Rede von
Dr.
Robert
Tillmanns
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich glaube, daß es immerhin einem richtigen Gefühl entsprungen ist, wenn die Berliner Sozialdemokratische Partei bei ihrer Kundgebung am 17. Juni auf dem Oranienplatz keine rote Fahne gezeigt hat.
Hier haben sich politische und geistige Kräfte gezeigt - ich sage es noch einmal —, von deren Bedeutung wir uns heute noch keine klare Vorstellung machen können. Es hat in der Sowjetzone auch von seiten dieser Arbeiterschaft wie schon in der ganzen Zeit vorher auch an klaren Vertrauensbeweisen zu den christlichen Kirchen nicht gefehlt; sie sind zum Teil in bewegender Weise zum Ausdruck gekommen.
— Das habe ich doch gar nicht behauptet!
— Sie können doch nicht immer Dinge in meine Worte hineininterpretieren, die ich gar nicht sage. Ich habe damit doch nur sagen wollen — und ich habe das auch sehr deutlich gesagt —, daß diese Erscheinung sehr viel komplexer ist, als daß wir
sie in ein uns geläufiges Schema einordnen könnten.
Ich glaube, daß es immerhin von weltgeschichtlicher Bedeutung ist, daß die Arbeiterschaft eines Landes sich gegen ein Regime 'erhebt, das den Anspruch erhebt, als kommunistisches Regime diese Arbeiterschaft zu vertreten. Dafür gibt es bisher keinen Vorgang in der Geschichte.
Die Arbeiter haben immer wieder, auch in persönlichen Erklärungen, das eine zum Ausdruck gebracht, daß die Einigung Europas und das Zusammenstehen der europäischen Mächte auch nach ihrer Überzeugung die einzige und wichtigste Voraussetzung dafür ist, daß der Bevölkerung der Ostzone eines Tages die Freiheit wiedergebracht werden kann.
Welche Aufgaben und, Verpflichtungen ergeben sich nun aus diesen Ereignissen für unsere Politik? — Dabei müssen wir davon ausgehen, daß das, was die Bevölkerung in der Sowjetzone getan hat, wahrscheinlich für die Wiedervereinigung Deutschlands mehr Bedeutung hat und einen stärkeren Impuls gegeben hat als viele Anträge und Beratungen in diesem Hause.
Es eröffnet sich eine vollständig neue Perspektive für das Problem der Wiedervereinigung, nämlich die, daß der stärkste Antrieb zur Erreichung dieses Zieles von den Unterdrückten der Sowjetzone Deutschlands ausgeht,
daß von ihnen ein Impuls erweckt wird, der uns
in dieser Frage einen großen Schritt weiterbringt.
Es ist oft in der Vergangenheit gesagt worden, daß die Demokratie in Deutschland wahrscheinlich deswegen so wenig im Bewußtsein unseres Volkes verankert sei, weil sie nicht vom Volke durch Opfer und durch Kampf errungen, sondern meistens in Zeiten nationaler Niederlagen uns von außen gebracht worden sei. Hier ist zum erstenmal in der deutschen Geschichte das Volk für die Freiheit, d. h. für eine demokratische Rechtsordnung aufgestanden und hat Opfer gebracht.
._(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ich glaube, daß dadurch die rechtsstaatliche Ordnung in Deutschland — und zwar in ganz Deutschland — eine Verankerung erfahren hat, die tiefer ist und fester hält als alles andere, was in dieser Beziehung von uns aus getan werden könnte.
Wir sind deshalb der Auffassung, daß es unsere erste Pflicht und Aufgabe ist, dafür zu sorgen, daß dieser Tag, der — ganz gleichgültig, wie die Dinge laufen mögen — im Bewußtsein unseres Volkes der Tag sein wird, an ,dem zum erstenmal .das Tor zur Wiedervereinigung Deutschlands kräftig aufgestoßen worden ist, im Gedenken unseres Volkes nicht untergeht. Wir, die Fraktionen der Regierungskoalition, haben deshalb den Antrag gestellt, daß der 17. Juni zum nationalen Gedenktag erklärt werde.
Die Fraktion der SPD hat einen ähnlichen Antrag gestellt. Er unterscheidet sich in .der Fassung und auch in dem Grundgedanken etwas von dem Antrag, den wir gestellt haben. Ich würde es sehr
bedauern, wenn es in diesem Bundestag nicht möglich sein sollte, daß wir wenigstens in dieser Frage — im Grundgedanken sind wir uns ja einig — eine große Mehrheit finden.
Ich möchte daher den Antrag stellen, daß diese beiden Anträge Drucksachen Nrn. 4624 und 4625 dem zuständigen Ausschuß überwiesen werden, der noch ganz kurzfristig in diesen Tagen den Versuch machen sollte, eine gemeinsame Lösung zu finden.
Ich möchte annehmen, daß uns das gelingt.
