Rede von
Dr.
Josef
Brönner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist aufgebaut auf steuerlichen und wirtschaftlichen Erwägungen. Das Gesetz kann aber auch im Hinblick auf seine gesundheitliche und sittliche Seite betrachtet werden. Ich glaube, es ist angebracht, daß wir in der dritten Lesung dieses Gesetzes auf diese Gesichtspunkte hinweisen.
Das Ziel des Gesetzes ist, die 200 Millionen DM gestundeter Tabaksteuern zu bereinigen, den schlechtbezahlten Zigarrenarbeitern, den Tabakbauern und der Tabakindustrie zu helfen und dem Herrn Bundesfinanzminister möglichst den
gleichen Ertrag an Tabaksteuern zu sichern. Die Tabakindustrie soll nämlich seit eineinhalb Jahren finanziell notleidend sein. Daher hat der Herr Bundesfinanzminister Tabaksteuern in Höhe von etwa 200 Millionen DM gestundet.
Wie ist nun diese Maßnahme zu beurteilen? Die Tabakindustrie hat diese Steuern von den Konsumenten erhoben, hat sie aber nicht abgeführt, sondern für eine Riesenreklame ausgegeben, um den Umsatz zu steigern.
Trotz des gestiegenen Umsatzes hat sie die eingenommenen Steuern nicht abgeführt. Die Großbetriebe haben vielmehr mit diesen Steuern ihr Geschäft umgetrieben und haben sie als Betriebsmittel verwendet.
Was sollen wir einem kleinen Gewerbetreibenden sagen, der mit einem Gesuch um Stundung seiner Einkommensteuer oder seiner Umsatzsteuer an das Finanzamt herantritt, wenn diese nicht genehmigt wird? Dann wird er uns auf die Stundungen von 200 Millionen DM für diese Großbetriebe hinweisen. Und wie stehen wir als Abgeordnete da, wenn wir uns verteidigen wollen?
Gleiches Recht für alle! wird der kleine Mann sagen, wenn es sich um Steuerstundungen handelt. Je höher die gestundeten Steuerbeträge geworden sind, desto größer ist das Geschenk an die Großindustrie, besonders auch an Zinsen. Außerdem werden nach dem Gesetzentwurf nicht mehr alle gestundeten Beträge, sondern nur etwa 85 % beigetrieben. Wenn übermorgen ein anderer Gewerbezweig der Genußmittelindustrie kommt und über mangelnde Rentabilität klagt, — werden ihm dann auch 200 Millionen an Steuern gestundet? Wir werden als Abgeordnete keinen leichten Stand haben, wenn wir in der Öffentlichkeit wegen dieses Gesetzes angegriffen werden.
Als zweite Begründung für das Gesetz wird die Bekämpfung des Zigarettenschmuggels angegeben. Die Produktion und der Verbrauch an Zigaretten beliefen sich im Jahre 1952 auf etwa 30 Milliarden Stück. Der Verbrauch ist in einem Jahr von etwa 22 Milliarden auf 30 Milliarden Stück gestiegen. Daneben kamen 4 bis 5 Milliarden Stück durch Schmuggel herein, die nicht versteuert wurden. Dabei wurde der Herr Finanzminister um etwa 3- bis 400 Millionen DM an Steuern gebracht. Er hofft, daß die Verbilligung der Zigaretten den Schmuggel erheblich verringern und daß er einige 100 Millionen DM an Tabaksteuern mehr einnehmen wird.
Die Annahme, durch eine verhältnismäßig geringe Steuersenkung den Großschmuggel beseitigen zu können, erscheint reichlich optimistisch. Es ist mindestens zweifelhaft, ob diese Rechnung stimmt.
Drittens rechnet der Herr Bundesfinanzminister damit, daß bei gesenkten Steuern etwa derselbe Ertrag an Tabaksteuer eingeht. Er kann in seinem Bundeshaushalt keine größeren Steuerausfälle hinnehmen und hofft daher bei einer Verbilligung der Zigaretten auf einen steigenden Konsum. Statt 30 Milliarden Stück sollen nach der Steuersenkung etwa 36 Milliarden Zigaretten im Jahr versteuert und verraucht werden. Die Zigarettenindustrie rechnet sogar mit 37 bis 38 Milliarden Stück. Diese Steigerung um ein Fünftel läßt sich daraus errechnen, daß nach der Steuersenkung die Packungen ein Fünftel mehr Zigaretten enthalten als vorher und den gleichen Preis kosten. Statt der Fünferpackung zu 50 Pf. gibt es dann eine Sechserpackung zu 50 Pf., statt der Zehnerpackung zu 1 DM eine Zwölferpackung zu 1 DM. Ähnlich wird sich die Verbilligung beim Stückverkauf auswirken. Die Raucher werden den gleichen Teil ihres Einkommens für Zigaretten ausgeben wie bisher. Es muß also damit gerechnet werden, daß im kommenden Jahr etwa 6 Milliarden Stück mehr geraucht werden als bisher.
