Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das harte Los derer, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum Haus und Hof verlassen mußten, hat sich nicht in dem Verlust der materiellen Werte, der Existenzgrundlage, des Berufs und der angestammten Heimat erschöpft.
Eine große Zahl von Vertriebenen hat überdies die Zugehörigkeit zu einem Staat oder die Möglichkeit, sich auf die Zugehörigkeit zu ihrem Heimatstaat zu berufen und dessen Schutz in Anspruch zu nehmen, verloren. Millionen Vertriebener sahen sich der unerwarteten Tatsache gegenüber, daß ihre deutsche Staatsangehörigkeit, die ihnen jeweils im Anschluß an die Eingliederung ihres Heimatgebiets in das Deutsche Reich durch Gesetz verliehen worden war, in Zweifel gezogen wurde. Es handelt sich in der Hauptsache um die Volksdeutschen aus den Sudeten-gebieten, dem Memelland, dem Protektorat, Danzig und den einverleibt gewesenen Ostgebieten.
Die amerikanische Besatzungsmacht sah diese Vertriebenen nicht als deutsche Staatsangehörige an, und die Länder der amerikanischen Besatzungszone waren genötigt, in gleicher Weise zu verfahren. Die Stellungnahme der amerikanischen Besatzungsmacht wurde mit dem Hinweis darauf begründet, daß die Vereinigten Staaten den Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei über die Abtretung der Sudetengebiete sowie den Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Litauen über die Rückgliederung des Memellandes nicht anerkannt hätten und daß die Eingliederung der übrigen Gebiete ohne Vertrag oder erst im Krieg erfolgt und daher nach der Völkerrechtsordnung unzulässig gewesen sei.
Die britische Besatzungsmacht hat Einwendungen gegen die Anerkennung der Angehörigen der genannten Personengruppen als deutsche Staatsangehörige nicht erhoben. So erklärt es sich, daß Personen, die in der britischen Besatzungszone als deutsche Staatsangehörige behandelt wurden, im amerikanischen Besatzungsgebiet, dem sich später das französische anschloß, als staatenlos galten.
Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist eine Rechtsangleichung in den drei Besatzungszonen erzielt worden. Die Länder der amerikanischen und französischen Besatzungszone haben die beiden Gruppen, deren Heimatgebiete dem Deutschen Reich durch Vertrag eingegliedert worden waren, nämlich die Volksdeutschen aus den Sudetengebieten und aus dem Memelland, als deutsche Staatsangehörige anerkannt. Die Rechtsstellung der übrigen kollektiv Eingebürgerten war in diesen beiden Zonen inzwischen durch das Grundgesetz maßgeblich verbessert worden. Art. 116 Abs. 1 hat bekanntlich auch die Vertriebenen und Flüchtlinge deutscher Völkszugehörigkeit, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen, zu Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gemacht, wenn sie ais Flüchtlinge oder Vertriebene oder als deren Ehegatten oder Abkömmlinge im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vorn 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden haben.
Die Länder der britischen Besatzungszone hielten es im Hinblick auf Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes für möglich, im Interesse der Rechtseinheit von nun an ebenfalls nur die Sudetendeutschen und die Memelländer als deutsche Staatsangehörige anzuerkennen, dagegen die anderen kollektiv Eingebürgerten nur noch den deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen.
In dieser für die Betroffenen durchaus nicht befriedigenden Situation zeigte das Bundesverfassungsgericht, das von einem Protektoratsdeutschen angerufen worden war, im Mai 1952 Gesichtspunkte auf, unter denen eine weitergehende Bejahung der deutschen Staatsangehörigkeit auch vor dem Forum des Völkerrechts vertretbar ist. Es wies darauf hin, daß der — in der Haager Landkriegsordnung verankerte — völkerrechtliche Grundsatz von der Unwirksamkeit der Verleihung der Staatsangehörigkeit während einer kriegerischen Besetzung nicht gilt, wenn der Heimatstaat der Eingebürgerten sie nicht als seine Staatsangehörigen in Anspruch nimmt. Nimmt er sie nicht in Anspruch — so folgert das Bundesverfassungsgericht weiter —, so besteht auch nach deutschem Recht jedenfalls dann kein Anlaß, die betreffenden Personen nicht als deutsche Staatsangehörige anzuerkennen, wenn die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit dem Willen des einzelnen entsprach; denn insoweit handelt es sich ja dann nicht um eine Zwangseinbürgerung.
