Rede von
Dr.
Robert
Lehr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte die Bitte meines Herrn Vorredners wiederholen, daß das Hohe Haus dieser Verhandlung doch die Aufmerksamkeit schenken möge, die sie wirklich verdient.
In einer für die Festigung unserer inneren Ordnung, Ruhe und Sicherheit entscheidenden Frage wendet sich die Bundesregierung erneut an Sie und bittet um Ihren zustimmenden Beschluß. Das geschieht in dem Augenblick, in dem in der Ostzone ein Aufschrei der gequälten Bevölkerung in einem Ausmaß erfolgt ist, der die gesamte Weltöffentlichkeit aufhorchen läßt, ein Aufschrei, der Ihnen allen deutlich zeigen sollte, wie dünn die Decke ist, die im Augenblick unsere äußere und innere Ruhe, Sicherheit und Ordnung darstellt.
Die Vermehrung des Bundesgrenzschutzes von 10 000 auf 20 000 Mann ist vom Hohen Hause bereits als notwendig anerkannt worden — ich beziehe mich hier auf die Ausführungen meines Herrn Vorredners — mit einer Mehrheit von 44 Stimmen.
An sich ist damit der Wille des Hohen Hauses eindrucksvoll zum Ausdruck gekommen. Wenn nun aus einem anzuerkennenden Taktgefühl dieser Antrag noch einmal wiederholt wird, so darf ich mich in erster Linie darauf berufen, daß der Mehrheitswille entsprechend der Fassung des Grundgesetzes an sich gültig zum Ausdruck gekommen ist. Aber ich verstehe durchaus, daß man sich bemüht, gegebene Beschlüsse zu honorieren, selbst wenn formell eine solche Verpflichtung nicht besteht, und ich bitte deshalb im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Vorredners im Namen der Parteien, die sich hier für die Verstärkung des Bundesgrenzschutzes mit einem erneuten Antrag eingesetzt haben, um Ihre Beschlußfassung.
Die Gründe für die Vermehrung des Bundesgrenzschutzes sind Ihnen eben in großen Zügen dargetan worden. Ich kann mich vor Ihnen auf die von mir seit 2 1/2 Jahren ständig geführten Bemühungen um die nötige Sicherheit im Innern beziehen. Ich habe das wieder und wieder vor dem Hohen Hause betont. Es sind fast drei Jahre vergangen, seit uns die Außenminister der Westalliierten die Zustimmung gegeben haben, 30 000 Mann kasernierte Polizei zu haben. Die Verhältnisse haben sich in der Zwischenzeit nicht zu unseren Gunsten, sondern zu unseren Ungunsten entwickelt. Drüben ist fortgesetzt eine Verstärkung der inneren Streitkräfte, der Polizeistreitkräfte wie der militärischen Streitkräfte erfolgt, und wir haben es durch unsere Beschlüsse nur auf 10 000 Mann Grenzschutz gebracht.
Die Einzelheiten des Mißverhältnisses des Gefälles von Ost nach West sind soeben von meinem Vorredner eindrucksvoll dargetan worden. Ich halte es für meine unabweisbare Pflicht, in Übereinstimmung mit dem gesamten Kabinett in dieser entscheidenden Stunde erneut vor Sie zu treten und Sie mit aller Eindringlichkeit zu bitten, der Regierung die Möglichkeit zur Festigung unserer inneren Sicherheit nicht zu versagen.
