Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß der Urlaub für den Abgeordneten Klingelhöfer, soweit er über eine Woche hinausgeht, genehmigt ist. — Das ist der Fall.
Vor Eintritt in die Tagesordnung
gedenken wir der Tatsache, daß am 10. Februar im Alter von 65 Jahren das Mitglied der SPD-Fraktion dieses Hauses, Herr Robert Görlinger, verstorben ist. Herr Görlinger ist am 29. Juli 1888 in Ensheim, Rheinland-Pfalz, geboren. Er war von 1919 bis 1933 Stadtverordneter in Köln und von 1920 an Vorsitzender der dortigen SPD-Fraktion. Er war tätig als Mitglied des Rheinischen Städtetages und des Deutschen Städtetages. Er hat in der Zeit von 1927 bis 1932 ausgedehnte Reisen nach England, Frankreich, Belgien, Holland, Italien, Österreich und der Schweiz gemacht, um dort die Arbeiterbewegung zu studieren. 1933 ist er in das Saargebiet emigriert und später nach Frankreich. Dort ist er nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit von 1939 bis 1941 interniert worden, anschließend von der Geheimen Staatspolizei verhaftet, zu Gefängnis verurteilt und in das Konzentrationslager überführt worden. 1945 wurde er nach der Wiedergründung der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland in den Parteivorstand gewählt. Er war Mitglied des Zonenbeirates und gehörte zum Präsidium des Deutschen Städtetages. Er ist am 15. November 1948 Oberbürgermeister in Köln geworden. Herr Görlinger hat bereits dem ersten Deutschen Bundestag angehört. Wir kennen ihn und seine Arbeit aus dieser Zeit. Er ist über den Landesergänzungsvorschlag Nordrhein-Westfalen in den zweiten Deutschen Bundestag gewählt worden. Er war ordentliches Mitglied des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen, stellvertretendes Mitglied im Ausschuß für Kommunalpolitik, im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und im Ausschuß für Bau- und Bodenrecht. Ich glaube, im Namen des ganzen Hauses zu sprechen, wenn ich dem Schmerz über diesen schweren Verlust Ausdruck gebe, wenn ich seiner Fraktion und seinen Angehörigen unser herzliches Beileid zum Ausdruck bringe und wenn ich versichere, daß wir die Arbeit dieses abgerufenen Kollegen in dankbarer und ehrender Erinnerung behalten werden.
Sie haben sich zu seinen Ehren erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich habe Glückwünsche auszusprechen, und zwar zum 66. Geburtstag am 8. Februar dem Herrn Bundesminister Kaiser,
zum 65. Geburtstag am 10. Februar dem Herrn Abgeordneten Hepp und am 7. Februar dem Herrn Abgeordneten Dr. Leiske,
zum 61. Geburtstag am 9. Februar dem Herrn Abgeordneten Geritzmann,
und schließlich zum 60. Geburtstag am 7. Februar der Frau Abgeordneten Dietz.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 6. Februar 1954 die Kleine Anfrage 24 der Abgeordneten Bauer und Genossen betreffend Autobahnbau Frankfurt-Würzburg-Nürnberg (Drucksache 207) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 246 vervielfältigt.
Damit, meine Damen und Herren, können wir .in die heutige Tagesordnung eintreten. Sie haben als Punkt 1 vor sich:
Beratung der Ubersicht 3 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betreffend Petitionen .
Der Petitionsausschuß wünscht diesmal keinen mündlichen Bericht zu geben. Ich bitte die Damen und Herren, die den vom Petitionsausschuß in Drucksache 220 gestellten Anträgen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Diese Anträge der Übersicht 3 sind angenommen.
Ich rufe den Punkt 2 auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Wirtschaftliche Ordnung des Verkehrswesens ;
b) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Verkehrspolitik der Bundesregierung ;
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Morgenthaler und Genossen betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Beschränkung des Lastwagenverkehrs an Sonn-und Feiertagen ;
d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Ordnung des Omnibusverkehrs ;
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Finanz- und Verkehrskrise der Deutschen Bundesbahn ;
f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Gutachten zur Verkehrspolitik ;
g) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Ausbau des Netzes der Bundesfernstraßen ;
h) Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Finanzierung der Deutschen Bundesbahn .
