Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die außenpolitische Aussprache, in die wir heute durch die plötzliche Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hineingekommen sind, war seit langem fällig.
Der Herr Bundeskanzler hätte angesichts der gegenwärtigen internationalen Situation und angesichts der internationalen Diskussion über die
deutsche Frage viel früher vor dem Parlament die
Richtlinien der Politik entwickeln sollen, die die
Regierung in diesem Zeitpunkt konkret verfolgt.
Wir haben leider den Eindruck, daß sich der Herr Bundeskanzler zu seiner heutigen Erklärung erst veranlaßt gesehen hat, nachdem gestern die sozialdemokratische Bundestagsfraktion einen Antrag eingereicht hat, der die Frage der Vier-MächteVerhandlungen und die Frage der Verhandlungen unter den vier Hohen Kommissaren zum Gegenstand hat.
Die Art und Weise, wie der Herr Bundeskanzler ohne jede Fühlungnahme mit den Parteien in diesem Hause, insbesondere auch nicht mit der Opposition, diese Aussprache heute herbeigeführt hat, kann uns nicht veranlassen, auf die in Aussicht stehende ausführliche Debatte über unsere Anträge, die nach den Beschlüssen des Ältestenrats am nächsten Donnerstag stattfinden soll, zu verzichten;
denn die Beunruhigung im deutschen Volke
über die wirkliche Linie der Außenpolitik des
Herrn Bundeskanzlers ist durch die heutige Erklärung in keiner Weise aus der Welt geschafft.
Sie hat weder unsere Bedenken noch unsere Zweifel beseitigt, noch hat sie, wie der Herr Bundeskanzler sagte, dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit klarmachen können, welche Politik
nun der Herr Bundeskanzler in den gegenwärtigen
internationalen Verhandlungen tatsächlich verfolgt.
Ich möchte, ehe ich heute einige vorläufige Bemerkungen zur Sache mache, einiges andere vorausschicken. Der Herr Bundeskanzler hat heute wieder einmal davon gesprochen, daß angesichts der außerordentlich ernsten Situation, in der sich das deutsche Volk befindet, alle repräsentativen Kräfte des deutschen Volkes mit großer Verantwortung und gutem Willen die Dinge behandeln sollten. Ich muß sagen, die Art und Weise, wie heute der Herr Bundeskanzler ohne jede vorherige Fühlungnahme mit der Opposition diese außenpolitische Debatte herbeigeführt hat, ist ein sehr schlechtes praktisches Beispiel für die Forderung, die er heute hier an das Parlament und an die politischen Kräfte im deutschen Volke gerichtet hat.
Ich glaube, es gibt in keinem demokratischen Land in Westeuropa ein Parlament, in dem solche Lebensfragen der Nation in der Weise behandelt werden, wie es heute hier vom Bundeskanzler geschehen ist.
Wir müssen ernsthafte Zweifel haben, ob auf der Seite des Herrn Bundeskanzlers überhaupt noch eine Spur von gutem Willen zu einer loyalen Zusammenarbeit in Fragen der deutschen Einheit besteht.
— Herr Wuermeling, Sie können ja vielleicht nachher sprechen, und dann können wir sehen, was Sie zur Sache zu sagen haben.
Ich möchte noch eine zweite Bemerkung machen.
— Entschuldigen Sie, es ist wohl mein gutes Recht, mich auch mit den Methoden, mit denen hier die Opposition behandelt wird, auseinanderzusetzen.
Daß Ihnen die Sache nicht angenehm ist, verstehe ich;
denn Ihre Empfindungen über die Rede des Herrn Bundeskanzlers von heute sind ja auch sehr geteilt.
Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, sich in einer Regierungserklärung sehr ausführlich mit einer Sendung einer deutschen Rundfunkstation zu beschäftigen. Es ist hier nicht meine Aufgabe, irgendeine Rundfunkstation, etwa den NWDR, zu verteidigen; aber ich möchte doch folgendes feststellen. Ich glaube, wenn man vor der Öffentlichkeit in dieser Weise eine öffentliche Institution angreift und ihr so schwere Vorwürfe macht, wie es hier geschehen ist, ist es wohl richtig, daß man der Öffentlichkeit auch den Sachverhalt, der zu dieser Kritik geführt hat, in aller Klarheit vorführt. Um was handelt es sich? Es handelt sich um einen Kommentar, den der NWDR im Laufe seiner Programmsendungen wie an vielen Tagen auch in der vergangenen Woche gesendet hat, und zwar mit der beim NWDR immer üblichen Einschränkung, daß es sich bei dieser Meinungsäußerung um die persönliche
— daß es sich bei dieser Meinungsäußerung
— daß es sich bei dieser Meinungsäußerung um eine persönliche Stellungnahme des Kommentators handelt.
