Rede von
Karl
Hübner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Fra-
gen der Jugendfürsorge hat sich mit dem Antrag Drucksache Nr. 3691 der CDU/CSU betreffend Hilfe für die sittlich gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms in mehreren Sitzungen beschäftigt. Er hat sich am 12. und 13. November 1952 an Ort und Steile einen Eindruck von den vorliegenden Zuständen verschafft und in Aussprachen mit den Vertretern der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz und der Gemeinden sowie der Justiz und der Kirche die Ursachen der außergewöhnlichen Gefährdung der Jugend in diesem Raum erörtert und die Lösungsmöglichkeiten zur Behebung der Mißstände beraten. Der Ausschuß hat sich dabei von einer ihn mit Bestürzung erfüllenden Situation der Jugend in diesen Gebieten überzeugen müssen. Diese Situation ist dadurch ausgelöst worden, daß die zum Teil kleinen Landstädte und Landgemeinden durch umfangreiche Einrichtungen der Besatzungsmächte und durch die damit verbundene Verpflanzung einer großen Anzahl von Arbeitskräften und Besatzungsangehörigen in diese Ortschaften in eine völlig neue Lebenssphäre hineingerissen worden sind. Aber auch größere Städte, wie z. B. Kaiserslautern, blieben naturgemäß von dieser Entwicklung nicht verschont. Die nachteiligen Auswirkungen dieser Entwicklung beruhen auf der Bereitschaft eines Teiles der Besatzungsangehörigen und ihrer Arbeitskräfte, für ihren persönlichen Lebensgenuß außerordentlich hohe Mittel aufzuwenden und mit diesen Mitteln Bedürfnisse zu befriedigen, die eine schwere Schädigung der Moral der Bevölkerung zur Folge haben. Die ernsteste Gefahr liegt aber darin, daß der Jugend diese Vorgänge nicht nur nicht verborgen bleiben, sondern zum Teil zweckbewußt an sie herangetragen werden mit dem Ergebnis, daß ein Teil der Jugend in ungewöhnlich frühen Jahren einem lasterhaften Lebenswandel verfällt.
Diese in einzelnen Vorkommnissen weit eindrucksvoller zur Darstellung zu bringenden Zustände finden aber auch in Zahlenangaben ihre eindringliche Spiegelung. Einige Zahlenangaben mögen deshalb für die Situation Zeugnis ablegen. Die Bevölkerung einer kleinen Stadt mit 2000 Einwohnern ist beispielsweise etwa um das Zehnfache der Einwohnerzahl durch Besatzungsangehörige und Arbeitskräfte vermehrt worden. 343 einheimische Frauen sind hier bei den Besatzungsmächten beschäftigt und lassen infolge Fehlens von Betreuungseinrichtungen 131 Kinder unter 14 Jahren uribetreut zurück.
Dieser Ort zählt u. a. 30 registrierte Dirnen. Anfang des Jahres 1952 wurden aber 300 gezählt, die sich inzwischen zum größten Teil auf die kleinen Dörfer der Umgebung zurückgezogen haben. Viel gefährlicher grassiert jedoch die heimliche Prostitution. Eine beträchtliche Anzahl fremder Frauen hat sich hier wie auch in anderen Orten unter bereitwilliger Zahlung hoher Preise für möblierte Zimmer niedergelassen und treibt, vielfach unter den Augen der einheimischen Jugendlichen, ihr Unwesen.
In einem Dorf mit 750 Einwohnern ist eine Bar eingerichtet worden, in der bei Razzien mehrfach 14- bis 17jährige Mädchen festgestellt worden sind. In einer anderen Stadt mit 2000 Einwohnern liegen die Verhältnisse ähnlich. Hier sind 124 Dirnen registriert. In einer mittleren Stadt betrug die Zahl der unehelich geborenen Kinder im Oktober 1952 22, während in allen Jahren vorher jährlich nur 90 gezählt wurden. In einer größeren Stadt mußten ' im letzten Jahre 28 Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren wegen Schwangerschaft aus der Berufsschule entlassen werden.
