Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Eckhardt hat gestern namens des Gesamtdeutschen Blocks/BHE zu den Sachgebieten Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Regierungserklärung Stellung genommen. Ich möchte Ihnen heute auch zu einigen anderen Dingen der Regierungserklärung die Stellungnahme des Gesamtdeutschen Blocks vermitteln.
Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß wir uns zur Regierungserklärung positiv einstellen. Es ist uns trotzdem bewußt, daß unsere besonderen Wünsche wie die aller anderen Partner der Koalition von Fall zu Fall durchzusetzen und notfalls auch durchzukämpfen sein werden. Es war in der Regierungserklärung und in der Generaldebatte bisher schon viel von dem erfreulichen Umstand die Rede, daß das deutsche Volk sich unter Abkehr von extremen Richtungen für jene Parteien entschieden hat, die in Bund und Ländern bewiesen haben, daß sie positive Arbeit zu leisten imstande sind. Wir haben dies als unverkennbares Zeichen der beginnenden politischen Reife des deutschen Volkes gewertet. Wenn aber dieses Ergebnis unter dem bisherigen Wahlgesetz zustande gekommen
ist, dann sehen meine Freunde nicht ganz ein, weshalb hier bereits der Ruf nach einer Änderung dieses Gesetzes laut wird, weshalb trotz der guten Erfahrungen mit eben diesem Wahlsystem das Stichwort von dem Mehrheitswahlrecht gleich nach der Wahl wieder auftaucht
und nicht verschwindet. Es scheint mir im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht tunlich, aus den Debatten des ersten Bundestages das Für und Wider des gestern hier angesprochenen Mehrheitswahlrechts zu wiederholen. Lassen Sie mich Ihnen aber eines sagen, was, soweit ich feststellen konnte, in den Debatten des ersten Bundestages nicht eine breitere Beachtung gefunden hat und in diesem Zusammenhang doch angesprochen werden muß. Wir können es uns nicht leisten, durch irgendein Wahlrecht jene Umstände schwieriger zu gestalten, die bei einer Wiedervereinigung zu Problemen würden. Das Mehrheitswahlrecht kann überhaupt nur da zu befriedigenden Ergebnissen führen, wo eine traditionsreiche Vergangenheit ein Zweiparteiensystem herausgebildet hat und wo nun diese Parteien dem einzelnen Staatsbürger in ihrem Wollen und in ihrem Programm genauestens bekannt sind. Man kann darüber streiten, wie weit wir von dieser Entwicklung hier im Westen noch entfernt sind. Sicher ist die Entwicklung gegenwärtig noch nicht so weit. Man kann aber meines Erachtens nicht darüber streiten, daß in Mitteldeutschland, also in der sowjetisch besetzten Zone, eine solche Entwicklung noch nicht einmal in ihren Anfängen vorhanden sein kann. Wer von unseren Brüdern und Schwestern der Zwischenzone weiß denn etwas von den wirklichen Bestrebungen unserer demokratischen politischen Parteien, die hoffentlich auch in Zukunft die Geschicke unseres Volkes bestimmen und leiten werden?
Wir sollten auch allen Anschein vermeiden, als ob wir im Falle einer Wiedervereinigung den Willen unserer Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs in eine bestimmte Form pressen möchten. Wir wollen gemeinsam einen politischen Weg finden, und wir sollten alle Schranken vermeiden, die diese Willensbildung erschweren oder eine Willensbildung im echten demokratischen Sinne vielleicht sogar unmöglich machen würden.
Doch ich erwähnte bereits, daß es mir heute nicht tunlich erscheint, in allen Einzelheiten das Für und Wider eines neuen Wahlrechts zu erörtern. Wir werden — und das nehmen wir als eine positive Anregung des Sprechers der CDU/CSU — hoffentlich in nächster Zeit mit diesen Erörterungen beginnen, und wir meinen, daß wir bei allseitigem Verständnis auch hier eine Regelung finden werden, die auf der einen Seite nicht gegen die Überzeugung des einen Teils, auf der anderen Seite aber auch nicht gegen die Notwendigkeiten der Gestaltung eines gemeinsamen politischen Lebens verstößt.
Die Bemühungen um ein Gesamtdeutschland sollen und werden auch im Vordergrund unserer Erwägungen und unserer Bemühungen stehen. Wir betrachten die Frage Gesamtdeutschlands — es ist leider unter den gegenwärtigen Verhältnissen so — auch als eine Grenzfrage der deutschen Außenpolitik.
