Rede von
Robert
Dannemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Anfrage beschäftigt sich mit einem Problem, das nicht zum ersten Mal Gegenstand einer eingehenden Debatte in diesem Hohen Hause ist. Sie behandelt auch. keine Angelegenheit, die nur das Allgäu angeht, sondern die Rentabilität der Milchwirtschaft ist schlechthin für alle bäuerlichen Veredelungsbetriebe von entscheidender Bedeutung. Rund 30 % aller landwirtschaftlichen Einnahmen entfallen im Bundesgebiet auf die Milchwirtschaft, und idieser Anteil steigt um so mehr, je höher der natürliche Grünlandanteil liegt und einseitiger damit naturbedingt die Rindviehhaltung werden muß. Sie liegt in den Küstengebieten Schleswig-Holsteins und Niedersachsens und im Allgäu, wie Sie aus 'den Ausführungen des Herrn Kollegen Horlacher gehört haben, bei 50 bis 70% und zum Teil darüber, mit anderen Worten, es steht und fällt die Rentabilität dieser Betriebe mit den Milchpreisen. Da es sich dabei fast ausschließlich um bäuerliche Familienbetriebe handelt, ist die Regelung der Milchwirtschaft zu einem sozialen Problem erster Ordnung geworden.
Es ist auch viel zu wenig der volkswirtschaftliche Wert bekannt, welchen die Milchproduktion im Bundesgebiet darstellt. Im Jahre 1952 betrug der Wert der Milcherzeugung mit 16 Milliarden kg genau so viel wie der der gesamten Steinkohlenproduktion. Jeder in Deutschland ist von der Wichtigkeit unserer Kohlenförderung überzeugt, und es hat auch in der Vergangenheit parlamentarisch gar keine Schwierigkeiten bereitet, Maßnahmen durchzusetzen, die eine weitere Förderleistung zu Folge hatten. Wie ganz anders ist demgegenüber die öffentliche Meinung und auch die Haltung der Staatsführung gegenüber unserer deutschen Milcherzeugung!
Mit steigender Sorge beobachten wir die für den Milcherzeuger seit einigen Jahren immer ungünstiger werdende preisliche Entwicklung. Mit einem Preisindex von 171 gegenüber 1938 liegt der Milchpreis heute an der untersten Grenze ialler landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Bereits im Jahre 1951 fanden in Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers in Rhöndorf entscheidende Besprechungen statt, bei denen speziell auch die Milchfrage behandelt wurde. Es herrschte damals absolute Einigkeit
darüber, daß alles geschehen müsse, um diesen für die Landwirtschaft so entscheidenden Produktionszweig wirtschaftlicher zu gestalten. Man war sich darüber im klaren, daß allein über den Absatz von Butter dieses Problem nicht zu lösen war, sondern daß in erster Linie durch Maßnahmen mit dem Ziel eines verstärkten Trinkmilchverbrauchs geholfen werden müsse.
