Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe eben gehört, daß ich in dem Ministerium in den letzten
Jahren und vor allen Dingen im letzten Jahre keine klare Linie gehalten hätte, und es ist mir gesagt worden, daß viel Unzulängliches getan worden sei. Ich habe mich mit sehr vielen sozialpolitisch gut orientierten Menschen über die Entwicklung gerade unserer Sozialversicherungsträger unterhalten. Das geht draußen, außerhalb des Parlaments, meistens etwas besser als hier von der Tribüne des Bundestages.
Im allgemeinen wird dann anerkannt, daß wir in dieser Zeit unseren Sozialversicherungsträgern wieder einen finanziellen Boden gegeben haben, den wir vor fünf Jahren selbst nicht für möglich gehalten haben.
Es ist mir gesagt worden, ich sei im Kabinett sehr schwach und sei vor allen Dingen dem Kollegen Schäffer weit unterlegen. Ich darf Ihnen sagen, daß ich bei der Arbeit, die wir im Kabinett als Vorbereitung der Parlamentsarbeit geleistet haben, manche Erfolge nur deshalb erringen konnte, weil eben ein gutes persönliches Verhältnis zwischen dem Herrn Finanzminister und dem Arbeitsminister besteht
und er — also der Finanzminister — bei unseren Anträgen bis an die äußerste Grenze dessen gegangen ist, was er in seinem Ressort überhaupt verantworten konnte.
So leicht ist nämlich die Angelegenheit nicht, daß man bei Verhandlungen über weitere Belastungen, beispielsweise beim Rentenzulagengesetz mit einer Anforderung von über 900 Millionen, von einem Finanzminister ohne weiteres gesagt bekäme: Hier hast du das Geld dafür.
Und es hat in Wirklichkeit ungeheurer Anstrengungen bedurft, um diese Gelder mobilzumachen. Darüber hinaus haben wir doch im Dezember vergangenen Jahres die Erhöhung der Grundrenten für alle Sozialversicherungsträger, soweit sie Rentenversicherungsträger sind, durchgeführt, und wiederum mußte der Finanzminister einen Betrag von 316 Millionen DM nicht als einmalige Leistung, sondern für die ganze Zukunft übernehmen.
Sie haben in der vergangenen Woche ein äußerst wichtiges Gesetz, das Gesetz über die Fremdrenten, beschlossen. Auch hier muß der Finanzminister einen Betrag von 290 Millionen DM übernehmen, der bis jetzt von den Versicherungsträgern ohne Gegenleistung aufgebracht werden mußte.
Das sind doch keine Dinge, die man so aus dem Ärmel schütteln kann.
Dann wird mir gesagt: Ja, wir haben die und die Anträge gestellt! Das ist völlig richtig. Aber Anträge stellen und sie nachher in die Wirklichkeit umsetzen, das ist ein großer Unterschied.
Denn zur Verwirklichung der Anträge gehört nun einmal auch die Finanzierung, und das ist meistens etwas schwerer. Das ist nicht allein heute so, sondern das war schon früher im alten Reichstag so. Wir haben auch dort erlebt, daß — ganz gewiß aus gutem Wollen heraus -- Anträge gestellt wurden,
von denen man dann im Parlament wieder zurücktreten mußte, eben weil ihre Finanzierung nicht möglich war.
Nun hat Herr Professor Preller gemeint, eigentlich hätte man von mir verlangen müssen, der Treuhänder der Sozialversicherung zu sein. Dazu darf ich ihm in aller Offenheit sagen, daß ich mich in Wirklichkeit als der Treuhänder der Sozialversicherung, d. h. als Treuhänder der Menschen gefühlt habe, denen die Sozialversicherung für die Wechselfälle des Lebens die Lebensgrundlagen sichern soll.
Deshalb habe ich mich auch dagegen gewehrt, daß man aus der Sozialversicherung etwas ganz anderes machte, nämlich eine Versorgungsanstalt des Staates. Ich bin persönlich der Meinung, daß man bei einer Versicherung immer von dem Gedanken ausgehen muß, daß Beitragszahlung und Leistung aus der Sozialversicherung in einem gesunden Verhältnis zueinander zu stehen haben.
Ich habe diesen Standpunkt immer vertreten und werde ihn auch vertreten, gleichgültig, ob ich Minister, Abgeordneter dieses Hauses oder einfacher Staatsbürger bin. Wir müssen alles daran setzen, auch durch die heutige Zeit hindurch unsere Sozialversicherung zu retten, die in der Zeit ihres Bestehens segensreiche Arbeit geleistet hat. Ich bin nicht dafür, daß man über eine Volksversorgung demjenigen, der die Beiträge aufgebracht hat, nachher, in fünf oder zehn Jahren, auferlegt, zu beweisen, daß er diese Leistungen nötig hat;
vielmehr soll er den Rechtsanspruch behalten, einen Rechtsanspruch, für den er letzten Endes ja die Beiträge gezahlt hat.
