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ID0200503100

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    6. Kiesinger.: 1
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    2. Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953 65 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953. Geschäftliche Mitteilungen 65 C Änderung der Tagesordnung, — Absetzung der Wahl der Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt . 65 C Nächste Fragestunde 65 C Teilnahme des Sprechers des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten von Amerika an der Sitzung 65 C Präsident D. Dr. Ehlers . . . . 65 D, 67 A Joseph W. Martin, Speaker des. amerikanischen Repräsentantenhauses . . . 65 D Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 34) 68 B Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses kraft Wahl (Drucksache 35) 68 B, 82 A Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Drucksache 3'7) 68 C Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost (Drucksache 39) . . . . 68 D Wahl der Wahlmänner für die vom Bundestag zu berufenden Richter beim Bundesverfassungsgericht (Drucksache 36) 69 A, 82 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 20. Oktober 1953 69 B Dr. von Merkatz (DP) 69 B Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau '79 A Jacobi (SPD) 82 B Dr. Jaeger (CSU) 83 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU) . . . 88 D Haasler (GB/BHE) 94 D Dr. Kather (CDU) 97 C, 103 C Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene 100 B Dr. Schöne (SPD) 100 D Dr. Gille (GB/BHE) 102 C Kiesinger (CDU) 103 D Nächste Sitzung 108 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Linus Kather


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß Herr Dr. Gille offenbar durch irgendwelche unbekannte Umstände verhindert worden ist, meinen Ausführungen mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu lauschen. Er hat mich in zwei Punkten gründlich mißverstanden. Ich habe genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie annehmen. Ich erblicke in dieser Wahl auch keine politische Festlegung für die Dauer. Wohin der Würfel später einmal fallen wird, kann ich nicht sagen.

    (Abg. Dr. Gille: Nichts anderes habe ich gesagt!)

    Ich gehöre weder zu den kleinen noch zu den großen Propheten.
    Nun etwas anderes: Ich habe auch mit keinem Wort und keiner Silbe hier irgendeinen Protest gegen die Beauftragung des BHE mit dem Vertriebenenministerium erhoben. Sie werden mein unredigiertes Stenogramm lesen können. Es steht da mit keinem Wort auch nur etwas angedeutet. Im Gegenteil, ich glaube, positiver konnte meine Einstellung zum Vertriebenenminister wohl nicht mehr ausfallen. Ich habe mich nur dagegen gewandt, daß die 27 Abgeordneten der CDU, die Heimatvertriebene sind, und ihre Wähler im Kabinett nicht zum Zuge gekommen sind. Das ist ja wohl mein gutes Recht; ich hätte auch weitergehen können. Das, Herr Oberländer, ist eine Sache, von der der Bundesvertriebnenminister von Amts wegen überhaupt nicht berührt wird.


Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem kleinen häuslichen Streit unter unseren Heimatvertriebenen fällt mir die


    (Kiesinger)

    Aufgabe zu, im Namen meiner politischen Freunde den Versuch zu machen, zum Schluß dieser Debatte das herauszustellen, was uns als das wesentliche Ergebnis erscheint. Die Regierungserklärung, die der Herr Bundeskanzler vorgetragen hat, hat in diesem Hause eine ganze Reihe von interessanten größeren und kleineren zustimmenden Kommentaren erzeugt, und einen Kommentar unserer Opposition, der durch eine vorsichtige Zurückhaltung und eine kluge Mäßigung gekennzeichnet war. Wir haben diese Mäßigung mit Dankbarkeit und mit Genugtuung begrüßt und die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden unserer Oppositionspartei ebenso mit Genugtuung entgegengenommen, daß seine Partei das Ergebnis der Wahlen vom 6. September respektieren werde. Wir nun, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, können Ihnen versichern: Wenn sich Ihre Partei durch die Enttäuschung über die am 6. September erlittene Niederlage nicht in eine Haltung der Starrheit und des Trotzes bringen läßt, dann werden Sie bei uns jedenfalls nicht eine Schar von blinden, berauschten und vermessenen Siegern finden.
    Ich nehme den mehrfachen Appell, der in diesem Hause während der Debatte gefallen ist, gern auf: Wir wollen in den kommenden vier Jahren des Bundestages sachlich zum Wohle unseres ganzen Volkes miteinander zusammenarbeiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nur weil gewisse Bemerkungen, die Sie gemacht haben, nicht stehenbleiben können — sonst wäre ich nicht mehr darauf eingegangen — und weil Äußerungen außerhalb dieses Hauses, die schon zitiert worden sind, zu denen ich aber noch ein Bündel hinzulegen könnte, uns fürchten ließen, daß die Oppositionspartei in diese Haltung des Trotzes und der Erstarrung hineinkommen würde, muß ich noch etwas sagen.
    Herr Heine hat, nicht in einer deutschen, sondern leider in einer ausländischen Zeitung, in „Le Peuple", die Feststellung gemacht, daß wir, die Sieger dieses Wahlkampfes, bereits sechs Etappen zu einem autoritären Regime durchlaufen hätten! Nun, meine Damen und Herren, wir sollten es uns wirklich abgewöhnen, unsere deutschen Sorgen in ausländischen Zeitungen vor dem Forum des Auslandes auszutragen.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Das sagen Sie dem Kanzler!)

