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ID0200502100

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    6. Dr.: 1
    7. Kather.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953 65 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1953. Geschäftliche Mitteilungen 65 C Änderung der Tagesordnung, — Absetzung der Wahl der Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt . 65 C Nächste Fragestunde 65 C Teilnahme des Sprechers des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten von Amerika an der Sitzung 65 C Präsident D. Dr. Ehlers . . . . 65 D, 67 A Joseph W. Martin, Speaker des. amerikanischen Repräsentantenhauses . . . 65 D Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 34) 68 B Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses kraft Wahl (Drucksache 35) 68 B, 82 A Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Drucksache 3'7) 68 C Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost (Drucksache 39) . . . . 68 D Wahl der Wahlmänner für die vom Bundestag zu berufenden Richter beim Bundesverfassungsgericht (Drucksache 36) 69 A, 82 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 20. Oktober 1953 69 B Dr. von Merkatz (DP) 69 B Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau '79 A Jacobi (SPD) 82 B Dr. Jaeger (CSU) 83 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU) . . . 88 D Haasler (GB/BHE) 94 D Dr. Kather (CDU) 97 C, 103 C Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene 100 B Dr. Schöne (SPD) 100 D Dr. Gille (GB/BHE) 102 C Kiesinger (CDU) 103 D Nächste Sitzung 108 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Horst Haasler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Eckhardt hat gestern namens des Gesamtdeutschen Blocks/BHE zu den Sachgebieten Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Regierungserklärung Stellung genommen. Ich möchte Ihnen heute auch zu einigen anderen Dingen der Regierungserklärung die Stellungnahme des Gesamtdeutschen Blocks vermitteln.
    Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß wir uns zur Regierungserklärung positiv einstellen. Es ist uns trotzdem bewußt, daß unsere besonderen Wünsche wie die aller anderen Partner der Koalition von Fall zu Fall durchzusetzen und notfalls auch durchzukämpfen sein werden. Es war in der Regierungserklärung und in der Generaldebatte bisher schon viel von dem erfreulichen Umstand die Rede, daß das deutsche Volk sich unter Abkehr von extremen Richtungen für jene Parteien entschieden hat, die in Bund und Ländern bewiesen haben, daß sie positive Arbeit zu leisten imstande sind. Wir haben dies als unverkennbares Zeichen der beginnenden politischen Reife des deutschen Volkes gewertet. Wenn aber dieses Ergebnis unter dem bisherigen Wahlgesetz zustande gekommen


    (Haasler)

    ist, dann sehen meine Freunde nicht ganz ein, weshalb hier bereits der Ruf nach einer Änderung dieses Gesetzes laut wird, weshalb trotz der guten Erfahrungen mit eben diesem Wahlsystem das Stichwort von dem Mehrheitswahlrecht gleich nach der Wahl wieder auftaucht

    (Zuruf von der CDU: Höchste Zeit!)