Ich habe immer wieder betont, daß die Aufgabe des Bundesgrenzschutzes nicht darin erblickt werden darf, polizeilichen Einzelvollzugsdienst an einer viele Hundert Kilometer langen Grenze zu leisten. Das ist in erster Linie eine Aufgabe der Polizeien der Länder — Polizei ist Länderangelegenheit —, insbesondere ist es Aufgabe der Landesgrenzpolizei, soweit eine solche von den Ländern überhaupt eingerichtet worden ist. Ich bin den Ländern dankbar, soweit sie solche Grenzpolizeien eingerichtet haben, für die mühsame und verantwortliche Arbeit, die die Länderpolizeien auf diesem Gebiet schon bisher geleistet haben, und für die gute Zusammenarbeit mit dem Bund in den Fragen des Bundesgrenzschutzes. Insbesondere begrüße ich, daß mit dem Land Bayern diese guten Beziehungen sowohl zwischen der Landesregierung und dem Bund als auch zwischen der bayerischen Landesgrenzschutzpolizei und der bayerischen Bereitschaftspolizei und dem Bund bestehen. Ich habe in keiner Weise die Absicht, den Bestand oder den landeseigenen Charakter dieser bayerischen Grenzpolizei irgendwie zu beeinträchtigen, und ich würde jederzeit bereit sein, falls die bayerische Landesregierung es wünscht oder damit einverstanden ist, ein Verwaltungsabkommen auch schriftlich festzulegen. Wir geben damit in keiner Weise irgendwelche Belange oder Zuständigkeiten des Bundesgrenzschutzes preis.
Der Bundesgrenzschutz als eine kasernierte und motorisierte Polizeitruppe ist dazu berufen, die
Ruhe und Ordnung im Grenzgebiet durch einen schnellen und nötigenfalls massierten Einsatz ganzer Polizeieinheiten zu gewährleisten. Die Ereignisse der letzten Tage in Berlin sind ein geradezu aufrüttelndes Beispiel dafür, wie rasch politische demonstrative Kundgebungen und Massenaktionen auf einmal auch an unserer Ostgrenze Verhältnisse schaffen können, denen der einzelne Patrouillendienst nicht mehr gewachsen ist. Vielmehr können Verhältnisse geschaffen werden, die den plötzlichen massierten Einsatz hier und dort oder auch in größeren Zusammenhängen erforderlich machen, Verhältnisse, denen von vornherein mit den nötigen Maßnahmen, gegebenenfalls mit Einsatz massierter motorisierter Kräfte, gegenübergetreten werden muß.
Natürlich muß der Bundesgrenzschutz in ständiger Fühlung mit der Grenzbevölkerung und ihren besonderen Sorgen bleiben. Das tun wir auch in einem aufreibenden Einzeldienst, bei dem die wenigen Leute auf dei langen Ostgrenze wirklich Tag und Nacht in Anspruch genommen werden. Ich erinnere daran, daß vor kurzem in einem ganzen Landkreis eine Panikstimmung auftrat, weil — von unbekannter Seite veranlaßt — plötzlich in der Bevölkerung des Landkreises das Gefühl entstand, daß bei den fortwährenden Verschiebungen der Grenzpfähle von seiten der östlichen Gewalthaber der ganze Kreis einkassiert werden sollte. Nur mit Mühe gelang es, sowohl durch die Behörden wie durch den Einmarsch des Bundesgrenzschutzes in diesen Kreis, diese Panikstimmung zu vermindern und zu besänftigen.
Ich bin daher gewillt, auch alle Vorarbeiten an der Grenze weiterzuführen. Im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung habe ich an Hand vor vorgelegten Karten und Einzelplänen dargelegt, wie ich gewillt bin, diese Vorarbeiten für die Verdoppelung des Bundesgrenzschutzes entlang ,der Zonengrenze durch einen Gürtel nicht von einzelnen Posten, sondern von Stützpunkten zu schaffen. Das soll vor allen Dingen deshalb geschehen, damit unsere Bevölkerung an der Zonengrenze durch den Augenschein die Gewißheit hat, daß wir sie nicht abgeschrieben haben, daß der Bundesgrenzschutz auf der Wacht ist und ihnen Tag und Nacht in all den täglichen Sorgen und Nöten zur Verfügung steht, denen sie ausgesetzt ist. Das bezieht sich sowohl auf den Schutz der Erntearbeiten an den Grenzen wie auf den Schutz gegen Verschleppung von Personen und Eigentum und auf all die zahllosen Übergriffe. In dieser Richtung begegnen sich meine Gedanken durchaus auch mit den Ausführungen, die die Opposition in dieser Richtung gemacht hat. Ich darf mich auf die langen Verhandlungen im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung berufen, in denen ich den guten Willen der Bundesregierung, insbesondere des Innenministeriums, dokumentiert habe, weitgehend in Übereinstimmung mit ihr zu handeln.
