Kollegen Weber zu, diese Vorlage nur dem Rechtsausschuß, nicht etwa einem Sonderausschuß zu überweisen.
Es geht mir um Rechtsfragen.
Der Satz wird nach meiner Meinung auch nicht durch den Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes eingeschränkt, durch die dort festgelegte Schutzgarantie für Ehe und Familie. Es ist also nicht möglich, von diesem Grundsatz aus, sozusagen durch die Hintertür, etwa die patriarchalische Hierarchie für die Ehe wiedereinzuführen. Die beiden Grundrechte, die Gleichberechtigung und der Schutz der Ehe und Familie, sind dazu bestimmt, zusammen der Ehe und der Familie zu dienen und sie zu fördern. Da liegt die Grenze: die Verwirklichung der Gleichberechtigung darf nicht zum Schaden der Familie führen.
Ich kann es mir ersparen, auf Einzelheiten einzugehen. Was mein Freund Neumayer vorgetragen hat, deckt sich weitgehend mit meinen Anschauungen. Mein Entwurf hat in seiner Bearbeitung noch in vielen Punkten eine Verfeinerung, eine Verbesserung erfahren. Ich will nur die strittigen Punkte hervorheben.
Es ist die Frage, ob dem Mann noch ein Vorrang in der Ehe zugebilligt werden kann, ob ein Entscheidungsrecht des Mannes mit dein Grundsatz der Gleichberechtigung vereinbar ist. Ich beantrage, § 1354 des Bürgerlichen Gesetzbuches ersatzlos zu streichen. Ich halte ihn nicht für vereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz. Ich halte es für ausgeschlossen, zu sagen, aus der funktionellen Verschiedenheit der Geschlechter müsse man dazu kommen, den Vorrang des Mannes wieder festzulegen. Die Wunschvorstellungen sind hier völlig gleichgültig. Hier bindet das Grundgesetz, das eben die Gleichberechtigung fordert.
- Ändert in diesem Punkte gar nichts! Auch das, was Sie zitiert haben, läßt sich nicht dahin deuten. W i r sind der Gesetzgeber! Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann für uns wertvolles Material sein,
aber nicht mehr! Wir sprechen hier ex cathedra. Auch hier haben wir nicht nur das Recht, sondern die Verpflichtung, die Dinge zu benennen, wie sie sind.
Meine Damen und Herren, wenn man wieder zur Vorstellung des Patriarchats zurückkehrt — das tut man im § 1354 des Entwurfs —,
— das ist doch eine Fiktion! Es ist ja nicht wahr, daß im Leben das Patriarchat gilt. Jeder von uns ist bestimmt durch die Erfahrungen seiner Jugend, durch das Bild, das seine Mutter gab. Die Ehe meiner Eltern — von seiner eigenen Ehe spricht man ja besser nicht —
war das Musterbeispiel eines Matriarchats. Nun habe ich das Glück gehabt, eine besonders kluge, temperamentgeladene und willensstarke Mutter zu haben.
Sie war eine kleine Königin in ihrem Bereich. Es war in einer kleinen Stadt, wir hatten Landwirtschaft, Brauerei, Gastwirtschaft und Metzgerei. Da mußte geherrscht werden,
und alle Entscheidungen hat doch meine kluge Mutter getroffen, doch selbstverständlich.
Natürlich war sie so gescheit, am frühen Morgen zu sagen: Ich habe heute nacht mit dem Vater gesprochen,
und er hat gesagt: — —! Ich habe einmal - als Lösung des Problems des § 1354 — das kühne Wort gesprochen: „In einer guten Ehe herrscht die kluge Frau. Wenn die Frau dumm ist, ist es eh' ein Unglück!"
Ich glaube, man kann ernstlich gar nicht darüber debattieren, daß § 1354 nicht haltbar ist und fallen muß.
Das Problem des § 1628, die Frage der Ausübung der elterlichen Gewalt, ist schwieriger. Ich habe in meinem Entwurf die Fassung beibehalten, die vorsieht, daß der Vater im Interesse der Kinder letztlich entscheiden kann. Aber das Problem, meine Damen und Herren, ist gar nicht einfach; es ist aus tatsächlichen Gründen nicht einfach und auch aus rechtlichen Gründen schwierig. Denn tatsächlich ist es doch so, daß die Mutter biologisch dem Kinde nähersteht und daß die Erziehung des Kindes das ureigenste Gebiet der Mutter ist, und rechtlich ist es eben auch kompliziert. Man kann der Meinung sein, daß im Verhältnis der Ehegatten zueinander nicht unbedingt eine Entscheidungskompetenz im Streitfall geschaffen werden muß, daß es also nicht richtig ist, daß Fragen zwischen den Ehegatten gelöst werden müsse n. Wenn sie sie nicht lösen, dann ist es ihr Schicksal. Auf jeden Fall löst sie nicht der Gesetzgeber, sondern sie werden gelöst aus der Stärke und der Kraft der Persönlichkeiten der Ehegatten. Es wäre falsch, zu meinen, daß der Staat die Aufgabe habe, in diese letzte menschliche Gemeinschaft hineinzugreifen; er kann doch nur verderben und stören.
