Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag nicht deshalb gestellt, um einem eventuellen Verbot der KPD und seinen Folgen vorzubeugen. Wir wissen, daß Sie die KPD nicht verbieten können. Wir stellen diesen Antrag, um grundsätzlich herauszustellen, was mit diesem § 52 b von seinen Bejahern gewollt ist. Durch diesen § 52 b, Folgen eines Parteiverbots, soll zum Gesetz erhoben werden, daß Abgeordnete einer Partei oder sogar einer Teilorganisation dieser Partei ihr Mandat verlieren, wenn die Partei oder die Teilorganisation einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 21 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärt wird. Sie wissen sicherlich von dieser lächerlichen Aufstellung — die in die vielen -zig geht — der verfassungsfeindlichen Teilorganisationen und „Tarnorganisationen der KPD", die der Herr Bundespolizeiminister aufgestellt hat. Nehmen Sie einmal an, eine dieser von ihm als verfassungsfeindlich deklarierten, an und für sich gar nicht existierenden Teilorganisationen der KPD wird — das ist passiert, das ist möglich — vom Bundesverfassungsgericht, ohne daß überhaupt ein Beklagter da ist und zu ermitteln ist, verboten; dann fallen unsere Mandate hier weg, weil das Bundesverfassungsgericht eine gar nicht existierende, nur in der Phantasie des Herrn Bundespolizeiministers bestehende Organisation formal verboten hat. Diese Möglichkeiten sind nach dem Gesetz gegeben, und hier auf Auswirkungen und Auslegungen dieser Möglichkeiten hinzuweisen, halte ich mich wirklich für verpflichtet.
Es soll weiter zum Gesetz erhoben werden, daß, falls diese Abgeordneten in Wahlkreisen gewählt worden sind, die Wahl zu wiederholen ist. Dabei soll sogar festgelegt werden, daß Abgeordnete, die auf Grund ,dieses Gesetzes ihren Sitz verloren haben, bei Wiederholung der Wahl nicht als Bewerber auftreten können. Die Sitze von Abgeordneten, die auf Landeslisten gewählt werden, sollen nach diesem Gesetz unbesetzt bleiben; mit einer bezeichnenden Einschränkung allerdings, die dahin geht, daß, wenn diese Abgeordneten auf der Landesliste einer nicht für verfassungswidrig erklärten Partei gewählt worden sind, später aber sich dieser als verfassungswidrig deklarierten Partei angeschlossen haben, der nächste nicht gewählte Bewerber der ursprünglichen Landesliste nachrücken soll. Außerdem wird durch das Gesetz festgelegt, daß die Mitgliederzahl des Bundestages sich um die Zahl der
abgesprochenen Mandate verringert, deren Inhaber das Mandat verloren haben. Ein ganzer Rattenschwanz also von Bestimmungen, die alle an und für sich verfassungswidrig sind und die der ganzen bisherigen Konzeption vom Wesen des Mandats eines Abgeordneten, wie sie bisher seitens der Koalitionsparteien und der SPD vertreten worden ist, ins Gesicht schlagen.
Durch diesen neuen Paragraphen soll eine Verletzung des Grundgesetzes sanktioniert werden, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1952 gegen die SRP erfolgt ist. In diesem Urteil wurde bekanntlich statuiert, daß die Bundestags- usw. -mandate von Abgeordneten, „die auf Grund von Wahlvorschlägen der SRP gewählt sind oder zur Zeit der Urteilsverkündung dieser Partei angehörten, ersatzlos fortfallen". Das Bundesverfassungsgericht hat in Begründung seines Urteils vom 23. Oktober 1952 ausdrücklich ausgeführt, daß es für den einzelnen individuellen Fall die verfassungsmäßige Voraussetzung für den Wegfall des Mandats nicht feststellen könne und auch nicht feststellen wolle. Damit hat sich das Bundesverfassungsgericht über die Bestimmung des § 13 Nr. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht hinweggesetzt, dessen Inhalt der Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundestags, der Herr Abgeordnete N e u m a y er von der FDP, in der Bundestagssitzung vom 18. Januar 1951 dahingehend erläutert hat:
Ein Mandatsverlust kann nach der Gesetzesvorlage in diesem Falle nicht ausgesprochen werden.