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen folgendes Verfahren vor: daß die Anfragen begründet werden, daß die Regierung sie gemeinsam beantwortet, daß Einzelbegründungen zu den Anträgen 2 c bis h nicht gegeben, sondern diese Anträge im Rahmen der Aussprache begründet werden. — Sie sind mit diesem Verfahren einverstanden.
Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Bleiß, bitte.
Dr. Bleiß , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Veröffentlichungen in der Presse hat die Deutsche Bundesbahn das Jahr 1953 mit einem Defizit von rund 680 Millionen DM abgeschlossen. Dieses Defizit hat weite Kreise der Öffentlichkeit mobilisiert; denn es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß jeder Staatsbürger, gleichgültig ob jung oder alt, durchschnittlich 14 DM aufbringen muß, um den Haushalt der Bundesbahn 1953 auszugleichen.
Es mag sein, daß ein Defizit in solcher Höhe auch für die Bundesregierung überraschend gekommen ist. Es gibt aber keine plausible Erklärung dafür, warum die Bundesregierung der gesamten krisenhaften Entwicklung der Bundesbahn bisher so wenig Beachtung geschenkt hat. Seit Jahren schon wird über das Problem Schiene-Straße, wird über die schleichende Verkehrskrise in der Öffentlichkeit gesprochen und geschrieben. Alle Reden, Aufsätze, Mahnungen und Anträge haben aber den Herrn Bundesverkehrsminister anscheinend nicht zu veranlassen vermocht, mit regelnder Hand einzugreifen.
Ich will heute nicht die Anfangsgründe der Verkehrskrise untersuchen: sie liegen weit zurück, sie hängen damit zusammen, daß wir bei den Eisenbahnen ein der deutschen Wirtschaftsstruktur angepaßtes gemeinwirtschaftliches Tarifsystem haben, daß wir nach dem Werttarif und nach der Entfernungsstaffel und im Personenverkehr mit Sozialtarifen arbeiten. Der Werttarif bedeutet bekanntlich, daß wertvolle Güter mit hohen, d. h. weit über den Selbstkosten liegenden Frachten belastet werden, während für typische Massengüter sehr niedrige, also unter den Selbstkosten liegende Frachtsätze, sogenannte „Kellertarife" in Anrechnung gebracht werden.
Ähnlich verhält es sich mit der Entfernungsstaffel: mit der zunehmenden Weite des Transportwegs vermindern sich die Kosten je Tonnenkilometer.
Solange die Eisenbahnen über ein relatives Beförderungsmonopol verfügten, funktionierte das gemeinwirtschaftliche Tarifsystem reibungslos. Es war lediglich eine Abstimmung mit der Binnenschifffahrt erforderlich. Unter diesen Umständen konnten den Eisenbahnen auch Betriebs- und Beförderungspflichten auferlegt werden, denn alle Verluste aus unrentablen Strecken und aus unrentablen Tarifen fanden schließlich in der allgemeinen Tarifpolitik ihren Ausgleich.
Das Bild änderte sich aber völlig mit dem Aufkommen des Lastwagens. Jetzt mußten sich zwangsläufig Schwierigkeiten für die Eisenbahn ergeben, denn der Lastwagen unterlag und unterliegt weder der Betriebs- noch der Beförderungspflicht. Er ist daher in der Lage, sich hochtarifierte Frachten auszusuchen und sich, wie man mit Recht sagt, die Rosinen aus dem Kuchen herauszupicken.
Das gleiche gilt im Personenverkehr für die Omnibusse. Auch sie sind von der Beförderungs- und Betriebspflicht befreit; auch sie sind dadurch in die Lage versetzt, sich ein Liniensystem aus verkehrsgünstigen Strecken aufzubauen.
Auf Grund solcher Vergünstigungen haben schon bis zum zweiten Weltkrieg der Lastwagen und der Omnibus einen immer größeren Teil des Verkehrsvolumens an sich gezogen und damit das relative Verkehrsmonopol der Eisenbahnen gebrochen. Diese Tendenz hat sich nach dem zweiten Weltkrieg verstärkt. Es wäre nun die Aufgabe einer vernünftigen Verkehrspolitik gewesen, durch koordinierende Maßnahmen die sich für die Bahn ergebenden Härten auszugleichen und für die Träger des Binnenverkehrs gleiche Wettbewerbschancen zu schaffen. Das hat die Bundesregierung nicht getan.
