Rede von
Dr.
Joachim
Schöne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag Drucksache Nr. 4230 bedeutet, in einfachen Zahlen dargestellt und auf die beiden Beispielländer Deutschland und Frankreich angewandt, daß Deutschland bei einem Export von Stahl nach Frankreich eine Rückvergütung von 4,7 % fallenläßt. Als Gegenleistung dafür wird der deutsche Stahl in Frankreich nicht mit 20 % Ausgleichsabgabe belastet. Frankreich dagegen läßt bei einem Stahlexport nach Deutschland eine Rückvergütung von 19,6 % fallen. Als Gegenleistung dafür wird französischer Stahl in Deutschland nicht mit 4 % bis 6 % Ausgleichsabgabe belastet. Damit würde französischer Stahl in Deutschland denselben Preis haben wie in Frankreich. Sinngemäß würde deutscher Stahl in Frankreich denselben Preis wie in Deutschland haben.
Der Antrag will — und der Ton dieses Antrags liegt auf dem letzten Halbsatz — einen Wegfall der Exportrückvergütungen und der Importbelastungen zugleich und außerdem nur dann, wenn es in allen Mitgliedsländern gleichzeitig geschieht.
Nun, meine Damen und Herren, ökonomisch gesehen könnte ein solcher Antrag nur Beifall finden, vorausgesetzt, daß er sich realisieren ließe. Die Unmöglichkeit seiner Realisierung hat sich jedoch gerade in den letzten Wochen im sogenannten Steuerstreit der Montan-Union herausgestellt. Die nationalwirtschaftlichen Grenzen stellten sich für die Montangüter — in vielen Jahrzehnten gewachsen — bis zum Wirksamwerden der Hohen Behörde so dar, daß die Zölle den eigentlichen Schutzwall bildeten und daß man versuchte, mittels Ausfuhrrückvergütungen über diese Mauern in das andere Land hinüberzuspringen, wie man andererseits versuchte, durch entsprechende Ausgleichsabgaben das Herüberspringen des anderen zu verhindern. Durch die Montan-Union werden nun die Zollmauern eingeebnet. Es bleiben jedoch zunächst die gleichsam auf diese Mauern aufgestockten Rückvergütungen und Ausgleichsbelastungen.
Rückvergütungen und Ausgleichsbelastungen ihrerseits aber sind nur aus dem in dem betreffenden Lande bestehenden Steuersystem zu erklären. Gerade mit den Beispielländern Deutschland und Frankreich stoßen Länder mit grundsätzlich unterschiedlichen Steuersystemen aufeinander. Deutschland kennt erhebliche direkte Steuern für die Unternehmen, kennt als indirekte Steuer nur die Umsatzsteuer. Ausgleichsabgaben und Rückvergütungen beziehen sich im Grundsatz nur auf die indirekten Steuern, sind also relativ niedrig. Frankreich dagegen kennt keine direkte Besteuerung der Unternehmen, kennt verhältnismäßig hohe indirekte Steuern. Ausgleichsabgaben und Rückvergütung sind also relativ hoch.
Durch die Montan-Union werden nun nicht nur die Zollmauern eingeebnet. Die Hohe Behörde beabsichtigt offensichtlich, den am 1. Mai 1953 beginnenden gemeinsamen Markt für Stahl damit zu eröffnen, daß als Diskriminierung erklärt wird, wenn Steuern oder Abgaben, bei denen der Verkäufer einen Anspruch auf Befreiung und Rückvergütung hat, in den Preis, den der Käufer zu zahlen hat, einbezogen werden. Mit einfachen Worten: Rückvergütungen im grenzüberschreitenden Verkehr sollen fallen, Importausgleichsabgaben bleiben ungeschoren. Auf mein eingangs gebrachtes Zahlenbeispiel angewandt, würde dies bedeuten: Deutschland gibt bei einem Stahlexport nach Frankreich den Stahl um 4,7 % billiger ab; dafür wird er in Frankreich mit 20 % belastet. Frankreich gibt bei einem Stahlexport nach Deutschland den Stahl um 19,6 % billiger ab; dafür wird er in Deutschland mit 4 bis 6 % belastet.
Es ist offensichtlich, daß auf solchem Wege in allerkürzester Frist eine erdrückende Einfuhr französischen Stahls zu erwarten ist. Monsieur Ricard, Leiter des französischen Stahlwerkverbandes, sagte kürzlich, daß Frankreich nunmehr mit Hilfe des Montanvertrages einen Absatzanspruch auf den größeren deutschen Markt zu realisieren strebt.
Kurzum, bei der Steuerfrage handelt es sich sicher um mehr als um eine einfache technische Angelegenheit.
Jedoch — und das ist das Argument aus dem Schumanplan selbst — handelt es sich hier nicht um richtige ökonomische Werte, sondern um Diskriminierungen bzw. Subventionierungen. Mit der Steuererhebung verlangt der Staat von der Wirtschaft einen entsprechenden Anteil an den öffentlichen Kosten der Produktion überhaupt. Wären die Steuersysteme in beiden Ländern grundsätzlich gleich — also direkt und indirekt in etwa gleichem Verhältnis —, so würde lediglich die besondere öffentliche Last des betreffenden Staates zum Ausdruck kommen. Das ist es, was die Hohe Behörde in ihrem ersten Exposé als „geographische Gegebenheit" bezeichnete. Die Dinge liegen jedoch so, daß die Steuersysteme grundverschieden sind, daß im Lande Deutschland mit den erheblichen direkten Steuern die gesamten Anteile der Industrie an den öffentlichen Kosten der Produktion abgedeckt werden, und daß im Lande Frankreich, das keine direkten Steuern erhebt, die öffentlichen Produktionskosten allgemeiner Art im indirekten Wege aufgebracht werden.
