Rede von
Gustav
Gundelach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Von allen Vorrednern ist zum Ausdruck gebracht worden, daß ,es auf schnelle Hilfe ankommt, und einer der Vorredner hat gesagt: Schnelle Hilfe ist doppelt Hilfe. Dieser Meinung sind auch wir Kommunisten. Sieht man sich das vorliegende Gesetz einmal näher an, dann kommt man allerdings zu der Feststellung, daß es sich mehr oder weniger um allgemeine Bestimmungen handelt, keineswegs aber um gesetzliche Maßnahmen, durch die die weit über 300 000 Personen, die dem Personenkreis der Evakuierten angehören, ein Recht erhalten, innerhalb einer festgesetzten Frist nach ihrem früheren Wohnort zurückzukehren. Denn alles, was hier heute abend zum Ausdruck gebracht worden ist, ist doch auf sehr, sehr lange Sicht abgestellt und nicht auf eine Lösung, auf Grund deren der Evakuierte damit rechnen kann, daß er in einer schon absehbaren Zeit in seinen früheren Wohnort zurückkommt. Was kann z. B. der Evakuierte mit dem Rechtsanspruch auf Zurückführung anfangen, wenn in der Begründung unter Ziffer I 4 folgendes gesagt wird:
Auf die Rückkehr war ein Rechtsanspruch zu geben. Jedoch mußte die Verwirklichung des Anspruches von dem Vorhandensein von Wohnraum abhängig gemacht werden.... Eine andere Regelung würde
— so heißt es hier —
praktisch undurchführbar sein.
Nun, meine Damen und Herren, damit gibt man doch ganz offen zu, daß sehr viele der Evakuierten, und zwar jener Kreis der Älteren, überhaupt nicht mehr damit rechnen dürfen, noch vor ihrem Le-
b ens ende einmal in ihren früheren Wohnort zurückzukommen.
Die Befürworter des Gesetzes werden fragen: Wie anders soll man es denn machen? Dazu ist von unserem Standpunkt aus folgendes zu sagen: Soll ein Evakuiertengesetz wirksam sein, dann muß darin die Verpflichtung für Bund und Länder enthalten sein, die Rückführung der Evakuierten bis zu einem bestimmten Termin durchzuführen. Dementsprechend müßten in einem solchen Gesetz auch die Maßnahmen für die Wohnraumbeschaffung enthalten sein. Davon ist hier aber mit keinem Wort die Rede. Nur ganz allgemeine Bestimmungen.
Die Regierung denkt an eine solche Regelung auch deshalb nicht, weil sie gar nicht bereit ist, für die Erstellung des erforderlichen Wohnraums in kürzester Frist die notwendigen Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Regierung argumentiert so: Die Evakuierten dürfen keine Sonderstellung gegenüber den Flüchtlingen und Ausgebombten einnehmen. Sie tut aber nichts Entscheidendes, um dem genannten Personenkreis insgesamt menschenwürdigen Wohnraum und eine Existenz zu sichern. Niemand in diesem Hause kann behaupten, daß diese Frage in den acht Jahren seit Beendigung des Krieges nicht hätte gelöst werden können. Bedenken wir nur die vielen Milliarden, die in diesen Jahren unnötig für die Besatzungskosten ausgegeben worden sind! Bedenken wir nur die weitere Tatsache, daß in Verbindung mit dem Generalvertrag und dem EVG-Vertrag in den nächsten Jahren Dutzende von Milliarden erforderlich sind! Hier sind die Geldquellen vorhanden, mit denen man den erforderlichen Wohnraum im Bundesgebiet hätte erstellen können und auch in der Zukunft noch erstellen kann.
Dafür haben aber diese Regierung und die hinter ihr stehenden Parteien kein Geld. Wir Kommunisten sagen deshalb den Evakuierten und den Flüchtlingen wie den Ausgebombten: Eine Regierung, die eine solche gegen die Interessen des Volkes gerichtete Politik betreibt, ist nicht willens und auch nicht fähig, die Opfer des verbrecherischen Hitlerkrieges aus ihrer Not und ihrem Elend zu befreien.
Ja, das wage ich zu sagen, weil ich ein Recht dazu habe, das zu sagen. Fragen Sie einmal in Ihren Reihen, wer mitschuldig ist an diesen Zuständen, dann bekommen Sie ein wahres Bild!
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält nichts als allgemeine Bestimmungen. Das muß noch einmal zum Ausdruck gebracht werden. Es sind keine bindenden Verpflichtungen für Bund und Länder darin enthalten, die den Evakuierten die Rückkehr in ihre frühere Wohngemeinde in einer festgesetzten Frist garantieren. Das aber ist die Frage, die die Evakuierten beantwortet wissen wollen. Der vorliegende Gesetzentwurf gibt darauf keine Antwort, wie ich festgestellt habe, und entspricht aus diesem Grunde in keiner Weise den berechtigten Forderungen der Evakuierten.