Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe aus Anlaß der Behandlung des Haushaltsplans des Bundesjustizministeriums an den Herrn Minister einige Fragen zu richten. Es bleibt dem Herrn Minister überlassen, darauf zu antworten oder nicht. Ich möchte von vornherein sagen, daß ich auch die Verweigerung einer Antwort als eine Antwort betrachten werde.
Zunächst zur ersten Frage. Wie ist die Haltung des Bundesjustizministeriums zur Wiedereinführung der Schutzhaft auf westdeutschem Boden? Wir haben in der letzten Zeit einige Fälle erlebt, die mit aller Deutlichkeit beweisen, daß von zentraler Stelle aus Untersuchungsgefangene, die in politischen Verfahren festgehalten werden, über die normale Zeit hinaus in Haft bleiben, selbst dann, wenn vorerst überhaupt kein Fortgang des Verfahrens zu erwarten ist. Ich greife drei Fälle heraus: die Fälle des Diplomingenieurs Oskar Neumann, des Bauingenieurs Karl Dickel und des Redakteurs Erich Loch. Die beiden ersten befinden sich bereits fast ein ganzes Jahr in Untersuchungshaft. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten sich durch — wie es heißt — „eine führende Anteilnahme an der Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für einen Friedensvertrag des Hochverrats schuldig gemacht". Seit fast einem Jahr kommt das Verfahren keinen Schritt vom Fleck. Selbst nach den Angaben des vom Bundesgerichtshof beauftragten Ermittlungsrichters Dr. Claus in Essen sind in der ganzen letzten Zeit keinerlei neue Momente hinzugekommen. Zu seiner Rechtfertigung erklärte Dr. Claus vor einigen Monaten, man wolle mit der Durchführung der Hauptverhandlung warten, bis das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren in Sachen der Verfassungswidrigkeit der KPD durchgeführt sei, so daß man danach eine ausreichende Grundlage auch für das Verfahren Neumann-Dickel zur Hand habe.
Als nun im Mai der Termin für das Verfassungsstreitverfahren bezüglich der KPD auf unbestimmte Zeit vertagt wurde, wurde auch Herr Dr. Claus befragt, wie er sich jetzt zu dem Fall stelle; da das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in absehbarer Zeit nicht stattfinde, müsse doch wohl jetzt die Freilassung der Inhaftierten Neumann und Dickel erfolgen. Darauf erfolgte die Antwort: Auch dann, wenn das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht stattfindet, bleiben die Angeschuldigten Neumann und Dickel auf unbestimmte Zeit in Haft. Aus weiteren Fragen an anderen Stellen, deren Namen ich aus begreiflichen Gründen hier nicht nennen will, obgleich ich es könnte, ergab sich, daß die Auffassung besteht, man lasse die beiden deswegen nicht frei, weil zu befürchten sei, daß die Kommunistische Partei aus der Freilassung eine Agitationsangelegenheit machen werde und die beiden in dem alten „regierungsfeindlichen Sinn" wieder aufträten.
Ähnlich liegen die Dinge im Falle des Redakteurs Erich Loch. Auch da mußte der beauftragte Ermittlungsrichter schon vor vielen Monaten zugeben, daß nicht nur kein neues Material in der Sache vorliege, sondern daß nach seiner persönlichen Meinung für die weitere Inhaftierung des Herrn Erich Loch auch keinerlei Grundlage gegeben sei. Trotzdem bleibt er weiter in Haft.
Ich sage, wir haben es hier eindeutig mit der Praxis der Schutzhaft zu tun. Ich kann mir nicht denken, daß der Ermittlungsrichter in Essen oder der Bundesgerichtshof in Karlsruhe solche faschistischen Maßnahmen unter eigener Verantwortung ergreift. Es kann nur so sein, daß sie hierzu die Ermächtigung und den Auftrag vom Bundesjustizministerium erhalten haben.
Zweite Frage: Was ist die Auffassung des Herrn Ministers über den zunehmenden Abbau der Unabhängigkeit der Richter?
In der Kritik an der Praxis des Bundesjustizministeriums, die die Unabhängigkeit der Richter immer mehr einschränkt, stehen wir Kommunisten keineswegs allein. Ich kann mich auf die Präsidialtagung des Deutschen Richterbundes berufen, die Anfang Februar in Godesberg stattgefunden hat, und auf die Tagung des Bayerischen Richtervereins Mitte Mai in Nürnberg. In beiden Fällen wurden massive Anschuldigungen gegen den Kurs des Bundesjustizministeriums erhoben, der darauf abzielt, die Richter zu Justizbeamten zu degradieren, die Rechtsprechung zu einer Auftragsangelegenheit, die Unabhängigkeit des Richtertums zu einer bloßen Fiktion zu machen, und der schließlich zur Folge hat, daß die Rechtssicherheit der Bürger in aufreizendem Maße gefährdet wird.