Das Land Deutschland verzichtet nach dem Gedanken der Hohen Behörde nun auf den indirekten Steuerteil; denn die allgemeinen Produktionskosten sind durch die direkten Steuern gedeckt. Das Land Frankreich erhebt dagegen von dem außer Landes gehenden Teil der Produktion überhaupt keine allgemeinen Produktionskosten; es erhebt sie lediglich von dem Teil der Produkte, die von außen her in das Land kommen. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß eine solche Politik eine bewußt grobe Verzerrung des Bildes der Grundindustrien, insbesondere der eisenschaffenden Industrie, im Gefolge haben muß.
Die von mir geschilderte Diskriminierung durch ein solches Vorhaben der Hohen Behörde muß sich um so nachhaltiger auswirken, als die Ausgleichsabgaben in Höhe und Wirkung als Aufstockung auf ein Zollsystem, das im Laufe vieler Generationen gewachsen war, geschaffen waren. Nun, da die Zölle für die Montanerzeugnisse im Gemeinschaftsraum beseitigt sind, klafft eine Lücke, die durch ein entsprechendes Anheben der Abgaben steuerlicher Art ausgeglichen werden muß, wenn die Gemeinschaft nicht mit zusätzlichen Verzerrungen beginnen soll.
Es wird von anderer Seite argumentiert werden müssen, daß man eine Gemeinschaft, wie sie der Schumanplan sein will, nur auf organischem Wege wird erreichen können. Als Sprecher der SPD wäre es mir ein Leichtes, all die Argumente zu wiederholen, die meine Freunde und ich anläßlich der parlamentarischen Beratung des Schumanplans vorgebracht haben. Ich möchte es nicht tun, sondern nur daran erinnern. Wir haben seinerzeit mit nachdrücklichem Ernst auf die Tendenz hingewiesen, die nun bedauerlicherweise in greifbare Nähe gerückt ist. Einzelheiten möchte ich mir ersparen, um nicht in die Nachbarschaft derer zu geraten, die — seinerzeit eifrige Verfechter und Befürworter der Montan-Union — sich heute die Dinge bei Licht besehen und sich mit lauter, überlauter Stimme dagegen wenden.
Zur Begrundung der Haltung meiner Freunde darf ich über das oben Dargelegte hinaus mit allem Nachdruck und tiefem Ernst folgendes hervorheben. Zu den „geographischen Gegebenheiten", so sagt das erste Exposé der Hohen Behörde, gehören einerseits die Steuer, andererseits die Löhne und soziale Bedingungen. Versucht man nun mit dem „Koste es, was es wolle!" die geographischen Gegebenheiten an dem einen Punkt, nämlich bei den Steuern, zu korrigieren, zu planieren, so konzentriert man die geographische Unterschiedlichkeit rücksichtslos und mit entsprechender Wucht auf die dann noch verbleibende Unterschiedlichkeit, nämlich die Löhne und Sozialleistungen.
Wir erinnern uns ja deutlich daran, daß durch den Schumanplan die Kapitalkosten und entsprechender Unternehmergewinn vertraglich gesichert wurden. Wir werden mit allen verfügbaren Mitteln zu verhindern suchen, daß man die Unterschiedlichkeit der Gegebenheiten auf Löhne und Sozialleistungen abwälzt. Damit täte man nichts anderes, als daß man den Kampf um die Konkurrenzfähigkeit auf den „breiten Schultern" austrüge.
Dem aufmerksamen Beobachter der deutschen Wirtschaft wird nicht entgangen sein, daß sich in der deutschen eisenschaffenden Industrie die Merkmale der Arbeitsdämpfung und Kurzarbeit mehren. Straßen werden stillgelegt; Walzwerke fahren mit halber Schicht. Diese Symptome sind heute bereits — einen Tag vor dem gemeinsamen Markt für Stahl — sehr, sehr ernst zu nehmen. Ein Zögern mit Korrekturmaßnahmen bringt konsequent einen sprunghaften Rückgang der deutschen Eisenindustrie. In dem Antrag der Föderalistischen Union sind Korrekturmaßnahmen angedeutet. Sie sind sofort zu ergreifen.
Ich darf Sie namens meiner Freunde bitten, den Antrag Drucksache Nr. 4230 dem Wirtschaftsausschuß und dem Finanzausschuß mit dem Ersuchen zu überweisen, zur Beratung bereits morgen vormittag zusammenzutreten.
Ich darf abschließend noch einmal folgendes sagen. Das Motiv für die Einstellung der SPD zu diesem Antrag wie überhaupt zu Korrekturanträgen ist das Wohl und Wehe der in der deutschen Eisenindustrie arbeitenden Menschen.