    — Das ist ein ander Ding! Niemandem, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wird es bestritten, ein Interview zu geben, wenn irgendein ausländischer Publizist kommt und fragt. Aber es ist etwas anderes, ob man in einer ausländischen Zeitung ständig, nicht ein Mal ausnahmsweise solche Artikel schreibt.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts. — Zurufe links.)

    — Ich bringe das hier ja Such nur vor, um ein für allemal — für uns wie für Sie — dafür zu plädieren, daß wir unsere Auseinandersetzungen wirklich unter uns ausmachen. Ich sage das auch deswegen, weil sonst in unsere Auseinandersetzung allzu leicht wieder ein polemischer Ton hineinkommen würde, der in den letzten vier Jahren unserer gemeinsamen Arbeit hier im Bundestag sehr häufig sachliche Ergebnisse wenn nicht verhindert, so doch außerordentlich erschwert hat.
    Herr Ollenhauer hat sich darüber beklagt, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat, die Opposition habe sich u. a. auch die Parole des „Ohne mich" zunutze gemacht. Ich greife diese Klage auch nur deswegen auf, weil ich aus eigener Erfahrung in meinem Bereich weiß, daß dort zum Beispiel ein Flugblatt verbreitet wurde: „Wollt ihr wieder Kanonen statt Butter?" Oder jenes in Hessen verbreitete Flugblatt, auf dem jemand mit einem Stahlhelm erschien, worunter die Frage stand: „Liebst du diese Hutmode?" Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das nicht ein Sichzunutzemachen des Ohne-mich-Standpunktes ist, was soll es dann sonst sein?

    (Abg. Arnholz: Kümmern Sie sich mal um Ihre Flugblätter!)

    — Bitte, Herr Kollege, wenn Sie bei unseren Flugblättern Klagen haben, bin ich gern bereit, sie zu berücksichtigen.

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Das BrentanoMärchen ist noch nicht widerrufen! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ja, die Sorge und die Angst, die über den angeblich autoritären Kurs, den wir steuern werden, zum Ausdruck gebracht worden ist! Nun, meine Damen und Herren, ein Informationsministerium
    — Sie haben es gehört — gibt es nicht. Es gibt bei uns auch ganz gewiß nicht den Versuch, das geistige und kulturelle Leben unseres Volkes zu dirigieren.

    (Zurufe links.)


    (Zurufe von der SPD: Wo leben Sie denn eigentlich!)

    Ob wir mit Ihnen auch darüber ganz einig sind, daß wir das Leben unseres Volkes in seiner Gänze, zum Beispiel auch das wirtschaftliche Leben, nicht dirigieren sollten, weiß ich noch nicht genau. Wir sind auch überzeugt, daß man, wenn man auf der einen Seite dirigiert, auf der anderen nicht wohl begrenzen kann. Wir wollen auch keineswegs die Meinungsfreiheit und die Betätigungsfreiheit auf anderen Gebieten einschränken.
    Ganz kurz das Problem der Gewerkschaften. Natürlich stehen wir zu den Gewerkschaften. Sie sind ein Faktor unseres gesellschaftlichen und politischen Lebens, der aus der heutigen Wirklichkeit nicht hinwegzudenken ist.

