Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Meinungsverschiedenheiten darüber, welches Wahlsystem den Erfordernissen der Demokratie am besten gerecht wird, gehen bei den Trägern der politischen Meinungs- und Willensbildung in unserem Volk — aber nicht nur in unser e m Volk — beträchtlich auseinander. Der 52. Ausschuß, für den zu berichten ich die Ehre habe, hat von Anfang an auf den Versuch verzichten müssen, die Grundsatzdebatte zum Wahlrecht wieder aufzunehmen oder gar zu vertiefen. Seiner Arbeit war ein relativ enger Rahmen gesetzt.
Wir stehen vor der Notwendigkeit, ein neues Wahlgesetz zu schaffen, nachdem das 49er Gesetz ausdrücklich nur für die Wahl zum ersten Bundestag geschaffen worden war. Wir standen und stehen außerdem unter einem gewissen Zeitdruck. Der Regierungsentwurf lag dem Bundestag erst im März dieses Jahres zur ersten Beratung vor. Die sachlichen Meinungsverschiedenheiten über die Güte oder Zweckmäßigkeit dieses oder jenes Wahlsystems sind teilweise durchkreuzt und vielfach überschattet worden durch tagespolitische Gesichtspunkte, die mit den Vorbereitungen zum Wahlkampf selbst zusammenhängen.
Sicherlich ist es nicht der Weisheit letzter Schluß, über das Wahlsystem unmittelbar vor Neuwahlen beschließen und dabei noch über wesentliche Änderungen des Systems entscheiden zu wollen. Der Ausschuß hatte jedoch dem Hause einen Vorschlag zu machen; das war sein Auftrag. Der Ihnen in Drucksache Nr. 4450 vorliegende Vorschlag stützt sich leider vom Ausschuß her nicht auf eine so breite Mehrheit, wie sie in Anbetracht des Gegenstandes zu wünschen gewesen wäre. Die Mehrheit hat sich jedoch von der Erwägung leiten lassen, daß den allgemein-politischen Notwendigkeiten am ehesten ein Kompromiß entsprechen würde, ein Kompromiß, das gewisse Grundzüge des 49er Wahlsystems aufrechterhält und sie durch neue Gesichtspunkte ergänzt. Eine solche Lösung wird hoffentlich dazu beitragen können, daß das Gefühl der Fairneß vorherrscht, wenn die Wähler in weniger als drei Monaten an die Urnen treten.
Nach dieser Vorbemerkung darf ich von den drei Gesetzentwürfen ausgehen, die dem Ausschuß überwiesen worden waren, nämlich erstens dem Regierungsentwurf mit einem System von Hauptstimmen und Hilfsstimmen in den Wahlkreisen und mit einem internen Proporz bei der Anrechnung von Wahlkreismandaten auf die nach verbundenen Bundeslisten zu verteilenden Sitze, zweitens dem
Entwurf der Abgeordneten Dr. Wuermeling, Strauß und Genossen mit einer Kombination von relativem und absolutem Mehrheitswahlrecht — das Mandat im Wahlkreis sollte demjenigen Bewerber zufallen, der mindestens ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigt hätte, im andern Fall sollte eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern stattfinden, die die meisten Stimmen erhalten hätten — und drittens dem Entwurf der Fraktion der SPD, der, von einigen mehr technischen Änderungen abgesehen, dem Wahlgesetz zum ersten Bundestag vom Jahre 1949 entsprach.
Der Ausschuß beschloß zunächst, seinen Beratungen den Regierungsentwurf zugrunde zu legen. Dafür sprach vor allem, daß die detaillierten technischen Bestimmungen im Entwurf der Regierung systematisch besonders gut gegliedert waren. Sie werden durch eine Fußnote auf Seite 5 der Drucksache bemerkt haben, daß der Wortlaut der Beschlüsse des Ausschusses auf den Wortlaut des Regierungsentwurfs bezogen ist, so daß Änderungen auf der rechten Seite in Fettdruck und in der linken Spalte durch Kursivdruck erscheinen.