In dieser deutschen Außenpolitik wird es eigentlich nur drei wesentliche Dinge geben, die wir in den nächsten Jahren vordringlich zu erledigen haben. Die Bemühungen um die weitere Durchsetzung der deutschen Gleichberechtigung finden die Unterstützung des ganzen Hauses und vorbehaltlos auch die unsere. Die europäische Integration wünschen wir ebenfalls voranzutreiben. Es scheint uns — und damit befinden wir uns in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundeskanzler — die Grundlade für eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik überhaupt zu sein, daß diese Integration Wirklichkeit wird. Wir stehen daher hinter den Westverträgen. Wir sind nicht blind gegenüber der manchenorts diesen Verträgen entgegengebrachten Skepsis. Auch uns wäre es lieber, wenn eine Reihe von Bestimmungen mehr den Geist einer vorbehaltlosen europäischen Zusammenarbeit aufgezeigt hätte. Doch ließ sich wahrscheinlich unter den gegebenen Umständen nicht mehr erreichen als eben die ersten Schritte.
Die Fragen der deutschen Ostpolitik schließlich
— das ist ebenfalls in diesem Hause schon zum Ausdruck gekommen — wünschen wir auch auf der Grundlage einer europäischen Zusammenarbeit zu behandeln. Aber für den Gang dieser Dinge
— das muß ich in Anbetracht der Ausführungen meines Herrn Vorredners doch einmal sehr deutlich sagen — wird die Regelung der Saarfrage eine erhebliche und sogar eine grundsätzliche Bedeutung haben. Wir wissen sehr wohl zwischen der Behandlung des Deutschtums und seiner Belange in Ost und West zu unterscheiden. Wir wissen sehr wohl den Grad des Unrechts abzuwägen, das täglich hüben oder drüben geschieht. Wir sind sehr weit davon entfernt, dem östlichen Übel nun ein gleiches westliches zur Seite zu stellen, um eine unfruchtbare Neutralitätspolitik, einen Ohne-michStandpunkt zu propagieren.
Aber in der Frage des Völkerrechts — und um eine solche handelt es sich bei der Behandlung der Saarfrage — ist das, was im Westen Unrecht ist, im Osten auch Unrecht, und das, was gegenüber dem Westen Recht werden könnte, würde dann auch gegenüber dem Osten Recht.
Wenn wir in der Saarfrage nicht eine Lösung finden, die unserem völkerrechtlichen Status gerecht wird, können wir uns gegen gewisse Forderungen des Ostens nicht mehr mit der Deutlichkeit erfolgreich zur Wehr setzen, die uns heute noch möglich wäre.
Wir haben mit Freude vernommen, daß die Saarfrage mit einer sehr hohen Verantwortung von allen Seiten des Hauses angesprochen worden ist. Auch wir haben Verständnis dafür, daß hier Empfindlichkeiten unseres westlichen Nachbarn geschont, daß seine wirtschaftlichen Belange berücksichtigt werden müssen. Wir schließen uns in weitem Maße dem an, was hier gesagt worden ist. Wir haben nur die Bitte, daß hinsichtlich der staatsrechtlichen Stellung des Saargebiets nicht Regelungen getroffen werden, die in allgemeiner Hinsicht präjudizierend für das Schicksal des Deutschtums in Ost und Südost sein könnten.
An der Saar wie im Osten wird, wenn eine friedliche Ordnung erreicht werden soll, davon auszugehen sein, daß die Ereignisse des Jahres 1945 kein neues Völkerrecht geschaffen haben. Die
neuen Grundlagen des zwischenstaatlichen Rechts, unter dem wir einmal leben müssen, werden wir uns erst zu erarbeiten haben. Die Ordnung, unter der das Europa der Zukunft stehen soll, wird — das ist jedenfalls unsere Meinung — einen Abbau des übersteigerten nationalstaatlichen Prinzips mit sich bringen müssen, oder es wird eben keine wirklich neue Ordnung sein. Solange Grenzen die Bedeutung einer unübersteigbaren Schranke haben, solange die Staatsgewalt nach dem Gesichtspunkt des wirklichen oder angenommenen ausschließlichen Interesses ihres Staatsvolkes oder einer Mehrheit davon den Anspruch einer absoluten Regelung aller Dinge geltend macht, wird unser altes Europa mit seiner Verzahnung von Völkerschaften, besonders in - Mittel- und Osteuropa, nicht zur Ruhe kommen. Die Austreibung der nationalen Minderheiten, die vor mehr als 30 Jahren zwischen Türkei und Griechenland versucht wurde, die also mit der Aussiedlung von Millionen Menschen damals schon anfing und die schließlich mit der Vertreibung der gesamten Bevölkerung weiter Teile Mittel- und Osteuropas endete, ist letzten Endes das Ergebnis des übersteigerten nationalstaatlichen Prinzips. Dieses Verfahren der Austreibung hat aber keine Lösung gebracht. Es hat nur deutlich gemacht, daß selbst die vielgepriesene Höherentwicklung der Menschheit, daß alle Geisteskultur der letzten Jahrhunderte und daß auch zweitausend Jahre Christentum unmenschliche Maßnahmen nicht ausschließen konnten.
