Rede von
Dr.
Robert
Lehr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin leider genötigt, einige verfassungsrechtliche Bedenken zu dem Antrag der Herren Abgeordneten Dr. Decker, Dr. Besold und Genossen vorzubringen. Gestatten Sie mir dazu einige kurze Ausführungen.
Wie Ihnen bekannt ist, besteht ein alliierter Vorbehalt zu dem Art. 29 des Grundgesetzes, der für diese Neugliederung allein maßgebend ist. Es gibt zwar noch den Art. 118, aber der enthält eine Sonderbestimmung, die für den Südweststaat, wie Ihnen bekannt ist, angewandt worden ist.
Wir haben uns je und je bemüht, von den Alliierten die Aufhebung des Vorbehalts zu Art. 29 zu erreichen. Es ist bis zur Stunde aber nicht möglich gewesen.
Die Suspendierung dieses Artikels erstreckt sich leider auch auf alle vorbereitenden Maßnahmen. Wir haben das ebenfalls zur Genüge in den erfolglosen Verhandlungen mit den Alliierten feststellen müssen. Zu den vorbereitenden Maßnahmen gehört auch die in dem zweiten Absatz des Art. 29 vorgesehene Möglichkeit des Volksbegehrens. Wir konnten also nichts anderes tun, als feststellen, daß angesichts der Vorbehalte der Alliierten die in dem Art. 29 enthaltene Frist von einem Jahr noch nicht zu laufen begonnen hat, sondern daß diese Frist erst von dem Zeitpunkt an zu laufen beginnt, in dem die alliierten Vorbehalte fortgefallen sind.
Ich muß noch eines hervorheben. Abgesehen von der zur Zeit nicht überwindbaren Schwierigkeit der alliierten Vorbehalte besteht noch eine weitere verfassungsrechtliche Schwierigkeit, auf die ich Sie hinweisen muß. Zwar bietet Art. 29 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bevölkerung derjenigen Gebietsteile, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihrer Landeszugehörigkeit entzogen worden sind oder die ihre Landeszugehörigkeit ohne Volksabstimmung geändert haben, die Möglichkeit, binnen eines Jahres nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes — d. h. hier: nach Fortfall des Vorbehalts der Alliierten — eine Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen im Wege des Volksbegehrens zu fordern. In dem Antrag des Herrn Kollegen Decker und seiner Freunde handelt es sich aber nicht um ein Volksbegehren, sondern um einen Volksentscheid. Für den Volksentscheid bestimmt unser Grundgesetz, daß er erst stattfinden kann, wenn das Hohe Haus und der Bundesrat ein Neugliederungsgesetz erlassen haben. Cher dieses Neugliederungsgesetz kann dann ein Volksentscheid stattfinden, aber vorher nicht. Man wird auch davon ausgehen können, daß das in Art. 29 Abs. 7 des Grundgesetzes vorgesehene Bundesgesetz, das das Verfahren über jede sonstige
d. h. nicht unter die Neugliederungsmaßnahmen fallende — Änderung des Gebietsbestandes der Länder regeln soll, die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheid tatsächlich vorsehen kann. Aber das würde bedeuten, daß ein solches Gesetz zu seiner Annahme einer qualifizierten Mehrheit im Bundestag und darüber hinaus der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Ein solches Gesetz ist bisher nicht ergangen und konnte auch nicht ergehen. Bei dem Antrag des Herrn Kollegen Decker handelt es sich auch nicht um eine sonstige Gebietsänderung, sondern mit diesem Antrag ist tatsächlich die Vorwegnahme einer allgemeinen Neugliederung des Bundesgebiets in einem bestimmten Rahmen vorgesehen. Soweit zu dem Antrag der Herren Decker und Genossen.
Zu dem Antrag der Herren Abgeordneten Freiherr von Aretin, Dr. Reismann und Genossen betreffend Volksentscheid in der Pfalz darf ich zunächst auf meine soeben gemachten Ausführungen Bezug nehmen. Wir haben uns mit allem Nachdruck bemüht, von den Alliierten die Aufhebung der Vorbehalte zu dem allein maßgebenden Art. 29 zu erreichen. Wir stützten uns dabei auf den Beschluß des Bundestages vom 8. März 1951, durch den die Bundesregierung ersucht wurde, bei der Hohen Kommission alle Schritte zu unternehmen, um eine alsbaldige Anwendung des Art. 29 zu ermöglichen. Ich wiederhole, daß das mit allem Ernst von der Bundesregierung geschehen ist. Ich wiederhole, daß alle Schritte erfolglos gewesen sind. In den Verhandlungen mit den Drei Mächten über die Ablösung des Besatzungsstatuts konnten wir nur erkennen, daß wir es nach Wegfall der in dem Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zum Ausdruck gebrachten Vorbehalte auch nicht mehr nötig haben, besondere Verhandlungen mit den
Alliierten zu pflegen, sondern mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Deutschlandvertrages fallen automatisch alle Vorbehalte zu Art. 29 fort, und es bedarf keiner weiteren Verhandlungen mehr. Ich glaube allerdings, daß es in diesem Zeitpunkt wenig aussichtsreich erscheint, nochmals Verhandlungen über einen vorzeitigen Wegfall der Vorbehalte mit den Alliierten zu führen.