Rede von
Dr.
Heinrich
Lübke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Ho r l a c her hat zunächst die
Frage gestellt, ob dem Hohen Hause und der Bundesregierung klar sei, welche Preiseinbrüche im Rahmen der Milchwirtschaft in den letzten Jahren vorgekommen seien und ob vor allen Dingen die besonderen Klagen aus dem Allgäu, aber auch aus anderen Grünlandgebieten, insbesondere am Niederrhein und an der Nordseeküste, dem Hause und der Bundesregierung bekanntgeworden seien. Man darf wohl sagen, daß diese sehr lauttönenden Klagen, die leider Gottes berechtigt waren, natürlich auch der Bundesregierung bekanntgeworden sind. Die Bundesregierung ist nicht nur bereit, Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, sondern sie hat bereits Maßnahmen eingeleitet, die auch, glaube ich, nicht ganz ohne Erfolg waren und es auch in Zukunft nicht sein werden.
Zur Frage des Notstandes im Allgäu und in einigen anderen Grünlandgebieten darf ich sagen, daß der Milchpreis im Jahre 1951 22,7 Pf pro Liter betrug und im Jahre 1953 0,7 Pf mehr, also 23,4 Pf. Das ist also an sich gegenüber dem Friedenspreis eine außerordentlich niedrige Auszahlung. Wenn Sie dann hören, daß im Allgäu nicht, wie Herr Kollege Horlacher sagte, zur Zeit 20, sondern 18,6 Pf bezahlt werden, dann wird es Ihnen glaubwürdig erscheinen, daß dort Not am Mann ist. Das Gebiet ist deshalb in eine außerordentlich bedrückte Lage gekommen, weil im letzten Jahre nach der Liberalisierung schon in dem Halbjahr vom 1. April bis zum 30. September 50 °ío mehr Käse eingeführt worden sind als im Vorjahr. Das war eine natürliche Folge der Liberalisierung; sie ist aber wirksam, und sie läßt sich außerordentlich schwer wieder aus der Welt schaffen. Ich kann in diesem Zusammenhang sagen, daß der Devisenstatus der Deutschen Bundesrepublik bei der EZU in Paris zur Zeit so günstig ist, daß Verhandlungen etwa wegen der Deliberalisierung von Braumalz oder Käse außerordentlich schwierig sind und auch von uns aus zweckmäßigerweise gar nicht begonnen werden.
Herr Horlacher fordert unter Punkt 1 die Stabilisierung der Trinkmilchpreise. Die Trinkmilchpreise sind im ganzen Bundesgebiet stabilisiert. Daran wäre also praktisch zur Zeit nichts zu ändern. Es scheint aber, daß hinsichtlich der Auszahlung an die Bauern etwas getan werden müßte. Der Trinkmilchpreis, der für Standardmilch zur Zeit 38 Pfennig im Preisgebiet I für 3%ige Milch beträgt, vermindert sich um die Handelsspanne, die normalerweise 6 oder 6 1/2, Pfennig ausmacht, um die Fracht- und Bearbeitungskosten und ist deshalb auf dem Bauernhof verschieden hoch. Er wird noch dadurch beeinflußt, daß Ausgleichsumlagen von denjenigen, die Trinkmilch verkaufen, an diejenigen bezahlt werden, die ihre Milch zur Verarbeitung geben. So kommt es, daß der Gesamtauszahlungspreis in Gebieten. wo sehr viel Werkmilch anfällt, außerordentlich niedrig ist und sich etwa in der eben angeführten Höhe bewegt.
Von dem gesamten Milchanfall werden 60 % zu Butter und 8,5 % zu Käse verarbeitet. Es folgen Konservenmilch, Trockenmilch und vor allen Dingen Frischmilch, deren Verbrauch etwa 28 % beträgt. Der Frischmilchverbrauch könnte in Deutschland verdoppelt werden, wobei er auch dann noch weit unter den Verbrauchssätzen des benachbarten Auslandes liegen würde.