Alle diese Angaben ließen sich noch durch drastischere Beispiele ergänzen. Der Gesamteindruck wird höchstens dadurch in seinen Erscheinungsformen, nicht aber in seinem Umfange gemildert, daß es sich hier um Gefahren handelt, von denen die Großstädte, wenn auch in einem anderen Rahmen, schon immer bedroht waren. Der grundlegende Unterschied liegt aber darin, daß die Großstädte Schutzeinrichtungen besitzen, mit denen sie diese Gefahren auffangen und neutralisieren können. Derartige Schutzeinrichtungen fehlen aber in den kleinen Städten, von denen hier die Rede ist, völlig.
Der Ausschuß ist aus den dargelegten Gründen der einmütigen Auffassung, daß der Bund sehr schnell und mit ausreichenden Mitteln den Schutz der Jugend in diesen Gebieten unterstützen muß. Die aus eigener Kraft getroffenen Maßnahmen des Landes Rheinland-Pfalz und der Gemeinden reichen nicht aus. Dabei darf auch nicht übersehen werden, daß es sich bei den Mißständen um Entwicklungen handelt, die in ihren Ursachen über die Verantwortung eines einzelnen Landes hinausgehen und schon damit eine Hilfe des Bundes rechtfertigen.
Der Ausschuß sieht die dringlichste Aufgabe darin, die unbetreute und schlecht betreute Jugend von der Straße und den üblen Eindrücken fernzuhalten, denen sie durch verantwortungslose Erwachsene unterliegt. Hierzu ist die beschleunigte Schaffung von Kindergärten, Kindertagesstätten, Jugendheimen, Jugendwohnheimen und die Einrichtung von Jugendbüchereien nötig. Die Finanzierung dieser dringlichen Vorhaben kann zu einem erheblichen Teil durch Eigenfinanzierung der vorgesehenen Träger der Heime durchgeführt werden. Diese Organe sind gewillt, rund 1,2 Millionen für Heime bereitzustellen, wenn der Bund für den gleichen Zweck 2,5 Millionen zuschießt, von denen jedoch 33 000 DM für die Einrichtung der Jugendbüchereien abgezweigt werden sollen.
Der Herr Bundesinnenminister hat sich zur Beschleunigung der Hilfeleistung mit einer Bereitstellung der Mittel in Höhe von 2 Millionen DM über den vierten Bundesjugendplan 1953/54 einverstanden erklärt. Der Ausschuß ist mit dieser Bereitstellung nur unter der Voraussetzung einverstanden, daß der Bundesjugendplan mit diesen Aufwendungen nicht im Rahmen des ursprünglichen Betrages belastet wird. Der Haushaltsausschuß hat dieser Auffassung inzwischen durch Verstärkung der Mittel dankenswerterweise Rechnung getragen.
Neben diesen Maßnahmen wird das Land Rheinland-Pfalz noch eine Verstärkung der Polizei und der Kräfte für die Jugendpflege durchführen müssen. Außerdem aber wird es nützlich sein, die Organe der Justiz zu einer schnellen und energischen Behandlung aller Strafrechtsfälle anzuhalten, die in den Bereich der geschilderten Mißstände fallen. Schließlich werden alle für die Abwendung der Mißstände zu treffenden Maßnahmen koordiniert werden müssen. Diese Maßnahmen werden aber nur dann zum Erfolg führen, wenn auch die Besatzungsmächte durch Einwirkung auf die ihnen unterstellten Kräfte den Mißständen energisch entgegentreten.
Der Ausschuß schlägt dem Hohen Hause einstimmig die Annahme des Ausschußbeschlusses gemäß Druckache Nr. 4191 vor. Ich darf hierzu bemerken, daß der Punkt 2 dieser Drucksache insofern einer Änderung bedarf, als es sich nicht mehr um einen Vorgriff handelt, sondern daß wir hier bereits den Bundesjugendplan 1953/54 in Anspruch nehmen.