Diese unmenschlichen Lösungen dürfen und sollen in der Zukunft nicht mit gleichen Methoden beantwortet werden. Gedanken an Rache, an neues Unrecht liegen uns fern. Wir könnten der europäischen Idee und unserem Volk keinen schlechteren Dienst tun, als wenn wir diese Gedankengänge einer Rache, einer Restaurierung im alten Sinne ventilierten. Das Recht auf Heimat, das wir als Naturrecht empfinden, beanspruchen wir für unsere deutschen Mitbürger aber mit der gleichen Intensität und Bedingungslosigkeit wie auch die Bürger aller anderen Nationen und Völker, und wir wünschen, daß es einmal Bestandteil eines Völkerrechts für alle wird.
Bauen wir die Bedeutung der Grenzen ab, nehmen wir der Selbstsucht und der Selbstgefälligkeit des sogenannten nationalstaatlichen Prinzips weitgehend die Möglichkeit, das Leben des einzelnen ausschließlich zu gestalten, entwerten wir das Trennende zwischen den Völkern! Dann wird die Durchsetzung des Heimatrechts für jedermann auch möglich sein, ohne daß Europa in eine neue Katastrophe hineinstürzt.
Nun noch ein paar Worte zur Innenpolitik. Mein Kollege Dr. Eckhardt hat das Wichtigste aus dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik gesagt. Aber lassen Sie mich bitte noch den Leitsatz herausarbeiten, unter dem nach der Meinung meiner Freunde die gesamte innere Politik zu stehen hat. Dieser Leitsatz geht dahin, daß Verhältnisse in unserem Lande geschaffen werden müssen, welche die Überlegenheit unseres politischen und wirtschaftlichen Systems gegenüber anderen Regelungen so deutlich und unbestreitbar machen, daß dieses System in der Welt fest steht und auch die anderen in seinen Bann, in seinen Einflußkreis hineinziehen kann. Es kann heute leider nicht bestritten werden, daß es bislang für einen sehr erheblichen Teil des Volkes noch nicht gelungen ist, die sozialen Verhältnisse in unserem Westdeutschland befriedigend zu gestalten. Besonders
deutlich zeigt sich das auf dem Gebiet der Renten.
— Meine Herren, auch wenn Sie widersprechen, es ist leider so. Es gibt immer noch Millionen von Menschen in Deutschland, die weit unter dem Existenzminimum leben müssen, das für unsere westliche Kultur und für unsere Wirtschaftsverhältnisse das gegebene sein sollte. Ich möchte nicht sagen, daß das unbedingt böser Wille ist, daß diese Verhältnisse noch so liegen. Es sind zweifellos Anstrengungen gemacht worden, um auch gerade auf dem Gebiet des Rentenwesens befriedigendere Lösungen zu schaffen; das Ergebnis blieb aber unbefriedigend. Wir können hier nicht allein nach fiskalischen Gesichtspunkten vorgehen. Wir müssen dieses Problem auch von einem allgemein menschlichen Standpunkt aus sehen. Es ist unmöglich, ein Volk sozial zu einen und zu befrieden, wenn man einen großen Teil des Volkes von der Entwicklung ausnimmt.
Wir dürfen die Augen auch nicht vor der Tatsache verschließen, daß Millionen von Vertriebenen und Kriegsgeschädigten noch nicht den Anschluß an unsere soziale Entwicklung gefunden haben.
Auch hier mußten bisher Zehntausende arbeitswilliger tüchtiger Mitbürger abseitsstehen. Bei unserem Verlangen nach beschleunigter Eingliederung dieser Bevölkerungskreise geht es nicht nur um die Ablösung einer unproduktiven Fürsorge durch aufbauende Mitarbeit. Es geht auch nicht nur um die Erfüllung von Rechtsansprüchen, und ich darf diesen Ausdruck „Rechtsansprüche" hier noch einmal betonen. Das Wesentlichere ist eben die Schaffung sozialer Zustände, die möglichst von der Gesamtheit des Volkes, also auch von den Hauptgeschädigten des letzten Krieges, bejaht und gegen die Ideen des Ostens verteidigt werden können.
