Meine Damen und Herren! Ich bin beinahe geneigt, den Zwischenfall, daß vorhin das Licht ausging, als eine Fügung des Himmels anzusehen, als eine Mahnung, diese Debatte recht bald zu Ende zu bringen.
Nachdem die Aufmerksamkeit des Hauses auch noch darauf gelenkt worden ist, daß es in Deutschland auch nichtbundeseigene Bahnen gibt, ist zur Sache wirklich erschöpfend gesprochen worden.
Ich bin wohl von keiner Debatte in diesem Hause so wenig befriedigt worden wie von dieser. Wir haben heute sogar gehört, daß es im Grunde gar keine Verkehrskrise gibt. Herr Rademacher meinte, es könne ja aller Verkehr befriedigt werden. Allerdings, das Defizit der Bundesbahn beträgt 800 Millionen DM. Die ganze Geschichte kommt mir so vor, wie wenn ein Kaufmann sagt, er könne seine Ware verkaufen und jeden Kunden bedienen, verliere aber leider am Stück eine Mark, und nur jemanden sucht, der bereit ist, dieses Defizit zu decken. Wenn dann bei diesem Geschäft noch jeden Tag 30 Tote herauskommen, kann doch wohl eine gewisse Krise nicht ganz abgeleugnet werden.
Die Schuld an diesem Zustand ist in diesem Hause unentwegt hin- und hergeschoben worden. Die Sozialdemokratie hat sie der Koalition zugeschoben, die Koalition hat zum Teil auf den Herrn Bundesverkehrsminister verwiesen, dieser hat in einigen Punkten die Bundesbahn angezogen, und irgendwo ist die Sache dann auch wieder bei der SPD gelandet.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns alle an unsere Brust schlagen und sagen: Wir sind allzumal Sünder.
Ich bin im ersten Bundestag vier Jahre Mitglied des Verkehrsausschusses gewesen und kann darüber einiges berichten. Dort war einer großen Zahl von
Mitgliedern, der Mehrheit, die Bundesbahn eigentlich sehr ans Herz gewachsen. Eine Minderheit ließ sich die Interessen der übrigen Gewerbetreibenden im Verkehr sehr angelegen sein. Aus gegenseitiger Rücksichtnahme haben wir geglaubt, man könne die Dinge in Ordnung bringen, indem man sie einfach gehen lasse, statt sich darüber klarzuwerden, daß radikale und einschneidende Maßnahmen auch auf diesem wirtschaftlichen Gebiet unerläßlich sind. So stehen wir heute vor diesem sehr ärgerlichen Zustand.
Heute wieder haben wir von dem Herrn Kollegen Rademacher, dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im ersten Bundestag und stellvertretenden Vorsitzenden in diesem Bundestag, gehört, daß die Tatsachen, über die wir zu urteilen haben, im wesentlichen festgestellt seien. Als die Frage der Kostenaufbringung angeschnitten wurde, sagte er, der Straßenverkehr trage, wie nachgewiesen sei, eigentlich alle von ihm verursachten Kosten. Er kassierte bei dieser Gelegenheit sehr schnell sämtliche Zölle, sämtliche Mineralölabgaben, ja sogar die Beförderungsteuer. Auf der anderen Seite wurden die Ausgaben, die für den Straßenverkehr geleistet werden, im einzelnen nicht detailliert dargelegt. Meine Damen und Herren, ich glaube und darin stimmen wir in diesem Hause sicherlich überein —, daß da der Kardinalfehler liegt. Wir haben es in der Tat in den letzten vier Jahren alle zusammen nicht fertiggebracht, eine exakte Kostenuntersuchung vorzunehmen, auch nicht im Verkehrsausschuß. Ich erinnere mich nicht, daß dort während meiner vierjährigen Tätigkeit ein einziges Mal eine solche Kostenuntersuchung gefordert worden wäre. Wäre sie gefordert worden, sei es auch von einer nur einigermaßen ins Gewicht
fallenden Minderheit — und Sie waren damals ei ne sehr erhebliche Minderheit, meine Herren von der Sozialdemokratie —, hätte eine solche Untersuchung auch stattgefunden. So ist alles, was wir heute gesagt haben, im Grunde in den Wind geredet. Es hat keinen Zweck, sich über Maßnahmen den Kopf zu zerbrechen, bevor wir exakte kostenmäßige Unterlagen haben.
Herr Rademacher hat heute eingeräumt, eine gewisse Erhöhung der Treibstoffabgabe sei zulässig. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich für meine Person einer solchen Erhöhung nur dann zustimmen werde, wenn die Untersuchung, die wir anzustellen haben, ergibt, daß der Kraftverkehr in der Tat nicht alles das bezahlt, was er an Kosten der Volkswirtschaft verursacht. Es hat keinen Sinn, auf den Verkehr als solchen Abgaben zu erheben. Das trifft z. B. auch die Beförderungsteuer, deren weitere Berechtigung mir mehr als zweifelhaft erscheint.