Was die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung betrifft, so kann mir doch gewiß nicht der Vorwurf gemacht werden, ich sei nicht für sie eingetreten. Die entsprechenden Gesetze sind schon vor sehr langer Zeit vorgelegt worden, und im Ausschuß sind sie sehr lange beraten worden;
ich will auf dieses Trauerspiel nicht eingehen.
Weiter wird mir vorgeworfen, daß auch in der Frage der Kinderbeihilfen nicht das Notwendige getan worden sei. Es handelt sich hier doch um Anträge der Parteien, und es ist doch eine Tatsache, daß die Beamten meines Hauses dem hierfür eingesetzten Ausschuß jede Hilfe gewährt haben, die die Regierungsvertreter überhaupt nur leisten können.
Es kommt hier darauf an, daß man sich zu einer sehr einfachen, aber wirksamen Lösung dieser Frage entschließt.
Ich habe durch meine Beamten immer wieder sagen lassen: Es kommt nicht darauf an, daß man für diesen Zweck eine neue große Bundesanstalt aufbaut
mit einem Verwaltungsapparat, der allein 10 % der vereinnahmten Gelder verbraucht,
sondern es kommt darauf an, daß man aus der Wirtschaft heraus in der einfachen Anlehnung an unsere Berufsgenossenschaften ohne große Geldausgaben einen Betrag zur Verfügung stellt, der dann von einer Dachorganisation an die Leute weitergegeben wird, die durch ihren Kinderreichtum in wirtschaftliche Bedrängnis kommen. Das ist von mir immer wieder dem Ausschuß nahegelegt worden. Ich habe unter der Hand diesbezügliche Verhandlungen geführt, um die Durchführung der Dinge zu erleichtern und gewissen Strömungen entgegenzuarbeiten, die gegen eine derartige Lösung waren. Es ist so, daß nicht nur die Arbeitgeber Vorstöße gegen diese Lösung gemacht haben, sondern auch diejenigen, die heute durch tarifvertragliche Regelungen bereits die Kinderzulagen haben. Soweit sie in einem besonders günstigen Verhältnis stehen, wollen sie nicht in eine Gesamtlast hinein. Wenn man beispielsweise im Bergbau, der heute das große Glück hat, sehr viel junge Menschen zu beschäftigen, die weniger kinderreich sind, bei einer Leistung von 30 DM vom dritten Kind an nur 0,35 % für die Aufbringung dieser Mittel notwendig hat, und wenn man in der chemischen Industrie für ähnliche Leistungen nur 0,4 %
benötigt, dann ist ganz klar, daß sich die dort Gesicherten sagen: „Was gehen uns die anderen an; laßt jeden für sich selber sorgen." Ich habe da einen ganz anderen Standpunkt vertreten. Ich habe die Leute vom Bergbau gefragt: „Wieviel Prozent eurer neuen Arbeitnehmer bekommt ihr denn aus Bergarbeiterfamilien?" Dieser Prozentsatz ist noch nicht 200/0! Wenn man von Kinderbeihilfen spricht, denkt man doch bei diesen Kindern an die zukünftigen Arbeitnehmer in unserem Wirtschaftsleben; und wenn ein Wirtschaftszweig mehr Arbeitnehmer braucht, als aus dem eigenen Stand herauswachsen, dann soll die Wirtschaft meines Erachtens auch verpflichtet sein, den kinderreichen Familien zu helfen. Ich wäre damit einverstanden gewesen, wenn man diese Regelung getroffen und ihr den Namen „Kinderbeihilfe der deutschen Wirtschaft" gegeben hätte. Hier spreche ich nicht nur von den Arbeitgebern, denn meiner Meinung nach gehört zur Wirtschaft der Arbeitnehmer genau so wie der Arbeitgeber.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich lasse mich gern kritisieren, weil ich weiß, daß nach einer derartigen Zeit, wie sie hinter uns liegt, kein Minister die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, voll erfüllen kann. Wir haben die Notwendigkeit gehabt, erst neue Grundlagen zu erarbeiten, und ich glaube, wir können uns sehen lassen — auch Sie in diesem Hohen Hause — mit den Leistungen, die wir auf dem sozialen Sektor dadurch, daß wir auf ein vergrößertes Wirtschaftsprodukt zurückgreifen konnten, in Wirklichkeit erzielt haben.