Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum dritten Male muß sich dieser Bundestag mit dem Notstandsgebiet Nordhessen beschäftigen, in dessen Raum das Elendsgebiet Sontra ein nach wie vor besonders brennendes Problem ist. Die Verhandlung ist notwendig geworden, weil die Antwort, die Herr Staatssekretär Hartmann mir am 25. Februar in der Fragestunde der 250. Sitzung erteilt hat, lebhafte Beunruhigung unter der Bevölkerung und besonders den Kupferarbeitern in Sontra ausgelöst hat. Es kann nicht zugegeben werden, daß der Kupferbergbau allein aus sozialpolitischen Gründen betrieben würde. Gewiß ist der Betrieb leider zur Zeit sehr unwirtschaftlich, weil der Weltkupferpreis stark gefallen ist und weil in Sontra der Reichenberg-Schacht durch den Wassereinbruch ausgefallen ist. Aber es ist noch nicht lange her, daß im Reichenberg-Schacht Kupfer zu 300 DM Selbstkosten je 100 kg gefördert werden konnte, während der Weltmarktpreis auf 600 DM stand. Wir haben allen Anlaß, sämtliche in Westdeutschland vorhandenen Erzvorkommen zu erschließen, weil die so stark von der Einfuhr aus fremden, teilweise auch kolonialen Ländern abhängige Metalleinfuhr eines . Tages in Schwierigkeiten kommen könnte. Auch wirtschaftliche, nicht zu vergessen devisenpolitische Gründe rechtfertigen also den Kupferbergbau.
Unter allen Bergarbeiten in Deutschland — und ich kenne aus eigener Anschauung unter Tage auch die Arbeit vor Kohle und im Kalischacht — ist die im Kupferschieferbergbau weitaus die schwerste. Die Arbeiterschaft will nicht nur sozial unterstützt werden, sondern sie kann und muß den Anspruch erheben, durch redliche Arbeit eine volkswirtschaftlich wichtige Produktion zu leisten. Vor allem ist das Problem unter politischen Gesichtspunkten zu sehen. Selbst Professor Roepke hat zugeben müssen, daß es in der ost-west-geteilten Welt längs der ideologischen Demarkationslinie Gebiete gibt, die dauernd durch „wirtschaftliche Untertemperatur" leiden und denen daher mit grundsätzlich anderen als nur marktwirtschaftlichen Mitteln geholfen werden muß.
Wir halten es für notwendig, daß für die Zonengrenzgebiete ein Bundesbevollmächtigter bestellt wird und daß eine umfassende Planung diese Gebiete endlich lebensfähig macht. Jedenfalls gebietet diese politische Situation den Entschluß, ständig den Betrieb des Kupferbergbaus in Sontra zu sichern, da er die fast einzige Existenzgrundlage der Menschen in jenem Raum ist. Ich danke dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, daß er sich bisher dieser Einsicht nicht verschlossen hat, und hoffe, daß Bundestag und Bundesregierung die Voranmeldung von 8 412 000 DM an Zuschüssen für das Rechnungsjahr 1953/54 bewilligen. Da diese Voranmeldung auch die Sümpfung der dritten Sohle mit einschließt, gewährleistet diese Bewilligung eine Abbaumöglichkeit für weitere 15 Jahre und mit ihr den Arbeitsplatz für 1430 Mann.
Erwägenswert bleibt auch die Finanzierung über den Kupferpreis. Der westdeutsche Kupferverbrauch mit 200 000 t jährlich hat zur Zeit einen Wert von etwa 380 Millionen DM. Würde man die gegenwärtig für Sontra erforderlichen Zuschüsse auf diesen Wert des Gesamtkupferverbrauchs umlegen, beliefe sich die Erhöhung des Kupferpreises nur auf 5 Pf je Kilo, von 3,40 DM auf 3,45 DM. Der Verbraucher könnte eine solche Umlage tragen, wie dies auch bei dem Aufschlag von 2 DM je Tonne Kohle für den Bergarbeiterwohnungsbau an der Ruhr geschieht oder wie es durch den Aluminiumzoll geregelt ist.
