Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vor Ihnen liegende Materie stellt eine der schwierigsten verfassungsrechtlichen Fragen dar, mit denen sich der Bundestag zu befassen hat.
— Das, Herr Dr. Menzel, festzustellen, ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Belang. Ich hoffe, daß Sie als verfassungsrechtlicher Experte nachher noch erlauchte Ausführungen dazu machen werden.
Wenn wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, müssen wir zwangsläufig einen Rückblick auf den Werdegang der Rundfunkgesetze in Deutschland überhaupt werfen. Wir haben den Zustand vor uns, daß gegenwärtig in der US-Zone nicht weniger als vier Gesetze nebeneinander existieren, vier Gesetze, von denen das letzte in Baden-Württemberg vom 6. April 1949 herrührt. In Wirklichkeit sind alle diese Gesetze der US-Zone durch ein Schreiben der amerikanischen Militärregierung vom 21. November 1947 — gerichtet an die Adresse der Militärgouverneure der vier amerikanischen Länder — geschaffen warden. In diesem Schreiben der Militärregierung war den Militärgouverneuren aufgetragen worden, die Länderparlamente der US-Zone zu veranlassen, bis zum 15. März 1948 entsprechende Ländergesetze zu verabschieden. Die Länder sind in mehr oder weniger großen Abständen diesem Ersuchen nachgekommen. Allerdings ist das letzte Gesetz dieser Art erst am 6. April 1949 von Württemberg-Baden als dem letzten Land verabschiedet worden.
Gerade das Beispiel meines Heimatlandes Baden-Württemberg gibt besonderen Anlaß, noch einmal auf die Prozedur zurückzukommen, die hier stattgefunden hat. Der baden-württembergische Landtag — dafür sitzen ja auch in diesem Hause zahlreiche Zeugen, die als Mitglieder des ersten Landtags damals das alles mitgemacht haben — hat sich zweimal eine Zurückweisung seiner eigenen Gesetzesvorlagen und seiner zweiten und dritten Lesungen durch die Militärregierungen gefallen lassen müssen, bis dann schließlich — nach einem abermaligen Einspruch, sogar des inzwischen aufgebauten Senders — die Militärregierung ihre Zustimmung zu dem Landtagsgesetz erteilt hat.
— Warum zurückgewiesen? Das will ich Ihnen ganz offen sagen. Dafür, warum es zurückgewiesen ist, ist Herr Kollege Schoettle ein ausgezeichneter Zeuge. Ich zitiere hier ausdrücklich einen Ausspruch, den Kollege Schoettle von Ihrer Fraktion damals nach dem Protokoll über die 29. Sitzung des baden-württembergischen Landtags vom 18. Juni 1947 getan hat. Er bestand von seiner Seite aus darauf, daß die staatlichen Aufsichtsrechte und staatlichen Befugnisse stärker verankert werden, als dies die Militärregierung wünschte. Er sagte damals wörtlich — und das ist ein Ausspruch,
den ich auch heute noch für sehr bemerkenswert halte —, daß: „ein demokratischer Staat nicht unbedingt identisch ist mit dem Diktaturstaat des Nationalsozialismus, sondern daß der Staat in der Demokratie die Zusammenfassung aller öffentlichen Interessen ist und das Parlament Sprachrohr und Kontrollorgan des . öffentlichen Interesses gegenüber der Regierung ist". Auch dies sollten Sie zuweilen heute noch berücksichtigen, denn die Gültigkeit dieses Ausspruchs, von unserer Seite in Anspruch genommen, würde ein sehr interessantes Licht auf die heutige Diskussion werfen.
In der britischen Zone hatten wir die Verordnung Nr. 118 vom 1. Januar 1948, das Statut des NWDR, nachdem bereits am 30. Januar 1947 die Lizensierung des NWDR kurz vorher erfolgt war.
In der französischen Zone erfolgte die Rechtsetzung durch zwei Verordnungen Nr. 187 und 188 vom 30. Oktober 1948. Sie sind dann erst vor sehr kurzer Zeit durch den Staatsvertrag zwischen den früheren drei Ländern der französischen Zone 1952 abgelöst worden.
Das Gesamtbild, das sich uns hier bietet, ist unbestreitbar ein rechtliches Chaos.