Im großen und ganzen hat die Diskussion jedoch Einigkeit in wesentlichen Punkten ergeben. Wir sind uns einig geworden darüber, daß die bisher unterlassene Kostenuntersuchung in der Form, daß wir streitig über diese zu verhandeln haben, daß wir eine gemeinsame Feststellung darüber zu treffen haben, welche Kosten dem Kraftverkehr zugute zu rechnen sind und welche Kosten er verursacht, alsbald stattzufinden hat. Ich füge hinzu, daß sie stattzufinden hat, bevor wir weitere gesetzliche Maßnahmen ergreifen.
Es ist ferner Einigkeit darüber erzielt, daß die gemeinwirtschaftliche Funktion der Bundesbahn in absehbarer Zeit nicht entbehrt werden kann. Daraus ergibt sich dann, daß auch die anderen Verkehrsträger in der einen oder anderen Weise ihren Beitrag zu der gemeinwirtschaftlichen Führung des Verkehrs zu leisten haben; sonst schaffen wir keine korrekten Wettbewerbsunterlagen. Darüber, wie das geschehen kann, besteht allerdings erheblicher Streit. Der Herr Kollege Schmidt hat eine differenzierte Beförderungsteuer vorgeschlagen. Wenn man die Beförderungsteuer überhaupt erheben will, erscheint mir das als ein angemessener Weg. Herr Minister, ich fürchte freilich, daß die von Ihnen anscheinend geplante und heute vorsichtig angedeutete Verbotsliste im Verkehr nur geringe Aussicht auf Erfolg hat. Wir werden also versuchen, wenn wir in diesen Punkten Wettbewerbsgleichheit haben wollen und wenn wir, was unser aller Wunsch ist, der Bundesbahn weitere Frachten zuweisen wollen, andere Wege zu gehen. Denkbar wäre vielleicht im Fernverkehr die Herausnahme einzelner Güter. Aber ich glaube, daß nicht einmal dafür die nötige Mehrheit in diesem Hause zu finden sein wird.
— Die Frage des Grundgesetzes wäre auch zu erörtern. Ich glaube freilich, daß, wenn eine solche Maßnahme getroffen würde, um die erforderliche Koordinierung der Verkehrsträger herbeizuführen, das Grundgesetz einer solchen Lenkungsmaßnahme nicht im Wege stünde. Die Marktwirtschaft ist nämlich im Grundgesetz nicht verankert.
Einigkeit ist auch darüber erzielt worden, daß eine engere Koordinierung zwischen Bahn und Post erfolgen muß.
Keine Einigkeit ist dagegen erzielt worden, lieber Herr Kollege Morgenthaler, über die Frage des Verbots des Sonntagsverkehrs. Ich für meine Person halte ein solches Verbot nicht für möglich. Denn das bedeutete ja auch, daß Fernverkehrstreibende vielfach auch am Sonnabend nicht fahren können, weil sie nämlich an diesem Tage ihr Ziel nicht erreichen können. Wenn wir in diesem Augenblick daran gehen, dem Fernverkehrsgewerbe erhebliche neue Lasten aufzuerlegen, indem wir an eine Erhöhung der Abgaben für Treibstoff oder vielleicht sogar an eine Verbotsliste denken, wenn wir an eine Zwangsanstalt denken, die den Verkehr ausgleichen soll, dann sollten wir mit einer solchen Auflage an das Kraftverkehrsgewerbe sehr vorsichtig sein. Heute jedenfalls ist der Zeitpunkt für eine solche Maßnahme nicht gekommen. Ich bin der Auffassung, daß die Sonntagsheiligung nicht in diesem Punkte beginnen sollte.
Begreiflicherweise ist in vielen Ausführungen heute die Bundesbahn Gegenstand mancher Kritik gewesen. Sie ist Gegenstand des Volkszorns in dem Augenblick, in dem wir das riesige Defizit heraufbeschwören. Ich verstehe, daß das Zurückbleiben der technischen Entwicklung der Bundesbahn hinter dem allgemeinen Aufbau Ungeduld hervorgerufen hat. Aber jeder Kaufmann wird Ihnen sagen können, wie schwer es ist, aufzubauen, wenn die Mittel dafür nicht vorhanden sind, und wie schnell ein circulus vitiosus beginnt, wenn erst einmal die Einnahmen geringer werden als die Ausgaben und man nicht mehr investieren kann, um weiterhin Ersparnisse zu erzielen. Es fängt dann eine Prozeß der Verkarstung, des Ausdorrens an. Die Leistung wird immer geringer, weitere Kunden springen ab, und so endet das im normalen Wirtschaftsleben schließlich mit der Zahlungsein-
Stellung. Auch hier drohte diese Gefahr, wenn nicht der Bund immer dahinterstünde.