    und nicht verschwindet. Es scheint mir im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht tunlich, aus den Debatten des ersten Bundestages das Für und Wider des gestern hier angesprochenen Mehrheitswahlrechts zu wiederholen. Lassen Sie mich Ihnen aber eines sagen, was, soweit ich feststellen konnte, in den Debatten des ersten Bundestages nicht eine breitere Beachtung gefunden hat und in diesem Zusammenhang doch angesprochen werden muß. Wir können es uns nicht leisten, durch irgendein Wahlrecht jene Umstände schwieriger zu gestalten, die bei einer Wiedervereinigung zu Problemen würden. Das Mehrheitswahlrecht kann überhaupt nur da zu befriedigenden Ergebnissen führen, wo eine traditionsreiche Vergangenheit ein Zweiparteiensystem herausgebildet hat und wo nun diese Parteien dem einzelnen Staatsbürger in ihrem Wollen und in ihrem Programm genauestens bekannt sind. Man kann darüber streiten, wie weit wir von dieser Entwicklung hier im Westen noch entfernt sind. Sicher ist die Entwicklung gegenwärtig noch nicht so weit. Man kann aber meines Erachtens nicht darüber streiten, daß in Mitteldeutschland, also in der sowjetisch besetzten Zone, eine solche Entwicklung noch nicht einmal in ihren Anfängen vorhanden sein kann. Wer von unseren Brüdern und Schwestern der Zwischenzone weiß denn etwas von den wirklichen Bestrebungen unserer demokratischen politischen Parteien, die hoffentlich auch in Zukunft die Geschicke unseres Volkes bestimmen und leiten werden?
    Wir sollten auch allen Anschein vermeiden, als ob wir im Falle einer Wiedervereinigung den Willen unserer Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs in eine bestimmte Form pressen möchten. Wir wollen gemeinsam einen politischen Weg finden, und wir sollten alle Schranken vermeiden, die diese Willensbildung erschweren oder eine Willensbildung im echten demokratischen Sinne vielleicht sogar unmöglich machen würden.
    Doch ich erwähnte bereits, daß es mir heute nicht tunlich erscheint, in allen Einzelheiten das Für und Wider eines neuen Wahlrechts zu erörtern. Wir werden — und das nehmen wir als eine positive Anregung des Sprechers der CDU/CSU — hoffentlich in nächster Zeit mit diesen Erörterungen beginnen, und wir meinen, daß wir bei allseitigem Verständnis auch hier eine Regelung finden werden, die auf der einen Seite nicht gegen die Überzeugung des einen Teils, auf der anderen Seite aber auch nicht gegen die Notwendigkeiten der Gestaltung eines gemeinsamen politischen Lebens verstößt.
    Die Bemühungen um ein Gesamtdeutschland sollen und werden auch im Vordergrund unserer Erwägungen und unserer Bemühungen stehen. Wir betrachten die Frage Gesamtdeutschlands — es ist leider unter den gegenwärtigen Verhältnissen so — auch als eine Grenzfrage der deutschen Außenpolitik.
    In dieser deutschen Außenpolitik wird es eigentlich nur drei wesentliche Dinge geben, die wir in den nächsten Jahren vordringlich zu erledigen haben. Die Bemühungen um die weitere Durchsetzung der deutschen Gleichberechtigung finden die Unterstützung des ganzen Hauses und vorbehaltlos auch die unsere. Die europäische Integration wünschen wir ebenfalls voranzutreiben. Es scheint uns — und damit befinden wir uns in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundeskanzler — die Grundlade für eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik überhaupt zu sein, daß diese Integration Wirklichkeit wird. Wir stehen daher hinter den Westverträgen. Wir sind nicht blind gegenüber der manchenorts diesen Verträgen entgegengebrachten Skepsis. Auch uns wäre es lieber, wenn eine Reihe von Bestimmungen mehr den Geist einer vorbehaltlosen europäischen Zusammenarbeit aufgezeigt hätte. Doch ließ sich wahrscheinlich unter den gegebenen Umständen nicht mehr erreichen als eben die ersten Schritte.
    Die Fragen der deutschen Ostpolitik schließlich
    — das ist ebenfalls in diesem Hause schon zum Ausdruck gekommen — wünschen wir auch auf der Grundlage einer europäischen Zusammenarbeit zu behandeln. Aber für den Gang dieser Dinge
    — das muß ich in Anbetracht der Ausführungen meines Herrn Vorredners doch einmal sehr deutlich sagen — wird die Regelung der Saarfrage eine erhebliche und sogar eine grundsätzliche Bedeutung haben. Wir wissen sehr wohl zwischen der Behandlung des Deutschtums und seiner Belange in Ost und West zu unterscheiden. Wir wissen sehr wohl den Grad des Unrechts abzuwägen, das täglich hüben oder drüben geschieht. Wir sind sehr weit davon entfernt, dem östlichen Übel nun ein gleiches westliches zur Seite zu stellen, um eine unfruchtbare Neutralitätspolitik, einen Ohne-michStandpunkt zu propagieren.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der DP.)

    Aber in der Frage des Völkerrechts — und um eine solche handelt es sich bei der Behandlung der Saarfrage — ist das, was im Westen Unrecht ist, im Osten auch Unrecht, und das, was gegenüber dem Westen Recht werden könnte, würde dann auch gegenüber dem Osten Recht.

    (Beifall beim GB/BHE.)

    Wenn wir in der Saarfrage nicht eine Lösung finden, die unserem völkerrechtlichen Status gerecht wird, können wir uns gegen gewisse Forderungen des Ostens nicht mehr mit der Deutlichkeit erfolgreich zur Wehr setzen, die uns heute noch möglich wäre.

    (Zustimmung beim GB/BHE.)

    Wir haben mit Freude vernommen, daß die Saarfrage mit einer sehr hohen Verantwortung von allen Seiten des Hauses angesprochen worden ist. Auch wir haben Verständnis dafür, daß hier Empfindlichkeiten unseres westlichen Nachbarn geschont, daß seine wirtschaftlichen Belange berücksichtigt werden müssen. Wir schließen uns in weitem Maße dem an, was hier gesagt worden ist. Wir haben nur die Bitte, daß hinsichtlich der staatsrechtlichen Stellung des Saargebiets nicht Regelungen getroffen werden, die in allgemeiner Hinsicht präjudizierend für das Schicksal des Deutschtums in Ost und Südost sein könnten.

    (Sehr richtig! beim GB/BHE.)