Aber bleiben wir zunächst bei der Bundesbahn, dem größten Vermögensbestandteil des Bundes. Vielen von Ihnen, meine Damen und Herren, wird heute kaum noch recht bewußt sein, welches Ausmaß die Zerstörungen bei der Bundesbahn am Kriegsende erreicht hatten. Nach den Unterlagen des Bundesverkehrsministeriums sind zur Zeit noch Kriegsschäden in Höhe von 1 Milliarde DM vorhanden, haben wir einen seit Kriegsende angestauten Nachholbedarf von etwa 3,2 Milliarden DM und werden die Kosten einer Modernisierung der Anlagen mit weiteren 3,3 Milliarden DM veran-
schlagt, so daß ein Gesamtkostenaufwand von 7,5 Milliarden DM ermittelt worden ist. Ein Aufwand in dieser Höhe wäre notwendig gewesen, um der Bundesbahn hinsichtlich der Beschaffenheit ihrer Anlagen und Fahrzeuge die gleichen Startbedingungen wie dem Straßenverkehr zu geben.
Diese Zahlen sind der Bundesregierung seit Jahren bekannt. Es ist aber praktisch niemals ein ernster Versuch zur Behebung des technischen Rückstandes gemacht worden. Dabei hat es an Mahnungen nicht gefehlt. Meine Fraktion hat schon zu Beginn des Jahres 1950 im Bundestag beantragt, der Bundesbahn für die Modernisierung des Fahrzeugparks jährlich einen Betrag von 220 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Der Antrag wurde damals im Bundestag mit großer Mehrheit angenommen. Aber was nützt ein Beschluß des Hohen Hauses, wenn die Bundesregierung ihn einfach nicht ausführt und die Bahn ihrem Schicksal überläßt? Was nützt ein Beschluß des Hohen Hauses, wenn die Bundesregierung es für richtiger hält, anstatt zu helfen, der Bundesbahn noch betriebsfremde Lasten von etwa 360 Millionen DM im Jahr aufzuhängen? Ein solches Gebaren muß doch zwangsläufig zu Kassenklemmen, zu Defiziten und zu einer wachsenden Verschuldung führen.
Aber nicht allein die Vernachlässigung der Bundesbahn ist symptomatisch für die heutige Verkehrskrise. Die Symptome sind genau so in der Finanzpolitik der Bundesregierung und in der einseitigen Bevorzugung des Werksfernverkehrs zu erblicken.
Wir haben uns in diesem Hohen Hause schon wiederholt mit den Problemen der Selbstfinanzierung der gewerblichen Wirtschaft, besonders mit der Selbstfinanzierung der Industrie, beschäftigen müssen. Hohe Preise in Zeiten des Verkäufermarkts haben zu einer starken Verflüssigung in der Wirtschaft geführt. Die Verflüssigung erhöhte den Anreiz, den Fahrzeugpark zu erweitern und die Transporte durch eigene Fahrzeuge durchführen zu lassen. Verstärkt wurde diese Tendenz der Fahrzeugbeschaffung durch großzügige Abschreibungserleichterungen für Ersatzbeschaffung im Rahmen der sogenannten Kleinen Steuerreform. Für die Ersatzbeschaffung war gewöhnlich die Zahl und nicht die Leistungsfähigkeit der Fahrzeuge maßgebend. Es war also durchaus möglich, an Stelle eines verlorengegangenen Anderthalbtonners mit Anhänger einen modernen Lastzug mit 20 bis 30 t Ladegewicht wieder zu beschaffen. Bei einer jährlichen Abschreibungsquote von 50% war der Lkw in zwei Jahren voll abgeschrieben und bildete fortan eine ansehnliche stille Reserve. Manche Automobilfabrik hat ihre Werbung mit dem Hinweis gewürzt, daß man Lastwagen kaufen müsse, weil ja der Fiskus durch seine Steuererleichterungen den Ankauf indirekt zu einem erheblichen Teile subventioniere. Die großzügige Abschreibungspolitik der Bundesregierung hat den Werksfernverkehr in einer Weise anwachsen lassen, die weit über das volkswirtschaftliche Bedürfnis hinausgeht. Nach repräsentativen Erhebungen ist der gesamte Wagenpark des Werksfernverkehrs nur etwa zur Hälfte ausgelastet.