Ich werde im Verlauf meines Berichts nicht auf alle kleineren, mehr redaktionellen Änderungen in den technischen Bestimmungen eingehen. Ich darf hinzufügen, daß ich es selbst bedauere, auf keinen schriftlichen Bericht verweisen zu können; aber das hängt einfach damit zusammen, daß der Ausschuß seine Beratungen erst in der vergangenen Woche abgeschlossen hat und es auf technische Schwierigkeiten stieß, einen solchen schriftlichen Bericht fristgemäß vorlegen zu können.
Was das Kernstück des Gesetzes, die Bestimmungen über das Wahlsystem angeht, so hat der Ausschuß keinem der ihm überwiesenen drei Entwürfe seine Zustimmung gegeben. Der Regierungsentwurf ist in dieser Beziehung von keiner Seite aufgenommen worden. An Stelle des Entwurfs der Abgeordneten Dr. Wuermeling, Strauß und Genossen haben der Abgeordnete Dr. Jaeger die Einführung des relativen und der Abgeordnete Dr. Wuermeling die Einführung des absoluten Mehrheitswahlrechts beantragt. Diese Anträge sind im ersten Fall mit 4 gegen 16 Stimmen bei 7 Enthaltungen und im zweiten Fall mit 8 gegen 16 Stimmen bei 3 Enthaltungen vom Ausschuß abgelehnt worden. Das durch den SPD-Entwurf übernommene Wahlgesetz von 1949 wurde mit 10 gegen 17 Stimmen abgelehnt. Mit 13 gegen 14 Stimmen verfiel auch ein Antrag des Abgeordneten Onnen der Ablehnung. Dieser Antrag beinhaltete im wesentlichen das gleiche System wie das 49er Gesetz, allerdings bei einer Erhöhung der Abgeordnetenzahl auf 484 und bei Veränderung des Verhältnisses zwischen Wahlkreismandaten und Listenmandaten von 60 zu 40 auf 50 zu 50.
Mit 14 gegen 13 Stimmen hat der Ausschuß dann auf Antrag des Abgeordneten Scharnberg in erster Lesung beschlossen, ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht vorzuschlagen. Nach dem auch in der Öffentlichkeit so genannten Scharnberg-Entwurf sollte jeder Wähler eine Erststimme für die Wahl im Wahlkreis und eine Zweitstimme für die Wahl nach Bundesliste erhalten. Im Wahlkreis sollte der Bewerber gewählt sein, der mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hätte. Erhielt er diese Stimmenzahl nicht, sollte eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen innerhalb acht Tagen stattfinden, und bei der Stichwahl wäre der Bewerber mit den meisten Stimmen zum Zuge gekommen. In den Wahlkrei-
sen sollte demnach die Hälfte der Gesamtzahl der Abgeordneten nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit ermittelt werden. Mit der Zweitstimme sollte der Wähler eine Bundesliste wählen können. Die jeweilige Bundesliste sollte aus den Landeswahlvorschlägen der betreffenden Partei bestehen. Dabei waren auf Bundesebene Listenverbindungen und Gesamtlistenverbindungen vorgesehen. Ebenfalls sollte der interne Proporz aus dem Regierungsentwurf übernommen werden. Kandidaten, die im ersten Wahlgang ein Drittel der Stimmen im Wahlkreis erhalten hätten, sollten auf der Liste vorrangieren, wenn sie im zweiten Wahlgang nicht gewählt worden wären.
Der Entwurf des Abgeordneten Scharnberg ging also wie der Regierungsentwurf davon aus, daß insgesamt 484 Abgeordnete zu wählen seien. Die Regierung hatte in der schriftlichen Begründung zu ihrem Entwurf bereits auf die ständig wachsende parlamentarische Arbeit und auf die zunehmende Inanspruchnahme der Abgeordneten durch Mitwirkung in europäischen Organisationen hingewiesen und eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl aus diesen Gründen als nicht nur gerechtfertigt, sondern auch als notwendig bezeichnet. Anträge der Abgeordneten Dr. Jaeger und Dr. Wuermeling einerseits und des Abgeordneten Brandt andererseits, weiterhin von einer Abgeordnetenzahl von 400 auszugehen, hatten im Ausschuß keine Mehrheit gefunden. In der zweiten Lesung des Ausschusses verblieb es dann bei der Zahl 484, wie sie im Regierungsentwurf vorgesehen war.