    (Zuruf von der SPD: Das ist erfreulich!)

    Ich gehe auch nicht so weit wie der Herr, der frühere Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler — ich gewöhne mich nur allmählich an die veränderte Bezeichnung, verehrter Herr Kollege —,

    (Heiterkeit)

    zu sagen, den Gewerkschaften sei es untersagt, sich auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zu betätigen. Ich bin im Gegenteil -- —

    (Abg. Dr. Dehler: Einfluß auf die Gesetzgebung zu nehmen, unmittelbar!)

    — Eben, eben! Sie dürfen aber Einfluß auf die Gesetzgebung nehmen,

    (Abg. Dr. Dehler: Unmittelbar!)

    — auch unmittelbar, nur nicht mit verfassungswidrigen Mitteln.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Zurufe links.)



    (Kiesinger)

    — Auch darüber sind wir uns vollkommen einig.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Einverstanden!)

    Wenn wir nun aber gern zugestehen, daß wir keine Interventionen gegenüber den Gewerkschaften von staatlicher Seite aus beabsichtigen, dann bitten wir die Gewerkschaften auch, ihrerseits Interventionen von dort aus in den staatlichen Raum hinein zu unterlassen. Was von uns in dieser Frage unternommen worden ist, war ja im wesentlichen ein Vorstoß um das Gewerkschaftsleben verdienter und besorgter Frauen und Männer. Ich erinnere an den bekannten Brief, in dem die Gewerkschaften zur Objektivität, zur Neutralität und zur Toleranz aufgefordert worden sind. Wenn man sich daran gewöhnt, dann e — davon bin ich überzeugt — werden die Schwierigkeiten überwunden werden können, und dann müssen die Gewerkschaften ihrerseits nicht fürchten, daß immer noch bessere und noch bessere Bundestage gewählt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Wir haben auch nicht vor, sehr verehrter Herr Kollege Ollenhauer, tiefe Eingriffe in das Grundgesetz zu unternehmen. Jedenfalls ist mir aus dem Kreise meiner politischen Freunde darüber nichts bekannt.

    (Abg. Dr. Greve: Das hat man Ihnen nur noch nicht gesagt, Herr Kiesinger! — Heiterkeit bei der SPD.)

    — Ach, verehrter Herr Greve, so weit gehen die einsamen Entschlüsse unseres Bundeskanzlers denn doch nicht,

    (Lachen bei der SPD)

    daß sie nicht wenigstens in den nächsten Kreis des Parteivorstandes durchgedrungen wären.

    (Heiterkeit bei der CDU.)

    Wir haben so tiefgreifende Eingriffe tatsächlich nicht vor. Ich hoffe, daß wir da und dort, wo sie uns vielleicht als notwendig und praktisch erscheinen, sogar Ihre Zustimmung erhalten werden. Die sehr ernste Lage, von der Sie gesprochen haben — davon bin ich überzeugt—wird also nicht eintreten.
    In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu der berühmten Gleichschaltung der Länder, die wir bösartigerweise nach dem Ergebnis der Wahl vom 6. September vorgenommen haben sollen. Es ist ja bei allen Wahlen sehr eigentümlich gewesen. Die Wahlen in den Ländern — das hat sich in den letzten Jahren erwiesen — sind immer und überall unter dem Zeichen der großen Bundespolitik vorgenommen worden. Unter den Parolen der Bundespolitik sind die Wahlschlachten geschlagen worden. Das zeigt eben, daß unter Föderalismus durchaus nicht nur ein Sonderdasein der Länder zu verstehen ist, sondern daß es im Föderalismus darum geht, bei der Willensbildung des Bundes die Länder zu beteiligen; und weil dies so ist, weil die Länder über den Bundesrat einen so entscheidenden Einfluß auf die Willensbildung haben, ist es ganz selbstverständlich, daß — natürlich immer mit demokratischen Methoden — sich die Länder nach solchen Wahlen darauf einstellen. Sie könnten uns den Vorwurf dann machen, wenn wir irgendwelche undemokratische Methoden, Staatsstreiche, Putsche versucht hätten. Aber was Sie uns ,unter Gleichschaltung vorwerfen konnten, ist doch nichts anderes als der Versuch, nun mit sehr demokratischen Methoden Änderungen herbeizuführen.
    Wenn ich etwa .an die Verhältnisse in Stuttgart denke, dann meine ich, daß das jetzige Ergebnis, das wir nach dem 6. September dort errungen haben, ein sehr viel demokratischeres ist als das, das seinerzeit nach den Wahlen im Südweststaat zustande gebracht wurde.

