Rede von
Dr.
Else
Brökelschen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Stierle hat einleitend die grundsätzliche Bereitschaft seiner Fraktion ausgesprochen, an dem Gesetzentwurf positiv mitzuarbeiten. Das möchte ich als erfreulich vorweg feststellen. Ich bedauere es aber, daß Herr Kollege Stierle in der ersten Lesung viel zuviel von dem ausgeführt hat, was an sich in die Diskussionen des Ausschusses gehört. Ich möchte deshalb den Versuch machen, die Debatte ein ganz klein wenig wieder auf grundsätzliche Fragen zurückzuführen; denn das ist der Sinn der ersten Lesung.
Herr Kollege Stierle hat das Wort von den „sektiererischen Freunden" gebraucht. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist das erste gewesen, das die CDU/CSU-Fraktion im neuen Bundestag eingebracht hat, und schon das ist ein Beweis dafür, daß es hier nicht um irgendwelche abgelegenen oder Gruppeninteressen geht, sondern daß ein ganz großes zentrales Anliegen der CDU hier seinen Niederschlag gefunden hat.
Ich möchte darüber hinaus auch gleich ein anderes sagen: Wer den Gesetzentwurf wirklich in seinem Sinn erfaßt, der kann nicht der Auffassung sein, daß damit irgendeine Diffamierung nach irgendeiner Richtung hin gemeint sein sollte.
Aber ich möchte doch hier auch ganz klar sagen, daß vielleicht mehr Mut dazu gehört, in diesem Augenblick ein solches Gesetz einzubringen, als auf die Schwierigkeiten hinzuweisen,
die sich nun seiner Realisierung entgegenstellen. Ich stimme z. B. Herrn Kollegen Stierle in seiner Ansicht unbedingt zu, daß wir eine soziologische Untersuchung über die Eigentumsbereitschaft der breiten Massen brauchen, bin aber nicht der Meinung, daß man in dem Für oder Wider Berlin mit seiner Arbeitslosenziffer von 220 000 und den damit weit anderen Voraussetzungen als repräsentativ für die Bundesrepublik ansehen kann.
Folgendes ist meiner Meinung nach als Ausgangspunkt zu beachten. Wir sind gezwungen und vielleicht dazu verurteilt, Gesetze zu machen in einer Zeit des Umbruchs und des Übergangs, in der die Menschen weithin in einer Krise sind und in der weithin Ordnungen schwankend geworden und ausgehöhlt worden sind. Es ist ja doch die einmütige Meinung der modernen Soziologie, daß die moderne industrialisierte Gesellschaft den Menschen mit sehr vielen Bindungen auch alle Hilfen und Stützen genommen hat,
und ich füge hinzu: nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch der Familie sind alle diese Hilfen und Stützen genommen worden, die beide einmal schützten und einmal trugen. Wir wissen natürlich sehr wohl, daß der Gesetzgeber in einer solchen Zeit nur sehr bescheidene Möglichkeiten hat, hier helfend und zukunftsweisend vorzugehen, aber desto mehr entsteht daraus meines Erachtens die Verpflichtung, daß der Gesetzgeber seine Arbeit an entscheidenden Punkten unter Leitbilder stellt; und um nicht mehr und nicht weniger handelt es sich hier.
Ich möchte gerade Herrn Kollegen Stierle sagen, wie eindrucksvoll für mich eine Rede des Herrn Senatspräsidenten Kaisen auf der Tagung des Volksheimstättenwerks in Hannover — ich glaube, im Jahre 1951 — gewesen ist; und damit komme ich auf etwas Zentrales: Herr Kaisen hat sich damals in seinen Ausführungen uneingeschränkt zu dem Gedanken der Kleinsiedlung bekannt,
und zwar aus zwei sehr wichtigen Gründen. Er hat ausgeführt, daß es seiner Meinung nach heute mehr denn je notwendig sei, dem Menschen, ehe er in die mechanisierte Arbeit hineinginge, in seinem Garten die Möglichkeit zu geben, eine halbe Stunde mit seinem Herrgott allein zu sein.
Und er hat weiter gesagt, daß für die Kinder das Wesentliche eines Gartens darin bestehe, daß sie wieder nahe Verbindung mit der Natur und damit ein Gefühl der Ehrfurcht vor dem Wachsen und dem Gewachsenen bekämen.
Wir stehen, wenn man es einmal überspitzt sagen will, in einem Zeitalter des Totovergnügens, der Wettleidenschaften. Deswegen, Herr Kollege Stierle, sind die Menschen weithin nicht mehr bereit, Verzicht und Verantwortung auch im Eigentum auf sich zu nehmen.
Ich meine aber, daß das für uns nicht Anlaß sein sollte, hier nicht den Versuch zu unternehmen, den Menschen auf seine gesunde Grundlage, nämlich auf die Bereitschaft zu Verzicht und Verantwortung, zurückzuführen.
Wir sind der Meinung, daß es heute nicht genügt, Eigentum zu propagieren. Das Eigentum in Form eines Sparkassenbuches mag gut und schön sein; aber es kann sich heute oder morgen in ein Motorrad, einen Fernsehapparat oder so etwas umsetzen. Wir möchten den Menschen auf Dinge hinweisen, die dauerhafter sind als das, was im großen Rahmen des Konsums zu erwerben möglich ist.