Aber damit noch nicht genug, meine Damen und Herren. Der Werksverkehr erhielt auch gegenüber dem gewerblichen Güterverkehr eine besondere Bevorzugung dadurch, daß er bis zum Herbst des vergangenen Jahres von der Beförderungssteuer befreit blieb. Ziffernmäßig finden die Steuerbegünstigungen ihren Ausdruck darin, daß sich die Transportkapazität des Lastwagens seit 1948 mehr als verdoppelt hat, daß die Zahl der Zugmaschinen nahezu auf das Vierfache gestiegen ist, während die Zahl der Güterwagen seit 1948 um 15 % abgenommen hat.
Wirtschaftlich gesehen hat die Kapazität der Lastwagenhersteller eine starke, vielleicht allzu starke Ausweitung erfahren. Die Wagen- und Lokomotivfabriken aber sind notleidend geworden. Tausende von Arbeitern in diesen Betrieben sind in großer Sorge um ihren Arbeitsplatz, und in den letzten Wochen und Monaten sind vielen von ihnen die Kündigungen zugestellt worden.
Unter den von mir dargestellten günstigen Vorzugsbedingungen konnte der sich schnell ausweitende Werksverkehr einen immer größeren Teil des Verkehrsvolumens auf sich ziehen. Der Werksverkehr trug im wesentlichen dazu bei, daß Kohle und Langholz, daß Baustoffe, Steine und Erden immer mehr von der Schiene auf die Straße abwanderten und zu einer zunehmenden Verkehrsgefährdung führen mußten.
Heute sind täglich 30 Verkehrstote zu beklagen. Nach den Schätzungen des Bundesverkehrsministeriums werden, wenn sich die Verkehrsentwicklung noch einige Jahre im gleichen Tempo fortsetzt, täglich 65 Verkehrstote, auf das Jahr bezogen also etwa 25 000 Menschenleben, zu beklagen sein. Ich würde Sie doch bitten, sich diese schreckliche Zahl immer wieder vor Augen zu halten.
Durch die Konkurrenz des Werkverkehrs verschärfte sich der alte Wettbewerb zwischen der Schiene und dem gewerblichen Güterverkehr. Der Leidtragende war die Bundesbahn. Sie hat im letzten Jahr versucht, den Auftragsschwund durch tarifarische Maßnahmen einzuholen. Ihre Aktion hat sich als völliger Fehlschlag erwiesen. Die steuerliche Bevorzugung des Werkverkehrs war durch tarifliche Maßnahmen einfach nicht mehr aufzuholen.
Auf den kurzen Nenner gebracht, müssen wir feststellen, daß die Bundesregierung für die Bundesbahn zu wenig und für den Werkverkehr zu viel getan hat und daß dadurch eine ruinöse Konkurrenz in der Verkehrswirtschaft und ein schreckliches Ansteigen der Zahl der Verkehrstoten eingetreten ist. Das hat die Bundesregierung mitverschuldet. Wir vermögen in dieser Gebarung keine vernünftige Verkehrspolitik zu erkennen.
Wir fragen deshalb:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung zur Wiederherstellung einer geordneten Wirtschaftsentwicklung im Bereich der Deutschen Bundesbahn ergriffen? Welchen Erfolg hatten diese Maßnahmen?
Die überdimensionale Entwicklung des Straßenverkehrs hat unsere Straßen überbeansprucht, hat große Schäden verursacht und das ganze Straßennetz völlig unzureichend werden lassen. Zu den riesigen Investitionen für die Bundesbahn, die ich Ihnen in Höhe von 71/2 Milliarden DM kurz umreißen durfte, kommt nunmehr ein Straßenbauprogramm erster und zweiter Dringlichkeit von über 8 Milliarden DM. Auch hier, meine Damen und Herren, gilt der Grundsatz: Wer nicht rechtzeitig baut und repariert, muß doppelt und dreifach zahlen!