    An der Saar wie im Osten wird, wenn eine friedliche Ordnung erreicht werden soll, davon auszugehen sein, daß die Ereignisse des Jahres 1945 kein neues Völkerrecht geschaffen haben. Die


    (Haasler)

    neuen Grundlagen des zwischenstaatlichen Rechts, unter dem wir einmal leben müssen, werden wir uns erst zu erarbeiten haben. Die Ordnung, unter der das Europa der Zukunft stehen soll, wird — das ist jedenfalls unsere Meinung — einen Abbau des übersteigerten nationalstaatlichen Prinzips mit sich bringen müssen, oder es wird eben keine wirklich neue Ordnung sein. Solange Grenzen die Bedeutung einer unübersteigbaren Schranke haben, solange die Staatsgewalt nach dem Gesichtspunkt des wirklichen oder angenommenen ausschließlichen Interesses ihres Staatsvolkes oder einer Mehrheit davon den Anspruch einer absoluten Regelung aller Dinge geltend macht, wird unser altes Europa mit seiner Verzahnung von Völkerschaften, besonders in - Mittel- und Osteuropa, nicht zur Ruhe kommen. Die Austreibung der nationalen Minderheiten, die vor mehr als 30 Jahren zwischen Türkei und Griechenland versucht wurde, die also mit der Aussiedlung von Millionen Menschen damals schon anfing und die schließlich mit der Vertreibung der gesamten Bevölkerung weiter Teile Mittel- und Osteuropas endete, ist letzten Endes das Ergebnis des übersteigerten nationalstaatlichen Prinzips. Dieses Verfahren der Austreibung hat aber keine Lösung gebracht. Es hat nur deutlich gemacht, daß selbst die vielgepriesene Höherentwicklung der Menschheit, daß alle Geisteskultur der letzten Jahrhunderte und daß auch zweitausend Jahre Christentum unmenschliche Maßnahmen nicht ausschließen konnten.
    Diese unmenschlichen Lösungen dürfen und sollen in der Zukunft nicht mit gleichen Methoden beantwortet werden. Gedanken an Rache, an neues Unrecht liegen uns fern. Wir könnten der europäischen Idee und unserem Volk keinen schlechteren Dienst tun, als wenn wir diese Gedankengänge einer Rache, einer Restaurierung im alten Sinne ventilierten. Das Recht auf Heimat, das wir als Naturrecht empfinden, beanspruchen wir für unsere deutschen Mitbürger aber mit der gleichen Intensität und Bedingungslosigkeit wie auch die Bürger aller anderen Nationen und Völker, und wir wünschen, daß es einmal Bestandteil eines Völkerrechts für alle wird.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der DP.)

    Bauen wir die Bedeutung der Grenzen ab, nehmen wir der Selbstsucht und der Selbstgefälligkeit des sogenannten nationalstaatlichen Prinzips weitgehend die Möglichkeit, das Leben des einzelnen ausschließlich zu gestalten, entwerten wir das Trennende zwischen den Völkern! Dann wird die Durchsetzung des Heimatrechts für jedermann auch möglich sein, ohne daß Europa in eine neue Katastrophe hineinstürzt.
    Nun noch ein paar Worte zur Innenpolitik. Mein Kollege Dr. Eckhardt hat das Wichtigste aus dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik gesagt. Aber lassen Sie mich bitte noch den Leitsatz herausarbeiten, unter dem nach der Meinung meiner Freunde die gesamte innere Politik zu stehen hat. Dieser Leitsatz geht dahin, daß Verhältnisse in unserem Lande geschaffen werden müssen, welche die Überlegenheit unseres politischen und wirtschaftlichen Systems gegenüber anderen Regelungen so deutlich und unbestreitbar machen, daß dieses System in der Welt fest steht und auch die anderen in seinen Bann, in seinen Einflußkreis hineinziehen kann. Es kann heute leider nicht bestritten werden, daß es bislang für einen sehr erheblichen Teil des Volkes noch nicht gelungen ist, die sozialen Verhältnisse in unserem Westdeutschland befriedigend zu gestalten. Besonders
    deutlich zeigt sich das auf dem Gebiet der Renten.

    (Zurufe.)

    — Meine Herren, auch wenn Sie widersprechen, es ist leider so. Es gibt immer noch Millionen von Menschen in Deutschland, die weit unter dem Existenzminimum leben müssen, das für unsere westliche Kultur und für unsere Wirtschaftsverhältnisse das gegebene sein sollte. Ich möchte nicht sagen, daß das unbedingt böser Wille ist, daß diese Verhältnisse noch so liegen. Es sind zweifellos Anstrengungen gemacht worden, um auch gerade auf dem Gebiet des Rentenwesens befriedigendere Lösungen zu schaffen; das Ergebnis blieb aber unbefriedigend. Wir können hier nicht allein nach fiskalischen Gesichtspunkten vorgehen. Wir müssen dieses Problem auch von einem allgemein menschlichen Standpunkt aus sehen. Es ist unmöglich, ein Volk sozial zu einen und zu befrieden, wenn man einen großen Teil des Volkes von der Entwicklung ausnimmt.
    Wir dürfen die Augen auch nicht vor der Tatsache verschließen, daß Millionen von Vertriebenen und Kriegsgeschädigten noch nicht den Anschluß an unsere soziale Entwicklung gefunden haben.