Anders bei dem Verhältnis der Eltern zu den Kindern! Hier muß eine Entscheidungskompetenz geschaffen werden. Zunächst der Gedanke: nun, wenn einer entscheiden soll, dann der Vater! Aber gerade die Aussprache mit meiner sehr verehrten Kollegin D r. Lüders, die den Dingen ja eine Lebensarbeit gewidmet hat, hat mich schwankend gemacht; es ist durchaus zu erwägen, ob man nicht eine Entscheidungszuständigkeit außerhalb der Familie im Fall nicht zu überbrückender Gegensätze zwischen den Eltern schaffen muß. Ich halte es für tragbar, eine Regelung in der Form zu schaffen, daß beide Eltern die Möglichkeit haben, das Vormundschaftsgericht anzurufen, aber nicht für eine sachliche Entscheidung, sondern damit das Vormundschaftsgericht bestimmt, welcher Elternteil in einem bestimmten Fall die Entscheidungsmacht haben soll.
Dabei müßte der Vormundschaftsrichter sich vor Augen halten, der Wille welchen Elternteils wohl dem Wohle des Kindes am besten entspricht. Bitte, ich will keine schlüssige Beantwortung dieser Frage geben, sondern Ihnen nur das Problem, das ein echtes menschlich-familiäres und ein echtes Rechtsproblem ist, aufzeigen.
Im übrigen will ich mich in die Einzelheiten des Familienrechtsgesetzes nicht verlieren. Das wird Sache der Auseinandersetzungen in den Ausschüssen sein.
Sie wissen, daß mein Entwurf entsprechend dem früheren Regierungsentwurf neben der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau noch das Ziel verfolgt, allgemein die Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts wiederherzustellen, also alle Gesetze und Verordnungen, die seit 1933 ergangen sind, zu bereinigen und wieder in das BGB einzufügen, alle Landesgesetze, die seit 1945 ergangen sind, aufzuheben.
Diese Aufgabe ist hinsichtlich der anderen Teile des BGB schon erfüllt, und sie macht hier gar keine Mühe. Ich halte es für selbstverständlich, daß das jetzt geschieht.
Ein besonderes Problem ist die Frage, ob das Ehegesetz in das BGB eingefügt werden soll. Sie wissen, daß es auf der Grundlage des Gesetzes vom Jahre 1938 vom Kontrollrat als Kontrollratsgesetz Nr. 16 im Jahre 1946 wieder veröffentlicht worden ist.
Ich halte die Voraussetzungen für eine Reform unseres Eherechts nicht für gegeben; ich halte sie auch nicht für notwendig.
Die Angriffe gegen den sachlichen Inhalt dieses Gesetzes sind nicht begründet. Es besteht gar kein Bedenken, diese Bestimmungen in das BGB wieder einzufügen.
Ich bin auch der Meinung, daß die Konkordatsverpflichtungen, die bestehen oder bestehen mögen, nicht hindern, diesen Akt zu vollziehen. Kollege Weber hat schon erwähnt, daß ich die Änderung einer gesetzlichen Bestimmung zugunsten der Frau erstrebe, der Bestimmung über die Scheidung nach dreijähriger Heimtrennung. Meistens handelt es sich dabei um den Fall, daß der Mann nach langer Ehe eine reizvollere, jüngere Partnerin findet, seine schuldlose Gattin leid ist und sich von ihr trennen will. Ich bin der Meinung, daß entsprechend der tatsächlichen Rechtsprechung, die sich durchgesetzt hat, ein solches Scheidungsbegehren an dem Widerspruch des schuldlosen Ehegatten scheitern muß.
Zum Schluß vielleicht doch noch einmal ein Wort der Mahnung, an die Grenzen der Macht des Gesetzgebers zu denken. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind, glaube ich, seit der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies in Unordnung, und Sie werden nicht glauben, meine Damen und Herren, daß wir sie durch ein Gesetz ins Lot bringen. Die Fragen, die es hier zu klären gilt, sind sehr mannigfache: wirtschaftliche und soziale Ordnung, wirksame gesellschaftliche Festigung der Ehe. Immer müssen wir es als großen Gewinn erachten, daß die Ehe im Sturm dieser Zeit — gerade die Ehe, die besonders gefährdet war — sich als viel standhafter erwies, als wir alle gemeint haben.
Aber wir wollen doch eingedenk sein, meine Damen und Herren, daß der Gesetzgeber an das Fundament der Ehe nicht herankommt,
nicht an das sakramentale Fundament und auch nicht an das andere.
Vielleicht darf ich Ihnen zum Abschluß eine nette Geschichte aus der Beratung des Unterausschusses des ersten Bundestages erzählen. Da hat man sich damit befaßt — man war ja sehr gründlich —, welche Pflichten die Ehegatten haben: sie sind verpflichtet zur ehelichen Lebensgemeinschaft, und sie schulden sich Treue und Beistand. Und die Frage ist aufgetaucht: schulden sie sich auch Liebe? Man hat es ernstlich erwogen und hat am Ende erkannt: Das kann der Gesetzgeber nicht festlegen; denn Liebe ist Gnade.