Ich finde, für die Beurteilung des Sachverhalts ist diese Feststellung vor der Öffentlichkeit wichtig, um so mehr, als es sich ja in diesem Falle um einen Kommentator handelt, nämlich Herrn Hoppe , der der Regierungskoalition sehr viel näher steht als der Opposition.
Wenn man schon so bestimmte und weitgehende Grundsätze, wie „Objektivität unter allen Umständen" und „vorherige Unterrichtung über den wirklichen Sachverhalt", aufstellt, dann, glaube ich, haben die Angeklagten auch das Recht, daß der Tatbestand der Öffentlichkeit in der richtigen Weise präsentiert wird.
Zur Sache selbst, nämlich zu dem Inhalt des Zitats, möchte ich in diesem Augenblick nur eine einzige Bemerkung machen: Das eindeutige Dementi des Herrn Bundeskanzlers gegenüber den Behauptungen von Herrn Hoppe werden wir uns sehr genau merken.
Eine dritte Bemerkung. Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, sich in seiner Argumentation auf den ADN als Kronzeugen zu berufen. Herr Bundeskanzler, wie schlecht muß es um Ihre Sache bestellt sein, daß Sie ausgerechnet den ADN hier als Kronzeugen heranholen!
Wo ist denn bisher jemand in diesem Hause gewesen — mit Ausnahme der Kommunisten —, der auch nur in einem einzigen Falle den ADN als eine seriöse Nachrichtenquelle für eine Partei oder für eine Regierung angesehen hätte?!
Herr Bundeskanzler, ich möchte in dem Zusammenhang noch eines sagen. Sie haben hier, anscheinend an uns gerichtet — Sie waren in der Beziehung sehr zurückhaltend in der Konkretisierung Ihrer Vorwürfe —, gesagt, Sie würden sehr glücklich sein, wenn die Unklarheiten, die durch die Veröffentlichung im ADN entstanden seien, durch diese Aussprache beseitigt würden. Nun, Herr Bundeskanzler, Sie wissen ja — bis vor einiger Zeit war das unser gemeinsames Schicksal, heute ist es etwas anders, morgen kann es wieder anders sein —, daß Sie in diesem ADN jeden Tag als Separatist, als Imperialist, als Kriegstreiber angegriffen werden; und wenn Sie schon glauben, Herr Bundeskanzler, daß bestimmte Äußerungen im ADN Unklarheiten über bestimmte politische Auffassungen hervorrufen, vielleicht schaffen Sie auch die Unklarheiten aus der Welt, die durch solche Behauptungen über Ihre Politik entstehen!
Noch eine andere Bemerkung, Herr Bundeskanzler. Sie haben bei der Verurteilung des Nordwestdeutschen Rundfunks heute die Auffassung vertreten, daß eine Institution, die nicht objektiv berichtet und sich nicht zunächst an der Quelle über den wahren Sachverhalt ihrer Nachrichten vergewissert, ihre Existenzberechtigung verloren habe. Herr Bundeskanzler, wie wäre es, wenn Sie diesen Grundsatz auch einmal für Ihre eigene Politik anwendeten,
d. h. ehe Sie hier Behauptungen des ADN als stichhaltiges Material vorbringen, sich einmal bei der Opposition erkundigt hätten, was denn an dieser Sache richtig ist?
Genau den Grundsatz, den Sie hier für den NWDR verlangt haben, haben Sie in diesem Falle zu beachten nicht für nötig gehalten.
Wenn Sie glauben, es ist richtig, daß eine Institution ihre Existenzberechtigung verliert, wenn sie nicht nach diesem Grundsatz handelt, Herr Bundeskanzler, dann müßten Sie jetzt mit gutem Beispiel vorangehen.
Ich will mich über die Methode, die in einer Regierungserklärung auf dieser Ebene angewendet wird, gar nicht weiter auslassen.
Ich habe den Eindruck, daß viel mehr propagandistische als sachliche Gründe eine Rolle spielen.
ich habe mit einigem Erstaunen heute z. B. festgestellt, daß die Verbreitung dieser Erklärung aus dem ADN im internen Dienstbetrieb der Bundesregierung in großem Umfang erfolgt ist
und daß auf dem Verteilerschlüssel auch das Verfassungsschutzamt genannt worden ist.
Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: wollen Sie etwa derartige Unterlagen beim Verfassungsschutzamt auch schon vorsorglich sammeln, um die Verfassungstreue der Sozialdemokratie in Zweifel zu ziehen?
Ich denke, der Herr Bundeskanzler hat recht, wenn er auf den Ernst der Situation hinweist; aber wenn an irgendeinem Punkt der Diskussion dieser Tatsache nicht gerecht geworden ist, dann ist es die Art und Weise, wie der Herr Bundeskanzler heute hier gesprochen hat.
Nun zur Sache!
—Zum materiellen Inhalt der Diskussion, wenn Ihnen das mehr paßt! Es handelt sich hier um das Problem der Stellung der deutschen Bundesrepublik in den gegenwärtigen Verhandlungen und, konkret gesprochen, um die Frage, auf welcher Basis die Bundesregierung, und zwar — das ist immer unsere Auffassung gewesen — in möglichst breiter Übereinstimmung mit diesem Hause, auf die jetzt vor uns liegenden internationalen Verhandlungen einwirken soll, damit die Frage einer Viermächtekonferenz über Deutschland möglichst bald zu einer positiven Lösung gebracht wird.
Der Herr Bundeskanzler hat die fünf Punkte erwähnt und hat gemeint, sie seien bisher die gemeinsame Grundlage für die große Mehrheit dieses Hauses gewesen. Herr Bundeskanzler, weshalb die Unterstellung? Als wenn in dieser zentralen Frage irgendein wesentlicher Faktor der deutschen Politik eine andere Haltung eingenommen hätte, als sie in diesem Programm zum Ausdruck kommt!
Wenn es eine Kritik gibt — und das ist unser Anliegen —, dann ist es die, daß die Bundesregierung viel zuwenig aktiv geworden ist, um diese fünf Punkte ihrer Realisierung näher zu bringen.
Wir haben uns unmittelbar nach der Rede des Präsidenten Eisenhower am 17. April in einem sehr ausführlichen Rundfunkinterview wieder einmal mit diesem Problem auseinandergesetzt, und wir haben eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen gemacht. Auf eine Antwort der Bundesregierung auf die Vorschläge der sozialdemokratischen Opposition warten wir heute noch.
Es hat darüber auch nicht den Schein einer sachlichen Auseinandersetzung gegeben!
Dann hat sich der Herr Bundeskanzler hier mit dem Potsdamer Abkommen in einer Weise beschäftigt, die, glaube ich, im deutschen Interesse unter keinen Umständen unwidersprochen in der Welt stehenbleiben kann.
Ich will mich hier jetzt gar nicht mit dem Problem des Potsdamer Abkommens im einzelnen beschäftigen. Darauf werden wir in der nächsten Woche zurückkommen. Aber ich möchte feststellen: Der Herr Bundeskanzler hat hier die Behauptung aufgestellt, daß das Potsdamer Abkommen die vorläufige Oder-Neiße-Linie definitiv als deutsche Ostgrenze festgelegt habe. Das ist nicht wahr!
Diese Bestimmung ist im Potsdamer Abkommen nicht enthalten, und ich halte es für eine sehr schlechte Sache, daß der Chef der deutschen Regierung in diesem entscheidenden Punkte eine Interpretation gibt, die nur den Gegnern Deutschlands helfen kann.
Nun haben wir im Zusammenhang mit dem Potsdamer Abkommen etwas ganz anderes zur Diskussion gestellt. Wir haben nämlich die These vertreten — und diese These ist einfach in den Realitäten begründet —, daß es, wenn jetzt die Sowjetunion zum erstenmal nach dem Zusammenbruch des Kontrollrats wieder mit den anderen drei Besatzungsmächten in gewisse Beziehungen kommen will, gar keine andere Basis für ein Gespräch der Vier auf der Ebene von deutschen Besatzungsfragen gibt als eben dieses Potsdamer Abkommen. Damit ist in keiner Weise, von keinem Sozialdemokraten an irgendeiner Stelle die Behauptung oder die Erklärung verbunden worden, daß wir das Potsdamer Abkommen in seinem materiellen Inhalt als annehmbar oder als überhaupt gültige und mögliche Basis für eine Viermächteregelung
für ein einheitliches Deutschland ansehen. Aber als Verhandlungsgrundlage ist das Potsdamer Abkommen einfach undiskutierbar. Ich kann mich dabei auf eine außerordentlich gute Zeugenschaft berufen. Es gibt eine Erklärung über den Generalvertrag:
Die Konstruktion der sogenannten Vorbehaltsrechte rührt an die politische Grundkonzeption des ganzen Vertragswerkes.: Es beruht auf dem Gedanken, daß im Hinblick auf die drei Fragenkomplexe: Truppenstationierung — Berlin - gesamtdeutsche Frage, die Viermächtevereinbarungen von 1945 nicht zerstört werden sollen.