    (Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

    Auch hier mußten bisher Zehntausende arbeitswilliger tüchtiger Mitbürger abseitsstehen. Bei unserem Verlangen nach beschleunigter Eingliederung dieser Bevölkerungskreise geht es nicht nur um die Ablösung einer unproduktiven Fürsorge durch aufbauende Mitarbeit. Es geht auch nicht nur um die Erfüllung von Rechtsansprüchen, und ich darf diesen Ausdruck „Rechtsansprüche" hier noch einmal betonen. Das Wesentlichere ist eben die Schaffung sozialer Zustände, die möglichst von der Gesamtheit des Volkes, also auch von den Hauptgeschädigten des letzten Krieges, bejaht und gegen die Ideen des Ostens verteidigt werden können.
    Ganz besondere Aufmerksamkeit verdienen die Probleme des heimatvertriebenen Landvolks. Wir können es uns nicht leisten, meine Damen und Herren, das wichtigste Fundament für den Wiederaufbau eines geeinten Deutschlands, das Bauerntum des Ostens nämlich, aufzugeben. Zeitverlust in der Eingliederung bedeutet aber in diesem Falle Aufgabe. Denn die tüchtigen Menschen dieses Landvolks suchen sich gezwungenermaßen einen Ausweg durch Arbeitsaufnahme in anderen Zweigen unserer Wirtschaft. Jeder Landwirt wird bestätigen, daß besonders unter der jüngeren Generation des Bauerntums mit einem völligen Abschreiben zu rechnen ist, sobald eben die heranwachsende Generation dieses Bauerntums einmal berufsfremd geworden ist.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Dem Deutschtum werden, wenn diese Entwicklung in den nächsten Jahren nicht aufgehalten werden kann, die Grundlagen fehlen; seine östlichen Provinzen wieder einmal aufzubauen.

    (Beifall beim GB/BHE.)

    Dieser Aufbau — das ist uns allen klar — könnte niemals von irgendeiner städtischen Schicht, niemals von der Industrie erfolgen, auch nicht von einem noch so tüchtigen Beamtenkörper. Wenn er sich nicht gründet auf ein gesundes Bauerntum,


    (Haasler)

    das sich seiner Aufgabe bewußt ist, und wenn dieses Bauerntum nicht zum deutschen Volkstum gehört, dann wird all unser Bemühen insoweit vergeblich sein.
    Lassen Sie mich in Anbetracht der Wichtigkeit dieses Problems Ihnen hier nur drei Zahlen nennen. Es waren fast 400 000 Familien landwirtschaftlicher Abkunft, die im Jahre 1945 und in den nächsten Jahren hier wieder seßhaft werden wollten, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gegeben hätte. Die größten Anstrengungen führten bisher nur dazu, daß zirka 38 000 Familien seßhaft gemacht wurden. In diesen acht Jahren sind aber mehr als 150 000 Siedlungswillige in andere Berufe gegangen. Damit haben wir heute schon fast die Hälfte der Substanz verloren. Wir glauben aber — und das entnehmen wir der Regierungserklärung und Verhandlungen, die vorher geführt wurden —, daß diesem Problem der Eingliederung der Vertriebenen nunmehr erhöhte Bedeutung beigemessen wird.
    Das soll auch in einer Umorganisation des Fachministeriums zum Ausdruck kommen, das zu einem Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte hoffentlich schon recht bald ausgebaut werden kann,

    (Beifall beim GB/BHE)

    einem Ministerium im übrigen, dem man auch die Ausgabenseite des Lastenausgleichs und damit die Möglichkeit, die für richtig erkannte Arbeit auch praktisch durchzuführen, überlassen muß. Es ist unmöglich, daß der politisch verantwortliche Minister zur Durchsetzung seiner Aufgaben beim Vorhandensein der dafür erforderlichen Mittel andere Stellen einschalten muß, die vielleicht von anderen Erwägungen ausgehen als eben jenen, die dem Vertriebenenminister obliegen.

    (Erneuter Beifall beim GB/BHE.)

    Wir glauben, daß, je früher diese Umstellung vorgenommen wird, um so erfolgreicher die auf vielen Gebieten vordringliche Arbeit des Ministeriums gestaltet werden kann.
    Lassen Sie mich bitte zum Schluß kommen. Ich deutete schon bei der Behandlung der innenpolitischen Probleme an, daß nicht die Propaganda für irgendeine Staatsform, daß nicht eine geschickte Berichterstattung in der Öffentlichkeit den sozialen Frieden ausmacht, sondern daß es letztlich die wirklichen Zustände sind. Mühen wir uns alle darum, daß diese sozialen Zustände jedem von uns die Befriedigung geben, in diesem Lande zu wohnen und zu arbeiten. Geben Sie uns in Westdeutschland durch eine positive Gestaltung der sozialen Verhältnisse die Möglichkeit, unsere Brüder im Osten und darüber hinaus in Osteuropa davon zu überzeugen, daß unser System, das westliche, das aus der christlich-abendländischen Kultur resultierende, das überlegene gegenüber dem System des Ostens ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir finden in der Regierungserklärung so reichliche Anklänge an dieses Prinzip, daß wir in der Lage sind, dem Herrn Bundeskanzler für diese Erklärung zu danken und ihm unsere Mitarbeit und die Mitarbeit im gesamten Kabinett zuzusichern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kather.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Linus Kather