Diese Verdoppelung oder jedenfalls eine starke
Erhöhung läge nicht nur im Interesse der Ren-
tabilität der Milchwirtschaft, sondern vor allen Dingen der Volksgesundheit, und sie würde uns bzw. der Bundesregierung eine ganz wesentliche Erleichterung bei den Handelsvertragsverhandlungen mit unseren nördlichen und westlichen Nachbarn bieten.
— Sie sagen, Herr Kollege, es müßte mehr Propaganda gemacht werden. Auf dem Gebiet geschieht wirklich allerlei, und der Trinkmilchverbrauch hat sich auch gehoben. Es werden nicht nur Broschüren ausgegeben, etwa vom Verein zur Förderung der Milchwirtschaft in Frankfurt, sondern es wird auch durch Presse, Film, Rundfunk und mit allen sonstigen geeigneten Mitteln auf dem Gebiet gearbeitet, und zwar wird nicht gefordert: Trinkt mehr Milch, damit die Bauern ihre Milch loswerden!, sondern: Trinkt mehr Milch zur Hebung der Volksgesundheit! Jede Qualitätserhöhung auf dem Gebiet wirkt sich natürlich auch aus in einer stärkeren Anfreundung mit der Milch, die: unsere Bevölkerung heute zum Teil deswegen noch ablehnt, weil sie in der Kriegszeit in einer außerordentlich schlechten Qualität geboten werden mußte. Die Bergwerke in Nordrhein-Westfalen z. B. haben in einer ganz beachtlichen Weise begonnen, den Trinkmilchverbrauch zu steigern und im übrigen andere Getränke abzulehnen, weil das Trinken von eiskaltem Mineralwasser, Coca-Cola oder Bier nach dem Herausfahren aus dem Schacht ganz außerordentlich gesundheitsschädlich ist. Die Bergwerke haben zeitweise einen höheren Prozentsatz an Magenkranken als etwa an Silikose oder ähnlichen Erkrankungen gehabt. Deshalb haben sie unter ihren Belegschaften den Trinkmilchverbrauch propagiert, der z. B. in einer einzigen Zeche, Bonifatius, in einem Jahr von 0 auf 170 000 kg angewachsen ist.
Wir haben auch in manchen Verwaltungsgebäuden erfreuliche Ansätze, aber ich warte immer noch mit großem Interesse auf die Wirkung des Anstoßes, den wir der Exportindustrie gegeben haben. Die Exportindustrie hält der Landwirtschaft vor, daß infolge der Schwierigkeiten bei der Einfuhr agrarischer Produkte nicht genug Ware an das Ausland geliefert werden könne. Ich habe der Exportindustrie erklärt: Wenn Sie in sämtlichen für den Export arbeitenden Betrieben jedem Arbeiter ein halbes Liter Milch an seinen Arbeitsplatz stellen — bezahlen tut er es ja selbst —, dann würden wir damit viele tausend Tonnen Butter aus dem Markt ,drängen und die gesamten Handelsverträge mit den skandinavischen und westeuropäischen Ländern in Ordnung bringen können.
Die Industrie- und Handelskammern haben sich dieser Frage angenommen, und es wird auch einiges an vorbereitender Arbeit versucht. Leider ist es so, daß ein energisches Vorwärtsschreiben auf dem Gebiet noch nicht festzustellen ist. Wie notwendig dies jedoch ist, wollen Sie bitte aus folgendem Beispiel ersehen. Wir stehen in Handelsvertragsverhandlungen mit Schweden und Dänemark. Die Schweden, die Dänen und auch die Holländer bieten uns ihre Butter an, obgleich wir den gesamten Butterkonsum in unserem Lande aus eigener Erzeugung 'decken: Die genannten drei Länder haben von Deutschland im letzten Jahre für eine Milliarde DM mehr gekauft, als wir von ihnen abnehmen können. Es wäre also auch für die Exportindustrie schon Grund genug gegeben, sich in dieser Richtung einzuschalten.