Er hat also gesagt, daß ein Mandatsverlust im Falle eines Parteiverbotes durch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht herbeigeführt werden könne, daß der Mandatsverlust in diesem Gesetz nicht vorgesehen sei und demnach nicht stattfinden solle. Herr Neumayer hat damals weiter gesagt:
Ein solcher kann sich aber aus einem Verfahren wegen Verwirkung der Grundrechte gegen den einzelnen Angehörigen der Partei ergeben, wenn ihm die Wählbarkeit abgesprochen wird. Das Verbot der Partei als solcher zieht nicht den Verlust des Mandats ihrer Abgeordneten nach sich.
So der Herr Berichterstatter anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht.
In der 239. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 27. November 1952 hat sich der Herr Berichterstatter Dr. Schneider, FDP, an diesem schwierigen Komplex mit der Feststellung vorbeigedrückt:
... konnten wir nur noch die einzige Schlußfolgerung ziehen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil schon gezogen hatte, nämlich daß die Voraussetzungen des Mandatsverlustes in der Person des Abgeordneten Dr. Dorls gegeben waren.
Zu dem Bericht des Ausschußberichterstatters in der Sitzung vom 27. November 1952 habe ich erklärt:
Ich behaupte, daß das Grundgesetz keine Möglichkeit zuläßt, einem gewählten Abgeordneten
das Mandat abzusprechen mit der Begründung,
die Partei, auf deren Liste oder für die er gewählt worden sei, sei verfassungswidrig. In der ganzen Debatte im Parlamentarischen Rat um diesen Artikel hat niemand auch nur andeutungsweise eine derartige Möglichkeit bejaht. Ja,
— so sagte ich damals —
ich behaupte, daß bereits im Parlamentarischen Rat diese Möglichkeit einstimmig abgelehnt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat nach unserer Auffassung also, statt im Rahmen des Grundgesetzes zu urteilen, ob diese Partei verfassungswidrig ist oder nicht, eigenes Verfassungsrecht geschaffen. Das ist nicht die Funktion des Bundesverfassungsgerichts.
Damals sagte ich:
Aber da Sie ja offensichtlich bereit sind, widerspruchslos diese Kompetenzüberschreitung des Bundesverfassungsgerichts anzuerkennen und hinzunehmen, halte ich mich verpflichtet, doch noch auf eine Seite der Sache einzugehen, um die ganz eigenartige derzeitige Haltung der Fraktionen ins rechte Licht zu setzen und sie mit der ursprünglichen Haltung bei der Abfassung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zu vergleichen. In dem Regierungsentwurf zu diesem Gesetz, Bundestagsdrucksache Nr. 788, hieß es:
Die Aberkennung eines Mandates, das Angehörige der verbotenen Parteien besitzen, ist nicht vorgesehen, weil das nur vertretbar wäre, wenn damit eine Neuwahl des Parlaments verbunden werden könnte.
Also nicht eine Neuwahl in dem einzelnen Fall, sondern eine Neuwahl des Parlaments! Das hat damals der Regierungsvertreter als Meinung des zuständigen Ministeriums vorgetragen.
Die Abgeordneten der verbotenen Parteien
— so sagte der Regierungsvertreter damals — bleiben als fraktionslose Mitglieder des Parlaments.
Ich habe in der Sitzung vom 27. November 1952 weiter erklärt:
In dem zuständigen Ausschuß, der sich laut Beschluß des Bundestags mit diesem Entwurf befaßt hat, hat lediglich der Herr Abgeordnete Kiesinger einmal die Meinung vertreten, es sei keine Verfassungsverletzung, wenn ein solcher Mandatsverlust ausgesprochen werde.
Ich erinnere daran, welche Diskussionen um den Charakter eines Mandats im Parlamentarischen Rat geführt worden sind und daß damals das Mandat von der Fraktion bzw. von der Partei absolut getrennt worden ist. Niemand kann heute die Richtigkeit meiner
— damaligen —
Feststellung bestreiten. Aber in diesem Ausschuß hat dann der damalige Abgeordnete Zinn eine ganz scharf ablehnende Stellungnahme zu der Auffassung des Herrn Kollegen Kiesinger vorgetragen, und Herr Dr. Geiger vom Bundesjustizministerium hat damals ausgeführt, in der Frage der Aberkennung eines Mandats sei man im Ministerium der Meinung, daß sich der Art. 21 des Grundgesetzes nur
- hören Sie gut zu! —
auf die Vernichtung der Parteiorganisation beziehe, nicht aber auf die einzelnen Angehörigen
der Partei, auch nicht auf ihre Abgeordneten.