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr von Brentano hat gestern hier zutreffend ausgeführt, daß mindestens 50 % der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU die Stimme gegeben haben. Das sind 3 1/2 Millionen Wähler. Dieses Ergebnis der Wahl ist vielfach so ausgelegt worden, als ob die Vertriebenen nach der wirtschaftlichen Eingliederung nunmehr auch die politische Eingliederung vollzogen hätten. Auch in der Regierungserklärung ist diese Auffassung angeklungen. Ich halte diese Ansicht nicht für zutreffend. Die Vertriebenen in ihrer überwiegenden Mehrzahl sind weder wirtschaftlich eingegliedert, noch haben sie sich bei der letzten Wahl politisch festgelegt.

    (Beifall bei der CDU.)

    Für ihre Haltung bei den Wahlen gab es mehrere Gründe. Einmal bejahten sie den außenpolitischen Weg des Herrn Bundeskanzlers, zweitens war es ihnen nicht verborgen geblieben, daß bei allem, was in diesem Hause an gesetzlichen Grundlagen für die Eingliederung geschaffen wurde, die stärksten Impulse aus unseren Reihen hervorgegangen sind. Andererseits waren keinerlei Tatbestände sichtbar, die einen besonderen Anreiz gegeben hätten, anderen Parteien bevorzugt die Stimme zu geben. Trotzdem halte ich es nicht für richtig, daraus eine politische Festlegung zu folgern.
    Auch mit der wirtschaftlichen Eingliederung sind wir noch nicht über den Berg. Der neue Bundesvertriebenenminister steht immer noch vor sehr schweren Aufgaben. Ich möchte zur Begründung dieser Ansicht nur stichwortartig folgende Probleme anführen: 1. Hunderttausende sind noch in Lagern und Baracken. 2. Der Anteil an der Erwerbslosenzahl ist immer noch unverhältnismäßig hoch; es handelt sich um Hunderttausende. 3. Die Lage der Alten und Erwerbsunfähigen ist immer noch außerordentlich unbefriedigend. 4. Unsere Bauern und. Landwirte sind kaum zu 5 % wieder voll angesetzt. 5. Die gewerbliche heimatvertriebene Wirtschaft leidet nach wie vor unter ihrem Mangel an Eigenkapital. 6. Unsere Jugend hat aus naheliegenden Gründen einen unverhältnismäßig schweren Start für ihren Lebensweg. 7. 74 % sind Arbeitnehmer, während es in der Heimat — die genaue Zahl habe ich nicht hier — etwa nur die Hälfte war. Es ist also ein gewaltiger sozialer Abstieg festzustellen.
    Wenn ich diese negativen Tatbestände aneinanderreihe, um falschen Vorstellungen entgegenzutreten, so übersehe ich dabei auf der anderen Seite nicht das Positive und' stimme Herrn von Brentano in seiner gestrigen Bemerkung durchaus zu, daß Millionen schon wieder eine neue Lebensgrundlage gefunden haben. Daß das Problem aber noch nicht als gelöst betrachtet werden kann, zeigt ein einziger Blick auf die Sowjetzone. Von dort aus können jeden Tag wieder Reaktionen ausgelöst werden, die uns vor unlösbare Aufgaben stellen. Deshalb müssen wir uns davor hüten, die Dinge allzu leicht zu nehmen.
    Zur Regierungsbildung hat der Herr Bundeskanzler erklärt, daß dabei das Bestreben maßgebend war, möglichst viele Gruppen an der Verantwortung wirksam teilnehmen zu lassen. Das zwingt mich zu der Feststellung, daß eine große


    (Dr. Kather)

    Gruppe von Wählern und Abgeordneten der eigenen Partei von diesem Bestreben nicht umfaßt wurde.

    (Abg. Mellies: Hört! Hört!)