    (Beifall bei ,der CDU.)

    Ich kann das Bedauern über das Ergebnis in Berlin, daß dort nicht ein Sozialdemokrat Nachfolger .des so bedeutenden früheren Bürgermeisters geworden ist, verstehen; aber ich darf doch darauf hinweisen, daß nun einmal Berlin in der Tat nicht mehr eine sozialdemokratische Mehrheit hat.

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Aber die größte Partei!)

    — Richtig, gut!

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Fast jeder zweite ist SPD-Wähler!)

    — Aber, sehen Sie: „die größte Partei" sagen Sie jetzt in diesem Zusammenhang. Uns nahm man es in Stuttgartaußerordentlich übel, als wir seinerzeit davon sprachen, daß die CDU die größte Partei sei.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)

    Aber auch hier werden wir, glaube ich, wenn sich die Dinge einigermaßen geregelt haben werden, so wie sie sich mit dem Ergebnis des 6. September zwangsläufig regeln müssen, sehr bald zu einer Beruhigung kommen.
    Zu dem großen Thema der Einheit von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik will ich nicht mehr all die Argumente aufwerfen, die hier vorgetragen worden sind. Nur eines: wir haben ja nun nach dem letzten sozialdemokratischen Redner drei Marktwirtschaften hier vertreten. Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Dehler, Sie haben mit liebeswürdiger Geste unsere soziale Marktwirtschaft sanft hinübergeführt in eine etwas anders nuancierte Konzeption, indem Sie sagten: „Liberale Wirtschaft, — man kann sie auch soziale Marktwirtschaft nennen." Wir denken nicht ganz so. Wir sind der Überzeugung, daß unser Begriff der sozialen Marktwirtschaft nicht schlechthin als eine liberale Wirtschaft bezeichnet werden kann.

    (Beifall bei der CDU.)

    Ich gebe Ihnen zwar gerne zu, daß es vielleicht nicht leicht sein würde, eine Definition dieser sozialen Marktwirtschaft zu geben,

    (Lachen bei der SPD)

    ebenso — freuen Sie sich nicht zu früh, meine Herren von der Sozialdemokratie — wie es Ihnen schwerfallen dürfte, eine Definition Ihrer Marktwirtschaft zu geben.

    (Beifall bei der CDU. — Abg. Hansen [Köln] : Aber Sie machen es sich meist einfacher!)

    — Das bleibt abzuwarten. Es handelt sich hier um Leitbilder, um große Vorstellungen. Auch wir sehen mit Ihnen im Prinzip der Marktwirtschaft den Kern, aber wir wollen nicht nur, wie Sie es ausdrückten, verehrter Herr Kollege Dehler, kein plumpes Laisser-faire — eine kleine Abschwächung —, sondern dazu tritt für uns die große Forderung der sozialen Gerechtigkeit, die in unserer Zeit stärker ist als jemals zuvor und die als Zweites neben das Prinzip der Marktwirtschaft treten muß.

    (Beifall bei der CDU.)