Im übrigen wurde das Wahlsystem in der zweiten Lesung dadurch abgeändert, daß ein von der Fraktion der FDP eingebrachter Antrag mit 15 gegen 12 Stimmen angenommen wurde. Dieser Antrag, dem die Beschlüsse zu § 6 und den folgenden Paragraphen entsprechen, lehnt sich an den Scharnberg-Entwurf an, was das Zweistimmensystem und die Relation 50 zu 50 zwischen Wahlkreismandaten und Listenmandaten betrifft. Jeder Wähler erhält also eine Erststimme für die Wahl im Wahlkreis und eine Zweitstimme für die Wahl nach Landeslisten, nicht Bundeslisten. Der Wähler hat die Möglichkeit, seine Zweitstimme der Liste einer anderen Partei zu geben als jener politischen Gruppierung, für deren Bewerber er sich im Wahlkreis entscheidet.
Die Zahl der in den einzelnen Ländern zu wählenden Abgeordneten ist im Gesetz selbst festgelegt, wobei die veränderten Bevölkerungszahlen gegenüber 1949 berücksichtigt warden sind.
Die Einteilung der Wahlkreise erfolgt durch Bundesgesetz, und für die Wahl zum zweiten Bundestag gilt die gleiche Wahlkreiseinteilung, die 1949 gegolten hat. § 55 a verweist auf die Anlage, aus der sich die Wahlkreiseinteilung im einzelnen ergibt. Für die Beibehaltung der bisherigen Kreise sprach vor allem, daß der Verwaltung nach der Verkündung des Wahlgesetzes nur eine verhältnismäßig knappe Zeit zur Verfügung stehen wird. Außerdem wird der durch die Bevölkerungsentwicklung entstandene Größenunterschied zwischen einer Anzahl von Kreisen weitgehend durch die Gesamtverrechnung der Zweitstimmen unter Berücksichtigung der Wahlkreismandate ausgeglichen.
Mit der Erststimme wird nach dem jetzt vorgeschlagenen System also jener Wahlkreisbewerber gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Die Stichwahl entfällt. Es bleibt auf dieser Ebene, bei der Auswahl von 242 Abgeordneten, bei der relativen Mehrheit. Die Zweitstimme gilt für die Wahl nach Landeslisten. Alle im Lande für eine Partei abgegebenen Zweitstimmen werden zusammengezählt. Aus diesen Summen werden nach dem Höchstzahlverfahren die jeder Partei zustehenden Sitze errechnet, wobei zuvor die Sitze in Abzug gebracht werden, welche auf Kreiswahlvorschläge parteiloser Bewerber entfallen sind. Nachdem so die auf jede Partei entfallenden Abgeordnetensitze berechnet sind, werden die in den Wahlkreisen errungenen Sitze abgezogen. Die der Partei danach noch zustehenden Sitze werden aus ihrer Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. Es bleibt entsprechend dem 49er Gesetz dabei, daß in den Wahlkreisen errungene Mandate der Partei auch dann verbleiben, wenn sie die nach dem Höchstzahlverfahren ermittelten Zahlen übersteigen.
Nach § 9 a ist die Verbindung von Wahlvorschlägen mehrerer Parteien unstatthaft. Das entspricht § 16 des 49er Gesetzes.
Eine neue Bestimmung in § 52 besagt, daß bei Ungültigkeit der Wahl im Wahlkreis der Abgeordnete Mitglied des Bundestages bleibt, wenn er zugleich auf der Landesliste gewählt war, aber dort nicht zum Zuge gekommen ist, da seine Wahl im Wahlkreis vorgegangen ist.