Der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz, DP, hat in der damaligen Parlamentssitzung erklärt — ich zitiere wörtlich —:
Aber die Frage der Zugehörigkeit zu diesem Hause, die Frage des Mandats, das unabhängig von der Parteizugehörigkeit zu beurteilen ist, ist die Grundlage eines parlamentarisch-demokratisch regierten Staates. Ich
- so sagte Herr Merkatz damals —
möchte seitens meiner Fraktion einen ausdrücklichen Protest zu Protokoll geben, daß die Aberkennung des Mandats nicht durch ein individuelles Verfahren durchgeführt worden ist, sondern daß sie global und, wie ich glaube, im Widerspruch zum Wesen des Mandats und zu den Verfassungsgrundsätzen mit in den Spruch gegen die Partei — als Exekutionsfolge — eingeschlossen worden ist ....
Für die Zukunft möchte ich ... namens meiner politischen Freunde grundsätzlich diesen Protest zu Protokoll geben, damit künftig die Aberkennung des individuellen Mandats durch individuelle Verfahren erfolgt.
In der 252. Sitzung des Bundestages am 4. März 1953 hat sich der Bundesjustizminister Dr. Dehler persönlich zu dem Komplex geäußert. Er hat gesagt:
Das Entscheidende bei diesem Urteil — ich will auf Einzelheiten gar nicht eingehen — ist doch wohl, daß das Verfahren sich nur gegen die Partei als solche richtete und daß das Urteil Mandate aberkannte — meine Damen und Herren, Mandate, die ja nicht durch die Partei, sondern durch die Wähler gegeben worden sind, mit der Folge, daß diese Wähler in den Parlamenten nicht mehr vertreten sind. Ich sage, daß für diese Aberkennung keine rechtliche Möglichkeit, aber auch kein Bedürfnis bestand, weil die Möglichkeit der Aberkennung der Mandate im Wege des Verwirkungsantrags
— gemeint, so füge ich hinzu, ist ein Verwirkungsantrag nach Art. 18 des Grundgesetzes —
bestanden hätte.
In der Debatte um einen Mißbilligungsantrag gegen den Herrn Bundeskanzler hat der Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, der Herr Abgeordnete Dr. Arndt, am 5. März dieses Jahres folgendes erklärt:
Ich habe gegen einzelne Teile des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wegen des Verbots der SRP so starke Bedenken, daß ich mich seinerzeit, als Sie Herrn Dorls aus dem Hause ausschlossen, ostentativ der Stimme enthalten habe, sicherlich nicht aus irgendeiner Sympathie für Herrn Dorls. Wenn Sie aber der Meinung waren, daß hier verfassungsrechtliche Bedenken trotz des Urteils beständen, so hätten Sie eigentlich anders stimmen sollen.
Das war also die Meinung des Herrn Arndt, des Sprechers der SPD.
Selbst Herr Kiesinger von der CDU mußte an diesem Tag — allerdings in der Abwehr des Mißbilligungsantrags der SPD gegen den Herrn Bundeskanzler — erklären:
Auch mich hat dieses Urteil mit tiefstem Bedenken erfüllt, und zwar wegen der Konsequenzen, die es haben kann. Ich will auch hier
dem Bundesverfassungsgericht in keiner Weise vorwerfen, daß es parteiisch Recht gesprochen habe. Aber gerade dieses Urteil zeigt, wie bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts politische Erwägungen mit Rechtserwägungen fast untrennbar verbunden sind.
Und Herr Kiesinger fuhr fort:
... aber gewisse Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit der Frage des Verbots einer Partei und des damit verbundenen Mandatsverlustes und seine Ausführungen darüber, daß sich der Grundgesetzgeber über die prinzipielle Unvereinbarkeit des Art. 38 GG, der ja die Unabhängigkeit der Abgeordneten festlegt, und des Art. 21 GG nicht im klaren gewesen sei, und die daraus für die Zukunft etwa noch zu erwartenden weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nötigen uns ja, dazu Stellung zu nehmen.
