Diese beiden Fragen gehören zusammen. Es handelt sich in beiden Fällen darum, daß diesem Hause auch Abgeordnete angehören sollen, die im Lande Berlin gewählt worden sind, und zwar nach einem Gesetz, das in West-Berlin selbst durch das dortige Abgeordnetenhaus zu verabschieden ist.
§ 5 der Ausschußvorlage, über den bereits abgestimmt wurde, enthält den Vorschlag, daß auch wählbar sein soll, wer seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Lande Berlin hat, falls er die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt. Über diese Frage, ob die Bevölkerung von West-Berlin an der Wahl zum Bundestag beteiligt sein soll, hat es sehr langdauernde und teilweise heftige Auseinandersetzungen im Ausschuß und außerhalb des Ausschusses gegeben. Der Streit ging vor allem um die Frage, ob die bestehenden interalliierten Bestimmungen für die Entscheidung in dieser Frage maßgeblich sein sollten oder ob, wie die andere Seite sagte, die deutschen Wünsche maßgeblich sein sollten, und zwar unabhängig von der jetzigen Form der alliierten Bestimmungen, die auf Viermächtebasis getroffen worden sind. Natürlich sind wir der Auffassung, daß die echten deutschen Interessen vor alliierten Bestimmungen den Vorrang zu genießen haben, soweit die alliierten Bestimmungen diesen deutschen Interessen entgegenstehen. Hier ist aber mit allem Ernst die Frage zu prüfen, ob eine Beteiligung der West-Berliner Bevölkerung an den Wahlen zum Bundestag tatsächlich den gesamtdeutschen Interessen entspricht. Ich glaube, deutsche Wünsche sollten dadurch gekennzeichnet sein, daß sie darauf abzielen, alles zu unterlassen, was der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands im Wege steht, und alles zu fördern, was die Wiedervereinigung Deutschlands erleichtert. Wenn die im Ausschuß aufgestellte Forderung nach Beteiligung der West-Berliner Bevölkerung an den Wahlen zum Bundestag zum Gesetz erhoben werden sollte, so wäre das ein Beitrag zur Vertiefung der Spaltung Deutschlands. Die Annahme dieser Bestimmung würde den gegenwärtigen Bemühun-
gen, auf Grund einer allgemeinen Verständigung zu einer Lösung der deutschen Frage zu kommen, im Wege stehen.
Dieser Wunsch, die West-Berliner Bevölkerung an den Wahlen zum Bundestag teilnehmen zu lassen, ist in einer bestimmten Weise eine Verwirklichung der These, daß West-Berlin ein Teil der Bundesrepublik sei, die Verwirklichung der These, daß darum West-Berlin auch formell in die Bundesrepublik eingegliedert werden sollte.
Nun, meine Damen und Herren, diese Frage ist keineswegs, auch außerhalb der Anhänger meiner politischen Auffassung, unumstritten. Ich möchte Sie daran erinnern, daß noch vor einiger Zeit in diesem Hause von der überwiegenden Mehrheit die Auffassung vertreten wurde, daß auch das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik theoretisch und politisch zur Bundesrepublik gehöre. Es gab Sprecher dieses Hauses, die da erklärten, nicht nur Dresden und Magdeburg, sondern auch Groß-Berlin seien Bestandteil der Bundesrepublik.
Aus dieser Auffassung resultiert doch wohl der Vorschlag, der sich in der Ausschußfassung findet, daß nämlich die Bevölkerung von West-Berlin auch ihre Abgeordneten in dieses Haus schicken möge. Wir haben aber in der Zwischenzeit erlebt, daß besonders jene Partei, die früher auf die Feststellung so großen Wert legte, Groß-Berlin sei ein Teil der Bundesrepublik, diese Auffassung widerrufen hat. Sie erklärte jetzt — ich meine die Sozialdemokratische Partei —, daß Adenauer nicht befugt sei, für ganz Deutschland zu sprechen, daß vor allen Dingen die Bundesrepublik nicht befugt sei, irgendwelche Entscheidungen vorwegzunehmen, die nur ein Gesamtdeutschland treffen könne, und daß sie vor allem nicht berechtigt sei, Entscheidungen zu treffen, die von der Nationalversammlung des kommenden geeinten Deutschlands zu treffen seien.
Wenn Sie aber heute durch einen solchen willkürlichen Beschluß etwa festlegen sollten, daß in die bestehenden Verhältnisse willkürlich eingegriffen wird, nicht auf der Grundlage einer Verständigung, sondern auf der Grundlage eines einseitigen Aktes, dann nehmen Sie tatsächlich Entscheidungen vorweg, die einer künftigen gesamtdeutschen gesetzgebenden bzw. verfassunggebenden Körperschaft vorbehalten sein müssen.