    Die Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/CSU — 3 1/2 Millionen Wähler — sind ohne eigene Vertretung im Kabinett geblieben, trotz der Erweiterung, die es erfahren hat. Darüber wird an anderer Stelle mehr zu sagen sein. Heute begnüge ich mich mit dieser Feststellung und hebe hervor, daß es unter den heimatvertriebenen Abgeordneten meiner Fraktion in diesem Punkt Meinungsverschiedenheiten nicht gibt.
    Wenn uns auch die Teilnahme an der Verantwortung versagt worden ist, so werden wir uns doch der Verpflichtung zur sachlichen Mitarbeit nicht entziehen. Wir haben es mit Genugtuung begrüßt, daß in der Regierungserklärung mit besonderem Nachdruck die Seßhaftmachung der vertriebenen Bauern und Landwirte in den Vordergrund gerückt worden ist. Ich habe schon oft Gelegenheit gehabt, vor diesem Hause auszuführen, daß das unser innenpolitisches Anliegen Nummer 1 ist. Ich kann mich kurz fassen, da der Herr Kollege Haasler diese Dinge im wesentlichen schon genau so behandelt hat. Ich beurteile das Bundesvertriebenengesetz durchaus positiv und trete stets der Auffassung entgegen, daß es ein Mißerfolg sei; aber die in der Regierungserklärung gebrauchte Bezeichnung „Magna Charta der Vertriebenen" lehnen wir ab. Dazu sind doch allzu viele Kompromisse und Abstriche hineingearbeitet worden, ganz abgesehen davon, daß wir seit dem 6. August 1950 eine „Charta der Vertriebenen" haben, die von allen Vertriebenen anerkannt ist und auch in der Welt allgemeine Zustimmung gefunden hat. Wenn man das Bundesvertriebenengesetz als Magna Charta der Vertriebenen bezeichnen wollte, so wäre das eine Umkehrung des guten preußischen Grundsatzes „Mehr sein als scheinen".

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Wir hoffen und fordern, daß mit der bäuerlichen Siedlung nunmehr Ernst gemacht wird, daß ein anderes Tempo vorgelegt wird, das allein noch verhindern kann, daß unersetzliche Kräfte endgültig verlorengehen. Schon dieser Hinweis zeigt, daß bei der Eingliederung der Vertriebenen in Zukunft das Schwergewicht bei der Exekutive liegen wird. Wir werden den neuen Bundesvertriebenenminister bei seiner schwierigen Aufgabe mit aller Kraft unterstützen und sind zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit ihm bereit.

    (Beifall beim GB/BHE.)

    Wir stellen uns auch hinter seine Forderung, den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums so zu erweitern, daß für die gestellten Aufgaben echte Wirkungsmöglichkeiten gegeben werden.

    (Erneuter Beifall beim GB/BHE.)

    Dazu gehört vor allem auch eine engere Verbindung mit dem Bundesausgleichsamt. Diese Behörde ist von ausschlaggebender Bedeutung für die produktive Eingliederung aller Geschädigten. Sie hat also eine wirtschaftspolitische Aufgabe allerersten Ranges zu erfüllen. Eine solche Behörde gehört nicht zum Steuerministerium, an ihre Spitze gehört auch nicht ein Steuerfachmann.

    (Zustimmung beim GB/BHE.).

    Das richtet sich nicht gegen die Persönlichkeit.
    Aber es ist ein anderes, ob ich Steuern erhebe und
    der Wirtschaft Geld entziehe oder ob ich plötzlich vor die Aufgabe gestellt werde, es ihr unter besonders schwierigen, ja einmaligen Umständen auf eine wirtschaftlich sinnvolle und zweckmäßige Art und Weise wieder zuzuführen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der CDU.)

    An diese Stelle gehört ein Mann mit wirtschaftlichem Durchblick und Weitblick, der Phantasie und ein warmes Herz für seine Aufgabe mitbringt und vor allem auch den Mut, neue Wege zu gehen. Mit besonderem Nachdruck muß ich es beanstanden, daß unter den ersten drei oder vier Männern dieses Amtes auch nicht ein Vertriebener zu finden ist, während es früher geradezu selbstverständlich war, daß der Präsident ein Vertriebener war. Diese Art der Stellenbesetzung muß von den Vertriebenen als ein bitteres Unrecht empfunden werden.
    Für die parlamentarische Arbeit auf diesem Gebiet möchte ich darauf hinweisen, daß dieser Bundestag, wenn er nicht vorzeitig sterben sollte, die Aufgabe haben wird, im Jahre 1956 das Hauptentschädigungsgesetz für den Lastenausgleich fertigzustellen. Dieses Gesetz muß echten Entschädigungscharakter haben.
    Es wird ferner in naher Zukunft notwendig sein, die Behandlung der Sowjetzonenflüchtlinge im Lastenausgleich auf eine neue Grundlage zu stellen, da die bisherigen Maßnahmen unzulänglich sind und nur provisorischen Charakter tragen. Ich habe bereits im vergangenen Bundestag die Behandlung die Sowjetzonenflüchtlinge im Lastenausgleich zum Gegenstand eines besonderen Initiativgesetzentwurfs gemacht, der leider nicht zur Erledigung gekommen ist. Das muß jetzt nachgeholt werden. Aber es müssen für diesen Zweck neue Aufbringungsmöglichkeiten erschlossen werden. Wir müssen energisch dagegen Front machen, daß dem Lastenausgleichsfonds immer neue Lasten zusätzlich aufgebürdet werden, wie das in besonders starkem Umfang schon beim Altsparergesetz geschehen ist.
    Unser politisches und parlamentarisches Wirken für die nahe Zukunft wird beherrscht sein von dem Streben nach der Wiedervereinigung Deutschlands. In der Regierungserklärung ist zu unserem besonderen Anliegen auf Verwirklichung unseres Rechtes auf die Heimat gesagt worden:
    Entsprechend den zahlreichen Erklärungen des Bundestags und der Bundesregierung wird das deutsche Volk die sogenannte Oder-NeißeGrenze niemals anerkennen.
    Diese Erklärung wurde von dem Hohen Hause mit nachhaltigem Beifall entgegengenommen. Trotzdem muß ich zum Ausdruck bringen — ich glaube, ich befinde mich insoweit in Übereinstimmung mit Herrn von Merkatz —, daß diese Formulierung nicht in vollem Umfang befriedigt. Sie ist nicht präzise und nicht positiv genug. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Bundes der vertriebenen Deutschen hat am 25. dieses Monats in einem Telegramm an den Herrn Bundeskanzler betont, daß diese Formulierung z. B. die Aufgabe von Ostpreußen oder Oberschlesien nicht ausschließt. Daß solche Besorgnisse keine Hirngespinste sind, wurde durch die Tatsache unterstrichen, daß bereits am nächsten Tage ein entsprechender Vorschlag unter dem Namen „Warburg-Plan" in den Zeitungen zur Diskussion gestellt wurde.
    Auch verschiedene andere Vorkommnisse und Veröffentlichungen haben aufgezeigt, daß es nicht