Freilich sollten wir ruhig einmal — auch das ist heute schon angeregt worden — überlegen, ob das Bundesbahngesetz wirklich der Weisheit letzter Schluß ist. Herr Rademacher hat heute schon gesagt, der vierköpfige Vorstand müsse vielleicht noch einmal Gegenstand der Untersuchung sein. Ich möchte auch das Problem des Verwaltungsrates in die Debatte werfen. Herr Rademacher hat es nicht erwähnt; er ist ja selber Mitglied dieses Verwaltungsrats. Ich bin nicht unbedingt der Meinung, daß es richtig ist, für dieses große wirtschaftliche Unternehmen einen Verwaltungsrat, also gewissermaßen einen Aufsichtsrat zu haben, in welchem die Konkurrenten und die fremden Interessenten einen sehr maßgeblichen Einfluß besitzen.
Die Richtigkeit dieser Struktur kann man ernstlich bezweifeln. Damals erschien sie uns allen im Ausschuß als die richtige Lösung. Wir machen Fehler, sollten es offen zugeben und dieses Problem heute ruhig noch einmal anschneiden.
An der Spitze der Bundesbahn steht ein sehr erfahrener und international angesehener Techniker. Es ist sehr zweifelhaft und deshalb zu prüfen, ob in solchen Zeiten, in denen gerechnet, gerechnet und nochmals gerechnet werden muß, an die Spitze nicht ein Kaufmann gehört.
Jedenfalls bin ich der Meinung, daß der Platz, an dem in so schwierigen und für die Bundesbahn entscheidenden Zeiten die Leitung der Bundesbahn zu stehen hat, am Schreibtisch ist. Wir haben sehr viel davon gehört, daß Erfolge im Ausland erzielt worden sind. Ich bin aber der Meinung, daß wir in Zukunft in der Presse weniger von erfolgreichen Betriebsausflügen der Bundesbahn ins Ausland hören sollten als von den Erfolgen an der „Heimatfront".
Im ganzen halte ich die Bundesbahn für ein hoch rentables Unternehmen, wenn es gelingt — worauf sie Anspruch hat —, ihr in der Betriebsrechnung die betriebsfremden Lasten abzunehmen, wenn es gelingt, sie den Frachtenverlust, den sie überwiegend deshalb erlitten hat, weil sie wegen der gemeinwirtschaftlichen Leistungen unrentabel ist, wieder ausgleichen zu lassen. Ein gewisser Frachtenzuwachs ist allerdings unerläßlich. Ohne ihn wird die Bundesbahn niemals wieder in einen gesunden Zustand kommen. Ergreifen wir diese Maßnahmen, dann werden Sie alle, meine Damen und Herren, an diesem stolzen Besitz des deutschen Volkes Ihre Freude haben.
Zum Schluß möchte ich noch kurz das Problem der Verkehrsunfälle behandeln. Es gibt in der Tat nichts, was uns menschlich so sehr bewegt wie die Tatsache, daß — durch unser eigenes schuldhaftes Verhalten — jeden Tag 30 deutsche Menschen den Verkehrstod erleiden. Es ist hier sehr viel davon gesprochen worden, durch weitere gesetzliche oder polizeiliche Maßnahmen die Zahl der Verkehrsunfälle entscheidend einzudämmen. Auch das Wort von der Verkehrsdisziplin ist heute in die Debatte geworfen worden. Der Herr Bundesverkehrsminister hat selber davon gesprochen. Meine Damen und Herren, wenn Sie alle die Maßnahmen, die Sie auf diesem Gebiete vorhaben, angewandt und, wie der Herr Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen vor kurzem gesagt hat, brutal angewandt haben, dann möchte ich Ihnen vorschlagen, mit mir einmal folgendes Experiment zu machen. Sie setzen sich in meinen Wagen
— es ist kein Mercedes 300, es ist ein bescheidener Wagen, nur ein bescheidener Mercedes 180; hoffentlich reicht er Ihnen —, und wir fahren einmal die Koblenzer Straße entlang. Dann halten wir an einer Stelle an, an der wir sehen, daß eine Gruppe von Fußgängern die Fahrbahn überqueren will, und warten darauf, daß die Fußgänger vorbeigehen. Dann werden Sie etwas ganz Seltsames erleben. Die Fußgänger werden nämlich nicht über die Straße gehen, sondern sie werden Sie mit ganz besonders mißtrauischen Augen ansehen. Weit davon entfernt, zu glauben, daß man ihnen entgegenkommen will, sind sie der Überzeugung, daß der Kraftfahrer nur eine ganz besonders listige Form anwenden will, um sie — im Begriffe, die Fahrbahn zu überqueren — zu überfahren. Zwischen dem Fußgänger und dem Kraftfahrer herrscht in Deutschland ein Spannungszustand, der unerträglich ist. Es ist nicht etwa die Klasse der Fußgänger und die Klasse der Kraftfahrer. Ich habe beobachtet, daß derselbe Mann am Steuer seines Autos rücksichtslos drauflos fährt und sich als Fußgänger über die Rücksichtslosigkeit der Autofahrer lebhaft beschwert.
