Rede von
Willy
Brandt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Dem Herrn Vorredner ist sicher zuzustimmen, wenn er der Meinung Ausdruck gibt, daß die Zuschüsse, die Berlin benötigt — leider benötigt —, eine Folge der außergewöhnlichen Lage sind, in der sich die gespaltene deutsche Hauptstadt befindet. Aber wenn er die Frage nach den Ursachen stellt, muß doch im Interesse der Wahrheit — wenn auch nur mit zwei Sätzen — festgestellt werden, daß es eben dieselben politischen Kräfte, für die er tätig ist, zu dieser Spaltung Berlins haben kommen lassen, zu dieser Isolierung, zu der Strangulierung und Drangsalierung Berlins, und daß es nur eine Möglichkeit gibt, von diesen Zuständen wegzukommen, nämlich dadurch, daß die Verhältnisse endlich normalisiert werden. Das kann nur geschehen, wenn die Spaltung, die im Jahre 1948 durch den östlichen Stadtsowjet in Berlin erfolgte, endlich dadurch überwunden wird, daß in ganz Berlin freie Wahlen erfolgen und damit wieder eine geordnete Verwaltung im ganzen Stadtgebiet eingeführt werden kann.
Zu dem zweiten Punkt möchte ich folgendes sagen. Es ist beinahe unvorstellbar, wie sich der Angehörige einer Partei, die einmal zum linken Flügel der Arbeiterbewegung gehörte, heute erdreistet, dann von Agententätigkeit zu sprechen, wenn es sich darum handelt, daß die Ausüber der Staatsallgewalt im Osten ihre Staatsgewalt, ihre Polizei, ihre Geschütze, ihre Tanks gegen jene Arbeiter einsetzen, die für Arbeiterinteressen und nationale Interessen zur Arbeitsniederlegung und zu den Demonstrationen geschritten sind.
Dieses törichte Geschwätz von den Agenten kann nur eine Reaktion hervorrufen, nämlich die tiefste Verachtung.