Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind nicht die Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner, die mich veranlassen, noch in diese Debatte einzugreifen. Er hat mit einer großen Eindringlichkeit auf die Ereignisse in Berlin und in der Ostzone hingewiesen. Ich glaube, daß das, was er gesagt hat, als er sich vor diesen Menschen ehrend verneigt hat, die Zustimmung des ganzen Hauses gefunden hat.
Die Ausführungen, die 'der Herr Kollege Brandt gemacht hat, veranlassen mich jedoch, einiges zu
sagen und manches richtigzustellen. Ich finde es schon bedauerlich, wenn in der Diskussion über ein Anliegen, das uns alle so bewegt, in der Diskussion über Ereignisse und Vorgänge, die uns die ganze Tragik der deutschen Situation so deutlich vor die Augen geführt haben, der — erlauben Sie mir, das zu sagen — schlechte Versuch unternommen wird, diese Menschen nun für irgendeine Richtung in Anspruch zu nehmen. Niemand hat behauptet oder wird behaupten, daß diese Menschen, wenn sie sich dort zur Freiheit bekannt und dafür auch das schwerste Opfer gebracht haben, das etwa für die Koalition getan haben. Aber, Herr Kollege Brandt, ich bitte Sie, auch nicht zu sagen: sie hätten es für die Opposition gemacht.
Wir sollten so etwas nicht sagen, sondern sollten uns in der Ehrfurcht vor diesen Menschen gegenseitig zugestehen, daß sie das, was sie getan haben, für das ganze deutsche Volk, für die Freiheit gemacht haben.
— Herr Kollege Renner, an dieser Diskussion teilzunehmen, steht Ihnen nicht zu.
Der Herr Kollege Brandt ist dann in der Diskussion auf die Außenpolitik der 'deutschen Regierung und der Mehrheit dieses Bundestages zu sprechen gekommen. Nun, daß wir in der Methode der Außenpolitik nicht einer Meinung sind, war uns schon vor dieser Diskussion bekannt. Aber ich war doch überrascht, aus dem Munde von Herrn Kollegen Brandt zu hören, die „konstruktive Mitarbeit" seiner Person und seiner Partei habe uns daran gehindert, in einer Sackgasse zu landen. Ich glaube, daß Sie den konstruktiven Beitrag, den Sie mit Ihrem Nein geleistet haben, da doch weit überschätzen.
Wenn jemand in einer Sackgasse gelandet ist, ich glaube, Herr Kollege Brandt, dann sind Sie es! Und Ihre Rede hat bewiesen, daß Sie aus dieser Sackgasse gar nicht mehr herauskommen.
Sie haben dann gesagt, daß Sie uns auch neue Wege der Außenpolitik gewiesen hätten. Nun, ich habe vor wenigen Tagen einmal das Aktionsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands durchgelesen.
— Es ist immer noch früh genug, Herr Kollege!
— Oh ja, ich bin sehr lernbegierig. Dabei habe ich Ihren „Beitrag" festgestellt. Erlauben Sie, daß ich zitiere:
Eine sozialdemokratische Bundesregierung wird nicht nur in der Methode, sondern in der Sache selbst einen von der Außenpolitik der jetzigen Bundesregierung verschiedenen Weg einschlagen.
1 Meine Damen und Herren, das ist ein sibyllinischer Spruch. Aber wenn Sie glauben, daß das ein Beitrag zu einer konstruktiven Außenpolitik sei, dann muß ich Sie enttäuschen und Ihnen sagen: Dies er Beitrag genügt uns nicht.
— Herr Kollege, wir sind ja hier im Bundestag, um uns gegenseitig unsere Meinung zu sagen und uns zu belehren. Sie hatten vier Jahre Zeit, uns die Gründe für Ihr Nein hier klarzulegen. Wenn Sie vier Jahre damit gewartet haben, dann müssen Sie mir schon noch einige Tage Zeit geben, mir Ihren Kommentar anzusehen!
Dann hat sich Herr Kollege Brandt mit der Haltung der Bundesregierung in der Frage der Wiedervereinigung auseinandergesetzt. Ich muß Ihnen offen sagen: Ich habe den Eindruck, daß Sie selbst, Herr Kollege Brandt, sich gar nicht darüber im klaren sind, welche Behauptungen Sie hier aufgestellt haben.