Die weitere Aufgabe, die jetzt vor uns liegt — darin stimme ich Herrn Wehner zu —, besteht darin, daß wir alles tun müssen, um durch Hilfen aller Art — sowohl im Interzonenhandel als auf anderen Wegen — dafür zu sorgen, daß die Not der Sowjetzone gelindert wird und daß der Verkehr erleichtert wird. Aber das Wichtigste ist, daß wir jetzt den Großmächten die Dringlichkeit der deutschen Wiedervereinigung mit allem Nachdruck vor Augen führen, um die Entwicklung jetzt weiterzutreiben. Wir begrüßen daher den Appell, den der Bundeskanzler an den Präsidenten der Vereinigten Staaten und an die Ministerpräsidenten von England und Frankreich gerichtet hat. Wir glauben, daß die zustimmenden Antworten, die auf diesen Appell ergangen sind, schon zeigen, daß auch die Welt sieht, daß nunmehr hier ein neues Kapitel der deutschen Geschichte begonnen hat.
Wir begrüßen diesen Appell und glauben, daß die Bundesregierung dadurch, daß sie so schnell gehandelt hat, einen wesentlichen und wichtigen Beitrag geleistet hat.
Aber wenn der Herr Kollege Wehner meinte — so habe ich ihn jedenfalls verstanden —, daß diese Ereignisse uns nun dahin bringen müßten, von gewissen veralteten und überholten Konzeptionen Abschied zu nehmen — er meint damit wohl die Politik zur Einigung Europas —, so möchte ich demgegenüber erklären: das genaue Gegenteil ist der Fall.
Wenn eines uns lehren konnte, wie notwendig es ist, daß_ diese Einigung nun endlich zustande kommt und daß diese gemeinsame Kraft entwickelt wird, dann waren es die Ereignisse der letzten Tage.
Wir wissen doch alle, daß es das Ziel, und zwar das oberste Ziel der sowjetischen Politik ist, die Einigung Europas zu verhindern. Schon das allein sollte uns doch vorsichtig machen gegenüber der Formulierung, 'das sei nunmehr irreal geworden.
Es ist doch wahrscheinlich so, daß auch die neue Politik, die in der Sowjetzone seit dem 10. Juni dieses Jahres eingeleitet worden ist, nichts anderes im Auge hat, als durch neue politische Mittel das alte Ziel zu erreichen, die Uneinigkeit Europas und damit seine Schwäche, seine politische und wirtschaftliche Unfähigkeit, um dadurch letzten Endes auch für die USA die Politik des gemeinsamen Schutzes Europas unmöglich zu machen.
Wenn gerade ein Mann wie Churchill, der durch seine letzte große Rede und seine Vorschläge zu erkennen gegeben hat, daß es ihm ernst ist um eine Lösung des großen Weltproblems, der eifrigste Verfechter der Politik der gemeinsamen Verteidigung und Stärkung Europas ist, dann sollte uns auch das zu denken geben. Gerade Churchill ist derjenige gewesen, der in Straßburg den ersten Anstoß zu den gemeinsamen Verteidigungsbemühungen gegeben hat.
Die englische Regierung ist es gewesen, die als erste den Deutschland-Vertrag ratifiziert hat,
und im Deutschland-Vertrag ist die EVG bekanntlich mit enthalten. Es müßte doch immerhin zu denken geben, daß gerade ein Politiker, der dieses große Ziel der Klärung und Lösung 'des Weltproblems verfolgt, so entschieden, so klar und so eindeutig zu der Politik der Einigung und der Zuzammenfassung Europas steht.
Meine Damen und Herren, es scheint mir nutzlos, ja sogar schädlich zu sein, jetzt hier Diskussionen zu führen, die etwaige Verhandlungsergebnisse künftiger Vier-Mächte-Konferenzen vorwegnehmen wollen.
Ich glaube sogar, daß, wenn wir das in der gegenwärtigen Situation täten, wir den Erfolg solcher Verhandlungen direkt gefährden könnten. Denn wer die Methoden sowjetischer Politik kennt — und ich denke, wir haben alle etwas von ihnen erfahren —, der weiß doch, daß jedenfalls im gegenwärtigen Stadium nur durch große Festigkeit, nur durch Beharrlichkeit und Geschlossenheit unseres politischen Willens überhaupt etwas Positives erreicht werden kann. Wenn irgend jemand Konzessionen zu machen hat, dann ist es doch 'zunächst die Sowjetunion. Sie sollte doch endlich zeigen, 'daß sie bereit ist, den Willen des deutschen Volkes in der Sowjetzone zu respektieren, d. h. den Weg freizumachen zu einer echten Willensbildung des Volkes und zu gemeinsamen freien gesamtdeutschen Wahlen. Einen anderen Weg zur Wiedervereinigung gibt es nicht. Solange die Sowjets nicht zeigen, daß sie dazu bereit sind, ist das Zusammenstehen der Mächte der freien Welt und ist auch die Einigung Europas ein unbedingtes und unerläßliches Erfordernis unserer Politik. Dieses große politische Ziel ist nun einmal nicht zu erreichen, ohne daß es uns gelingt, in der Welt für uns und für 'ein freies und wiedervereinigtes Deutschland Verbündete und Vertrauen zu finden. Ich glaube, die größte Leistung der Bundesregierungbesteht darin, daß sie in ihrer Arbeit der letzten Jahre erreicht hat, daß diese feste Basis vorhanden ist, und wir wieder in einem gemeinsamen Vertrauen zueinander Verbündete haben, große und starke Mächte, die mit uns zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erstreben. Ohne eine solche gemeinsame Unterstützung unserer Politik werden wir sie nie erreichen. Deswegen glaube ich, daß die letzten Ereignisse in der Sowjetzone und in Berlin uns nur darin bestärken können, die 'bisher von uns betriebene Politik fortzusetzen.