Dazu war aber für die Landwirtschaft erforderlich, nichts unversucht zu lassen, die Qualität zu fördern und alle Anstrengungen zu machen, den Verbrauchern absolut einwandfreie und gesunde Milch zur Verfügung zu stellen. Mit Recht verlangte der Verbraucher eine Milch mit einem höheren Fettgehalt als 2,8 %, wie er zu Zeiten des Krieges üblich und notwendig war. Gerne ist unsere Landwirtschaft diesem Wunsch nachgekommen und hat durch Ausmerzung und andere Maßnahmen Millionenbeträge zur Gesundung unsere Viehbestände aufwenden müssen. Sie tat das und sie konnte das nur tun im Vertrauen auf das gegebene Wort des Herrn Bundeskanzlers und auf die später durch die Parlamentsbeschlüsse gefaßten Entscheidungen. Gesetzlich wurde festgelegt, daß die Trinkmilch bei 2,8 % Fettgehalt einen Preis haben sollte von 38 Pfennigen, bei 3 % Fettgehalt von 40 Pfennigen und bei 3,2% von 42 Pfennigen, was einem Molkereiabgabepreis für Butter von 5,80 DM je kg oder einem Verbraucherpreis von 6,30 DM je kg entsprechen sollte. Für den Landwirt entsprach das einem Erzeugerpreis von 26 Pf je Liter. Tatsächlich aber ist — und die Aus führungen des Herrn Ministers haben es eben bestätigt — in den letzten Jahren dieser Preis nicht annähernd erzielt worden, im Gegenteil, er lag zum Teil ganz erheblich darunter. Alle Bestrebungen nach weiterer Qualitätsverbesserung und nach Erhöhung des Trinkmilchverbrauchs hören einfach da auf, wo die Gestehungskosten nicht mehr gedeckt werden. Das ist sehr bedauerlich; denn wir liegen heute, wie wir eben ebenfalls gehört haben, mit einem Trinkmilchverbrauch von 0,29 1 je Tag und Person weit unter dem Durchschnitt des Verbrauchs der benachbarten Staaten, insbesondere der nordischen Staaten, die einen Trinkmilchverbrauch haben, der zwei- bis dreimal höher liegt.
Hier muß etwas geschehen, da es so nicht weitergehen kann. Die Milch ist das billigste und gesündeste Nahrungsmittel. Insofern begrüßen wir auch grundsätzlich die Anfrage. Über die im einzelnen angeschnittenen Fragen kann man allerdings geteilter Auffassung sein. Sie werden einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden müssen, und sie werden zweifellos in mancherlei Hinsicht eine Änderung bzw. Ergänzung erfahren müssen. Verbraucher und Erzeuger haben gemeinsam das größte Interesse daran, einen möglichst stabilen und gerechten Preis für das ganze Jahr zu halten. Auch sollte nichts unversucht bleiben, die Güte der Milch und den Gesundheitszustand der Tiere zu fördern. Seitens der Landwirtschaft sind in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen gemacht worden. Ich brauche nur auf die Gesundung unserer Viehbestände, auf die Bekämpfung des Abortus-Bang und anderer Krankheitserscheinungen hinzuweisen. Es ist wahrhaftig ein stolzes Ergebnis, wenn wir heute Molkereieinzugsgebiete haben, die über vollkommen gesunde Milchviehbestände verfügen, wenn die Belieferung der Besatzungstruppen im Gegensatz zu früheren Jahren heute aus deutscher Erzeugung möglich geworden ist und wenn darüber hinaus vor einigen Wochen in Oldenburg erstmalig eine Auktion durchgeführt werden konnte, bei der nur Tiere aus anerkannt absolut gesunden Beständen zur Anlieferung gelangten. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Aber trotz all dieser Anstrengungen bleibt der Preis der Qualitätsmilch nach oben hin blockiert. Hier muß eine Änderung eintreten. Auch ist es geradezu widersinnig, wenn heute noch die Molkereien, die zur Ausmerzung kranker Tiere oder die zugunsten der Verbraucher im Interesse der Qualitätsverbesserung Aufwendungen machen, dafür zur Körperschaftsteuer oder anderen Steuerarten herangezogen werden oder wenn solche Maßnahmen seitens des Herrn Bundesfinanzministers als „steuerschädlich" angesehen werden.
Auch sind wir der Meinung, daß die Gesundung unserer Tierbestände nicht ausschließlich Angelegenheit der Landwirtschaft sein kann, sondern zum großen Teil eine Staatsaufgabe ist. Es ist geradezu widersinnig, wenn wir feststellen müssen, daß auf dem Gebiet der Humanmedizin ohne weiteres Millionenbeträge vom Bund und von den Ländern zur Verfügung gestellt werden, während man bisher nicht gewillt war, am Ursprungsherd der Erkrankung auch nur die geringsten Beträge einzusetzen.
