Rede von
Walter
Seuffert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben gestern und heute viele Ausführungen über finanzpolitische und auch über andere Fragen gehört, grundsätzliche Ausführungen, historische und theoretische, selbst gefühlvolle Ausführungen, auch von seiten des Herrn Bundesfinanzministers. Ich will keineswegs Ihre Aufmerksamkeit jetzt noch dafür in Anspruch nehmen, daß ich auf diese Ausführungen eingehe, zumal ich gar nicht alles anhören konnte.
Wenn ich noch einige kurze Bemerkungen zu einem Thema machen darf, das durch alle diese Ausführungen immer wieder hindurchschien, nämlich zu dem Thema Steuerreform, so möchte ich anknüpfen an eine in sehr grundsätzlicher Form vorgetragene Bemerkung unseres Herrn Kollegen und Spezialisten für konservative Politik. Herr von Merkatz hat hier einen Satz aus dem Tröger-Gutachten zitiert — nebenbei: es war wirklich amüsant, wie hier autoritäres Staatsdenken alles, was heute in Deutschland geschieht, als unter dem Schutz der allmächtigen Koalition geschehen ihr zu höherem Lob und Verdienst zugerechnet hat —, einen Satz, in dem von der Wichtigkeit der nivellierenden Wirkung der Einkommensteuer für die demokratische Staatsgesinnung die Rede ist. Nun, ich kann dem Kollegen Dr. von Merkatz und denen, die ihm Beifall gezollt haben, sicherlich nicht die Unwissenheit darüber unterstellen, daß jede Einkommensteuer, wie überhaupt jedes Steuersystem in einem demokratischen Staat im ganzen natürlich eine Einkommensumschichtung darstellt, welche ausgleichend zu wirken hat und von der natürlich die höheren Einkommen stärker angefaßt werden als die niedrigen Einkommen. „Ausgleichend" ist die richtige Übersetzung des Wortes ..nivellierend". Eine falsche Übersetzung, d. h. eine Übersetzung von ,nivellierend" etwa mit „einebnend", würden auch wir mit allem Nachdruck ablehnen.
Ich glaube, daß uns niemand Derartiges unterstellen sollte.
Wir gedenken aber weder heute noch später eine Debatte über die richtige Anwendung oder Überseztung von Fremdwörtern oder über die Philosophie der Vorbemerkungen des Troeger-Gutachtens einzuleiten, sondern wichtig sind uns die praktischen Vorschläge dieses Gutachtens. Nebenbei bemerkt, ich habe gar nichts dagegen, daß es als Troeger-Gutachten bezeichnet wird. Ich habe nichts dagegen, daß es den Namen meines guten Freundes Heinrich Troeger trägt. Aber der Sache nach ist es ein Bundesratsgutachten. Wichtig sind uns die sachlichen Vorschläge dieses Gutachtens. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß uns dieses Bundesratsgutachten in weitem Abstand von allem, was bisher an Gutachten und sonstigen Äußerungen zu diesen Fragen gesagt worden ist, eine Diskussionsgrundlage zu bieten scheint, die wir recht positiv bewerten. Wir würden uns freuen, wenn wir gewisse Andeutungen aus dem Bundesfinanzministerium richtig verstanden hätten, die den Eindruck erwekken konnten, daß auch dort die Meinung geteilt wird, hiermit sei eine wirkliche Diskussionsgrundlage geschaffen.
Die Steuerreform kann in gar keiner Weise ausschließlich oder in erster Linie eine Steuersenkung sein. Das müßte man in einer Haushaltsdebatte doch noch einmal ausdrücklich betonen. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, anzunehmen, daß auch im Bundesfinanzministerium der Gedanke der wirklichen Steuerreform vor dem der Steuersenkung richtig in den Vordergrund gestellt wird. Allerdings haben z. B. die Ausführungen des Kollegen Dehler gestern, als er von „doppelt geben" und „schnell geben" sprach, doch etwas zu sehr den Eindruck entstehen lassen, als würde das hier nur im Sinne des Weggebens und Wegschenkens von Steuern gesehen.
