Rede von
Rudolf
Freidhof
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die Schaffung eines Sozialgerichts ist nach unserer Auffassung eine der vordringlichsten sozialpolitischen Aufgaben, die der jetzige Bundestag noch in dieser Wahlperiode erledigen muß. In der Rechtsprechung auf dem Gebiet der Sozialversicherung und besonders auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung besteht gegenwärtig ein ernster Notstand. Tausende von Revisionen und Rekursen schweben seit Jahren und können nicht erledigt werden, weil ein oberstes Sozialgericht nicht vorhanden ist. Ganz besonders in der Kriegsopferversorgung sind unhaltbare Zustände vorhanden, die ernsten Zweifel aufkommen lassen, ob die Bundesregierung sich diesem Personenkreis gegenüber nicht ein schweres Versäumnis hat zuschulden kommen lassen, indem sie das Sozialgerichtsgesetz erst jetzt vorlegt. Der Art. 96 des Grundgesetzes schreibt zwingend vor, daß für das Gebiet der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit oberste Bundesgerichte einzurichten sind. Wir können die Bundesregierung nicht von der Schuld freisprechen, daß sie erst jetzt unmittelbar vor dem Ende der Legislaturperiode dieses Bundestags den Entwurf des Sozialgerichtsgesetzes vorgelegt hat. Die Regierung muß in ihrer Begründung selber zugeben, daß im Bundesgebiet keine einheitliche Rechtsprechung besteht. Ja, sie muß selber feststellen, daß das Fehlen des Bundessozialgerichts als Revisionsinstanz in Rechtsstreitigkeiten in der Sozialversicherung, in der Arbeitslosenversicherung und in der Kriegsopferversorgung zu einer Rechtsunsicherheit geführt hat, die noch dadurch verstärkt wird, daß in einzelnen Ländern der zweite Rechtszug fehlt. In der Begründung zu ihrem Entwurf sagt die Regierung selber, daß das Fehlen einer dritten Instanz sich im Laufe der Zeit insofern unangenehm bemerkbar gemacht hat, als eine Reihe voneinander abweichender Entscheidungen der verschiedenen Spruchkammern ergangen sind, die zwangsläufig ein Gefühl der Rechtsunsicherheit ergeben haben. Es wäre deshalb nach unserer Auffassung Pflicht der Regierung gewesen, dieses Gesetz nicht erst jetzt, sondern schon viel früher vorzulegen, um so mehr als auch nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes jedermann der Rechtsweg offensteht, wenn er sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt fühlt. Die sozialdemokratische Fraktion hat vor bald zwei Jahren, nämlich am 12. Juni 1951, einen Antrag auf Drucksache Nr. 2331 eingereicht, in dem die Bundesregierung ersucht wird, dem Bundestag alsbald den Gesetzentwurf über die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit vorzulegen. Der Ausschuß für Arbeit hat sich mit diesem Antrag beschäftigt und hat in seinem Bericht unter Drucksache Nr. 2634, den er dem Bundestag erstattet hat, dem Bundestag vorgeschlagen, die Bundesregierung zu ersuchen, diese Gesetzentwürfe unverzüglich vorzulegen. Dieser Antrag ist seinerzeit vom Bundestag einstimmig angenommen worden.
Von dem Vorwurf, auch diesen Antrag sehr lässig behandelt zu haben, kann die Regierung nach meiner Auffassung nicht freigesprochen werden.
Der Gesetzentwurf behandelt nur den Aufbau der Sozialgerichtsbarkeit, nicht aber das Verfahren selbst. Der Herr Bundesarbeitsminister hat soeben erklärt, daß die Verfahrensordnung, die dem Bundesrat bereits vorgelegen hat, uns in der nächsten Zeit zugeht. Ohne die Verfahrensordnung ist es gar nicht möglich, dieses Gesetz in Wirksamkeit treten zu lassen, denn beide Teile sind eine Einheit. Die Durchführung des Gesetzes hängt also davon ab, ob uns auch die Verfahrensordnung vorgelegt wird. Wir werden damit einverstanden sein, daß beide Gesetze in ein einheitliches Gesetz hineingearbeitet werden.
Zu dem Inhalt des Gesetzes, insbesondere zu der Frage, ob nur Berufsrichter oder — was wir wünschen — auch Personen, die durch ihre Tätigkeit in der Sozialgesetzgebung besondere Erfahrungen gesammelt haben und über umfassende Kenntnisse verfügen, als Vorsitzende der Gerichte fungieren können, werden wir im Ausschuß unsere Vorschläge machen. Daß die Stadt Kassel als Sitz des Bundessozialgerichts ausersehen ist, begrüßen wir. Wir hoffen, daß der Bundestag diesem Vorschlag zustimmt. In Anbetracht der Wichtigkeit und der Dringlichkeit dieses Gesetzes hoffen wir, daß eine schnelle und rasche Erledigung durch den Bundestag erfolgt.
Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich, diesen Gesetzentwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß als federführendem Ausschuß und dem Kriegsopferausschuß als mitberatendem Ausschuß zu überweisen.