Zwei Weltkriege und die außerordentliche Härte des Wiederaufbaues haben in der Tat das deutsche Volk sehr stark verhärten lassen. Deshalb paßt schon das Wort von der Disziplin gar nicht. Disziplin ist die Haltung, die mich befugt, zu schimpfen, wenn der andere sich nicht sachgemäß verhält. Es gibt da eine sehr charakteristische Handbewegung des Kraftfahrers zum Kopf hin, wenn er den Eindruck hat, daß der andere einen Fehler gemacht hat. So kommen wir wirklich nicht mehr weiter. Ich bin überzeugt, daß alle Verkehrsvorschriften, die Sie durchsetzen wollen, kein richtiges Ergebnis haben werden. In einer Zeitung fand ich gerade gestern einen Leserbrief, den ich Ihnen einmal vorlesen möchte — wenn der Herr Präsident damit einverstanden ist —, weil er genau das wiedergibt, was ich in diesem Zusammenhang sagen möchte. Da heißt es zunächst: „Die Straßen sind schuld." Dann sollen die Kraftfahrer fahrtechnisch besser ausgebildet und gesundheitlich nachgeprüft werden. Weiter heißt es:
Ganz Schlaue
— das sind anscheinend wir —
haben einen Plan ausgeheckt, wonach man ein Zulassungssystem zur Beschränkung der Zahl der Führerscheine einführen will. Und das angesichts eines in USA, in England vielleicht dreimal stärkeren Verkehrs als hier. Das kommt einem vor, als wolle man den Nahrungsmittelkonsum kontingentieren, um der Fettleibigkeit zu steuern.
Der Grund für die beklagenswert hohe Zahl der Unglücksfälle liegt viel tiefer. Er liegt nämlich da, wo die Unhöflichkeit, die Taktlosigkeit, die Rücksichtslosigkeit herkommt, im Herzen. Von dem, der wie ein Irrsinniger in der Straßenbahn drängelt und alles umreißt, was nicht genau so rücksichtslos ist, kann man als Kraftfahrer kein rücksichtsvolles Verhalten
erwarten. Wer nur an sich denkt und Rücksichtnahme auf den anderen für Dummheit hält, ist identisch mit dem Autofahrer, der harmlose Fußgänger wie in einem Hühnerhof durcheinanderscheucht. Es fehlt hierzulande einfach die Erziehung. Der Blick auf das Technische allein ist falsch. In anderen Ländern gibt es viel mehr Autos, und doch geschehen bei uns im Verhältnis mehr Unfälle als in anderen Ländern. Eine Menge Unglücksfälle sind der unausweichliche Tribut, den die Menschheit der Technik zu entrichten hat. Aber was vermeidbar ist und deshalb die Öffentlichkeit mit Recht erregt, das sind die vielen Unfälle, die rücksichtslose, unerzogene, ja taktlose und höhnische Fahrer verursachen.
Ich kann mich dem nur anschließen und möchte noch einen Vorschlag machen. Lassen Sie uns die großen Automobilverbände bitten, die Kraftfahrer, die bereit sind, an der Besserung der Moral, der Ethik im Verkehr mitzuhelfen, ein Abzeichen sichtbar am Auto führen zu lassen. Wer dieses Abzeichen führt, erklärt damit, daß er bereit ist, die Rechte der anderen und den Anstand gegenüber den anderen im Verkehr zu wahren. Der Fußgänger kann sich darauf verlassen. Wir erwarten freilich von dem Fußgänger, daß er von diesem Recht nicht unangemessen Gebrauch macht. Ich glaube, ein solcher Versuch einer freundschaftlichen Zusammenarbeit der Menschen untereinander ist besser als weiterhin gesetzliche Vorschriften, die ihre Unzulänglichkeit in der letzten Zeit deutlich erwiesen haben.
Wir werden mit den Problemen des Verkehrs in absehbarer Zeit in dieser oder jener Weise nicht fertig werden. Aber lassen Sie uns nunmehr endlich mit der Arbeit daran beginnen.