Die Rechnung für die Versäumnisse der Bundesregierung kommt jetzt auf uns zu. Wir können Ihnen, Herr Bundesverkehrsminister, den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie während der ersten Legislaturperiode des Bundestages den Straßenbau allzusehr vernachlässigt haben, daß Sie sich gegenüber dem Finanzministerium einfach nicht durchsetzen konnten. Heute stehen beide Riesenprogramme
für die Bundesbahn und für den Straßenbau zur Debatte, und wir würden von dem Herrn Bundesverkehrsminister gern hören, wie e r sie ernsthaft und — notgedrungen — schnell abzuwickeln gedenkt.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben die Befürchtung, daß die Defizite der Bahn auch nach einer Modernisierung der Bundesbahn einschließlich der notwendigen Befreiung von den betriebsfremden Lasten noch nicht ausgeglichen sein werden. Weitere Maßnahmen scheinen uns erforderlich zu sein.
Wir haben deshalb die Bundesregierung gefragt:
Welche Vorschläge haben der Vorstand der Deutschen Bundesbahn und der Vorstand des Verbandes der nichtbundeseigenen Eisenbahnen zur Behebung der deutschen EisenbahnKrise der Bundesregierung unterbreitet?
Von den nichtbundeseigenen Eisenbahnen haben wir inzwischen gehört, daß Vorschläge von dieser Seite nicht gemacht worden sind, daß aber ein Teil dieser Bahnen ebenfalls notleidend und stark verschuldet ist.
Gefreut hat es uns, daß unsere Große Anfrage den Herrn Bundesverkehrsminister veranlaßt hat, die bisher geheimgehaltenen verkehrspolitischen Forderungen der Deutschen Bundesbahn nunmehr beschleunigt zu veröffentlichen. Wir würden es begrüßen; wenn der Herr Bundesverkehrsminister zu den in diesem Heft enthaltenen, teilweise sehr drastischen Forderungen der Deutschen Bundesbahn nachher eingehend Stellung nehmen würde.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zur letzten und vielleicht zur entscheidenden Frage innerhalb unserer Verkehrswirtschaft, zum Problem der Koordinierung der Verkehrsträger, d. h. einer zweckmäßigen Ordnung des deutschen Binnenverkehrs. Auch zu diesem Fragenkomplex können wir dem Herrn Bundesverkehrsminister den ernsten Vorwurf nicht ersparen, daß er sich um die Verkehrskoordinierung nicht rechtzeitig und nicht ernsthaft genug bemüht hat.
Sie, Herr Bundesverkehrsminister, haben in der ersten Legislaturperiode zwar eine ganze Anzahl von Gesetzen dem Hohen Hause zugeleitet und sicherlich eine Vielzahl von Verordnungen erlassen; aber die entscheidende Gesetzgebung, nämlich die der Koordinierung, ist von Ihnen vernachlässigt worden.
Dabei hat es auch hier nicht an Mahnungen gefehlt. Schon im Januar 1951 hat die SPD-Fraktion im Bundestag den Antrag eingebracht, die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Schiene und Straße einer gründlichen Prüfung zu unterziehen und verkehrskoordinierende Maßnahmen einzuleiten. Jahrelang blieb der Antrag im Verkehrsausschuß unerledigt, weil das Bundesverkehrsministerium
die Unterlagen einfach nicht zur Verfügung stellte.
Mit Abschluß der ersten Legislaturperiode mußte der Antrag als unerledigt — ich möchte sagen, als unbearbeitet weggetan — in den Papierkorb wandern.
Aber wir lassen nicht locker. Unsere Große Anfrage hat den Zweck, die Probleme erneut zur Diskussion zu stellen.
Deshalb fragen wir:
Welche Maßnahmen und Gesetze zur Behebung der Eisenbahn-Krise und zur Heilstellung einer volkswirtschaftlich zweckmäßigen Ordnung des deutschen Binnenverkehrs hat die Bundesregierung in Aussicht genommen?