Landwirtschaft und Verbraucher sind sich darüber im klaren, daß alle Maßnahmen ergriffen werden müssen, die eine Verteuerung des Endprodukts ausschließen. All das, was zur Verteuerung des Endprodukts beiträgt, sollte schnellstens abgebaut werden. In diesem Zusammenhang möchte ich nur einmal auf die Auswirkung der Umsatzsteuer in der Milchwirtschaft hinweisen. Nach den angestellten Erhebungen wird heute jeder Liter Milch, der zu Butter verarbeitet wird, mit 1,78 Pf Umsatzsteuer belastet. Würde diese Umsatzsteuer fallen — was durchaus berechtigt und zweckmäßig wäre —, so ergäbe sich daraus bei einer jährlichen Ablieferung von 12 Milliarden Liter Milch allein für die Landwirtschaft eine zusätzliche Einnahme von 212,5 Millionen DM. Ja, bei der Durchführung einer derartigen Maßnahme und bei einer entsprechenden Qualitätsverbesserung könnte das Kilogramm Butter für den Verbraucher noch um 15 Pf verbilligt werden. Hier sollte der Herr Bundesfinanzminister wahrhaftig eine Änderung in der Steuerveranlagung eintreten lassen. Sie könnte sich sowohl für den Verbraucher als auch für den Erzeuger nur segensreich auswirken.
Nun einige Worte zum Butterproblem. Mit gewisser Sorge beobachten wir in Deutschland -
aber nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa — den Rückgang des Verbrauchs an Butter und die ständige Zunahme der Verwendung von Margarine. Diese Erscheinung kann, wie gesagt, nicht nur in Deutschland, sondern allgemein in Europa beobachtet werden. Heute beträgt der Butterverbrauch in Westdeutschland 6,4 kg je Kopf und Jahr gegenüber einem Verbrauch von 8 kg vor dem Kriege. Ich will hierbei gar nicht auf unsere Abhängigkeit vom Ausland bei verstärkter Margarineerzeugung eingehen, die, wie Sie alle wissen, zu 95 % auf ausländischer Basis aufgebaut worden ist. Viel mehr Sorge bereitet uns die Tatsache, daß man glaubt, die Nahrungsmittel ernährungswirtschaftlich nur nach ihrem Gehalt beurteilen zu müssen, ohne auf die spezifische biologische Wirkung zu
achten. Die in ganz Europa seit Jahrzehnten zu beobachtende Unterversorgung mit ungesättigten Fettsäuren, wie sie bei der synthetischen Fettherstellung, aber auch bei der Fettversorgung über die Margarine gegeben ist, muß eines Tages — und das ist heute vielfach schon zu beobachten — zu ernährungsphysiologischen Störungen führen. Das biologische Fett in der Butter kann nicht einfach durch synthetisches Fett und auch nicht durch das Fett in der Margarine ersetzt werden. Da die Butterproduktion jahreszeitlich verschieden ist auf der anderen Seite aber der Verbraucher ein Interesse an einem stabilen Preis und einer gleichmäßigen Versorgung hat, sieht ja das Milch-und Fettgesetz die Einrichtung einer Einfuhr- und Vorratsstelle vor. Aber nur allzu häufig haben wir in den letzten Jahren die Bevorratung von Butter zu sehr in das politische Gezerre hineingezogen, und eine derartige Maßnahme mußte sich zwangsläufig zum Nachteil der Verbraucher auswirken. Insofern hat die Bevorratung seitens des Bundes ihre Berechtigung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang jedoch auf die bisherige Funktion der Einfuhr- und Vorratsstellen nicht eingehen. In dieser Hinsicht werden wir demnächst dem Parlament entsprechende Vorschläge einreichen, die ein wirkliches und sinnvolles Funktionieren garantieren und die die Entscheidung über die jeweilige Bevorratung nicht immer allein von dem mehr oder weniger guten Willen des Geldgebers beim Bund oder gar von dem Druck der politischen Parteien abhängig machen.
