Rede von
Dr.
Walter
Menzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahlen, die Herr Kollege Dr. Mende über die Stärke der Volkspolizei verlesen hat, mögen stimmen. Aber gerade wenn sie richtig sind, Herr Kollege Dr. Mende, hätte doch der Herr Bundesinnenminister die Beamten, die er schon hat — und es sind immerhin 10 000 Beamte —, längst an die Grenze legen und nicht im Inland stationieren lassen müssen.
Der Herr Bundesinnenminister hat dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung selbst vorgetragen, daß von diesen 10 000 Mann nur 4350 Mann an der Grenze lägen und daß die übrigen sich verteilten auf die Stäbe in einer Stärke von 760 Beamten—bitte, überlegen Sie einmal: für drei Stäbe 760 Beamte, die dem eigentlichen Exekutivdienst entzogen werden — und ferner auf Bonn und Mannheim, wo doch die Grenze weit weg ist und wo sich noch weitere 1000 Mann befinden. Aber auch diese 4350 Beamten, die — ich wiederhole — nach den eigenen Angaben des Herrn Bundesinnenministers für den eigentlichen Exekutivdienst zur Verfügung stehen, liegen noch nicht einmal unmittelbar an der Grenze, sondern 20, 30, zum Teil 40 km davon entfernt. Gerade also dann, wenn die Verhältnisse so beunruhigend sind, hätte es doch nahegelegen, daß der Herr Bundesinnenminister endlich einmal diese Reserven, die er hat, ausschöpft, um sie für den eigentlichen Exekutivdienst freizustellen.
Meine Damen und Herren, auch dieses Mal fällt auf — wie bereits bei der Debatte über den gleichen Gegenstand im Februar dieses Jahres —, daß der Antrag nicht von der Regierung, von dem Herrn Bundesinnenminister gestellt wird, sondern daß der Herr Minister die Initiative den Regierungsparteien überläßt. Das hat auch seinen guten Grund, nämlich den, daß sich der Herr Bundesfinanzminister noch immer nicht bereit erklärt hat, die Mehraufwendungen, die fast 140 Millionen DM betragen, zur Verfügung zu stellen.
Wir haben sehr konkrete Vorstellungen hinsichtlich eines richtigen und für die Bevölkerung auch tatsächlich wirkungsvollen Grenzschutzes. Wir haben die entsprechenden Pläne im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung vorgetragen, und wir werden sie Ihnen nun auch im Plenum so häufig vorlegen — damit die Öffentlichkeit selbst über sie urteilen kann —, so oft Sie wieder mit den gleichen Anträgen kommen.
Auf Grund der Zahlen, die ich Ihnen vorhin schon angegeben habe und die aus den Materialien des Bundesinnenministeriums stammen, haben wir im Ausschuß folgende Anregungen gegeben — und ich wiederhole sie hier —: Bei einer Gesamtlänge der
Grenze mit der Tschechoslowakei und des Eisernen Vorhangs entlang der russisch besetzten Zone von rund 1700 km wünschen wir die Einrichtung von unmittelbar an der Grenze selbst liegenden Stützpunkten in einer Entfernung von ungefähr je 40 km. Die Herren des Innenministeriums haben sich selbst auf den Standpunkt gestellt, daß eine Belegung dieser Stützpunkte mit laufend je 120 Beamten einen wirkungsvollen Grenzschutz bieten würde, und zwar vor allem, meine Damen und Herren, wenn sich der Herr Innenminister entschließen könnte, diese Beamten nicht nur gut zu bewaffnen, sondern auch gut zu motorisieren und mit allen modernen technischen Neuerungen auszurüsten. Für einen solchen unmittelbaren Schutz würde der Herr Bundesinnenminister 5000 Beamte brauchen. Dann hätte er von seinen 10 000 Beamten noch weitere 5000 frei in der sogenannten zweiten, in der kasernierten Linie als Stützpunkte, in der Form von Bereitschaften. Dazu kommt für die bayerisch-tschechoslowakische Grenze und für die bayerische Grenze am Eisernen Vorhang der gut ausgebildete bayerische Grenzschutz von noch einmal 2600 Beamten. Niemand wird bestreiten können, daß damit, wenn dem Herrn Bundesinnenminister 12 600 Beamte für den Grenzschutz zur Verfügung stehen und wenn er sie zum Schutze der Bevölkerung wirklich unmittelbar an die Grenze legt, ein wirkungsvollerer und erheblich besserer Schutz der Grenzen garantiert wäre, als es nach dem jetzigen System geschieht; denn ich wiederhole: Der Innenminister hat noch nicht einmal die Hälfte seiner Beamten an der Grenze.