Ich könnte dieser Stellungnahme führender Politiker aus dem Hohen Hause noch die Stellungnahme eines prominenten Staatsrechtswissenschaftlers, des Herrn Geiger, hinzufügen, der in seinem Kommentar zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht dazu folgendes sagt—ich zitiere—:
Das Verfahren richtet sich gegen die Partei. Auf sie hat sich deshalb die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit ihrem Inhalt und ihrer Wirkung zu beschränken . Sie kann weder die Existenz einer Parlamentsfraktion, die aus Abgeordneten der verbotenen Partei besteht, noch das Mandat dieser Abgeordneten berühren; denn die Fraktion ist keine Einrichtung der Partei, sondern eine entsprechend der Geschäftsordnung des Parlaments gebildete und dort mit besonderen Rechten ausgestattete Gruppe von Abgeordneten, die nicht notwendig ein und derselben Partei angehören müssen, einer Partei überhaupt nicht anzugehören brauchen. Auch das Mandat des Abgeordneten
- so sagt Geiger in seinem Kommentar —
ist von der Existenz seiner Partei unabhängig. Es ist ihm durch die Wahl des Volkes zugefallen. Er behält es deshalb auch nach dem Verbot der Partei und führt es als „Parteiloser" fort.
Ich bin nun der Meinung, daß diese Bezugnahme auf die Meinung von Politikern und Staatsrechtswissenschaftlern Ihnen Anlaß genug sein müßte, diesen Paragraphen des Gesetzentwurfs zu streichen; denn in diesem Paragraphen wird die „Stellungnahme", die Herr Kiesinger damals gefordert hat, bezogen, aber nicht etwa gegen das verfassungswidrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sondern in der Linie, dieses Urteil dadurch zu sanktionieren, daß Sie nun durch ein einfaches, simples Gesetz eine Verfassungsänderung beschließen wollen. Das ist der wahre Inhalt dieses Paragraphen. Sie wollen also statt einer notwendigen Verfassungsänderung, um dieselbe Wirkung zu erzielen, jetzt auf dem kalten Wege, mit einem einfachen Gesetz, dieselbe Wirkung erzeugen.
Politische Erwägungen, aber keine Rechtserwägungen sind für die Bejaher dieses § 52 b über Folgen eines Parteiverbots bestimmend. Es kommt den Bejahern dieses Paragraphen darauf an, den
kommunistischen Abgeordneten im neuen Bundestag die Mandate zu rauben, die ihnen das deutsche Volk zugesprochen hat. Ich glaube, Sie sollten sich, da Sie doch immer wieder den rechtsstaatlichen Charakter Ihres Staates herausstellen und bei jeder Gelegenheit betonen, wie sehr Sie das Grundgesetz mit Händen und Zähnen zu verteidigen bereit sind, bei diesem § 52 b wirklich überlegen, was Sie tun. Sie begehen einen Rechtsbruch, indem Sie die Verfassung durch ein einfaches, simples Gesetz ändern. Man soll jedoch den Anfängen widerstehen. Das ist ein alter Grundsatz. Bei der Großzügigkeit, mit der sowieso gewisse Minister dieser Bundesregierung, dieser Adenauer-Regierung mit dem Grundgesetz umspringen, bei dieser Grundsatzlosigkeit, die z. B. gewisse Maßnahmen des Herrn Bundespolizeiministers zum Zwecke der Abtreibung von Sälen usw. — Sie wissen genau, was ich meine — kennzeichnet, sollten sich die Vertreter des Rechtsprinzips und der Demokratie fein überlegen, ob sie einem derartigen Paragraphen ihre Zustimmung geben können.
Wir beantragen also wegen der Grundsätzlichkeit und weil dieser Paragraph unserer festen Überzeugung nach — was Sie früher selbst durch Ihre prominentesten Vertreter haben zum Ausdruck bringen lassen — gegen das Grundgesetz verstößt, seine Streichung. Wir hoffen, daß unserem Antrag stattgegeben wird.