    (Dr. Kather)

    mehr möglich ist, mit solchen unbestimmten Verlautbarungen auszukommen. Der Vorschlag, die deutschen Ostgebiete sollten gegebenenfalls als Kondominium zwischen Deutschen und Polen behandelt werden, hat bei den Vertriebenen eine sehr starke Beunruhigung ausgelöst. Es wäre sehr erwünscht gewesen, wenn das vor einigen Tagen erfolgte Dementi des Herrn Bundeskanzlers sehr viel früher gekommen wäre. Es wäre dann nicht zu mancherlei Diskussionen gekommen, auf die ich eingehen wuß, weil sie für uns ungewöhnlich gefährlich sind.
    In einem Gespräch im Nordwestdeutschen Rundfunk hat man sich zu folgendem Satz verstiegen:
    Bei den hier und da laut gewordenen Protesten, die von unserer Seite kamen, handelt
    es sich um einen fatalen Irrtum über den Umgang mit Rechten. Niemand sollte glauben,
    daß in der Politik ein Recht jederzeit durchsetzbar ist ... eine aktive deutsche Ostpolitik
    wird nicht erfolgreich sein können, wenn sie
    simplifiziert wird und vor den harten Tatsachen der Gegenwart die Augen verschließt.
    Hier scheint ein ebenso fundamentaler wie fataler Irrtum des NWDR vorzuliegen, und zwar ein Irrtum über die Kraft des Rechts. Wir können unseren klaren Rechtsanspruch weder aufgeben noch verwässern lassen, weil wir im Augenblick keine Möglichkeit der Durchsetzung sehen. Die Auffassung, daß ein nicht sofort realisierbarer Rechtsanspruch nicht energisch erhoben und nachdrücklich geltend gemacht werden darf, schlägt allen geschichtlichen Erfahrungen ins Gesicht und statuiert den Primat der Taktik. Professor Laun hat in seiner Schrift „Das Recht auf die Heimat" ein besonders prägnantes Beispiel gebracht, indem er darauf hinweist, daß das vertriebene Judentum seine innere Verbindung mit der Heimat fast zweitausend Jahre lang so stark aufrechterhalten hat, daß die internationale öffentliche Meinung noch nach diesem Zeitraum im allgemeinen anerkannt hat, „daß auch dieses Volk Rechte an dem Boden seiner Väter hat".
    Es ist außerordentlich bedauerlich, daß das Deutsche Industrieinstitut in Köln sich in seinem Rundfunkspiegel vom 8. Oktober 1953 die Auffassung des NWDR zu eigen macht und die oben zitierte Äußerung sogar als allgemeingültig hinstellt. Diese Verlautbarung geht so weit, aus dem Verzicht der Vertriebenen auf Gewalt und Rache gewissermaßen einen Verzicht auf das Heimatrecht herauszulesen. Wir haben mit aller Klarheit und immer wieder — zuerst in unserer Charta — diesen Verzicht auf Gewalt, Rache und Vergeltung ausgesprochen, und wir stehen auch heute noch dazu.

    (Beifall in der Mitte.)