Ich komme jetzt zu dem zweiten Teil des Antrags. Herr Staatssekretär Hartmann hat es am 25. Februar als noch ungeklärt bezeichnet, ob das Deutsche Reich sich zur kommunalen Erstausstattung an die Gemeinden Sontra, Nentershausen, Cornberg und Solz verpflichtet hat. Vor vier Monaten habe ich selber der Bundesregierung die Unterlagen vorgelegt, die nach meiner Überzeugung einwandfrei beweisen, daß sich das Reich rechtsverbindlich zu dieser Leistung wegen des auf seine Veranlassung eröffneten Kupferbergbaues verpflichtet hat. Eine gesetzliche Regelung nach Art. 134 Abs. 4 des Grundgesetzes braucht nicht abgewartet zu werden, da der mit dem Reich identische Bund den Gemeinden ja kein Geld, sondern Sachleistungen schuldet. Jedenfalls hat Herr Staatssekretär Hartmann anerkannt, daß diese Gemeinden auf Grund des Preußischen Ansiedlungsgesetzes vom Jahre 1904 einen Rechtsanspruch insoweit gegen das bundeseigene Bergbauunternehmen besitzen. Daß gleichwohl Herr Staatssekretär Hartmann am 25. Februar die Weigerung erklärt hat, dem bundeseigenen Bergwerk die zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, ja, daß er in seiner Antwort mit dem unmöglichen Gedanken gespielt hat, der Bund könne eine bundeseigene Gesellschaft in Konkurs gehen lassen. anstatt ihr die Regelung öffentlich-rechtlicher Verbindlichkeiten zu ermöglichen, verdient scharfe Zurückweisung. Als der Bund das Bergwerk übernahm, wußte die Bundesregierung, daß diese Rechtspflichten den Siedlungsgemeinden gegenüber bestanden. Kein Betrieb, zu allerletzt aber ein Betrieb des Bundes, kann in einem sozialen Rechtsstaat einen solchen kaltschnäuzigen Standpunkt einnehmen, daß seine Verbundenheit mit der arbeitenden Bevölkerung bei Aushändigung der
Lohntüte ende, aber die sonst durch das Unternehmen zusätzlich verursachten Aufgaben der Arbeitergemeinden entbehrliche Nebensache seien, für die man keine Verantwortung trage.
Der Bund kann die Gemeinden auch nicht an das Land verweisen oder die rechtlich gebotene Pflichterfüllung von freiwilligen Leistungen des Landes abhängig machen. Das Land Hessen hat übrigens bereits durch laufende Zuschüsse diese Gemeinden vor der Zahlungseinstellung bewahrt sowie ersatzlos mehr als 7 Millionen DM in diese Bergwerke investiert. Im inneren Finanzausgleich hat Hessen im letzten Jahr etwa 90 Millionen DM mehr nach Nordhessen gegeben, als von dort Steuern aufgekommen sind. Die Finanzkraft der Länder ist schließlich durch den ständig gestiegenen Bundesanteil an den direkten Steuern empfindlich geschwächt.
Ohne daß ihn damals eine gleichartige Rechtspflicht traf, legte der Bund im Falle WatenstedtSalzgitter etwa 20 Millionen DM für die kommunale Erstausstattung vor. Ich verweise auf den Bericht vom 26. Juli 1950 des Ausschusses für Wirtschaftspolitik in der Drucksache Nr. 1220 und die dazu gehörende gedruckte Begründung. Das war ein vorbildliches Beispiel, zu dem dieselben staatspolitischen Gründe Veranlassung gaben, die im Falle Sontra bestehen. Ich will daher gerne hoffen, daß die vielleicht nicht so überlegte Antwort des Herrn Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium nur der Mißgriff eines Augenblicks war; sie steht zu sehr im Widerspruch zu den beträchtlichen Opfern, die der Bund für das Kupferschieferbergwerk Sontra bisher gebracht hat und leider noch bringen muß, die anzuerkennen und für die im Namen der beteiligten Bevölkerung den Dank an den Bundestag und die Bundesregierung auszusprechen mir eine ehrenvolle Pflicht ist.
Ich bitte deshalb darum und vertraue darauf, daß in drei Jahresraten auch die Mittel in den Bundeshaushalt eingestellt und zur Auszahlung bewilligt werden, die gebraucht werden, um alsbald die bundeseigene Bergwerksgesellschaft in den Stand zu setzen, ihrer gesetzlichen Pflicht zur kommunalen Erstausstattung der beteiligten Gemeinden nachzukommen. Es handelt sich dabei um einen Betrag von insgesamt 1 898 000 DM, der sich wie folgt aufteilt. Für Sontra sind erforderlich: eine Schule mil 350 000 DM, ein Schulhof mit 30 000 DM, eine Turnhalle mit 150 000 DM, Siedlungsstraßen mit 100 000 DM, Ausbau der Bürgersteige mit 20 000 DM, Kläranlage mit 175 000 DM, Straßenbeleuchtung mit 35 000 DM, Sportplatz mit 10 000 DM und Gemeinschaftshaus mit 50 000 DM. Für Nentershausen sind notwendig: eine Schule mit 200 000 DM, eine Turnhalle mit 116 000 DM, Kläranlage mit 80 000 DM, Straßenbau mit 20 000 DM, Wasser-Ringleitung mit 22 000 DM, Lehrerdienstwohnung mit 50 000 DM. Für Rockensüß, d. h. für die Bergbausiedlung Cornberg, sind notwendig: eine Schule mit 150 000 DM, für Wegebau 60 000 DM, Kanalisation mit 150 000 DM und Bachregulierung mit 80 000 DM. Für Solz ist eine Lehrerdienstwohnung für 50 000 DM notwendig.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie, dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion in der Drucksache Nr. 4196 Ihre Zustimmung zu geben.