Ich möchte ein Weiteres sagen. Wer es selbst er- I lebt hat, daß ein Kind im Garten groß wird, ein eigenes Beet hat und in seinem kleinen Herzen um das Schicksal einer Blume, die dem Verwelken nahe ist, oder um ein Tier, das ihm lieb ist, besorgt ist, der weiß, daß hier ganz große Grundlagen geschaffen werden können, die auch für den erwachsenen Menschen von entscheidender Bedeutung sind.
Wir stehen gar nicht an zuzugeben, daß die Entwicklung der Wohnform im Rahmen der großen Genossenschaften, wenn wir demgegenüber an Wedding und die ganz furchtbaren Mietkasernen des 19. Jahrhunderts denken, mit Spielplätzen und all diesen Dingen weitgehend Fortschritte gemacht hat. Aber es ist etwas anderes, ob ein Kind im eigenen Garten oder im Sandkasten oder auf dem Rasenplatz irgendeiner ausgedehnten Großstadtsiedlung spielt.
Fast noch wichtiger als diese Gedanken ist für mich die Überlegung: Was bedeutet ein solches Heim für die Familie? Ich will nichts sagen von den Möglichkeiten, über ein familiengerechtes Heim das natürliche Wachstum der Familie zu begünstigen. Darüber ist oft genug gesprochen worden. Wichtiger ist mir im Augenblick der Gedanke, daß die Familie im eigenen Heim die Möglichkeit hat, gemeinsame neue Impulse und Aufgaben zu bekommen. Wir sprechen so viel von der Gefährdung der Familie. Sie ist heute zweifellos von der Überbetonung aller möglichen Rechte her gefährdet; aber der Kernpunkt ist doch, daß die Familie als Institution mit der Entwicklung der industrialisierten Gesellschaft ,ausgehöhlt worden ist, daß in dem Augenblick, in dem die Produktionsgemeinschaft zerbrochen worden ist und in Beruf und Arbeit die Glieder aus der Familie herausgenommen worden sind, wichtige Funktionen, die die Familie zusammengehalten haben, verlorengegangen sind.
Gerade hier wird im Kernanliegen des Lückeschen Entwurfs die Möglichkeit gegeben, neue, sinnvolle Aufgaben für diese auseinandergerissene Familie zu finden.
Uns Frauen beschäftigt sehr ernsthaft das Problem der Freizeitgestaltung für die Frau, die infolge der Technisierung des Haushalts weithin ihrer Pflichten enthoben ist. Dieses Problem ist dort gelöst, wo das Eigenheim mit dem eigenen Garten vorhanden ist.
Ein Letztes! Wenn die Familie gefährdet ist, dann vor allen Dingen auch dadurch, daß Großfamilien — darunter verstehe ich nun nicht die Zugehörigkeit von Vettern und Cousinen und allen möglichen weiteren Verwandten, sondern ich verstehe darunter die elementare Zusammengehörigkeit der drei Generationen — kaum noch bestehen.
Die Familie ist — je länger, desto mehr — zusammengedrängt worden auf die Kleinfamilie und ist damit konzentriert worden. Das sind keine Weisheiten von mir, sondern die übereinstimmenden Ergebnisse der soziologischen Forschung. Die Familien in dieser Form der Kleinfamilie sind allzuleicht beeinflußt von Gefühlsimpulsen und all diesen Dingen, die einen Zusammenhalt der Familie unendlich
labil machen und gefährden. Dadurch, daß man die Großeltern wieder mit in das Haus hineinnimmt, ist es vielleicht möglich, diese Gefahren der Kleinfamilie zu überwinden und wieder Stetigkeit und Zusammenhalt zu fördern. In diesen Familien gibt es auch manche Aufgaben — die gerade heute immer wieder gesucht werden — für alte Menschen, um ihnen das Gefühl des Überflüssigseins im Leben zu nehmen.
In diesem Zusammenhang noch ein Letztes. Die Fraktion der CDU/CSU will, daß der Mensch sich weitgehend von der Vorstellung des „Wohlfahrtsstaates" löst und daß der Familie wieder die Möglichkeit gegeben wird, Aufgaben hinsichtlich der Versorgung und andere Verpflichtungen zu übernehmen, die bislang der Staat laufend hat übernehmen müssen.
In diesem Gesetz sehen wir einen kleinen Ansatz zu einer solchen Revidierung des Überhandnehmens des Gedankens vom Wohlfahrtsstaat.
Zum Schluß, meine Herren und Damen, möchte ich folgendes sagen. Wir sind in der Situation, in der wir uns befinden, leider Gottes gezwungen, ein Provisorium nach dem andern zu machen. Ich meine aber, wir sollten bei aller Anerkennung der Unumgänglichkeit solcher Provisorien niemals vergessen, darüber hinaus dort, wo wir es können, auch definitive Wege zu gehen.
Ich habe die Ausführungen des Herrn Bundeswohnungsbauministers begrüßt, in denen er der Hoffnung Ausdruck gab, ein Wohnungsbaugesetz aus einem Guß zu schaffen. Ich stimme dem freudig zu, wenn im Mittelpunkt dieses einheitlichen Wohnungsgesetzes der Gedanke steht: „Heraus aus der Massierung, heraus aus der Kollektivierung!", und wir keinen Utopien, aber allen Wegen folgen, auf denen dieses Anliegen einer Wiederzurückführung des Menschen und der Ordnungen auf ihre natürlichen und sittlichen Gegebenheiten und Grundlagen begünstigt und gefördert wird.