Nach § 26 müssen alle Wahlvorschläge politischer Parteien von der zuständigen Landesleitung der Partei unterzeichnet sein. Zusätzlich bedürfen jedoch die Wahlvorschläge von Parteien, die im Bundestag oder in der Volksvertretung eines Landes in der letzten Wahlperiode nicht ununterbrochen mit mindestens 5 Abgeordneten oder als Fraktion vertreten waren, 500 Unterschriften von Wahlberechtigten des Wahlkreises. Außerdem verlangen die §§ 25 und 35 von den eben genannten Parteien den Nachweis, daß sie einen nach demokratischen Grundsätzen gewählten Vorstand, eine schriftliche Satzung und ein Programm haben. § 35 enthält in bezug auf die Landeslisten die entsprechende Bestimmung hinsichtlich der Unterzeichnung durch die Landesleitung einer Partei oder durch 500 Wahlberechtigte.
Nach § 26 Abs. 2 muß auch die Kandidatur eines parteilosen Bewerbers im Wahlkreis durch 500 Wahlberechtigte unterstützt werden. § 26 Abs. 2 bestimmt weiter, daß auf solchen, d. h. parteilosen Wahlvorschlägen nicht benannt werden kann, „wer innerhalb von 6 Monaten vor der Wahl einer Partei als Mitglied angehört hat, wenn die Partei, aus der er ausgeschieden ist, keinen eigenen Bewerber aufgestellt hat". Durch diese Bestimmung sollte nach Meinung des Ausschusses vermieden werden, daß Parteien in den Wahlkreisen gewisse ihrer Anhänger als Parteilose aufstellen, die dann, wenn sie ein Mandat errungen hätten, als Parteilose nach § 9 Abs. 1 auf die nach Landeslisten zu errechnenden Abgeordnetensitze der Partei nicht angerechnet würden. Es soll gewissermaßen einem Vorgehen vorgebeugt werden, durch das sich einzelne Gruppen faktisch zuungunsten anderer zusätzlich Mandate verschaffen könnten.
Gegen den § 26 sind in der letzten Sitzung des Ausschusses ernste Bedenken geltend gemacht worden. Es wurde der Meinung Ausdruck gegeben, daß Angehörige von Parteien benachteiligt würden, wenn sie nicht auch in den Wahlkreisen als parteiungebundene Kandidaten aufgestellt werden könnten. In diesem Zusammenhang wurde weiter die Frage aufgeworfen, ob nicht der Grundsatz der
Wahlgleichheit verletzt werde und damit ein Verstoß gegen Art. 38 des Grundgesetzes gegeben sein könne. Als diese verfassungsrechtlichen Bedenken angemeldet wurden, hatte der letzte Satz von § 26 Abs. 2 jedoch noch eine andere Fassung als die, die dem Hause jetzt vorgeschlagen wird. Der Ausschuß ist bei der jetzt vorliegenden Fassung für § 26 davon ausgegangen, daß eine echte Trennung eines parteiungebundenen Bewerbers von der Partei dann unterstellt werden darf, wenn die betreffende Partei einen eigenen Bewerber aufstellt. Im anderen Fall müsse angenommen werden — so meinte die Mehrheit des Ausschusses —, daß ein tatsächlicher Parteivertreter nur zur Tarnung als parteiloser Bewerber auftrete. Eine solche Möglichkeit wollte der Ausschuß im Interesse einer klaren Entscheidung der Wähler ausschließen.
Im Zusammenhang mit der soeben erörterten Frage haben 11 Mitglieder des Ausschusses — die Vertreter der CDU/CSU und der Deutschen Partei — die letzte Sitzung des Ausschusses vorzeitig verlassen und sich an den abschließenden Beratungen nicht beteiligt. Aus den Reihen der Mehrheit des Ausschusses wurde dazu festgestellt, daß der Minderheit nicht verweigert worden wäre, die aufgeworfenen Zweifel oder auch verfassungsrechtlichen Bedenken zu dem umstrittenen § 26 während einer Unterbrechung der Sitzung nochmals zu prüfen. Dem entgegen meinte die Mehrheit, nicht einer vorzeitigen Unterbrechung der Sitzung zustimmen zu können, da sich der Ausschuß bei der Abstimmung über den Unterbrechungsantrag erst bei der zweiten Beratung des § 9 befand.