Nun die Frage: Was konnte in einer solchen Situation die Bundesregierung und was konnte der Bundestag tun? Die Länder waren von den Besatzungsmächten vor der Bundesregierung geschaffen worden. Sie hatten für den noch nicht existierenden Bund treuhänderisch Rechte in Anspruch genommen, von denen sie sich jetzt verständlicherweise höchst ungern trennen. Es kommt eine vielleicht gerade in unserem Volk besonders tief eingewurzelte Neigung hinzu, sich auch von gewissen einmal geschaffenen politischen und rechtlichen Gegebenheiten nur ungern zu trennen. Wir haben unbestreitbar hier eine sehr starke Neigung zu Versteinerungen, selbst wenn es sich um Versteinerungen von Besatzungsrecht handelt, vor allen Dingen wenn sich neue Interessen darum gruppieren und sich diese neuen Interessen um diese früheren Besatzungsrechte in einer Weise konsolidiert haben, die man nur ungern löst, bzw. auch wenn Verhältnisse geschaffen worden sind, von denen man sich ungern um seines eigenen Nutzens willen trennt.
Die rücksichtslose Ausnutzung der beschränkten Souveränität des Bundes infolge der immer noch gültigen alliierten Anordnungen, vor allen Dingen des Gesetzes der Alliierten Hohen Kommission Nr. 5 vom 21. September 1949 ist ein ganz besonderes Beispiel für die Zwangslage, in der sich der Bund gegenwärtig befindet. Die Bundesregierung wäre auch heute noch gehalten, wollte sie ein solches Gesetz einbringen, vorher die Genehmigung der Alliierten Hohen Kommission einzuholen. Wir haben doch vor uns noch das immerhin traurige Schauspiel des Werdeganges des Ufi-Liquidationsgesetzes. Wir wissen, wie oft derartige Vorschläge von der andern Seite zurückgewiesen worden sind, bis man schließlich das erzwang, was dann nach außen hin als ein deutsches Gesetz deklariert werden sollte und mußte.
Wenn unsere Regierung durch den Beitritt zum Internationalen Fernmeldeverein eine größere Bewegungsfreiheit auf diesem Gebiet erreicht hat und heute Mitglied der Internationalen AtlanticCity-Konferenz von 1947 geworden ist, so ist damit trotzdem noch nicht diejenige Bewegungsfreiheit der Bundesregierung geschaffen worden, ohne die ein freier Staat auch auf dem Gebiet der Rundfunkhoheit nicht denkbar ist.
Wie nun diese ausgesprochene Zwangslage der Bundesregierung und des Bundestages zwischen den Besatzungsbehörden auf der einen Seite und den von diesen auf der anderen Seite geschaffenen Anordnungen und Gesetzen in den einzelnen Ländern ausgenutzt worden ist, davon kann ich Ihnen nach einem Protokoll Mitteilung machen, das mir in die Hände gelangt ist. Es handelt sich dabei um das Protokoll der Intendantensitzung der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten vom 20. und 21. Oktober in Stuttgart. Auf dieser Intendantenbesprechung hat Herr Intendant Beckmann vom Hessischen Rundfunk wörtlich erklärt:
Eins möchte ich noch einmal festnageln: Was die Bundesregierung dazu sagt
— es handelte sich um die gemeinsame Betreibung der Langwelle —
oder was sonst man noch dazu sagt, das ist uns vollkommen gleichgültig.
Wenn ich, sagen wir, fünf Minuten vor Inkrafttreten des Generalvertrags von den Engländern noch eine Welle herausschinden kann, dann werden wir sie nehmen und nicht daran denken, daß in fünf Minuten die Bundesregierung die Rundfunkhoheit hat.
Das ist die Art und Weise, in der diese Zwangslage der Bundesregierung genutzt worden ist. Ich glaube, es ist die Pflicht dieses Hauses, siedmaun einmal darauf zu besinnen, welche Funktionen es auch auf diesem Sektor, diesem ungemein wichtigen Sektor hat und welche Verpflichtungen es hat, auch hier die Möglichkeiten auszunutzen, die ihm jetzt nach der dritten Lesung der Verträge gegeben sind.
Mit ein entscheidender Beweggrund der Koalition, diesen Gesetzentwurf einzureichen, ist der, daß, wenn wir jetzt auf diesem Gebiet nicht aktiv werden, dieses Interregnum auf der andern Seite dazu benutzt wird, zu präjudizieren und dem Bund unbestreitbare Rechte zu nehmen bzw. den Bund in außerordentliche spätere Schwierigkeiten zu bringen. Was auch immer der Regierung und der Koalition in der letzten Zeit unterstellt worden war oder ist, etwa hinsichtlich Beeinflussungsmöglichkeiten vor der Wahl, ist allein schon dadurch völlig hinfällig, daß jeder, der sich den möglichen Gang dieser Gesetzgebung vor Augen hält, der sich vor allen Dingen überlegt, wie lange Zeit wir dazu brauchen werden, um diesen Gesetzentwurf im Bundestag durchzubringen, ihn nachher vom Bundesrat behandelt zu sehen, und die daraus sich ergebenden Terminsetzungen usw. berücksichtigt, wissen wird, daß jedes dieser Argumente, wir beabsichtigten, damit irgend etwas für die Wahl zu tun, völlig hinfällig ist.