Welches sind nun die Folgen dieses verstärkten Konsums? Die finanziellen Folgen werden für den Herrn Bundesfinanzminister vielleicht befriedigend sein, weil um so mehr geraucht wird. Er wird alsbald bei den verringerten Steuersätzen ebenso viel Tabaksteuer einnehmen wie bei den erhöhten Sätzen. Die wirtschaftlichen Folgen werden günstig sein für die Tabakbauern und für die Tabakindustrie. Wir gönnen es den Tabakbauern und den Zigarrenarbeitern wie auch den Klein- und Mittelbetrieben. Dagegen werden die Großbetriebe ein ausgezeichnetes Geschäft machen.
Diesen Folgen stehen aber die gesundheitlichen und sittlichen Gefahren besonders bei der Jugend gegenüber. Das obere Ziel der Gesetzgebung sollte ein gesundes und sittlich gefestigtes Volk sein. Der Mensch muß im Mittelpunkt unserer Politik stehen.
Wir geben Milliarden aus für die Gesundung der kranken Menschen, Millionen für die Ertüchtigung der Jugend. Die Innere Mission, der Caritasverband, die Jugendorganisationen geben sich alle erdenkliche Mühe, den anfälligen Menschen und besonders der Jugend zu helfen. Diese Arbeit wird durch den steigenden Tabakkonsum ganz erheblich gefährdet.
Daneben führt das übermäßige Rauchen auch zu sinkenden Leistungen. Unsere heutige Jugend ist gesundheitlich und charakterlich sehr labil. Das verstärkte Rauchen wird leicht zu einem steigenden Bedürfnis und bei der Jugend zu einer gesundheitlichen und sittlichen Gefahr. Die deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren in Hamm hat den Abgeordneten unter dem 6. Dezember 1952 ein Schreiben zugehen lassen, aus dem ich Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein paar Sätze vorlesen darf. Es heißt darin u. a.:
Kein Steuergesetz zum Schaden der Volksgesundheit und der Jugend! Hervorragende Wissenschaftler und führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wenden sich gegen die geplante Senkung der Zigarettensteuer. Diese Stimmen können und dürfen nicht überhört werden. Sie geben, da alle Richtungen vertreten sind, die Auffassung der Volksmeinung in dieser Frage wieder. Im Interesse der Volksgesundheit und der Jugend bitten wir Sie dringend, unter allen Umständen eine Erhöhung des Zigarettenverbrauchs zu verhindern und deshalb jede steuerliche Begünstigung der Zigarette gegenüber dem übrigen Lebensbedarf abzulehnen.
Fragen wir einmal die verantwortlichen Führer der Jungsozialisten, der Jungdemokraten oder der Jungen Union, was sie von diesem Gesetz halten! Sie werden höchstwahrscheinlich sagen, daß ihnen ihre Arbeit nunmehr erheblich erschwert wird. Sehr viele Väter und Mütter und sehr viele Jungen und Mädchen werden nicht verstehen, was
hier geschieht. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß die gesundheitlichen, die geistigen und die charakterlichen Auswirkungen eines Gesetzes wichtiger sind als die wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen.
Meine Damen und Herren, man kann gegen alle diese Bedenken einwenden, daß in anderen Ländern, in den USA, in Frankreich usw. noch mehr Zigaretten auf den Kopf der Bevölkerung kommen als bei uns. Dennoch kann man unseren verstärkten Konsum nicht rechtfertigen, wenn er so gut wie sicher eine gesundheitliche und erzieherische Gefahr bedeutet. Außerdem sind die Folgen des übermäßigen Rauchens erst später bemerkbar. Wir stehen hier vor einem echten Konflikt. Die Tabakbetriebe bemühen sich um eine Ausweitung ihrer Produktion und um höhere Gewinne. Die gesundheitliche und sittliche Seite des steigenden Tabakkonsums ist ihnen vollständig gleichgültig. Auf der anderen Seite stehen die sozialhygienischen Verbände, die Innere Mission, der Caritasverband, die Jugendverbände, die sich gegen eine Ausweitung des Zigarettenkonsums wenden. Das Gesetz bereitet ihnen große Sorgen, weil es ihre Bemühungen erheblich erschwert.
Bei der zweiten Lesung haben meine Freunde und ich einen Antrag auf Rücküberweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugendfürsorge eingebracht. Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Daher sehen meine Freunde und ich heute von einem weiteren Antrag ab. Die Öffentlichkeit soll aber wissen, daß im Bundestag neben den finanziellen und wirtschaftlichen Erwägungen auch sittliche Überlegungen angestellt werden und daß der Mensch, der gesunde Mensch, die gesunde Familie und vor allem eine gesunde und charaktervolle Jugend ein wichtiges Ziel unserer Politik ist und bleiben muß.
Die Lösung all dieser Fragen hätte durch Herabsetzung der Zigarettensteuer ohne Senkung des Zigarettenpreises erreicht werden können. Dann brauchte kein steigender Konsum befürchtet zu werden. Der Herr Bundesfinanzminister hätte dann allerdings mit einem geringeren Ertrag der Tabaksteuer zu rechnen. Nun werden aber gesundheitliche und sittliche Bedenken gegen Steuererträge ausgehandelt. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn man einen anderen Ausweg aus den Schwierigkeiten gefunden hätte, und zwar ohne Ausweitung des Zigarettenkonsums. Da dies nicht geschehen ist, können meine Freunde und ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.