Damit hängt auch die Frage des Käseabsatzes zusammen. Es kann nicht Sache der Einfuhr- und Vorratsstellen sein — der Herr Minister hat das eben schon herausgestellt —, Aufgaben zu übernehmen, die ihr nach dem Gesetz gar nicht zukommen. Ganz ohne Frage hat sich die Lage auf dem Käsemarkt seit der Liberalisierung verschlechtert. Es fragt sich überhaupt, ob die Einfuhren in dem Umfange, wie es geschehen ist, durchgeführt werden mußten. Das trifft insbesondere auch für die Butter zu. Wir sollten dabei viel mehr Rücksicht auf die eigene Erzeugung nehmen. Wir sollten in Zukunft Verträge über Einfuhrmengen abschließen, die mehr nach sogenannten Besserungsklauseln ausgerichtet sind als nach festen Kontingenten. Daß die landwirtschaftlichen Selbsthilfemaßnahmen an erster Stelle stehen müssen und nicht alles Heil nur vom Staat erhofft und erwartet werden sollte, ist eine Selbstverständlichkeit. Der Staat aber sollte durch entsprechende handels- und steuerpolitische Maßnahmen diese Selbsthilfemaßnahmen des Berufsstandes belohnen und nicht bestrafen.
Wesentlich für die Rentabilität der Milchwirtschaft ist die Verwertung der Magermilch. Je besser diese durchgeführt wird, um so günstiger ist selbstverständlich der Milcherzeugungspreis. Da leider nur ein Teil der Magermilch verfüttert werden kann und da auch die Käsearten, die aus Magermilch hergestellt werden, heute besonders schwer abzusetzen sind, müssen hier andere Maßnahmen ergriffen werden. Von einer Zwangsbeimischung allerdings, auf die man aus dem Antrag vielleicht schließen könnte, halten wir nicht viel. Wir sind vielmehr der Meinung — und die guten Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen ermutigen uns dazu —, daß es bei einer geschickten Propaganda durchaus möglich sein sollte, auch auf
freiwilliger Basis zu einer Beimischung in Höhe von 3 % zum Brot zu gelangen, zumal auf diese Art und Weise durch Beimischung eines biologisch hochwertigen Eiweißstoffes gerade für die kaufkräftigen Schichten unserer Bevölkerung die Eiweißfrage am einfachsten und billigsten gelöst werden kann.
Wir glauben auch, daß in der Viehfütterung in viel stärkerem Umfang, als es bisher geschehen und bekannt ist, die ausländischen Fischmehlarten durch dieses neue Eiweißtrockenfutter ersetzt werden können, besonders wenn wir, wie der Herr Minister andeutete, mit Hilfe der Ausgleichsmittel seitens des Bundes und der Länder zu einer Verbilligung kommen und wenn diese Maßnahmen nicht einseitig auf das Allgäu beschränkt, sondern für alle notleidenden Grünlandbezirke ergriffen werden.
Abschließend möchte ich feststellen, daß die Regelung der Milchfrage brennend und dringend notwendig ist.
Meine Damen und Herren, ein Pfennig Aufschlag auf die Milch bedeutet für die Landwirtschaft eine jährliche Mehreinnahme von 120 Millionen Mark. Eine Erhöhung des Trinkmilchpreises um einen Pfennig für den Verbraucher schmeißt aber den Haushalt nicht um. Ich bin daher der Meinung, daß es sich hier um eine Frage handelt, die für Tausende von deutschen Veredelungsbetrieben von entscheidender Bedeutung. ist. Wir sollten wirklich alle Maßnahmen ergreifen, um mit diesem Problem schnellstens fertig zu werden. Wünschenswert wäre es, wenn auch vom Bund und von den Ländern Mittel für die allgemeine Einführung eines Milchfrühstücks an den Schulen bereitgestellt und wenn darüber hinaus Maßnahmen ergriffen würden, um den sozial Schwachen einen erhöhten Trinkmilchverbrauch zu ermöglichen.