Darin liegt nicht nur ein Grundgedanke der gegenwärtigen Politik der drei Westmächte, sondern zugleich auch ein lebenswichtiges Interesse der deutschen Politik.
Diese Stellungnahme ist der amtlichen Begründung zum Generalvertrag entnommen, die die Bundesregierung herausgegeben hat.
Der Generalvertrag mit dieser Begründung ist bekanntlich vom Herrn Bundeskanzler unterzeichnet worden, und er hat ja heute noch die Bedeutung dieses Abkommens so gepriesen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen an diesem Beispiel, wie wenig man einer sachlichen Diskussion dient, wenn man sich in der Weise in einer Auseinandersetzung über einen solch schwerwiegenden Punkt gehen läßt, wie es heute der Herr Bundeskanzler getan hat.
Schließlich werden wir ja, Herr Bundeskanzler, am Donnerstag nächster Woche — so hoffe ich — eine Aussprache über den ganzen Fragenkomplex in größerer Breite haben. Ich bitte Sie darum, daß Sie die dazwischen liegende Woche benutzen, um dann dem Bundestag und dem deutschen Volk und darüber hinaus der Weltöffentlichkeit viel konkreter zu sagen, als Sie es heute getan haben, was Ihre Politik in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands im Hinblick auf die bevorstehenden Konferenzen ist.
Sie werden mir zugeben müssen, meine Damen und Herren, daß das, was der Herr Bundeskanzler heute z. B. über die Reisen seiner Emissionäre nach Washington, nach Paris und vielleicht auch noch nach London gesagt hat, doch in keiner Weise geeignet ist, die Unruhe über die Absichten der Bundesregierung auch bei den drei Westmächten aus der Welt zu schaffen.
Das ist doch keine Antwort auf die Sorge, die die Menschen in Deutschland und außerhalb Deutschlands bewegt, ob die Bundesregierung alles tut, um auf dem Wege von Vier-Mächte-Verhandlungen den Versuch zu unternehmen, festzustellen, ob es eine Verständigung mit der Sowjetunion über die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit gibt. Und das allein ist das Problem. Es gibt klare, bestimmte und von niemand aufgegebene Vorstellungen über den Inhalt von Abmachungen, die zu einem wiedervereinigten Deutschland führen sollen. Es gibt sogar darüber hinaus Vorstellungen, in welcher Reihenfolge von Konferenzen dieses Ziel, das das vordringlichste Ziel der deutschen
Politik sein muß und bleiben muß, erreicht werden soll. Es ist wichtig, ob die drei Westmächte nun wirklich auch die deutschen Interessen berücksichtigen und uns dabei informieren. Aber viel wichtiger ist, daß die Verhandlungspartner heute und morgen — und zwar sowohl die drei Verhandlungspartner auf den Bermudas wie eventuell die drei Verhandlungspartner als die Kontrahenten einer Viermächtekonferenz und schließlich auch die vier Hohen Kommissare, wenn sie zu Gesprächen auf der Ebene ihrer Funktion und ihrer Kompetenzen kommen sollten — wissen, was die deutsche Regierung konkret zu diesen Verhandlungen zu sagen hat. In diesem Punkt vermissen wir die Antwort, und Sie müssen verstehen, meine Damen und Herren, daß die Unruhe, die wir darüber empfinden, die Unruhe ist, die die weitesten Schichten des deutschen Volkes bewegt. Wir hoffen, daß wir in der nächsten Woche vom Herrn Bundeskanzler klar und eindeutig erklärt bekommen, welche internen Vorstellungen die Bundesregierung für diese kommenden Konferenzen hat, damit wir im deutschen Volk das Gefühl lebendig erhalten und verstärken, daß die These „Die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit ist das vordringlichste Ziel" nicht nur eine Proklamation, sondern tatsächlich konkreter Inhalt der praktischen Politik der Bundesregierung ist.