Das beste Werbemittel ist, wie ich sagte, die Qualitätssteigerung. Auf diesem Gebiet hat die Landwirtschaft durch erhebliche Investierungen Bedeutendes geleistet. Wir haben geschlossene Einzugsgebiete von Molkereien, die von garantiert gesunden Tierbeständen erstklassige Milch liefern können. Es ist aber nicht möglich, die Gesamtbereinigung des Gesundheitszustandes so schnell vorwärtszutreiben, daß man von einem Jahr auf das andere mit großen Erfolgen rechnen könnte. Jedenfalls hat die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, den Regierungen der Länder und der praktischen Landwirtschaft auf diesem Gebiete bedeutende Fortschritte gebracht.
Eine weitere Frage zur Steigerung des Verbrauchs von Trinkmilch ist mir oft von Ausländern gestellt worden. Noch gestern fragte mich ein ausländischer Journalist: „Warum kann man hier in Deutschland in Restaurants keine Milch kaufen?" Ich habe ihm gesagt: „Weil die Trinkmilchpreise bei uns gebunden sind und die Handelsspanne so niedrig ist, daß der Verkauf in den Restaurants für den betreffenden Restaurateur kein Interesse hat." So ist es tatsächlich. Es wird wahrscheinlich möglich sein — das Wirtschaftsministerium hat seine Einwilligung dazu bereits gegeben —, für die Qualitätsmilch die Preisbindungen in Restaurants aufzuheben, damit auch in Deutschland, wie es im Ausland üblich ist, in Restaurants jederzeit Milch angeboten werden kann.
Zu den Fragen 2, 3 und 5 in der Anfrage des Kollegen Horlacher möchte ich insgesamt antworten. Die Einfuhr- und Vorratsstelle wird genau wie in diesem Jahre auch im kommenden Jahre rechtzeitig Butter zum Zwecke des saisonalen Ausgleichs aus dem Markt nehmen, und zwar wird sie das nach Möglichkeit zusammen mit Handel und Genossenschaften tun. Diese drei Stellen zusammen werden daran mitwirken, daß durch eine gleichmäßige Beschickung des Marktes im Frühjahr, Sommer und Winter ein verhältnismäßig gleichbleibender Preis erreicht wird. Wenn etwa die Genossenschaften sich auf diesem Gebiete betätigen — so verstehe ich die Anfrage von Herrn Kollegen Horlacher —, will ich hoffen, daß auch von den Wirtschaftsressorts der Länder oder von Gerichtsstelle aus eine derartige Tätigkeit in keiner Weise mehr behelligt wird; denn diese Tätigkeit entspricht voll und ganz dem Sinn und Zweck des Milchgesetzes.
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Die Vorratslagerung in diesem Jahre hat bewirkt, daß der Preis im Frühjahr nicht tiefer als 5,60 DM für den Verbraucher absackte und im Winter nicht höher als 6,80 DM seinwird. Im vorigen Jahr schwankte der Preis zwischen 5,20 DM und 8 DM. Die Quittung dafür erfolgte in der Weise, daß der darauffolgende Monat Januar die niedrigste Verbraucherquote seit Jahren gehabt hat, nämlich 16 800 Tonnen gegenüber einem Durchschnitt von 25 000 Tonnen.
Der Einlagerung von Käse, die Herr Kollege Horlacher empfiehlt, stehen praktisch sehr große Schwierigkeitenentgegen. Ich möchte sagen, Herr Dr. Horlacher: die Produktion von Käse und die Erhaltung und Lagerung von Käse sind so diffizile Geschäfte, daß man an diese Arbeit nur Fachleute
heranlassen sollte. Wenn ich auch meinen Mitarbeitern in dieser Beziehung eine ganze Menge zutraue, so möchte ich sie auf dem Gebiet der Käselagerung doch nicht tätig werden lassen. Ich glaube, daß gäbe einen Reinfall. Wir würden damit demnächst wieder große Anfragen im Bundestag erleben, weil wir von Amts wegen in den Käsehandel eingestiegen wären.