Der Ausgangspunkt der Stellungnahme des Herrn Bundesinnenministers ist schon rein rechnerisch falsch. Anstatt uns eine vernünftige Organisation vorzuschlagen, um dann zu errechnen, wieviel Beamte er dafür braucht, ist der Herr Bundesinnenminister bei seinen Kalkulationen bisher immer davon ausgegangen, 20 000 Beamte zu fordern, um dann, wenn er sie erst einmal hat, zu sagen, wie er sie irgendwo unterbringen kann.
Bei dem jetzigen System haben wir zur Zeit eine kasernierte Linie. Wir haben vorgeschlagen, zwei Linien aufzubauen, die unmittelbare Grenzlinie und die kasernierte. Der Herr Bundesinnenminister hat, um seinen Anspruch von 20 000 Mann zu begründen, nunmehr von sich aus im Ausschuß erklärt, er brauche jetzt sogar drei Linien.
Wenn der Herr Bundesinnenminister vorhin in seiner Rede erklärte, er wehre sich gegen die Stationierung an der Grenze und gegen den Einzeldienst, — nun, meine Damen und Herren, dieser Packen von Plänen hier stammt aus dem Bundesinnenministerium; sie sind uns von Herrn Dr. Lehr im Ausschuß vorgelegt worden und sehen eine sehr sorgfältig durchdachte Stationierung der Grenzschutzbeamten an der Grenze selbst vor. Das war im Februar. Mit Erstaunen stellen wir fest, daß der Herr Bundesinnenminister nunmehr von den Plänen seiner eigenen Fachleute wieder abrücken will. Allerdings müßte sich der Herr Bundesinnenminister entschließen, auch das, was sonst im Lande an Grenzschutz stationiert und nicht unmittelbar an der Grenze verwandt wird, als Reserve dort hinzuziehen.
Zu den 12 600 Mann, die der Herr Bundesinnenminister schon jetzt für die Grenze hat, kommen nach dem Polizeiabkommen mit den Ländern, das gerade mit zur Sicherung der Grenze geschlossen worden ist, weitere Reserven von 2500 Beamten hinzu. Das sind also für die zweite, für die kasernierte Linie insgesamt 7500 Beamte und außerdem unmittelbar an der Grenze noch einmal die gleiche Anzahl.