Sie wissen aus der Entschließung des Bundestags, aus den Erklärungen der Bundesregierung und auch aus der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler vor wenigen Stunden hier abgegeben hat, daß wir niemals daran gezweifelt haben, daß eine VierMächte-Konferenz der einzige - ich betone: der einzige — Weg ist, um diese Frage, die uns alle bewegt, zu lösen, und daß die Vier Mächte, die die tragische Spaltung Deutschlands und — lassen Sie es mich hier wiederholen — Spaltung Europas verschuldet haben, die einzigen sind, die dieses Geschehen wieder ungeschehen machen können. Wir haben uns noch am 10. Juni zu dieser Vier-MächteKonferenz in einer Entschließung bekannt, der Sie zugestimmt haben. Und heute sagen Sie in einer — wenn ich mich sehr vorsichtig ausdrücke — sehr unguten Form: Nun, der „Economist" und Herr Lippmann sind der Meinung, daß es der Bundeskanzler doch nicht so ehrlich meine! — Erinnern Sie sich daran. meine Herren, wie empört Sie waren, als man Ihnen von dieser Stelle aus sagte, wie Ihre Politik von der amtlichen Nachrichtenagenfur der Sowjetunion aufgenommen und mißverstanden wurde? Sie haben sich leidenschaftlich dagegen gewehrt und haben gefordert: Suchen Sie sich andere Zeugen! Und das sage ich Ihnen auch: Für die Politik der Bundesregierung sitzen hier die Zeugen; hier ist Herr Walter Lippmann kein Zeuge!
Sie sollten sich doch klar sein, meine Damen und Herren von der Opposition, daß solche Unterstellungen einen Charakter tragen, den wir hier vermeiden sollten.
— Sie haben das Recht, das dem Kanzler zu sagen.
Ich lehne es ab, meine Damen und Herren — ich wiederhole es noch einmal —, hier in einer unwürdigen Form in einen Wettlauf einzutreten, wem es mehr darum zu tun ist, die deutsche Wiedervereinigung herzustellen. Ich beanspruche für die Politik der Bundesregierung, die von der Mehrheit dieses Hauses getragen ist, mindestens dieselbe
Glaubwürdigkeit, die Sie für Ihre Politik beantworten
Aber Sie haben dann in dem Zusammenhang, als Sie von der Vier-Mächte-Konferenz sprachen, etwas gesagt, was ich aufnehmen möchte, weil ich glaube, es könnte neue und ernste Mißverständnisse und Auslegungsschwierigkeiten hervorrufen. Sie sagten, es sei die Aufgabe dieser Vier-Mächte-Konferenz — ich kann nur dem Sinne nach zitieren —, den internationalen Rahmen für den Status Gesamtdeutschlands auszuhandeln. Sie brachten das in Zusammenhang mit Ihrem Wunsche oder mit Ihrer Forderung, den Weg, den wir bis dahin beschritten haben, zu verlassen und mit der Politik der europäischen Integration, d. h. mit der Politik, uns dort Freunde und Bundesgenossen zu schaffen, wo bisher noch Gegner standen, einzuhalten.
Ich glaube, Sie sollten, was Sie gesagt 'haben, doch etwas erläutern. Denn den internationalen Rahmen für den Status des gesamten Deutschlands festzustellen, ist nicht Sache dieser Vier-MächteKonferenz, sondern das ist Sache des deutschen Volkes, und ich nehme für die gesamtdeutsche Vertretung, die wir einmal haben werden, das Recht in Anspruch, ohne diesen internationalen Rahmen nun etwa auszufüllen, sich in freier Entscheidung zu der Entwicklung zu bekennen. die wir als Deutsche für richtig halten. Wenn wir das nicht verlangen, dann begehen wir einen verhängnisvollen Fehler. Dann glauben wir nämlich, daß die Freiheit etwas Teilbares sei; und ich hatte bisher den Eindruck. daß Sie uns darin zustimmen. daß dem nicht so sei.
Das erinnert ein wenig — erlauben Sie mir, daß ich daran erinnere — an gewisse Zeiten, als es auch in Ihrer Fraktion und Partei doch Menschen gab. die diesen Gedanken einer Neutralisierung Deutschlands nicht mit der Entschiedenheit abgelehnt haben, mit der Sie heute erklären, daß das niemals vertreten worden sei. Sie sagten vorhin sehr apodiktisch. die Sozialdemokratische Partei habe sich niemals ablehnend zu einem Verteidigungsbeitrag geäußert, weil sie anerkenne, daß er eine Lebensaufgabe eine Verpflichtung sei. Ich möchte Sie nicht mit Zitaten belästigen, aber ich könnte Ihnen hier Zitate zeigen — allerdings auch aus Zeiten, wo Wahlen bevorstanden —. in denen dieses Bekenntnis noch nicht mit der begrüßenswerten Eindeutigkeit abgelehnt wurde. wie sie heute aus Ihrem Munde zu hören war. Ich hoffe, daß es auch in der Diskussion vor den Wahlen mit der gleichen Deutlichkeit wiederholt wird.
Aber ich möchte Ihnen eines sagen. Wenn Sie meinen, daß eine Vier-Mächte-Konferenz diesen internationalen Status zu umgrenzen habe, dann möchte ich Sie doch mindestens um Aufklärung bitten: Meinen Sie, daß es Aufgabe, ja das Recht einer Vier-Mächte-Konferenz sei, einem wiedervereinigten Deutschland Verpflichtungen und Bindungen aufzuerlegen, die mit dem Begriff der Frei- heit unvereinbar sind? Ich habe nicht den Eindruck, daß wir uns fragen sollten, was wir in solchen Verhandlungen der Sowjetunion zumuten können. Das scheint mir eine sehr falsche Ausgangsstellung zu sein. Wenn irgend jemand unter diesen vier Mächten uns die Freiheit — die sogenannte Freiheit — und die Wiedervereinigung nur gewähren wollte, indem er uns unveräußerliche und selbstverständ-
liche Lebensrechte verweigert, die ohne weiteres und von vornherein gewährt werden müssen, weil es ohne sie keine Freiheit gibt, dann, meine Damen und Herren, sind es nicht wir, die Bedingungen stellen, welche unerfüllbar sind, sondern sind es andere, die uns Bedingungen auferlegen, die für uns unannehmbar sind.