Nicht nur diese bedeutenden Vereinigungen des Richtertums haben sich in diesem Sinne geäußert. Auch der Präsident des höchsten Gerichts der Bundesrepublik hat kürzlich Veranlassung genommen, die Selbstherrlichkeit des Bundesjustizministeriums gegenüber Gerichten und Richtern ernstlich zu rügen. Ich berufe mich auf die Rede, die der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Dr. HöpkerAschoff vor kurzem im Rundfunk gehalten und in der er wörtlich folgendes erklärt hat:
Der Bundesjustizminister hat in der Sitzung des Bundestages für sich das Recht in Anspruch genommen, die Rechtsprechung der Gerichte zu überwachen. Dies ist ein erschreckendes Wort; denn auch der Justizminister hat die Entscheidungen der Gerichte zu achten und sich ihrem Spruch zu unterwerfen.
Ich habe nicht gehört, daß der Herr Bundesjustizminister es bis jetzt für nötig gehalten hat, auf diese sehr deutliche und harte Anschuldigung des Präsidenten des Bundesverfasungsgerichts zu antworten. Anscheinend hält er auch das nicht für nötig.
Ich möchte nun noch einen besonderen Fall herausgreifen, der sozusagen aus der engeren politischen Umgebung des Herrn Bundesjustizministers stammt. Am 21. April fand vor dem Schöffengericht in Erlangen. ein Prozeß statt, in dem der angebliche Privatlehrer Dr. Erhard Asmus der Urkundenfälschung und der üblen Nachrede angeklagt war. Er hatte den Vorsitzenden der Gesamtdeutschen Volkspartei, Herrn Dr. Dr. Heinemann, in Flugblättern bezichtigt, die Notgemeinschaft für den Frieden Europas habe Gelder der Sozialistischen Einheitspartei der „Sowjetzone" und der Kommunistischen Partei erhalten. Dafür hatte sich Herr Dr. Asmus zu rechtfertigen.
Was ergab sich bei diesem Prozeß? Herr Dr. Asmus ist einer der führenden Leute des sogenannten Stoßtrupps gegen den Bolschewismus,
einer der führenden Leute des sogenannten Heimatschutzes in Bayern. Er erklärte vor Gericht, daß er sein ganzes Flugblattmaterial nicht nur in engstem Einvernehmen mit dem' Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern auch in direktem Zusammenwirken mit dem Bundesministerium des Herrn Jakob Kaiser herausgegeben habe. Herr Asmus wurde aus „formalen" Gründen freigesprochen.
Ich hatte bei früherer Gelegenheit schon einmal Anlaß, Herrn Dr. Dehler nach seinen persönlichen Beziehungen zu Herrn Dr. Asmus zu fragen. Herr Dr. Asmus ist nebenbei auch der Landesvorsitzende der Jungdemokraten in Bayern, und ich denke, daß der Landesvorsitzende der Freien Demokratischen
Partei in Bayern, Herr Dr. Dehler, diesen famosen Mann kennen müßte. Darum habe ich die präzise Frage an den Herrn Minister zu richten: Kam dieses schändliche Urteil in Erlangen ohne Einwirkung seiner Person zustande? Hat der Herr Minister etwa nicht persönlich oder indirekt eingegriffen, um dieses beschämende und provozierende freisprechende Urteil herbeizuführen?
Es wäre möglich, Dutzende ähnlicher Fälle hier anzuführen, die alle dafür sprechen, daß sich in der Justiz unter der Ägide des Herrn Dr. Dehler ein Prozeß der allgemeinen Gleichschaltung der Gerichte vollzieht, vorerst einmal in politischen, aber in zunehmendem Maße auch in allgemeinen Fragen. Auf diesem Wege geht der Bundesgerichtshof voran. Er hat am 8. April 1952 in einer entscheidenden politischen Frage, die zu entscheiden nur das Bundesverfassungsgericht befugt wäre, ein Urteil gefällt. Er hat sein Urteil ohne die Anwesenheit von Zeugen und ohne die Anwesenheit von Angeklagten gefällt. Dieses Urteil in der Frage des hochverräterischen Charakters bestimmter politischer Unternehmen, das ursprünglich ein paar Monate als Geheimsache behandelt wurde, wurde auf Veranlassung des Bundesjustizministers von September 1952 an allen im Bundesgebiet tätigen politischen Sondergerichten mit der Weisung zugeleitet, daß sie sich auf dieses Urteil des Bundesgerichtshofs, das in einem Geheimverfahren ohne Angeklagte und Zeugen zustande gekommen ist, zu stützen hätten.
Ich frage das Haus: ist das nicht die typische Methode der Lenkung der Gerichte durch die Verwaltung, durch den Minister, durch die Regierung? Ist das nicht das Ende der sogenannten Unabhängigkeit des Gerichts?
Aber nicht nur hierin zeigt sich dieser Kurs der Gleichschaltung. Auch in der Methode, wie in der letzten Zeit die Strafprozeßordnung in politischen Verfahren gehandhabt wird, zeigt sich die immer stärkere Anwendung der Methoden der alten Freislerschen Sondergerichte. Immer mehr geht man zu den Methoden der Suggestivfragen, der Erpressung des Angeschuldigten, des Kaufs von meineidigen Zeugen über, deren Aussagen als vollgültig gewertet werden, auch wenn das gesamte Gericht von der Unwahrhaftigkeit der Aussage überzeugt ist.