Meine Damen und Herren, falls Ihre Anträge angenommen würden, würden wir vor folgender Schwierigkeit stehen. Die Washingtoner Außenministerkonferenz — der Herr Innenminister hat sie selbst erwähnt — hat seinerzeit für die Länder eine Bereitschaftspolizei von 30 000 Mann genehmigt. Von diesen 30 000 Mann sind bisher 10 000 für die Länder und 10 000 für den Grenzschutz verbraucht; bleiben noch 10 000 offen. Wenn Sie diese letzten 10 000 Beamten jetzt für den Grenzschutz des Bundes abschöpfen, blockieren Sie die polizeiliche Bewegungsmöglichkeit der Länder. Die Länder haben eine Einzeldienststärke von zur Zeit 90 000 bis 100 000 Beamten. Sie können jetzt, nachdem die alliierten Bindungen gefallen sind, diesen Einzeldienst Gott sei Dank wieder aus den Bereitschaften rekrutieren. Sie bekommen damit ein ausgezeichnet vorgebildetes Beamtenmaterial. Aber für 90 000 bis 100 000 Einzeldienstbeamte reichen die 10 000 Mann Bereitschaftspolizei nicht. Sie stehen mithin vor einem wirklichen, echten Bedarf. Sie müssen daher die Bereitschaftspolizeien der Länder verstärken, und zwar könnten sie, da die finanzielle Decke der Länder sehr bescheiden ist — wenigstens in einigen Ländern —, zur Zeit nur 5000 Beamte mehr in die Bereitschaften einstellen.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, den Ländern diese 5000 Mann Bereitschaft gäben, hätten Sie allen Beteiligten geholfen. Zunächst einmal dem Herrn Bundesinnenminister: er könnte nämlich diese 5000 Mann Bereitschaft der Länder durch Erweiterung des Länderabkommens — und darauf zielt ja unser Antrag ab — für die ersten vier oder fünf Jahre dem Grenzschutz zur Verfügung stellen. Er hätte aber zugleich auch geringere Sorgen wegen des Art. 91 des Grundgesetzes; denn diese Beamten würden ihm dann nicht nur wie beim Grenzschutz im Rahmen der 30-km-Zone, sondern sie würden ihm über Art. 91 auch für die sonstigen polizeilichen Aufgaben zur Aufrechterhaltung der politischen inneren Sicherheit Deutschlands zur Verfügung stehen. Den Ländern wäre geholfen, weil sie ein gutes Reservoir an ausgebildeten Beamten hätten. Auch dem Herrn Bundesfinanzminister wäre geholfen, da die Zuschüsse an die Länder für diese zusätzliche Länderbereitschaft nur ein Drittel der Summe betragen würden, die jetzt notwendig wäre.
Diese konkreten Pläne stehen, ich muß das leider sagen, den durch keine Sachkenntnis getrübten Phantasien des Herrn Bundesministers gegenüber. Als wir vor einigen Monaten darauf hinwiesen, der Herr Bundesinnenminister habe vor der Presse erklärt, er wolle einen Grenzschutz von 60 000 Mann haben, meinte er, wir sollten doch nicht auf jede Zeitungsente hereinfallen. Jetzt hat er einer Mitte Mai erschienenen Pressemeldung nicht widersprochen, daß er den Grenzschutz auf 50 000 Mann erhöhen möchte.
Damit wird zugleich die wichtige Frage der Finanzierung angeschnitten. Herr Ministerialdirektor Egidi hat die Kosten der Verdoppelung seinerzeit auf 240 Millionen DM geschätzt, im Ausschuß sprach man von 145 Millionen, im Plenum ging man auf 95 Millionen zurück, weil man sich sagte, wenn der Bundestag erst einmal die not-
wendigsten Ausgaben bewilligt habe, werde er das Nachziehen weiterer 50 Millionen nicht verweigern können. Ich frage den Herrn Bundesinnenminister, wie es kommt, daß er schon jetzt die Stäbe in Kassel, München und Hannover verdoppelt hat, obwohl die erforderlichen Etatstellen und die erforderlichen finanziellen Mittel überhaupt noch nicht zur Verfügung stehen.
Er hat im Ausschuß erklärt, er habe die Mittel aus Ersparnissen anderer Etattitel genommen.
Nun, auch der Herr Bundesinnenminister müßte wissen, daß das etatsmäßig völlig unzulässig ist.
Wie stellt sich nun die Rechnung? Nach unserem Vorschlag würde die Verstärkung des jetzigen Grenzschutzes durch Vermehrung der Länderbereitschaften 230 Millionen DM im Jahre kosten. Nach dem Vorschlag der Regierungsparteien würden sich aber bei Annahme dieses Antrags die Kosten auf 373 Millionen DM, das sind 145 Millionen mehr, stellen, ohne daß ein wirkungsvollerer Grenzschutz gewährleistet wäre.
Diese Zahlen könnten nur dann eingehalten werden, wenn der Herr Bundesinnenminister nicht die Bewaffnung durchführte, die er sich denkt und wie sie in der „Welt" am 9. Mai mitgeteilt wurde: gepanzerte Fahrzeuge, Flugzeugstaffeln und Schnellboote.