Nun zum Gesetz selbst. Wir haben nur das herausgegriffen, was wirklich vordringlich war. Wir haben nur das vor uns liegen, was wir als vordringlichste Aufgaben auf diesem Gebiet überhaupt
ansehen: Regelung der Kurzwelle, Regelung der Langwelle, des Fernsehens und damit untrennbar verknüpft die Frage der Gebühren.
Es ist unbestreitbar, daß gerade auf dem Gebiet des Fernsehens die Dinge eine Entwicklung genommen haben, die wohl auch die Opposition keineswegs befriedigt. Es wäre wahrscheinlich wesentlich richtiger gewesen, wenn man zunächst einmal das getan hätte, was die Rundfunkanstalten jetzt in letzter Minute unter dem Druck dieser Gesetzesvorlage getan haben, sich nämlich zusammenzusetzen, um eine gemeinsame Aktion und eine gemeinsame Rechtskörperschaft für das Fernsehen zu schaffen; wenn man dann erst abgewartet hätte, bis die Post von der Nordsee, von Hamburg über Köln bis zum Wendelstein die Relaiskette geschaffen hätte, die zur Übertragung des Fernsehens quer durch die Bundesrepublik notwendig ist; und wenn man dann nach einer entsprechend guten Vorbereitung für ein gutes Programm das Fernsehen im gesamten Bundesgebiet gleichzeitig mit einer entsprechenden Werbung der Industrie angefangen hätte. So hat man vorzeitig losgeschossen, so hat man angefangen, ohne daß man vorher die notwendigen Voraussetzungen geschaffen hatte, und die Folge davon ist heute ein durchaus nicht nur von der Industrie wegen mangelnden Absatzes ihrer Geräte beklagter Zustand, sondern ein von und allen zu beklagender Zustand, weil hier seit dem 1. Januar ein Programm gestartet wird, das weder Sie, meine Herren der Opposition, noch uns in irgendeiner Weise befriedigt.
Wir haben auch weder in diesem jetzt schnell zusammengeschusterten Vorschlag der Intendanten noch bis jetzt in irgendeiner anderen Form etwas verankert gesehen, was wir gleichfalls für absolut notwendig halten, nämlich die Schaffung eines entsprechenden Aufsichtsgremiums für den Betrieb des Deutschen Rundfunks, wie wir ihn in der Gesetzesvorlage genannt haben, zum gemeinsamen Betrieb der Kurzwellenanlagen, der Langwellenanlagen und des Fernsehens. Von Mittelwellen — das möchte ich ausdrücklich feststellen — ist hier gar nicht die Rede.
- Nein, davon ist nicht die Rede, und, Herr Blachstein, davon wird auch nicht die Rede sein.
— Ich habe es nicht geschrieben; Sie können sich später darauf berufen. — Die Notwendigkeit eines demokratisch völlig einwandfrei zusammengesetzten Aufsichtsgremiums als Beispiel für die notwendige Reorganisation der Gremien auch der Landesrundfunkanstalten ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf, glaube ich, in einer wirklich völlig unanfechtbaren Weise dargelegt worden.
Man kann natürlich über die Zusammensetzung dieses Gremiums durchaus geteilter Meinung sein. Der eine wird vielleicht verlangen, daß der Bundestag, der Bundesrat und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts stärker vertreten sind. Man kann vielleicht davon sprechen, daß Organisationen der Wirtschaft, die Gewerkschaften usw. stärker vertreten werden. Man kann daran denken, daß auch die zahlreichen Anträge von seiten des Handwerks, der Bauernschaft usw. berücksichtigt werden. Allerdings würde man dann ein Gremium schaffen, das einem Ständeparlament ähnlicher sein würde als dem, was wir zur Kontrolle dieser technischen Bereiche notwendig haben. Ich glaube, daß der Vorschlag, der hier gemacht worden ist, eine durchaus brauchbare Diskussionsgrundlage bietet und allen Erfordernissen einer wirklichen Kontrolle Rechnung trägt. Es ist auch von Ihrer Seite niemals beanstandet worden, glaube ich, und ich darf mich hier auf den Artikel Ihres Referenten von der Parteiseite aus, Herrn Jürgen Warner, berufen, der sehr starke Kritik, meines Erachtens durchaus berechtigte Kritik an der bisherigen Zusammensetzung der Gremien in den Landesrundfunkanstalten geübt hat.