Ich möchte klarmachen — es ist eigentlich selbstverständlich —, daß die Sozialdemokratie in keiner Weise interessiert ist an einer hohen Steuerbelastung oder an hohen Steuersätzen, schon gar nicht an Steuersätzen, die gar nicht effektiv sind und nur auf dem Papier stehen. Schon aus diesem Grunde möchte ich mich auch nicht damit beschäftigen, ob alles das, was in letzter Zeit über die Steuerbelastung gesagt worden ist, und ob all die Berechnungen, die dabei aufgestellt worden sind, richtig sind. Die Berechnungen, die von den nur auf dem Papier stehenden und außerdem nicht viele Leute betreffenden höchsten Spitzensätzen der Tabelle ausgehen, sind sicherlich falsch.
Was die Berechnungen in Prozentsätzen des Sozialprodukts anlangt, so nur eine grundsätzliche Bemerkung: Die Sozialabgaben, die Leistungen, die ein Unternehmen für die Sicherung seiner Arbeitnehmer, für ihre Krankenversicherung, Unfallversicherung und Alterssicherung aufbringt und aufzubringen hat, diese Leistungen zur Erhaltung der Substanz der Arbeitskraft haben einen genau so legitimen Anspruch auf einen Anteil am Unternehmensertrag wie die Leistungen zur Erhaltung der Substanz des Kapitals, wie die Rücklagen zur Kapitalerhaltung und Kapitalergänzung und können, ebensowenig wie diese, nicht ohne weiteres mit den Steuern in einen Topf geworfen werden; sie gehören in die Kategorie der wirtschaftlichen Notwendigkeiten und nicht ohne weiteres in die Kategorie der fiskalischen Abgaben.
Um es zu wiederholen, die Sozialdemokratie ist keineswegs interessiert an hoher Steuerbelastung oder an hohen Steuersätzen; aber sie ist sehr an gerechter Verteilung der Steuerlasten interessiert. Deshalb hat sie von Anfang an und in allen Debatten ohne Scheu vor Wiederholungen hier immer wieder betont, daß ihr nicht die paar Sätze, die am obersten Ende der Tabelle auf dem Papier stehen, am Herzen liegen, sondern die sehr effektiven, sehr wirksamen und sehr hohen Spitzensätze, die in jeder Einkommensstufe bereits bei den kleinsten und mittleren Einkommen erhoben werden. Hier die viel zu steile Progression, hier die lächerlich engen Progressionsstufen, hier die viel zu geringen Freibeträge immer wieder anzugreifen, das war unser Bemühen, und wir haben das von Anfang an für eine bessere mittelständlerische Politik gehalten als vieles, was unter Verwendung von vielen Worten hier von Spezialanwälten für Mittelklasseninteressen vorgetragen worden ist.
Wir glauben, daß in der Entwicklung der Steuerdiskussion, in der das Bundesratsgutachten, das Troeger-Gutachten ein gewisses Ergebnis darstellt, diese Gedanken nun mehr zum Zuge gekommen sind, als man es uns in den letzten Jahren zugestanden hat. So wird die Regierung, wenn sie wieder, anknüpfend an die Spitzensätze der Tabelle, dort nur das tut, was von gewisser Seite gewünscht ist, und im Wege einer linearen Senkung den anderen, eben den mittleren Einkommen, wieder sozusagen nur den Abfall noch mit zukommen läßt, unseren schärfsten Widerstand finden. Wenn sie es aber auf eine wirkliche Steuerreform anlegt, wenn sie ernst macht mit der Beseitigung der Steuervergünstigungen, die wir immer als einseitig und ungerecht angegriffen haben, und wenn sie ernst macht mit einer wirklichen Tarifreform
niemand kann verkennen, daß das eine das andere voraussetzt und bedingt —, wird sie keinen Widerstand bei uns finden.