    (Kiesinger)

    Zur Marktwirtschaft der Sozialdemokratischen Partei: Gewiß, wir wissen seit dem Dortmunder Programm, daß die Sozialdemokratie ihre wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Konzeption verdeutlicht hat. Für uns ist unsere soziale Marktwirtschaft eine ganz bestimmte Gesamtkonzeption. Wir haben den Eindruck, daß sie von Ihrer Seite nur als gelegentliche Spielregel anerkannt wird innerhalb der Gesamtkonzeption einer doch und immerhin geplanten Wirtschaft. Mittel der Planung sind nach Ihrem Aktionsprogramm Kernplanung und Rahmenplanung. Die sehr eindringlichen Worte, die Sie über die Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaft gesprochen haben, die Wendung gegen die Reprivatisierung, die Auffassung über die öffentliche Kapitalbildung im Verhältnis zur Bildung des Privatkapitals, das alles scheint uns eine Gefährdung der echten Wettbewerbswirtschaft im Sinne unserer sozialen Marktwirtschaft zu bedeuten.
    Aber wir wollen uns hier jetzt gar nicht etwa theoretisch festlegen. Die kommenden vier Jahre unserer Politik werden zeigen, wie weit wir zusammenkommen. Ein deutscher Professor hat kurz nach dem Krieg einmal ein sehr nettes Wort gesagt: Wenn Deutsche sich zusammensetzen, dann sollten sie immer zuerst einen ideologischen Verdunstungsprozeß vornehmen, dann würde das wegfallen, was doch an nur scheinbaren Gegensätzen vorhanden sei, und die echten Übereinstimmungen und die echten Gegensätze würden übrigbleiben. Wenn wir uns auf beiden Seiten diesen guten Vorsatz für den ideologischen Verdunstungsprozeß vornehmen, dann, glaube ich, werden wir doch zu manchen gemeinsamen sachlichen Ergebnissen kommen können.

    (Abg. Dr. Gülich: Herr Ollenhauer hat sehr konkret gesprochen!)

    — Gewiß, ich habe auch sehr konkret darauf hingewiesen, wo wir die Gefahrenpunkte sehen.
    Ich habe noch eine andere Hoffnung. Wir hatten im letzten Bundestag immer den Eindruck, daß die Enttäuschung des Jahres 1949 viele von Ihnen dazu angetrieben hat, das Ergebnis innerlich nicht anzuerkennen, es innerlich nicht zu bewältigen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Tübingen] .)

    — O doch, Herr Kollege Schmid, ich habe es manchmal beobachtet, daß mancher Versuch zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung daher kam. Ich nehme an, daß nach diesem zweiten Ergebnis der Wahlen des deutschen Volkes die Enttäuschung nicht so weit gehen wird, um Sie nun erneut von der Bahn einer sachlichen Auseinandersetzung auf diesem und jenem Gebiete abzuziehen.

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Kiesinger, der Seelenarzt!)

    — Na, also, wissen Sie, ich könnte jetzt aus den vergangenen vier Jahren mancherlei herausholen, und manche aus Ihren eigenen Reihen haben mir ja damals selber zugestanden, — —

    (Zurufe von der SPD.)

    — Ja, nur hatten wir nicht diese Enttäuschung zu überwinden, und Sie wissen ja: so, wie es in den Wald hineinhallt, hallt es leider sehr häufig zurück.

    (Heiterkeit. —Abg. Wagner [Ludwigshafen]: Dann sind Ihre Fehler um so weniger entschuldbar!)

    — Nein, verehrte Herren Kollegen! Wenn Sie mir schon den Zuruf machen, daß dann unsere Fehler um so weniger entschuldbar seien, dann kann ich Sie nun wahrhaftig nur darauf hinweisen, daß Sie uns unsere Fehler immer im voraus in Rechnung gestellt haben und daß diese Rechnung hinterher niemals gestimmt hat, so daß wir in der Lage waren, diesen Wahlkampf vor dem deutschen Volk sehr einfach damit zu führen, zu sagen: Das haben Sie vorausgesagt, und das ist dank unserer Politik eingetreten!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Deswegen warne ich vor der Fortsetzung einer solchen Methode auf beiden Seiten. Rügen wir doch die Fehler dann, wenn sie gemacht werden, und nehmen wir sie nicht von vornherein und ideologisch vorweg.
    Meine Damen und Herren, ich kann es nicht unterlassen, zum Abschluß dieser allgemeinen Betrachtungen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik noch eine Bemerkung zu machen. Es ist ja höchst eigentümlich gewesen, daß die Redner in dieser Debatte mit sehr starken theoretischen Argumentationen aufgetreten sind. Schon das hätte übrigens den Kritikern, die eine starke Beeinflussung von rechts her fürchteten, zu denken geben müssen, daß der Repräsentant der Freien Demokratischen Partei sich sehr prononciert als Liberaler — und nicht nur sich, sondern alle anderen seiner Freunde als Liberale — bezeichnet hat.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Falsa demonstratio!)

