Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß der künftige Bundestag in seiner Geschäftsordnung dafür Sorge trägt, daß nicht einzelne Fraktionen gezwungen sind, zu derart umfangreichen Gesetzen mit so ernsthafter Materie in fünf Minuten Stellung zu nehmen.
Es ist unmöglich, in fünf Minuten auf die Probleme einzugehen, die sich aus der Diskussion dieses Gesetzes im Ausschuß zwangsläufig ergeben
werden. Schon die Vorarbeit und die Vorbesprechungen zeigten, wie viele grundsätzliche Fragen hierbei angeschnitten werden müssen.
Die wichtigste dieser grundsätzlichen Fragen, nämlich jene, ob es bei dem bisherigen Zustand der Verbindung von Verwaltung und Rechtsprechung bleiben soll, ob das Aufbaugesetz vom 5. Juli 1934 in Kraft bleiben muß, wird von uns nicht mehr gelöst werden können, weil die Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung, über die es sehr erhebliche Meinungsverschiedenheiten auch bei uns gibt, schon vom Grundgesetz entschieden worden ist.
Grundlage aller Diskussionen wird bei uns die Erfahrung der letzten Jahre sein müssen, auch die Erfahrung mit dem Besatzungsrecht und den Einflüssen der Besatzungsmacht, vor allem aber das, was als Wünsche der Versicherten an uns herangetragen wird.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat gegen die Vorschläge des Bundesrats, die ja auch weitgehend — wie hier vorgetragen worden ist — die Vorschläge der Opposition sind, die größten Bedenken. Wir meinen, die Sicherheit der Rechtsfindung verlangt, daß bei der übergeordneten Instanz auch eine von der ersten Instanz abweichende Besetzung garantiert ist. Der Bundesrat und die Opposition sind der Auffassung — wir haben es eben gehört —, daß auch sachverständige Laien Vorsitzende der Kammern sein können.
Die Sozialgerichtsbarkeit sollte der Verwaltungsgerichtsbarkeit unbedingt gleichwertig sein. Die Verwendung von Laien als Berufsrichter würde dem widersprechen, ganz abgesehen davon, daß das höchste Ziel dieses Gesetzes und der Sozialgerichtsbarkeit ja sein muß, dem Versicherten einen wirksamen Rechtsschutz zu geben und im rechtsstaatlichen Interesse dafür zu sorgen, daß das Vertrauen zu diesem Rechtsstaat immer mehr gefestigt wird. Deshalb sollten aus diesen Gründen und in diesem Interesse zu Vorsitzenden der Sozialgerichte nur Volljuristen bestellt werden. Man sollte die Sozialgerichtsbarkeit nicht in Mißkredit bringen, ganz abgesehen auch von einer Gefahr, auf die ich hier hinweisen möchte, nämlich der Politisierung, jener Gefahr, der unser Kampf seit Jahren gilt in dem Bestreben, unsere Sozialversicherung, die Versicherungsträger und auch die Verwaltungen aus der Kampf- und Interessenebene der Politisierung herauszunehmen. Deshalb kann und darf die Gerichtsbarkeit auch keine Domäne irgendwelcher Interessengruppen sein; sie muß ein Hort des Vertrauens auf die rechtsstaatliche Ordnung werden.
Beim Vorschlagsrecht wird im Ausschuß sehr ernsthaft die Frage diskutiert werden müssen, wieweit denn überhaupt eine echte Selbstverwaltung zustandegekommen ist und wieweit sie hier eingeschaltet werden muß. Ich möchte dabei nicht unser Bedenken verschweigen, auch hinsichtlich des Ausbildungsstandes der Richter. Wir sehen mit großer Sorge die fortschreitende Atomisierung der Justiz und glauben, daß hier eine große Aufgabe entsteht: die Justiz zum Arbeitsrecht und zum Sozialversicherungsrecht heranzuziehen. Ich möchte auch hoffen, die notwendige Berufung von Berufsrichtern möge nicht dazu führen, daß sich Länder und Bund — die verschiedenen Ministerien — der Beamten entledigen, die entweder unbequem sind oder deren juristisches Können und Wissen dann vielleicht auf einem Abstellgleis verwandt werden soll.
Die Absicht, dieses Vorverfahren, das hierbei auch diskutiert werden muß, z. B. in die Krankenkassen zu legen, wird uns im Ausschuß mancherlei Anlaß zu der Überlegung geben, ob es gut ist, den Versicherten, der am Schalter ,der Krankenkasse eine Leistung abgelehnt bekommt, der sie vom Geschäftsführer abgelehnt bekommt, der sich an den Vorstand wendet und sie abgelehnt bekommt, nun zu einer Schiedsstelle innerhalb desselben Versicherungsträgers zu schicken, weil der Versicherungsträger ja selber Interesse daran haben muß, daß außerhalb des Versicherungsträgers Recht gefunden wird, das die Entscheidung, die dort getroffen ist, wiederum bejaht. Das Vertrauen in viele Versicherungsträger und das Vertrauen in die Versicherungsämter ist aus den Erfahrungen der letzten Jahre weitgehend untergraben worden. Die Gesetzgebung wird dafür Sorge zu tragen haben, daß bei allen diesen Fragen von der notwendigen Wiederherstellung ,des Vertrauens und des Glaubens an den wirklich vorhandenen Rechtsstaat ausgegangen wird.
Hinweisen möchte ich noch kurz auf die Eingabe der kassenärztlichen Landesstellen bezüglich der Entscheidungen über die gemeinschaftliche Selbstverwaltung von Krankenversicherung und kassenärztlichen Stellen bei den Zulassungsausschüssen und hinsichtlich der Überprüfung der Prüfungs-
und Disziplinarinstanzen.
Wir hoffen, daß die in der Vergangenheit erlassenen und angefochtenen Entscheidungen nun sehr bald durch schnelle Entscheidungen und durch Beseitigung des Rechtsnotstandes, den auch mein Vorredner hier sehr richtig gekennzeichnet hat, revidiert werden können, indem der Ausschuß für Sozialpolitik, an den wir dieses Gesetz federführend überweisen möchten, und der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, den ich bitte, ebenfalls mit einzuschalten, dafür Sorge tragen, daß die Behandlung dieser schwierigen Materie so schnell wie möglich noch während dieser Sitzungsperiode erfolgt.