Ganz besondere Aufmerksamkeit verdienen die Probleme des heimatvertriebenen Landvolks. Wir können es uns nicht leisten, meine Damen und Herren, das wichtigste Fundament für den Wiederaufbau eines geeinten Deutschlands, das Bauerntum des Ostens nämlich, aufzugeben. Zeitverlust in der Eingliederung bedeutet aber in diesem Falle Aufgabe. Denn die tüchtigen Menschen dieses Landvolks suchen sich gezwungenermaßen einen Ausweg durch Arbeitsaufnahme in anderen Zweigen unserer Wirtschaft. Jeder Landwirt wird bestätigen, daß besonders unter der jüngeren Generation des Bauerntums mit einem völligen Abschreiben zu rechnen ist, sobald eben die heranwachsende Generation dieses Bauerntums einmal berufsfremd geworden ist.
Dem Deutschtum werden, wenn diese Entwicklung in den nächsten Jahren nicht aufgehalten werden kann, die Grundlagen fehlen; seine östlichen Provinzen wieder einmal aufzubauen.
Dieser Aufbau — das ist uns allen klar — könnte niemals von irgendeiner städtischen Schicht, niemals von der Industrie erfolgen, auch nicht von einem noch so tüchtigen Beamtenkörper. Wenn er sich nicht gründet auf ein gesundes Bauerntum,
das sich seiner Aufgabe bewußt ist, und wenn dieses Bauerntum nicht zum deutschen Volkstum gehört, dann wird all unser Bemühen insoweit vergeblich sein.
Lassen Sie mich in Anbetracht der Wichtigkeit dieses Problems Ihnen hier nur drei Zahlen nennen. Es waren fast 400 000 Familien landwirtschaftlicher Abkunft, die im Jahre 1945 und in den nächsten Jahren hier wieder seßhaft werden wollten, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gegeben hätte. Die größten Anstrengungen führten bisher nur dazu, daß zirka 38 000 Familien seßhaft gemacht wurden. In diesen acht Jahren sind aber mehr als 150 000 Siedlungswillige in andere Berufe gegangen. Damit haben wir heute schon fast die Hälfte der Substanz verloren. Wir glauben aber — und das entnehmen wir der Regierungserklärung und Verhandlungen, die vorher geführt wurden —, daß diesem Problem der Eingliederung der Vertriebenen nunmehr erhöhte Bedeutung beigemessen wird.
Das soll auch in einer Umorganisation des Fachministeriums zum Ausdruck kommen, das zu einem Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte hoffentlich schon recht bald ausgebaut werden kann,
einem Ministerium im übrigen, dem man auch die Ausgabenseite des Lastenausgleichs und damit die Möglichkeit, die für richtig erkannte Arbeit auch praktisch durchzuführen, überlassen muß. Es ist unmöglich, daß der politisch verantwortliche Minister zur Durchsetzung seiner Aufgaben beim Vorhandensein der dafür erforderlichen Mittel andere Stellen einschalten muß, die vielleicht von anderen Erwägungen ausgehen als eben jenen, die dem Vertriebenenminister obliegen.
Wir glauben, daß, je früher diese Umstellung vorgenommen wird, um so erfolgreicher die auf vielen Gebieten vordringliche Arbeit des Ministeriums gestaltet werden kann.
Lassen Sie mich bitte zum Schluß kommen. Ich deutete schon bei der Behandlung der innenpolitischen Probleme an, daß nicht die Propaganda für irgendeine Staatsform, daß nicht eine geschickte Berichterstattung in der Öffentlichkeit den sozialen Frieden ausmacht, sondern daß es letztlich die wirklichen Zustände sind. Mühen wir uns alle darum, daß diese sozialen Zustände jedem von uns die Befriedigung geben, in diesem Lande zu wohnen und zu arbeiten. Geben Sie uns in Westdeutschland durch eine positive Gestaltung der sozialen Verhältnisse die Möglichkeit, unsere Brüder im Osten und darüber hinaus in Osteuropa davon zu überzeugen, daß unser System, das westliche, das aus der christlich-abendländischen Kultur resultierende, das überlegene gegenüber dem System des Ostens ist.
Wir finden in der Regierungserklärung so reichliche Anklänge an dieses Prinzip, daß wir in der Lage sind, dem Herrn Bundeskanzler für diese Erklärung zu danken und ihm unsere Mitarbeit und die Mitarbeit im gesamten Kabinett zuzusichern.