Die Ausschußmehrheit hat dann die Beratungen abgeschlossen, da die Durchführung der zweiten und dritten Lesung im Plenum dringend geboten erschien. Es darf darauf hingewiesen werden, daß der Wahlrechtsausschuß zwar 13 Sitzungen abgehalten hat, daß jedoch eine Reihe der Sitzungen vorzeitig abgebrochen worden waren und andere überhaupt nicht zu Beratungsergebnissen geführt hatten, weil nicht weniger als achtmal Vertagungsanträgen Rechnung getragen wurde.
Ich kehre nun noch einmal zu dem § 9, Landeslisten, zurück, dessen Abs. 4 die sogenannte Sperrklausel enthält. Während im 49er Gesetz festgelegt worden war, daß Parteien mit einer Gesamtstimmenzahl von weniger als 5% im Lande bei der Errechnung und Zuteilung der Sitze unberücksichtigt bleiben sollten, wird jetzt vorgeschlagen, die Grenze bei 3 % der gültigen Zweitstimmen im Lande zu setzen. In Übereinstimmung mit dem 49er Gesetz findet die Sperrklausel keine Anwendung, sofern die betreffende Partei im Wahlkreis des Landes einen Sitz errungen hat.
Neu ist der zweite Satz in Abs. 5 von § 9. Er besagt, daß die Vorschrift in Abs. 4, also die Sperrklausel, keine Anwendung findet auf die von nationalen Minderheiten eingereichten Listen. Der Ausschuß ist dabei von dem einzigen gegenwärtig zur Erörterung stehenden Beispiel, dem der dänischen Minderheit in Schleswig, ausgegangen. Der dortige Südschleswigsche Wählerverband kann auch nach einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts nicht als eine Splitterpartei bezeichnet werden. Es würde nicht billig sein, seine Stimmen auf das ganze Landesgebiet zu beziehen. Die jetzt vorgeschlagene Regelung würde bedeuten, daß die bei den Wahlen in Erscheinung tretende nationale Minderheit einen Sitz dann erhielte, wenn er ihr nach dem Höchstzahlverfahren zustünde, auch ohne daß in diesem Fall — bei nationalen Minderheiten — die 3%-Grenze im Landesmaßstab erreicht wäre. Auf Antrag des Abgeordneten Scharnberg ist der Partei einer nationalen Minderheit weiter in § 54 a zugebilligt, daß sie einen Vertreter mit beratender Stimme, und zwar den ersten Bewerber auf ihrer Landesliste, in den Bundestag entsenden kann, wenn sie nach § 9 zwar keinen Sitz erhalten hat, wenn sie aber im Bundesgebiet mehr als ein Vomtausend der abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten hat.
Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zum § 54 über die Ausdehnung des Wahlgesetzes auf Berlin. Die Vertretung Berlins, eines Landes, in dem die Anwendung des Grundgesetzes noch Beschränkungen unterliegt, ist in Art. 144 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehen. Die Militärgouverneure haben im Mai 1949 bestimmt, daß die Vertretung Berlins im Bundestag auf eine kleinere Zahl beschränkt bleiben solle, daß die Abgeordneten aus Berlin im Bundestag nicht stimmberechtigt sein sollten und daß Berlin nicht unmittelbar durch den Bundestag regiert werden dürfe. Der letztere Punkt mag in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben. Der Vorbehalt wegen der Zahl der Abgeordneten aus Berlin ist bei der Änderung des bisherigen Wahlgesetzes zu Beginn des vorigen Jahres hinfällig geworden. In der Frage der Stimmberechtigung sind die Alliierten offensichtlich bis auf weiteres nicht geneigt, eine volle Gleichstellung der Abgeordneten aus Berlin zuzulassen. Dem wird Rechnung zu tragen sein. Der Ausschuß war jedoch in Übereinstimmung mit einer Stellungnahme des Bundesrats der Meinung, daß es nicht richtig sein würde, wenn der deutsche Gesetzgeber von sich aus am Begriff „beratende Abgeordnete" festhielte und damit Einschränkungen für die Abgeordneten aus Berlin aus deutschem Recht statt bisher aus Besatzungsrecht einführte. Es ist auch darauf hingewiesen worden, daß schon der jetzige tatsächliche Status der Berliner Abgeordneten — ihre Mitwirkung in den Ausschüssen etwa und die Mitwirkung Berlins im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat — nicht mehr mit der Formulierung „beratende Abgeordnete" übereinstimmt.