    - Nein, lieber Herr Kollege Schmid, nein, ich
    nehme es Ihnen nicht ab! Das ist keine falsa demonstratio, sondern ich habe den Eindruck, daß die Wahl vom 6. September den Liberalen in dieser Partei recht gegeben hat und nicht den Antiliberalen. Und darüber freue ich mich.
    Ein anderer unserer Redner hat für die konservative Idee gesprochen. Auch das ist ein gutes Zeichen. Denn konservative Idee und Restauration oder reaktionäre Gesinnung sind zwei ganz verschiedene Dinge. Das, was heute unser verehrter Kollege Herr von Merkatz vorgetragen hat, ist eine echt konservative Konzeption, die sich weit unterscheidet von dem, was man in den Jahren nach 1919 etwa von Herrn Hugenberg hat hören können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Wenn aber Herr Seebohm gesprochen hätte?!)

    — Es hat aber Herr von Merkatz gesprochen! (Große Heiterkeit.)

    Nun, meine Damen und Herren, wenn es wirklich eine Hoffnung für uns gibt, daß wir auf wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischem Gebiet in den nächsten vier Jahren doch sehr viel mehr Gemeinsames haben werden als in den vergangenen, dann kann niemand in diesem Hause sein, der darüber nicht froh ist. Ich will hier nur eines ausdrücklich sagen: die Frage ist eben immer wieder, ob es eine Möglichkeit gibt, im Rahmen einer solchen Konzeption zu überschauen, wo das Notwendige an Eingriff und Planung — davon ist ja in Ihren Programmen noch viel die Rede — erstens den erwünschten Erfolg erzielen kann und wo zweitens jene Gefährdung auch der persönlichen, der geistigen und kulturellen Freiheit beginnt, die ja immer bei einer scharfen Vollziehung des Sozialismus droht.


    (Kiesinger)

    Ich habe in diesem Hause schon einmal das sehr nachdenklich stimmende Wort Joseph Schumpeters zitiert, der doch kein liberaler, kein christlichdemokratischer, sondern ein sozialistischer Theoretiker ist, das Wort, daß der nach seiner Meinung notwendig kommende Sozialismus mit seiner gewaltigen Überbürokratisierung, dieser Sozialismus und dieser sozialistische Staat eher faschistische als demokratische Züge tragen würden. Immerhin eine Gefahr, ausgesprochen von einem der bedeutendsten sozialistischen Theoretiker unserer Tage.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Sie sehen doch Schweden, da ist von „faschistischen Zügen" nichts zu sehen!)

    — Natürlich nicht; die Frage ist nur, verehrter Herr Kollege Schmid, ob Schweden erstens ein gutes Beispiel ist

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Ein sozialistischer Staat!)

    und ob zweitens der Liberalismus in Schweden so zu Ende gedacht worden ist, wie Sie gestern dem Herrn Kollegen Dehler entgegengehalten haben. Ich könnte mir Plätze auf dieser Welt denken, wo er sehr viel radikaler zu Ende gedacht würde.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Dann ist er falsch!)

    Das jedenfalls muß man sagen, wenn das Wort von der Wirtschaftsdemokratie fällt. Sie haben wohl bemerkt, daß auch innerhalb der Koalition gewisse Unterschiede in den Auffassungen waren, etwa über die Frage des Bundeswirtschaftsrats usw. Eines aber ist sicher, wir werden niemals unsere Zustimmung zu einem System geben, das sich wirtschaftsdemokratisches System nennt und das in Wahrheit eine Verbürokratisierung unseres gesamten wirtschaftlichen Lebens ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Da habe Sie von uns nichts zu befürchten.)