Außerdem stellt sich bei der Frage nach den Kosten der Käseeinlagerung sofort die Unmöglichkeit heraus, auf diesem Gebiet tätig zu werden; denn die Herausnahme entsprechender Käsemengen, die im Allgäu eine Linderung verschaffte, würde im Augenblick bedeuten, daß wir mit vier Millionen DM ins Geschäft gehen müßten. Wenn auch der Herr Finanzminister auf diesem Gebiet außerordentlich entgegenkommend ist,
so glaube ich doch, daß Sie sich die Verhandlungen mit ihm etwas einfacher vorstellen, als sie sind.
Ich habe ihm schon gestern den Vorschlag gemacht, man solle Landes- und Bundesausgleichsmittel, die ja von der Milchwirtschaft selber aufgebracht werden, für gelegentliche Zinsverbilligungen heranziehen, um die Lagerung zu ermöglichen. Es ist mir bekannt, daß bereits Bundes- und Landesausgleichsmittel ins Allgäu geflossen sind.
Wenn wir die Einbeziehung von Käse in die Andienungspflicht bei den Einfuhr- und Vorratsstellen etwa durch Gesetz untermauerten, würden war damit den Käse praktisch entliberalisieren und auch Schwierigkeiten beim GATT in Torquay bekommen. Das bedeutet also praktisch, daß auf diesem Wege eine Erleichterung nicht zu schaffen sein wird.
Nun zur Frage der Ermöglichung der Beimischung von Magermilchpulver zum Weizenbrot. Dazu darf ich Ihnen mitteilen, was schon Herr Dr. Horlacher andeutete, daß in Nordrhein-Westfalen in sechs Großstädten ein drei Monate dauernder Versuch gemacht wird. Dieser hat in anderthalb Monaten bereits gezeigt, daß auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte zu erzielen sind. Dem Brot werden 3 % Trockenmilch beigemischt. Das Publikum, dem diese Maßnahme auf einer Banderole angezeigt wird, zahlt drei Pfennig pro Kilo mehr und kauft das Brot in zunehmendem Maße. Für die ersten anderthalb Monate waren 75 bis 80 Tonnen Milchpulver in Aussicht genommen. Bis jetzt sind schon 114 Tonnen verbraucht. Die Erwartungen sind also bei weitem übertroffen. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist man mit dem Verbacken von Milchpulver in Weizenbrot bei 6 % angelangt.
Was den Export von Emmentaler angeht, so kann man sagen, daß das Bundeslandwirtschaftsministerium ihn aufs kräftigste unterstützt. Im Jahre 1951 wurden 1200 Tonnen, im Jahre 1952 2900 Tonnen ausgeführt. Im laufenden Jahr werden wir auf mehr als 2500 Tonnen kommen. Es bestehen also auch auf diesem Gebiete gewisse Möglichkeiten.
Mit Frankreich schweben außerdem aussichtsreiche Verhandlungen über den Export von Emmentaler. Diese Verhandlungen sind allerdings erst möglich geworden, nachdem Deutschland den Käse liberalisiert hat. Wenigstens auf diesem Gebiet und in dieser Richtung ist also ein Lichtblick zu verzeichnen.
Die Verwendung von Bundeshaushaltsmitteln habe ich bereits erwähnt. Ich habe natürlich in Beantwortung der Großen Anfrage zentrale Probleme der. Milchwirtschaft nicht ansprechen können; das hätte den Rahmen dieser Debatte überschritten. Es ist aber ganz sicher, daß in der Milchwirtschaft, auch für die Verbraucher, Verbesserungen in den kommenden Jahren bevorstehen. Auf dem gerade jetzt so beklagenswert unrentablen Gebiet der Milchwirtschaft ist also noch eine erhebliche Chance für Verbraucher und Erzeuger vorhanden.
Beifall in der Mitte.)