Im Ausschuß ist darauf hingewiesen worden, daß die Militärgouverneure 1949 keine Auflage wegen des Verfahrens erteilt hätten, nach dem die Abgeordneten in Berlin zu wählen seien. Der damals einmütig zum Ausdruck gebrachte Wunsch des Berliner Stadtparlaments nach direkten Wahlen scheiterte an einem Einspruch der lokalen Kommandantur. Der Wahlrechtsausschuß hat in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters von Berlin darüber beraten, welche Formulierung des Berlin-Paragraphen den politischen Gegebenheiten und den nationalpolitischen Erfordernissen am besten Rechnung tragen würde. Eine beträchtliche Mehrheit verständigte sich zunächst darauf, vorzuschlagen, daß das Land Berlin nach den Grundsätzen dieses Gesetzes, also des Bundeswahlgesetzes, gemäß Art. 144 des Grundgesetzes soundso viele Abgeordnete entsendet. Es ist dann bekanntgeworden, daß auf alliierter Seite in diesem Zusammenhang ernste Bedenken gegen die direkte Bezugnahme auf die Grundsätze des Bundeswahlgesetzes und auf das Grundgesetz bestünden. Daraufhin wurde im Ausschuß festgelegt, lediglich vorzuschlagen, daß das Land Berlin soundso viele Abgeordnete entsendet und das Nähere durch ein Gesetz des Landes Berlin geregelt wird. Schließlich jedoch hat der Ausschuß in seiner abschließenden Sitzung be-
schlossen, die Ihnen vorliegende Formulierung zu unterbreiten, die folgendermaßen lautet:
Die wahlberechtigte Bevölkerung des Landes Berlin entsendet zweiundzwanzig Vertreter in den Bundestag.
Das Nähere regelt ein Gesetz des Landes Berlin.
Durch diese Formulierung sollte zum Ausdruck kommen, daß auch die Vertreter aus Berlin ihr Mandat von der wahlberechtigten Bevölkerung erhalten sollten, unabhängig von der Frage, ob sie im übrigen schon volles Stimmrecht erhalten, und ausgehend von der Erwartung, daß nicht besatzungsrechtliche Schritte gegen eine direkte Wahl unternommen werden.
Es ist im übrigen, was die deutsch-rechtliche Lage angeht, darauf verwiesen worden, daß sich Art. 144 Abs. 2 des Grundgesetzes auf Art. 38 bezieht, nach dem alle Abgeordneten in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen sind.
Einen Hinweis auf den eben von mir erörterten § 54 finden Sie in § 6 Abs. 3. Ich darf in diesem Zusammenhang noch erwähnen, daß der Wohnsitz oder dauernde Aufenthalt im Lande Berlin bei den Bestimmungen über das Wahlrecht und die Wählbarkeit in den §§ 1 und 5 mit den entsprechenden Voraussetzungen im Bundesgebiet gleichgestellt worden sind und daß weiter Berlin in § 57 bei der Wahl der Ländermitglieder zur Bundesversammlung berücksichtigt wird.
Sie finden also, wenn Sie den Vorschlag des Ausschusses im ganzen betrachten, im Ersten Teil unter I die Bestimmungen über Wahlrecht und Wählbarkeit. Dabei ist der Regierungsentwurf im wesentlichen unverändert übernommen. Unter II ist in den §§ 6 bis 12 das Wahlsystem geregelt. Dazu habe ich das erforderlich Erscheinende in diesem Zusammenhang bereits gesagt.
Abschnitt III befaßt sich mit der Vorbereitung der Wahl. Dazu ist auf einige redaktionelle Änderungen hinzuweisen, unter anderem auf die Änderung der Fristen in einer Reihe von Paragraphen, in §§ 35 und 37, aber auch in §§ 33 und 34.