Und noch ein Weiteres, meine Damen und Herren. Ein großer Teil der Mitglieder dieses Hauses war ja früher immerhin der Auffassung, Berlin, und zwar Groß-Berlin, könne in gewissem Sinne ein Ausgangspunkt zur Lösung der gesamtdeutschen Frage werden, und zwar gerade wegen seiner Sonderstellung, die es innerhalb Deutschlands einnimmt. Gerade weil für Groß-Berlin heute noch ein Viermächtestatus gültig ist, gerade darum sind sie der Meinung, daß man auf dem Boden Berlins sozusagen ein Exempel statuieren könnte, wie die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands vor sich gehen könne. Ich möchte Sie an diese Ihre Politik erinnern, und ich glaube, es steht mit der damals vertretenen These nicht im Einklang, wenn Sie jetzt die Gleichschaltung West-Berlins mit der Bundesrepublik verlangen.
Übrigens müßten Sie auch sonst ein wenig mehr Konsequenz an den Tag legen, meine Damen und Herren. Sie haben die Sonderstellung Berlins aus einer ganzen Reihe von politischen Erwägungen bisher stets bejaht. Ich erinnere Sie daran, daß die Bestimmungen über die Sonderstellung von WestBerlin im Generalvertrag von keiner Seite dieses
Hauses, mit Ausnahme der kommunistischen Fraktion, angefochten worden sind. Sie wollten damals aus diesem Anlaß Ihre ausdrückliche Zustimmung zur Aufrechterhaltung des Sonderstatus für Berlin aussprechen, weil Sie glaubten, Sie könnten damit eine Garantie für die bestehenden Machtverhältnisse, für die bestehenden politischen Verhältnisse in West-Berlin erreichen, und zwar bezogen sowohl auf die deutschen Verwaltungsorgane, auf die deutsche Politik, wie vor allem auch auf die Politik und auf die Positionen der westlichen Besatzungsmächte. Wenn Sie also einerseits eine Sonderstellung von West-Berlin oder von ganz Berlin mit Rücksicht auf die gegenwärtige deutsche Lage für angebracht halten, dann können Sie andererseits aus Anlaß dieser Wahlgesetzdebatte nicht die Herstellung von einseitigen Entscheidungen befürworten und praktisch eine Anschlußpolitik durch einseitigen Akt durchführen.
Im übrigen möchte ich Ihnen sagen: Was Sie hier vorschlagen, ist nicht nur keine Lösung, sondern es ist nicht einmal der geringste Schritt in der Richtung zu einer Lösung sowohl der Berliner wie der gesamtdeutschen Frage. Die kommunistische Fraktion hat seinerzeit bei der zweiten Lesung des Generalvertrags am 4. und 5. Dezember 1952 dem Hause konstruktive Vorschläge unterbreitet, wie wir zu einer Lösung der Berliner Frage kommen können, die im Interesse der Berliner Bevölkerung und auch im Interesse der gesamten deutschen Bevölkerung liegen. Ich möchte diesen Vorschlag darum heute zitieren, weil es notwendig ist, solchen Vorschlägen, die aus rein agitatorischen Überlegungen geboren sind, die schädlich sind und die der gesamtdeutschen Wiedervereinigung im Wege stehen, andere Vorschläge gegenüberzustellen, die der Wiedervereinigung und der Verständigung der Deutschen dienlich sind.
Wir verlangten damals:
1. Die drei Westmächte werden aufgefordert, mit der Sowjetunion in Verhandlungen zu treten mit dem Ziel des sofortigen Abzugs aller militärischen Garnisonen aus Berlin, der Aufhebung der Sektorengrenzen und der Durchführung freier demokratischer Wahlen zu einem Gesamtberliner Magistrat.
2. Die drei Westmächte werden aufgefordert, das kleine Besatzungsstatut für Berlin vom 8. März 1951 aufzuheben. Die Bevölkerung West-Berlins muß unverzüglich, ebenso wie die Bevölkerung Ost-Berlins, alle im Grundgesetz garantierten demokratischen Rechte und Freiheiten erhalten.
Meine Damen und Herren, diese Erklärung, die wir damals abgegeben und die wir in die Form eines Entschließungsantrags gekleidet haben, ist heute, im Juni 1953, wortwörtlich noch so gültig wie damals. Aus diesem Grunde sieht sich die kommunistische Fraktion veranlaßt, den Formulierungen in den §§ 1, 5, 6 und 54, die sich auf die Anteilnahme von West-Berlin an den Bundestagswahlen beziehen, abzulehnen.
Nun zu den übrigen Komplexen, die in den §§ 6 ff angesprochen sind. Ich darf auch hier darum bitten, Herr Präsident, mir zu gestatten, schon bei diesem Anlaß alle nachfolgenden Punkte mitbegründen zu dürfen, die in Umdruck Nr. 979, Änderungsantrag der KPD, enthalten sind, und zwar bis einschließlich Ziffer 15, weil sie inhaltlich alle mit unserem Antrag zusammenhängen, den § 6 durch eine andere Fassung zu ersetzen.