Nun, wir haben auch bei dieser Frage schon eine kleine Genugtuung zu vermerken. Wir können feststellen, daß sich unsere Interpellation wiederum als ein guter Schrittmacher erwiesen hat. Denn nach Pressemeldungen haben dem Kabinett inzwischen zwei Gesetzentwürfe vorgelegen, und zwar der Entwurf eines Straßenfinanzgesetzes und der Entwurf eines Straßenentlastungsgesetzes. Beide Entwürfe erfreuen sich allerdings noch nicht der Gunst des Herrn Bundeswirtschaftsministers, weil besonders im Straßenentlastungsgesetz von den sogenannten „marktkonformen" Mitteln kaum die Rede ist, sondern sehr zügig mit polizeistaatlichen Maßnahmen, mit Zwangseingriffen und Verboten gearbeitet wird.
Meine Damen und Herren, wir sehen die Problematik der Verkehrskrise nicht in dem Wettbewerb von Bundesbahn und gewerblichem Güterfernverkehr. Wir würden deshalb im vorliegenden Falle, also im Falle des Straßenentlastungsgesetzes, genau zu prüfen haben, ob nicht durch plötzliche harte und tiefeingreifende Verbote viele mittelständische Existenzen zerstört werden würden. Zwischen der Schiene und dem gewerblichen Güterverkehr müßte — das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen — ein Ausgleich durch vernünftige Koordinierungsmaßnahmen möglich sein.
Das treibende Element der Verkehrskrise ist nach unserer Ansicht der übermäßige und künstlich ausgeweitete Werksfernverkehr. Hier aber hat es wenig Wert, an den Symptomen herumzukurieren; hier scheint es uns unumgänglich notwendig zu sein, die Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung einer gründlichen Korrektur zu unterziehen.
Meine Damen und Herren! In der heiklen Verkehrssituation, in der wir uns befinden, ist man gegen Überraschungen wenig geschützt, und es könnte vielleicht erwogen werden, die gemeinwirtschaftliche Tarifgebarung der Bundesbahn aufzulockern. Wir möchten vor derartigen Maßnahmen ganz entschieden warnen. Eine Auflockerung gemeinwirtschaftlicher Tarife würde für die gesamte deutsche Wirtschaftsstruktur verhängnisvolle Folgen haben.
— Das nehmen wir gern zur Kenntnis. Sie würde nicht nur unzählige Existenzen gefährden, sondern auch die Ost-West-Verlagerung der Industrie beschleunigen und die jetzt schon vorhandene Notlage in den Zonengrenzgebieten katastrophal verschärfen. Deshalb fragen wir:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die gemeinwirtschaftliche Tarifgebarung der Deutschen Bundesbahn auch in Zukunft das Rückgrat der deutschen Verkehrspolitik bleiben muß?
Wir sind der Auffassung, daß die gemeinwirtschaftlichen Tarife — und da hoffen wir mit Ihnen einer Meinung zu sein, Herr Kollege Müller-Hermann — nicht eingeschränkt werden dürfen, sondern im Gegenteil mit Rücksicht auf die Zonengrenzgebiete sogar noch weiter gefördert werden müssen, damit wir den Zonengrenz- und Notstandsgebieten wirtschaftliche Hilfe bringen können.
Wir melden aber heute schon unseren hartnäckigen Widerstand an, falls Sie, Herr Bundesverkehrsminister, beabsichtigen sollten, der Finanzkrise der Deutschen Bundesbahn durch eine Aufhebung und eine Anhebung der Sozialtarife, d. h. durch Fahrpreiserhöhungen für den Berufsverkehr, für Vertriebene und für Schulkinder zu steuern. Ich hoffe, Herr Kollege Müller-Hermann, daß wir auch da einer Meinung sind. Wir wünschen, daß die großen Pannen, die wir in der Verkehrspolitik zu beklagen haben, nicht auf dem Rücken der Werktätigen und Hilfsbedürftigen wiedergutgemacht werden.
Das, meine Damen und Herren, sind die Argumente, die uns veranlaßt haben, die Große Anfrage an die Bundesregierung zu richten. Unsere Interpellation ist getragen von der Sorge um die Entwicklung in der Verkehrswirtschaft. Wir wünschen mit unserer Anfrage eine generelle Aussprache einzuleiten, die endlich eine Ordnung des Verkehrswesens bringen möge.