Die Masse des Bundesgrenzschutzes halte ich allerdings in großen geschlossenen Formationen, damit sie in der Lage sind, entweder einzeln eingesetzt zu werden oder sich auch alle zusammen zu einem geschlossenen Einsatz zu finden. Der Einwand, die Bundesregierung könnte Krisensituationen an der Grenze auch durch Unterstellung der Landesbereitschaftspolizeien meistern, ist ja schon nach der Verfassung nicht möglich und nicht anzu-
erkennen. Über die Polizeikräfte der Länder kann ich nur im Rahmen des Art. 91 des Grundgesetzes verfügen, d. h. nur dann, wenn der Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes gefährdet ist und das Land oder die Länder nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, dieser Gefahr zu begegnen.
Meine Damen und Herren, die jüngsten Ereignisse in Berlin haben Ihnen aber deutlich gezeigt, daß es Voraussetzungen gibt, die nicht unter Art. 91 fallen und die trotzdem eine hochgradige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Grenzgebiet entstehen lassen können und die nur beseitigt werden können durch den starken und schnellen Einsatz geschlossener Einheiten. Ich kann in einer solchen Lage nicht noch vorher in eine Prüfung darüber eintreten, ob die demokratische Grundordnung nach Art. 91 gefährdet ist. Ich käme viel zu spät. Ich muß außerhalb des Art. 91 Möglichkeiten haben, der Bevölkerung den Schutz zu geben, auf den sie Anspruch hat. Aus diesem Grunde kann ich auch nicht darauf eingehen, die Hälfte der noch freien Quote von 10 000 Mann auf die Bereitschaftspolizeien der Länder zu übertragen. Denn ich kann ja dann erst wieder beim Vorliegen besonderer qualifizierter Tatbestände über sie verfügen, und wir brauchen diese 5000 Mann ebenso nötig wie die andere Hälfte der begehrten 10 000.
Eine solche Einstellung hat wirklich nichts mit einer mir so oft zu Unrecht nachgesagten betont übertriebenen zentralistischen Einstellung zu tun. Meine Sorge entspringt ausschließlich dem Gefühl der höchsten und letzten Verantwortung auch Ihnen und unserer gequälten Grenzbevölkerung gegenüber für die Sicherung unserer Grenzen auch gegen Eingriffe größeren Maßstabes. Deshalb kann ich auch den Einwand nicht gelten lassen, daß solche Gefährdungen ja durch die alliierten Streitkräfte pariert werden könnten. Gewiß kann es sich letzten Endes um militärische Auseinandersetzungen handeln, die uns, wie ich herzlich und innig hoffe, erspart bleiben mögen; dann versagen allerdings unsere leichten polizeilichen Streitkräfte, und dann handelt es sich um militärische Maßnahmen, die unter den heutigen Verhältnissen Pflicht und Sorge der Alliierten sein müssen. Es sind aber auch Aktionen der Gegenseite denkbar, bei denen auf der Gegenseite kein einziger echter Soldat oder als Volkspolizist getarnter Soldat in Marsch gesetzt wird und bei denen trotzdem erhebliche Störungen politisch-demonstrativen Charakters erreicht werden können. Das ist aber in erster Linie eine deutsche und eine polizeiliche und nicht eine militärische Angelegenheit der Alliierten.
Keiner von uns in diesem Hohen Hause weiß, welche Entwicklungen uns bevorstehen, die uns auf dem Gebiete der polizeilichen Sicherung unserer Grenzen vor Aufgaben von größter Tragweite und Verantwortung stellen. Deshalb — und das ist noch einmal mein eindringlicher Appell an das ganze Hohe Haus -- müssen wir sowohl in der Legislative wie in der Exekutive alles tun, was im Bereich des uns Möglichen liegt, damit wir für eine Bewährungsprobe wirklich alle uns möglichen Vorbereitungen getroffen haben, damit wir für schwerwiegende Prüfungen bestens vorbereitet sind.
Ich bitte Sie deshalb eindringlich, dem Antrag der Regierungsparteien auf Vermehrung des Bundesgrenzschutzes Ihre Zustimmung zu geben und uns endlich zu helfen, unsere Sicherheit wesentlich I zu verbessern.