Denn die Freiheit ist etwas Unteilbares. Ich erwarte und verlange, daß eine Viermächtekonferenz dahin führt — was Sie auch mit Ihren Stimmen am 10. Juni mitbeschlossen haben, vergessen Sie das nicht —, daß wir nach freien Wahlen eine freie deutsche Regierung haben, die in ihren politischen Entscheidungen frei ist und der nicht etwa durch einen internationalen Rahmen Hypotheken auferlegt werden, die wir vielleicht nur noch um den Preis der Freiheit amortisieren können.
Auf diesem Wege werden wir Ihnen bestimmt nicht folgen, und ich habe die Hoffnung, daß Sie durch eine Interpretation einer sehr mißverständlichen Äußerung bestätigen, daß das auch Ihre Meinung nicht ist.
Ich möchte nur noch hinzufügen, daß ich dem, was mein Kollege Herr von Merkatz gesagt hat, ohne jede Einschränkung beistimme. Es ist meines Erachtens eine völlig falsche Vorstellung, wenn Sie meinen, daß die Politik der europäischen Zusammenarbeit und der europäischen Integration in irgendeinem Rangverhältnis zu der Politik stehe, über die wir eben sprechen, und zu dem Ziel und Zweck dieser Debatte, nämlich der Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes und Volkes. Es handelt sich gar nicht um zwei verschiedene Dinge, und am wenigsten handelt es sich um zwei Konzeptionen, die einander ausschließen.
Unser Ziel und Vorsatz ist es, die europäische Integration weiter voranzuführen. Auf diesem Weg werden wir, wie es auch meine Vorredner, die Herren Kollegen Becker und Merkatz gefordert haben, mit derselben Entschlossenheit wie bisher fortfahren, das sage ich sehr eindeutig, um jedes Mißverständnis zu vermeiden. Und am Ende dieses Weges wird ein in Europa integriertes Gesamtdeutschland stehen.
— Am Ende, man muß immer mit dem Ende aufhören.
— Herr Kollege Renner, Sie hätten's ja so leicht, dafür zu sorgen,
daß das Ende früher eintritt.
Es ist -ich wiederhole es — keine Frage der Prioritäten, und es ist auch keine Frage der Bewertung. Wir werden die eine Politik machen, ohne die andere zu vernachlässigen, weil sie nebeneinandergehen und einander nicht ausschließen. Wir werden aber
keine Politik machen — und wir dürfen sie gerade im Interesse der 18 Millionen Menschen nicht machen, von deren Opfer wir gerade gesprochen haben —, die etwa die Befreiung der 18 Millionen so gefährden könnte, daß als Kaufpreis für die Befreiung zunächst der Verlust unserer Freiheit in Kauf genommen werden müßte. Und, meine Damen und Herren , das ist die Gefahr, zu der Ihre Politik führen kann, wenn Sie nicht sehr eindeutig und besser, als es hier gesagt worden ist, vor aller Welt sagen, was Sie meinen und was Sie wollen. Wir haben es gesagt, wir haben es wiederholt gesagt, und ich versichere Ihnen, wir haben wirklich den Wunsch, daß es gelingen möge, Meinungsverschiedenheiten über Methoden in solchen Lebensfragen unseres deutschen Volkes auszuschalten oder uns über diese Grundsatzfragen doch in einem Geist zu verständigen, der besser ist, als es aus den Äußerungen unseres Kollegen Brandt geklungen hat. Es liegt nicht an uns und wird nicht an uns liegen, wenn diese Gemeinsamkeit in der Arbeit nicht so verwirklicht wird, wie ich es im Interesse des ganzen deutschen Volkes begrüßen würde.
— Herr Kollege Mellies, ich weiß nicht, was Ihnen das Recht gibt, eine so — —
— Herr Kollege Mellies, ich finde, daß Ihre Zwischenrufe nur der Ausdruck der — na — —
— Ja, ich möchte nichts sagen, um die Situation nicht zu verschärfen. Aber erlauben Sie mir, zu sagen: Herr Kollege Mellies, Sie haben nicht das Recht, ich bestreite Ihnen das Recht, in dieser Weise die Offenheit und Ehrlichkeit meiner Absicht und dessen, was ich Ihnen gesagt habe, anzuzweifeln,
und ebensowenig haben Sie das Recht, dem Herrn Bundeskanzler zu unterstellen, daß er anderes meine, als er gesagt habe.