    Im übrigen können wir ja über die Grenzen der Dinge reden.
    Noch ein ganz kurzes ergänzendes Wort zu den außenpolitischen Darlegungen, die mein Freund Gerstenmaier hier gemacht hat. Er hat es wohl in der Eile des Gefechtes unterlassen, zu dem Gedanken Stellung zu nehmen, den Herr Ollenhauer geäußert hat, daß wir nämlich die EVG den Russen nicht als Sicherheitsgarantie darbieten dürften. Nun, gerade dieser Punkt hat bei der letzten Debatte in der Beratenden Versammlung des Europarates eine große Rolle gespielt, und Sie wissen, daß Herr Spaak auf diesen Punkt großes Gewicht legte. Sie, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, haben uns gesagt, wir sollten dieses Angebot deswegen nicht machen, weil wir ja wüßten, daß die Russen es nicht akzeptierten. Nun, verzeihen Sie, das halte ich für kein gutes Argument. Sie hätten allenfalls sagen können, daß die Russen bisher erklärt haben, daß sie eine solche Lösung nicht annehmen wollen. Ob sie sich aber in der Zukunft im Laufe der Entwicklung der Dinge bereit finden werden, diese Lösung doch akzeptabel zu finden — akzeptabler vielleicht als andere Lösungen, die auf sie zukommen könnten —, das ist doch die große Frage.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Man kann zu dem Problem nur Stellung nehmen, wenn man das Wesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, wie sie gedacht ist, ins Auge faßt und sich dann fragt, ob nicht wirklich darin auch eine akzeptable Lösung für das russische Sicherheitsbedürfnis liegt. Ich bin ehrlich davon überzeugt, daß dem so ist. Ich bin deswegen davon überzeugt, weil die in der EVG zusammengeschlossenen europäischen Staaten — davon war schon die Rede — mehr als alle anderen in der Welt das eine große Interesse des Friedens haben;

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    denn sie wissen, wenn es von irgendeiner Seite her zu einem Kriege käme, würden sie, ihr Gebiet, ihre Völker, die ersten Opfer dieses Krieges sein.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    In der Welt der Giganten von heute kann dieses Friedensbedürfnis der europäischen Völker, soweit sie etwas dazu beitragen können, doch nur dadurch realisiert werden, daß sie sich zusammenschließen — und in einer bewaffneten Welt der Giganten bewaffnet zusammenschließen! Bewaffnet zusammenschließen, um den bedrohten Frieden, wenn es not ist, zu retten. Rußland kann also durchaus damit rechnen, daß eine europäische Gemeinschaft dieses tiefe Friedensbedürfnis hat. Das tiefe Friedensbedürfnis der europäischen Gemeinschaft ist identisch mit dem russischen Sicherheitsbedürfnis, soweit Europa in Betracht kommt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sollten — ich habe das auch in Straßburg so gesagt — daher das Argument, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wirklich auch dem russischen Sicherheitsbedürfnis entgegenkommt, zumal, wenn sie gar noch eingebettet sein sollte in Sicherheitspakte, an denen mitzuwirken Rußland möglich wäre, nicht allzuleicht aus der Hand geben, da immerhin die Alternativen außerordentlich karg und sehr bedenklich sind.
    Vielleicht darf ich zum Schluß dieser Erwägungen noch begrüßen, daß der Führer der Opposition versichert hat, auch die Opposition wisse, daß Europa sich einigen müsse. Wenn ich richtig mitgeschrieben habe, sprachen Sie, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, von europäischer Zusammenarbeit — das ist nicht so viel wie europäische Einigung —, und zwar so eng wie möglich und mit der denkbar größten Zahl. Wir sind uns einig. Das wollen auch wir. Ich hoffe, daß wir, durch die Ereignisse der letzten Jahre belehrt, auch da in manchen Punkten einiger werden, als wir es am Anfang oder bisher gewesen sind.
    Herr Kollege Dehler hat — wenn ich ihn recht verstanden habe — davon. gesprochen, er habe gelernt, daß Mut das eigentliche Stigma des Politikers sei.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Am Sonntag?!)

    Ich würde sagen: der Mut zum Verwirklichen. Man kann Konzeptionen entwerfen, man kann kritisieren und man kann analysieren. Aber der Schritt von da zur Realisierung ist der Schritt, der aus dem bloßen Intellektuellen den Politiker macht.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Gilt das auch für die Außenpolitiker? — Das Beispiel Ihres Wahlkreises!)