    Aber wir haben auch niemals einen Zweifel daran gelassen, daß wir unseren klaren Anspruch auf die Heimat unter keinen Umständen preiszugeben bereit sind.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Die Bundesrepublik und das ganze deutsche Volk sind insoweit in einer durchaus günstigen rechtlichen Position. Jedermann in der Welt — darauf hat auch schon Herr Haasler hingewiesen — mit Ausnahme der Sowjetunion und ihrer Satelliten erkennt an, daß die Maßnahmen seit 1945 an dem völkerrechtlich anerkannten Gebietsstand des Deutschen Reiches eine Änderung nicht herbeigeführt haben. Mehr brauchen wir im Augenblick nicht zu sagen. Erst der Friedensvertrag kann daran etwas ändern, aber auch nur mit Zustimmung des deutschen Volkes.

    (Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

    Es ist völlig verfrüht und verfehlt, im gegenwärtigen Zeitpunkt über Kompromißlösungen zu diskutieren. Wenn man das schon lange vor Beginn der Verhandlungen tut, bringt man sich selbst von vornherein in eine ausweglose Ausgangsposition. Die bisherige Diskussion hat auf der Gegenseite keinerlei Kompromißbereitschaft hervorgerufen. Sie ist ganz offensichtlich als Schwäche ausgelegt worden und hat höchstens appetitanregend gewirkt.
    Ich muß auf noch eine Veröffentlichung zu sprechen kommen, die vor einigen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aus der französischen Zeitung „Le Monde" abgedruckt war. Dort fand sich in einer Besprechung der Regierungserklärung folgender Satz:
    Wenn er
    — der Bundeskanzler —
    es dabei bewenden ließ, noch einmal daran zu erinnern, daß Deutschland die Oder-NeißeLinie niemals anerkennen werde, so geschah dies mehr, um einem Schlagwort Tribut zu zollen, als aus tiefer Überzeugung.
    Meine Damen und Herren, eine solche Unterstellung in einem ausländischen Blatt hätte nach meiner Ansicht auch nicht einen Tag unwidersprochen bleiben dürfen.

    (Abg. Dr. von Brentano: „Le Monde"!)

    Die Erklärungen zum Heimatrecht können sich niemals auf die Gebiete jenseits der Oder-NeißeLinie beschränken. Wir müssen auch an die Millionen Vertriebenen denken, die anderswo ihre Heimat verloren haben.
    Die Regierungserklärung hat auf die früheren Erklärungen des Bundestags und der Bundesregierung Bezug genommen. Ich möchte die Entschließung des Bundestags vom 4. Dezember 1952, did von den Vertriebenenorganisationen angeregt wurde und die anläßlich der zweiten Lesung des Vertragswerks beschlossen wurde, in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Es heißt dort:
    Der Deutsche Bundestag macht sich zum Sprecher der Heimatvertriebenen, indem er feststellt:
    Die dem Friedensvertrag vorgreifenden Veränderungen des deutschen Staatsgebiets werden nicht anerkannt; sie haben keine Rechtsgültigkeit.
    Da ist klar ausgesprochen, was ich vorhin sagte. Ich wies eben darauf hin, daß wir auch an die anderen denken müssen, und mit Bezug darauf lese ich weiter:
    Ein dauerhafter Friede kann nur gegründet werden auf die Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte, insbesondere des Rechts der persönlichen Freiheit, von dem auch das Recht umfaßt wird, in der angestammten Heimat zu leben und über Staatsform und Staatsangehörigkeit selbst zu bestimmen.
    Hinter diese Erklärung sollte sich die Bundesregierung stellen, aber nicht nur durch eine farblose Bezugnahme, sondern expressis verbis. Niemand kann gegen diese Formulierungen Einwendungen erheben. Wir müssen der Welt die Frage vorlegen, ob das Selbstbestimmungsrecht


    (Dr. Kather)

    der Völker auch für uns und unsere Heimat Geltung hat oder nicht. Wenn diese Frage bejaht wird — und sie kann gar nicht verneint werden —, dann kann auch unser Recht auf die Heimat nicht in Zweifel gezogen werden. Die Bundesregierung sollte sich mit einem klaren Bekenntnis auf den Boden dieses Rechtes stellen. Eine klare und feste Haltung, verbunden mit dem aufrichtigen Bekenntnis zu dem Gedanken einer friedlichen Lösung, wird ihre Wirkung tun. Erst vor wenigen Stunden hörten wir von dieser Stelle aus von einem der ersten Repräsentanten des amerikanischen Volkes den Satz: „Wir achten die Rechte anderer Völker."
    Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie mit größerem Nachdruck als bisher in der ganzen Welt der sehr geschickten und wirksamen Propaganda der Exilpolen und -tschechen entgegentritt und die Weltöffentlichkeit mit unserem unantastbaren Rechtsanspruch bekanntmacht. Die Unterabteilung Ost des Auswärtigen Amts muß stärker ausgebaut und aktiviert werden. Es ist weiter notwendig, daß unseren großen Missionen sachverständige Referenten für die Ostfragen zugeteilt werden. Niemals dürfen wir uns den Vorwurf vor der Geschichte machen lassen, daß wir in dieser für das ganze deutsche Volk und seine Zukunft entscheidenden Sache Wichtiges verabsäumt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)