An Hand dieser Grundsätze ergab sich die völkerrechtlich unanfechtbare Möglichkeit der Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit nicht nur der Volksdeutschen aus den Sudetengebieten, dem Memelland und dem Protektorat, sondern auch aus den eingegliedert gewesenen Ostgebieten, aus Untersteiermark, Kärnten und Krain sowie aus der Ukraine. In allen diesen Fällen haben die Heimatstaaten alsbald nach Beendigung der Feindseligkeiten Gesetze und Verordnungen erlassen, in denen sie sich von den deutschen Volkszugehörigen ausdrücklich lossagten.
Zu berücksichtigen war nur noch, daß die Gesetze und Verordnungen, durch die die kollektiven Einbürgerungen erfolgt sind, den individuellen Willen der Eingebürgerten unbeachtet gelassen haben. Dieser Umstand begründet die Verpflichtung, den Beteiligten die Wege zu ebnen, ihren positiven oder negativen Willen, auf den es in allen genannten Fällen ausschlaggebend ankommt, rechtsverbindlich zu erklären.
Zur Erreichung dieses Zieles standen zwei Wege zur Verfügung: einmal der einer positiven Optionserklärung aller derer, die die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit bejaht haben, deren kol-
lektive Einbürgerung also keine Zwangseinbürgerung gewesen ist; zum andern der Weg der negativen Optionserklärung aller derer, die gegen ihren Willen von der Sammeleinbürgerung erfaßt worden sind. Die Bundesregierung hat sich für die zweite Lösung entschlossen, weil sie auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre davon ausgehen kann, daß nur ein kleiner Teil der kollektiv Eingebürgerten gegen seinen Willen eingebürgert worden ist. Es wäre daher unter dem Gesichtspunkt der Ersparnis von Verwaltungsaufwand unvertretbar, wollte man den Weg der positiven Option wählen; denn dann müßten Millionen von Erklärungen entgegengenommen werden.
Das kaum weniger wichtige Ziel einer schnellen Klärung der Rechtslage in jedem einzelnen Fall soll durch die in § 5 gesetzte Erklärungsfrist erreicht werden. Wer zu den in § 1 erschöpfend aufgezählten Erklärungsberechtigten gehört und bis zum Ablauf der Frist eine negative Erklärung nicht abgegeben hat, ist durch die seinerzeitige kollektive Verleihung deutscher Staatsangehöriger geworden. Wer dagegen innerhalb der Frist ausdrücklich erklärt, daß die kollektive Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit seinem Willen nicht entsprochen habe, dessen kollektive Einbürgerung ist rechtsunwirksam, d. h. er ist nie deutscher Staatsangehöriger geworden.
Dem Umstand, daß seit den Kollektiveinbürgerungen wenigstens 15 oder doch wenigstens 10 Jahre verstrichen sind, in denen Ehen geschlossen und Kinder geboren wurden und viele Sammeleingebürgerte bereits gestorben sind, glaubte die Bundesregierung am besten dadurch Rechnung zu tragen, daß sie das Recht zur negativen Option, die im Gesetz als .,Ausschlagung" der deutschen Staatsangehörigkeit bezeichnet wird, nicht nur denen einräumt, die selbst von der kollektiven Einbürgerung erfaßt wurden, sondern auch denen, die ihre Staatsangehörigkeit nach deutschem Recht von einem Sammeleingebürgerten ableiten.
Der II. Abschnitt des vor Ihnen liegenden Gesetzentwurfs betrifft die Gruppe von Vertriebenen und Flüchtlingen insbesondere aus dem Südostraum, z. B. aus Ungarn und Rumänien, die auf Grund ihrer Aufnahme in Deutschland Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind, obwohl sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen.
In Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es ausdrücklich, daß die dort vorgenommene Einordnung der Vertriebenen und Flüchtlinge „vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung" erfolge. Abschnitt II des Entwurfs geht den ersten Schritt auf dem Wege zu dieser gesetzlichen Regelung, indem er den durch Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Personen einen Rechtsanspruch auf Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit zuspricht, wenn sie einen dahingehenden Antrag stellen.