    Gerade auf diesem Gebiet haben wir nun das
    Glück — und wir haben in Deutschland nicht oft


    (Kiesinger)

    das Glück gehabt —, erneut jemanden an der Spitze unserer Regierung zu wissen, dessen eigentliches Ingenium das Verwirklichen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Darüber sollte sogar dann und wann auch in den Reihen unserer Opposition eine kleine Freude herrschen; denn was er für unser ganzes deutsches Volk in diesem Prozeß des Verwirklichens in den vergangenen vier Jahren mit unserer Unterstützung herausgeholt hat und in den kommenden vier Jahren — so hoffen wir zu Gott — herausholen wird, kommt uns allen — Sie eingeschlossen — zugute.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zum Abschluß ein Wort zum Theoretischen. Herr Kollege Dr. Dehler, Sie haben bei Ihren Ausführungen über die Krise des Rechts darauf hingewiesen, daß diese Krise des Rechts — beklagenswert, wie sie ist — durch eine Überbürdung des Staates mit allzuvielen Geschäften, daß eine Inflationierung des Rechts eingetreten sei. Soweit geben wir Ihnen das gerne zu. Sie haben dann in einem hochgemuten Bekenntnis zum Liberalismus noch einmal jenen humanitären Optimismus ihrer geistigen Vorfahren aufgenommen, der sich doch immerhin im Laufe der Jahrzehnte manche Korrektur — ja manche schreckliche Korrektur — hat gefallen lassen müssen. Ich sage das nicht, um zwischen uns beiden ein Streitgespräch zu beginnen — ich weiß mich im letzten und tiefsten mit Ihnen einig —, sondern deswegen, weil wir in meiner Partei, die im Jahre 1945 als Christlich-Demokratische Union angetreten ist, die Krise tiefer sehen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Wir haben bei dieser Debatte keine kulturpolitische Auseinandersetzung geführt. Ich will meine Freunde von der CSU nicht erschrecken;

    (Heiterkeit bei der CDU)

    ich will es auch jetzt nicht tun. Aber es fiel dann und wann gelegentlich der Hinweis auf das Konfessionelle, auf konfessionelle Streitigkeiten. Eine Bitte, meine Damen und Herren! Konfessionelle Probleme hat die Christlich-Demokratische Union selbstverständlich. Sie wird sie immer haben; denn sie hat es ja fertiggebracht, nach der Katastrophe das Erstaunliche zu vollziehen, etwas, was vierhundert Jahre unseliger deutscher Geschichte hindurch sich in den Haaren lag, zu einer großartigen neuen politischen Kraft zusammenzubringen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe Von der SPD.)

    Wenn Sie solche Auseinandersetzungen unter uns hören, so heißt das doch nur, das, was wir da vollbracht haben, nun im Bezirk des Menschlichen in aller christlichen Nächstenliebe untereinander auszumachen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Aber niemand — die Wahlen vom 6. September haben es bewiesen, und künftige Wahlen werden es erneut beweisen — wird darauf bauen dürfen, daß diese freundschaftlichen Auseinandersetzungen je dazu führen könnten, uns auseinanderzubringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich schließe ehrlich und herzlich mit dem Appell an die Opposition: Versuchen wir's, ohne Verwischung der sachlichen Gegensätze und der Meinungsverschiedenheiten, ohne falsche politische Romantik, neu miteinander! Und mit dem Appell an meine Freunde, den großen Auftrag, den uns das deutsche Volk am 6. September gegeben hat, gemäß der Größe dieses Auftrags in den kommenden vier Jahren zu erfüllen. Ich spreche als letztes ein Wort des Trostes, des Mutes und der Ermunterung über die Grenzen des Eisernen Vorhangs hinüber zu jenen 18 Millionen Deutschen im Osten und bitte sie, uns zu glauben, daß wir zu keiner Stunde unserer Arbeit hier ihr Schicksal vergessen werden bis zu dem Tag, der uns alle vereint findet in einem freien Deutschland in einer freien Welt.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)