Es wäre uns wichtiger erschienen, daß der Herr Bundesinnenminister und die Regierungsparteien, vor allem aber der Herr Bundesinnenminister, ihre Stoßkraft zunächst einmal nicht nur gegen den Herrn Finanzminister gerichtet hätten, um die erforderlichen Gelder zu bekommen. Denn selbst wenn wir heute die Vermehrung beschließen, ist noch gar keine Garantie gegeben, daß der Herr Bundesfinanzminister diese neuen 150 Millionen bewilligt, es sei denn, daß er sie auch in Form von Schuldbuchverschreibungen, wie bei den Rentenzulagen, decken möchte. Es wäre viel besser, man würde die Stoßkraft gegen das militärische Sicherheitsamt in Koblenz richten; denn daß eine vernünftige Bewaffnung der Grenzschutzbeamten bisher gescheitert ist, liegt doch daran, daß das militärische Sicherheitsamt in Koblenz jede vernünftige Bewaffnung der Grenzschutzbeamten verweigert hat.
Was nützt denn die Verdoppelung von 10 000 Mann, wenn wir diese Beamten gegen die Gefahren, die an der Grenze nun einmal drohen, nicht einmal mit den primitivsten Waffen schützen können? Sie bringen doch die Beamten selbst in eine ganz scheußliche Situation.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen in kurzen Abrissen, wie es in einer Plenarsitzung leider nur möglich ist, gesagt, welche Vorstellung wir von der richtigen Organisation des Grenzschutzes haben. Nach unseren Vorschlägen bekäme der Herr Bundesinnenminister zunächst einmal die Beamten, die für den Seegrenzschutz und die Paßnachschau abgestellt sind, frei; er könnte polizeilich seine Reserven innerhalb Deutschlands ausnützen, und er würde durch die Länderbereitschaften praktisch zusammen 7500 Mann mehr erhalten.
Die Fraktionen sollten hierzu Stellung nehmen. Das war im Ausschuß vereinbart. Aber wir haben seitdem — das war im Februar und März dieses Jahres — leider nichts mehr gehört. So haben Sie also jede Verständigung, die der Sache des Grenzschutzes gedient hätte, außer acht gelassen.
Zum Schluß noch eine kurze Erwiderung gegenüber Herrn Kollegen Dr. Mende. Es nützt doch der Sache nichts, wenn Sie mit dem alten und so primitiven Argument zu arbeiten versuchen, man solle diese Frage nicht parteipolitisch sehen und man müsse an die nationale Sicherheit denken. Meine Damen und Herren, haben Sie schon einmal erlebt, daß sich die Sozialdemokratie nationalen Anforderungen bezüglich der Sicherheit des deutschen Volkes irgendwann einmal in ihrer Geschichte verschlossen hätte? Wir von der SPD waren es doch — und warum verschweigen Sie das hier und draußen? —, die die Errichtung des Grenzschutzes und die Aufstellung der jetzigen 10 000 Mann überhaupt erst ermöglicht haben — und zwar gegen die Stimmen einer Regierungspartei!
Bleiben Sie doch bei der Wahrheit, wenn Sie über
diese Dinge sachlich mit uns argumentieren wollen!
— Dann sollten Sie, Herr Kollege Mende, das aber mit dem Gesicht nicht dahin , sondern dorthin (zur CSU) gesagt haben!
Meine Damen und Herren, es ist ganz selbstverständlich — ich betone das hier noch einmal wie damals im Februar —, daß wir bereit sind und immer bereit sein werden, die Mittel, die Gelder, die Beamten und die Bewaffnung zu bewilligen, die für den effektiven Schutz der Grenze notwendig sind. Wir wehren uns aber mit der gleichen Energie gegen die Absicht der Bundesregierung, den Grenzschutz ohne ausreichende Bewaffnung, ohne ausreichenden Schutz der Beamten zu verdoppeln. Solange Sie nicht wirklich zum Schutz der Bevölkerung die Beamten dahin bringen, wo sie notwendig sind, so lange werden wir uns gegen die Verschleuderung von mehr als 100 Millionen DM wehren.