Daß hier viele Wünsche offen sind, wissen Sie genau so wie wir. War haben uns bemüht, Ihnen hier ein Beispiel dafür zu geben, wie wir uns eine wirkliche Kontrolle auch der Intendanten, die diese drei Wellen betreiben sollen, vorstellen, und ich glaube, daß das ein sehr gutes Beispiel sein würde. Es ließe sich unter Umständen durchaus auch darüber sprechen, ob man nicht überhaupt das Fernsehen herausnehmen sollte, d. h. ob man eine besondere Fernsehanstalt gründen und sie nicht in diese gemeinsame Anstalt hereinnehmen sollte. Auch darüber ließe sich durchaus noch reden. Wir glauben aber, daß der gemeinsame Betrieb, schon von der Gebührenfrage aus gesehen, eine dringende Notwendigkeit darstellt.
Was nun die Ihnen vorgeschlagene Gebührenregelung selbst betrifft, so war ich mir mit meinen Freunden bis zur letzten Minute noch darüber im unklaren, ob wir nicht für die vorgeschlagene Ziffer die Zahl x einsetzen sollten. Es kommt uns hier wirklich nicht darauf an, Ihnen einen genau präzisierten, finanziell durchgerechneten Vorschlag zu bieten, sondern darauf, Ihnen eine Diskussionsgrundlage zu geben, über die durchaus noch gesprochen werden kann. Unsere Absicht ist es, im Bundestag alle diese Dinge so gründlich wie möglich zu erörtern. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß die Länder aus der Macht der Gewohnheit heraus, aus der Rolle der Treuhänder an Bundes Stelle, die sie bis jetzt innehatten, das Bestreben haben, ihrerseits diese Funktion der Vergangenheit weiter aufrechtzuerhalten. Wir sind überzeugt, daß es hier durchaus zu einer Verständigung kommen kann.
Ich bin aber der Ansicht, daß der Bund unbedingt zwei Dinge für sich in Anspruch nehmen kann, soll und muß. Auf Grund der Protokolle des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats muß er für sich die Organisationsgewalt in Anspruch nehmen, also nicht nur die technische Seite des Rundfunks. Ferner hat er nach meiner Ansicht, obwohl einige Professoren anderer Ansicht sind — aber auch darüber läßt sich streiten —, immer noch die unbestrittene Kompetenz auch in der Gebührenfrage. Schließlich sollte doch niemand übersehen, daß wir in unserer Lage heute dringender denn je auch alle solche Fragen berücksichtigen müssen, die die gemeinsame Vertretung unserer Interessen, der Interessen der neugeschaffenen Bundesrepublik, gegenüber der Sowjetzone und dem Ausland notwendig machen.
Diese Dinge sind es, glaube ich, durchaus wert, daß sie wie in allen anderen Ländern Europas von der Vertretung des Volkes behandelt und ernsthaft und gründlich beraten werden. Diesem Haus allein
I kommt es unserer Auffassung nach zu, den ersten Schritt zu tun und den ersten Anstoß in dieser Richtung zu geben. Das hat auch die Opposition früher niemals geleugnet. Das bisherige Verhalten der Rundfunkanstalten und der Länder, die sich jetzt in letzter Minute zusammengefunden haben, um dem Bund noch zuvorzukommen, bestätigt, daß eine gesetzliche Regelung durch dieses Haus notwendig ist,
und zwar die Regelung einer Gemeinschaftsaufgabe für den gesamten Bereich der Bundesrepublik.
— Das können Sie ja später ausführen, aber nach mir bitte!
Wenden Sie sich vom deutschen Rundfunk in seiner jetzigen Form der Versteinerung des Besatzungsrechts ab! Es ist notwendig, daß wir heute die Erfordernisse des Jahres 1953 und nicht mehr die des Jahres 1949 erfüllen. Wir sind in der Zwischenzeit nicht stillgestanden. Es ist unser gemeinsames Bestreben, das Besatzungsrecht durch deutsches Recht nach dem Grundgesetz abzulösen. Dieser Gesetzentwurf gibt Ihnen die Handhabe dafür, einen Vorstoß in dieser Richtung zu machen. Es ist notwendig, daß das Haus sich in dieser Beziehung auf seine Pflicht besinnt.
Ich bitte Sie daher, die Gesetzesvorlage dem Ausschuß für Presse, Rundfunk und Film zu überweisen und dem Vorschlag der Koalition zuzustimmen.