Schon jetzt streben viele Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit — wie sie kurzerhand genannt werden — die deutsche Staatsangehörigkeit im Wege der Einbürgerung nach Maßgabe des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes an. Um so mehr ist damit zu rechnen, daß von der erleichterten Einbürgerungsmöglichkeit, die das Gesetz eröffnet, in großem Umfange • Gebrauch gemacht werden wird. Mit Rücksicht darauf hat die Bundesregierung davon abgesehen, die Geltendmachung des Anspruches an eine Frist zu binden und — wie ursprünglich geplant — an den ungenützten Ablauf der Frist den Verlust der Rechtsstellung des Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit zu knüpfen. Die Bundesregierung hätte sich zu einer solchen Maßnahme nur entschlossen, wenn sie zur Schaffung klarer Rechtsverhältnisse unerläßlich gewesen wäre. In den vier Jahren seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ist jedoch die außerordentliche Rechtsstellung eines Deutschen, der die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt, so weit rechtlich umrissen und mit einem eindeutigen Inhalt erfüllt worden, daß die anfänglich für notwendig erachtete alsbaldige Beseitigung dieses Nebenstatus jedenfalls aus Gründen der Rechtsklarheit nicht mehr erforderlich erscheint. Die Verwaltungspraxis hat sich, wenn auch erst in jüngster Zeit, übereinstimmend dahin entwickelt, daß der Nebenstatus des Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit erworben und verloren wird wie die deutsche Staatsangehörigkeit selbst. Die Bundesregierung hat daher die Möglichkeit der Abstandnahme von einer Fristsetzung gern ergriffen, um den einzelnen von dem Bewußtsein des Zwanges zu einer Entscheidung zu befreien.
Nur noch ein ganz kurzes Wort zum III. Abschnitt des Entwurfs: In der Bundesrepublik lebt eine nicht unerhebliche Zahl von deutschen Volkszugehörigen nicht deutscher Staatsangeörigkeit, die schon vor den Ereignissen des zweiten Weltkriegs aus beruflichen oder sonstigen Gründen in Deutschland ihre Niederlassung genommen haben und durch die Ereignisse des zweiten Weltkrieges gehindert worden sind, in ihren Heimatstaat zurückzukehren oder auch nur bei ihm Schutz zu suchen. Die Wohltat des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes erreicht sie nicht, weil sie nicht als Flüchtlinge oder Vertriebene hergekommen sind. Die politische Entwicklung hat sie aber im Ergebnis zu Vertriebenen gemacht. Deshalb räumt ihnen der Gesetzentwurf den gleichen Anspruch auf Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit ein wie den durch Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes Geschützten.
Endlich hat die Bundesregierung sich für verpflichtet gehalten, denen, die als Vertriebene oder Flüchtlinge deutscher Volkszugehörigkeit vor den Toren Deutschlands bleiben müssen, weil ihr Fluchtweg zufällig schon dort sein Ende gefunden hat, die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Einbürgerung vom Ausland her zu beantragen. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, das aus dem Jahre 1913 stammt, kennt nämlich die Einbürgerung eines im Ausland lebenden fremden Staatsangehörigen oder Staatenlosen nur, wenn der Betreffende selbst früher einmal deutscher Staatsangehöriger gewesen ist oder von einem deutschen Staatsangehörigen abstammt. Die Bundesregierung würde aber die vom Zufall diktierten Zustände aus der Zeit des Zusammenbruches verewigen und sicherlich nicht der Gerechtigkeit und Befriedung dienen, wenn sie denen, die bei der allgemeinen Umschichtung des Winters 1944/45 außerhalb der — erst später festgesetzten — Grenzen Deutschlands waren, die Tür für immer verschließen würde. Allerdings konnte dieser Gruppe nicht ein Anspruch auf Einbürgerung eingeräumt werden. Vielmehr war die Zulassung der Aufnahme in den deutschen Staatsverband nach Maßgabe des pflichtgemäßen Ermessens der Staatsangehörigkeitsbehörden das weitestmögliche Entgegenkommen.
Meine Damen und Herren, ich verstehe sehr wohl, daß diese Materie etwas trocken ist. Ich
möchte aber das Haus bitten, nicht zu vergessen, daß hinter dieser Materie Menschen stehen, die viel Unglück gehabt haben. Ich möchte daher schließen, indem ich sage: Die Bundesregierung hat die Hoffnung, daß durch dieses Gesetz ein Teil des Unglücks, das über deutsches Volkstum gekommen ist, wenigstens gemildert werden kann.