Das Bundesjustizministerium setzt sich in dem Bundesstrafverfahren kaltschnäuzig über die kürzlich erlassene Untersuchungshaftvollzugsordnung hinweg. Diese Vollzugsordnung ist beispielsweise im Lande Nordrhein-Westfalen formell am 1. Mai dieses Jahres in Kraft getreten. Aber die Untersuchungshäftlinge, die der Bundesanwaltschaft unterstehen, werden von dieser Regelung ausgenommen. Herr Dr. Dehler führt sein eigenes Regime ohne rechtliche Grundlage, das Regime der Mißhandlung der politischen Untersuchungsgefangenen, das Regime der Diskreditierung von politischen Untersuchungsgefangenen.
Die dritte Frage, die ich an den Herrn Bundesjustizminister zu richten habe, bezieht sich auf die Verhältnisse in der Bundesanwaltschaft. Ich möchte den Herrn Minister fragen, wie lange er noch beabsichtigt, diese unerträglichen Zustände zu dulden.
Ich nenne persönlich den Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann. Wir hatten hier in diesem Hause in einer Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung am 5. Februar dieses Jahres Gelegenheit, die Arbeitsmethoden dieses famosen Oberbundesanwalts kennenzulernen. Ich glaube, daß alle Anwesenden peinlich berührt gewesen sind von der Haltung eines Mannes, den der Minister zum obersten Vertreter der Anklage namens der Bundesregierung bestellt hat. Damals handelte es sich um die Affäre des BDJ und des Technischen Dienstes in Hessen. Herr Dr. Wiechmann sollte vor dem Ausschuß Auskunft geben, warum die Angeschuldigten Lüth, Peters, Hamann, Schipler und Bischoff, gegen die Verfahren durch die Frankfurter Justizbehörden eingeleitet worden waren, wieder auf freien Fuß gesetzt worden sind — auf seine Veranlassung!.
Herr Dr. Wiechman hat den Ausschuß des Bundestages bewußt angelogen. Zunächst erklärte er, ihm sei von dem entsprechenden Belastungsmaterial überhaupt nichts bekannt. Dann, in die Enge getrieben, mußte er zugeben, daß dieses Material wochenlang schon in Karlsruhe lagerte, daß er aber dieses Material persönlich „nicht gesichtet" habe und daß darum die Freilassung der Angeschuldigten in Unkenntnis des vom Land Hessen und von den hessischen Untersuchungsbehörden gelieferten Belastungsmaterials erfolgt sei. Herr Dr. Wiechmann gab zu, daß der Bundesgerichtshof auf seine Veranlassung hin die sechs faschistischen Mordknaben auf freien Fuß gesetzt hat, und bis zum heutigen Tag haben wir keinerlei Aufklärung darüber erhalten, wie dieses Verfahren nun weiter verlaufen ist. Damals gab Herr Dr. Wiechmann als Entschuldigung für sein Verhalten an, er habe die sechs freigelassen, weil ihre Handlungen auf amerikanische Direktiven zurückzuführen seien, und er habe geglaubt, amerikanische Anweisungen stünden außerhalb der Beurteilung eines deutschen Gerichts. Diese faule Ausrede mag gegenüber dem Bundesjustizminister oder gegenüber Herrn Adenauer Geltung haben. Gegenüber der Bevölkerung kann sie keine Geltung haben. Seitdem ist ein Dreivierteljahr vergangen, und die Bevölkerung hat ein Recht, danach zu fragen, was mit dem Verfahren geschehen ist und wann die der Mordplanung Überführten endlich ihrer Strafe zugeführt werden.
Der Herr Oberbundesanwalt Wiechmann gibt seine politischen Auffassungen auch durch andere Akte sehr deutlich bekannt. Auf sein Wirken ist die Freilassung des Ex-Gauleiters Kaufmann, des Ex-Obernazis Scheel und anderer Leute zurückzuführen. Aber was soll man sich darüber wundern, wenn der Hauptangeschuldigte im BDJ-Skandal, dieser famose Lüth, im persönlichen Organ des Bundeskanzlers, im „Rheinischen Merkur", heute noch Leitartikel veröffentlichen kann?
Diese drei Fragen richte ich an den Herrn Bundesminister der Justiz, um ihn zu einer Antwort darauf zu bewegen, ob er diese Anzeichen der Rechtsverwilderung noch mit dem Grundsatz eines Rechtsstaates in Einklang zu bringen verma Ich frage ihn, was er zu tun gedenkt, um. das Überhandnehmen der Erscheinungen polizeistaatlicher Willkür einzudämmen? Er wird darauf keine Antwort geben können und keine Antwort geben wollen, weil dieses Regime eben ,ein System der polizeistaatlichen Willkür ist.
Deshalb lehnen wir den Haushaltsplan des Bundesjustizministeriums ab.