Ich habe nicht die Absicht, an dieser Stelle einen vollständigen Überblick über alle Steuerprobleme zu geben. Unsere Kritik an der Umsatzsteuer haben wir oft vorgetragen. Wir können nur hoffen, daß es auch bei dieser Steuer sehr bald zu einer ernsthaften Reform kommt. Wir haben auch unsere Kritik an den Verbrauchsteuern immer wieder bekanntgemacht; ich kann darauf verweisen. Wir denken allerdings nicht daran, schematisch Verbrauchsteuer gleich Verbrauchsteuer zu setzen. Ich brauche nur das Wort „Branntweinmonopol" zu nennen — wenn mein Freund Professor Gülich heute nicht erkrankt wäre, hätte er Ihnen sicherlich noch einiges dazu gesagt —, um hier Unterschiede anzudeuten, die in der Tat gemacht werden müssen. Wir haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß wir den derzeitigen überhöhten Satz der Körperschaftsteuer als gefährlich ansehen. Das ist ja auch eine Erfindung des Herrn Bundesfinanzministers und nicht unsere Erfindung. Wir haben auf der anderen Seite immer wieder darauf hingewiesen, daß die Probleme der Besteuerung der Unternehmen in ihren verschiedenen Formen nur durch eine wirklich reformierte und durchdachte Betriebsteuer gelöst werden können.
Es bleibt — ich kann mich auf diese Andeutungen beschränken — noch sehr viel zu tun, und wir würden es ehrlich begrüßen, wenn darüber, was hier und wie es zu geschehen hätte, eine Verständigung stattfinden könnte, die es uns ermöglicht, der Regierung unsere Mitarbeit in Aussicht zu stellen. Die Regierung wird um so mehr unser Lob finden, je schneller und je energischer sie von dem Versuch abrückt, durch steuerliche Sondermaßnahmen den Kapitalmarkt in dem einen oder anderen Sinne zu ordnen. Wir haben das bereits in der Debatte zur Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht und hoffen, daß die Konsequenzen, die sich auch auf Regierungsseite und in allen Überlegungen der Wirtschaftskreise deutlich genug ankündigen, so schnell und nachdrücklich wie möglich gezogen werden. Das ganze Problem des Kapitalmarkts läßt sich gegenüber den zum Teil recht wirren und zum Teil recht widerspruchsvollen Ausführungen darüber, die heute jeden Tag in der Zeitung stehen, doch einfach darauf zurückführen: daß es sich um die Konkurrenz der Leute, die das zur Anlage bereite Geld in Aktien oder in private Anleihen lenken wollen, und des Anleihebedarfs der öffentlichen Hand handelt.
Wir haben auch in der Debatte zur Regierungserklärung keinen Zweifel darüber gelassen, daß wir das Anleihebedürfnis der öffentlichen Hand in dem Umfange, wie es jetzt diskutiert und angekündigt worden ist, als legitim anerkennen – aus Gründen der Wichtigkeit des Haushaltsausgleichs für die Währung und aus Gründen der Bedeutung der öffentlichen Investitionen und der öffentlichen Auftragsvergebung für die Wirtschaft, um nur zwei Gründe anzuführen. Wir haben in diesen Erklärungen darauf hingewiesen, daß auch wir die Anleihewünsche der öffentlichen Hand. was Laufzeit, Normalverzinsung usw. betrifft, möglichst bald in die ihnen zukommenden Formen zurückgeführt haben möchten. Andererseits können wir nicht bezweifeln, daß eine Stärkung des Aktienmarktes erwünscht ist. Ich wüßte nicht, was wir dagegen haben sollten. Aber erstens kann man auch von einem Wirtschaftswunder nicht alles auf einmal erwarten, zweitens ist die Entwicklung auf dem Aktienmarkt in der letzten Zeit, was die Kurse und die Dividendenpolitik anlangt, nicht unerfreulich,
und drittens sollte man die zugegebenermaßen nicht sehr glücklichen Maßnahmen, die man zu diesem Zweck im vorigen Jahre auf dem Gebiet der Körperschaftsteuer vorgenommen hat — gerade in einem Zeitpunkt, in dem man von allgemeiner Steuerreform spricht —, sich erst einmal auswirken lassen und das Ergebnis abwarten, bevor man sie noch einmal, und zwar verstärkt, anwendet.
Was — um zum Schluß hierzu noch ein Wort zu sagen — den Zeitpunkt der Steuerreform anlangt, möchte ich darauf hinweisen, daß wir sie selbstverständlich so bald wie möglich sehen möchten. Andererseits muß sie natürlich in einem Zeitpunkt durchgeführt werden, der ihre Durchführung in praktischer, einfacher und ausgereifter Weise ermöglicht. Nach allem, was man sieht, kann das zu keinem anderen Zeitpunkt als zu Beginn eines Veranlagungsjahres erfolgen, d. h. zum nächsten 1. Januar.