Ich darf in Zusammenhang mit diesem Abschnitt III noch auf ein technisches Versehen aufmerksam machen, das sich bei der raschen Drucklegung ergeben hat und das ich hier zur Sprache bringen möchte, damit nicht ein besonderer Antrag gestellt werden muß. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die politisch nicht problematisch ist. Der § 26, wie Sie ihn in der Vorlage finden, enthält nur zwei Absätze. Die vorn Ausschuß bereits beschlossenen Absätze 3 und 4 sind versehentlich nicht aufgenommen worden. Diese beiden Absätze zu § 26 haben folgenden Wortlaut:
Der Wahlvorschlag darf nur den Namen eines Bewerbers enthalten. Jeder Bewerber kann nur in einem Wahlkreis und hier nur in einem Wahlvorschlag benannt werden. In den Wahlvorschlag kann nur aufgenommen werden, wer seine Zustimmung dazu schriftlich erteilt hat.
Wahlvorschläge von Parteien müssen den Namen der einreichenden Partei, andere Wahlvorschläge ein Kennwort enthalten.
Ich darf darum bitten, Herr Präsident, daß dieses Versehen berücksichtigt und der Mündliche Bericht des Ausschusses entsprechend ergänzt wird.
Abschnitt IV enthält die Bestimmungen über die Wahlhandlung. Dabei ist in § 41 das Verbot der Wahlpropaganda im Wahlgebäude aufrechterhalten worden, nicht aber im Umkreis von 50 Metern, wie es der Regierungsentwurf vorsah.
Abschnitt V handelt von der Feststellung des Wahlergebnisses. Hier wurde eine Reihe mehr redaktioneller Änderungen vorgenommen.
Abschnitt VI enthält die besonderen Vorschriften für Nachwahlen und Wiederholungswahlen.
Die unter VII — Ausscheiden und Ersatz von Abgeordneten — fallende Zusatzbestimmung bei § 52 habe ich bereits erwähnt.
In § 52 b sind nun die Folgen eines Parteiverbotes geregelt. Hiernach verlieren Abgeordnete einer Partei oder Teilorganisation, die zur Zeit der Antragstellung oder der Verkündung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit dieser Partei angehört haben, ihren Sitz. Sind die Abgeordneten jedoch in Wahlkreisen gewählt, so ist die Wahl in diesen Kreisen zu wiederholen, wobei die Abgeordneten, die ihren Sitz verloren haben, nicht als Bewerber aufgestellt werden können. Soweit solche Abgeordnete auf Landesliste gewählt worden sind, bleibt der Sitz unbesetzt und die gesetzliche Mitgliederzahl des Bundestages verringert sich entsprechend. Das gilt jedoch nicht, wenn die Abgeordneten auf der Landesliste einer anderen Partei gewählt worden sind. In diesem Falle wird der nächste nichtgewählte Bewerber der Liste einberufen.
Durch § 53 ist das System der Ersatzwahl, wie es das 49er Wahlrecht kennt, weggefallen. In den jetzt vorliegendenen Entwurf ist die Regelung aufgenommen worden, die zur Zeit durch die Novelle zum Wahlgesetz von 1949 gilt, nämlich daß in jedem Falle, wenn ein Abgeordneter stirbt, die Wahl ablehnt oder sonst aus dem Bundestag ausscheidet, der Sitz nach der Landesliste derjenigen Partei besetzt wird, für die der Ausgeschiedene bei der Wahl aufgetreten ist. Damit entfallen die Nachwahlen. Lediglich bei parteilosen Wahlkreisbewerbern muß eine Ersatzwahl stattfinden.
Unter VIII finden Sie die Schlußbestimmungen, von denen die wichtigeren hier bereits genannt wurden.
Im Zweiten Teil enthalten die §§ 57 und 58 die Bestimmungen für die Wahl der Bundesversammlung und des Bundespräsidenten mit einer gegenüber dem Regierungsentwurf kleinen, Berlin betreffenden Änderung.
Hinzugefügt worden ist schließlich ein § 59 mit der Regelung über das Inkrafttreten des Gesetzes.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, namens der Mehrheit des Wahlrechtsausschusses ersuchen, dem Antrag, der Ihnen auf Drucksache Nr. 4450 vorliegt, zuzustimmen.