Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder von Ihnen wird dankbar sein, wenn ich mich kurz fasse — es ist Freitag, und es ist 2 Uhr —; aber ganz ohne Begründung können wir diesen Antrag nicht laufen lassen.
Es ist für den Bundestag nicht eben angenehm, sich vor der Tatsache zu sehen, daß nach fast vierjährigem Bestehen die Angelegenheit der Forschungsarbeiten eigentlich zum erstenmal vor sein Forum gelangt, obwohl Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes dem Bund in konkurrierender Gesetzgebung die Förderung der wissenschaftlichen Forschung als ausdrückliche Aufgabe zugewiesen hat.
Meine Damen und Herren, wir werden uns hoffentlich bald einmal in viel größerem Rahmen über dieses entscheidende Problem zu unterhalten haben.
Der Erfahrungssatz hinsichtlich der für Forschungsarbeit notwendigerweise aufzuwendenden Mittel liegt in zivilisierten Ländern ungefähr bei 1 % des Brutto-Sozialprodukts. Wenn der Finanzminister richtig gegriffen hat, haben wir in Deutschland ein Brutto-Sozialprodukt von 125 Milliarden. Wir müßten infolgedessen 1250 Millionen DM Forschungsmittel haben. Wir haben aber nur einen Bruchteil davon zur Verfügung. Man soll nun nicht sagen, das sei angemessen und aus unserer Armut zu erklären. Gerade weil wir ein armes Land mit zu schmalem Boden und übervölkert sind, werden wir erhöhte Aufwendungen zu machen haben, um mit der Forschungsarbeit nicht verhängnisvoll abzufallen; denn die Forschungsarbeit bedeutet unmittelbares Wirtschaftsleben.
Ich könnte mir, wenn mir die Zeit dazu nicht fehlte, den Scherz erlauben, an das anzuknüpfen, was ich eben in bezug auf Obst, Gemüse und Kartoffeln gehört habe. Ohne eine — darf ich das so sagen? — bedeutende geistige Vorleistung in Gestalt von chemischen Düngemitteln, landwirtschaftlichen Maschinen und Schädlingsbekämpfungsstoffen wären die Erträgnisse unserer Landwirtschaft überhaupt nicht zu erzielen. Doch das ist nur ein ganz zufällig aufgegriffenes Beispiel. Die Notwendigkeit der Investierung von Forschungsmitteln wächst heutzutage, wo wir einen hochqualifizierten Export brauchen, wenn wir überhaupt leben wollen, wenn wir unsere Importe an Lebensmitteln und Rohstoffen hereinbekommen wollen, in Form einer geometrischen Reihe an. Es ist nicht mehr wie früher, daß uns die Völker billige Exportwaren wie Blaudruck-Kattun und dergleichen abnehmen, sondern wir müssen Mikroskope, Taschenuhren, Präzisionsinstrumente, Automobile auf dem Weltmarkte anbieten, und in jedem solchen Produkt steckt eine ungeheure geistige Vorleistung, von der noch zu anderem Zeitpunkte zu sprechen sein wird. Man sagt, die deutsche Wirtschaft sei in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Autarkie des Nationalsozialismus hinsichtlich der Forschungsarbeit enorm zurückgefallen. Es wird behauptet, daß in der deutschen Großchemie, die doch wohl den fortschrittlichsten Teil unserer Wirtschaft darstellt, vier Arbeiter nötig seien, um das Produkt herzustellen, für das in Amerika ein Arbeiter genügt. Vielleicht erklärt sich aus diesem Tatbestand mancher Engpaß in unserm Wirtschaftsleben und in seiner Ertragsfähigkeit.
Wir haben in der deutschen Bundesrepublik im laufenden Etat an Haushaltsmitteln des Bundes 42 Millionen DM für die Forschung investiert. Der Städtetag gibt an, daß die Städte 1950 etwa 8,5 Millionen DM für Forschungszwecke aufgewandt hätten. Die Aufwendungen der Länder sind nicht bekannt. Die Regierung konnte uns darüber auf eine Anfrage noch keine Auskunft geben. Die werkeigene Forschung dürfte bedeutendere Mittel verbrauchen; aber darüber fehlen natürlich konkrete Angaben. Man schätzt, daß die nichtöffentliche Hand 1952 etwa 25 Millionen DM ausgegeben habe. Diese Angaben sollen Ihnen nur zeigen, wie weit wir zurück sind, wenn wir etwa 1250 Millionen DM an Forschungsmitteln aufwenden sollen. Es besteht also ein ungeheurer Nachholbedarf.
Ich komme damit zu dem, was heute und hier interessiert und weshalb dieser bescheidene Antrag eingebracht worden ist. Der Antrag ist nicht aus irgendeiner Wahlperspektive gestellt worden, denn die Zahl der Menschen, um die es sich hier handelt, ist nicht allzu groß, aber ihrer Bedeutung und ihrer
Qualität nach müssen wir die Menschen, die im Forschungsleben tätig sind, sehr ernst nehmen; denn die wichtigste der Vorleistungen, von denen vorhin gesprochen worden ist, ist ja doch der Mensch. Ich möchte es klar und deutlich sauen: Wenn wir an Forschungsmittel denken, dann denken wir nicht nur daran, sie für exakte Naturwissenschaft und Technik auszugeben, sondern auch für Humaniora und Geisteswissenschaften.
Denn es handelt sich bei dem selbstlosen Forscher, der sich einer Sache ganz hingeben muß, um einen Menschen, der Wertbegriffe in sich erarbeitet hat, und diese Wertbegriffe sind nicht das Ergebnis mechanistischer Additionen, sondern das Resultat einer ethischen Haltung, die nur aus der Vertrautheit mit den Werten der Humanitas, mit den Geisteswissenschaften, erwachsen kann. Deshalb wollen wir nicht dahin mißverstanden werden, als ob wir nur technischen Assistenten eine Verbesserung zugedacht hätten, sondern wir fordern das für alle.
Nach unseren Unterlagen werden heute Vollassistenten in wissenschaftlichen Instituten mit einem Bruttogehalt von 300 bis 400 DM abgefunden, Hilfsassistenten mit abgeschlossener akademischer Ausbildung erhalten sogar nur 40 bis 120 DM im Monat.
Eines des größten physikalischen Institute Deutschlands hat nur vier Vollassistenten zur Verfügung. Wissenschaftliche Hilfskräfte mit 48 Stunden Arbeitszeit bekommen 160 DM, Leute mit Vorexamen 180 DM, mit Diplomen allerdings ganze 240 DM im Monat. Nur Planstellen sind mit 400 DM brutto dotiert.
Es ist klar, daß unter diesen Umständen dauernd eine enorme Abwanderung in die Industrie erfolgt und daß die wissenschaftlichen Institute vom wissenschaftlichen Nachwuchs immer mehr entblößt werden. In der Industrie zahlt man zirka 50 % mehr als in diesen Instituten. Ein wissenschaftlicher Assistent hat heute mit Mühe und Not das Einkommen eines gelernten Arbeiters, und auch das noch nicht, wenn man sein vorgeschrittenes Alter bedenkt; ich gebe Ihnen das gerne zu. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß dieser wissenschaftliche Arbeiter erst einmal rund 20 000 DM für seine Ausbildung investiert hat. Das alles bleibt unberücksichtigt.
Da mir heute nur die paar Minuten zur Verfügung stehen - wir werden uns ja über das gesamte Problem Forschungsarbeit hoffentlich noch sehr eingehend unterhalten —, möchte ich lediglich sagen: wir wollen diesen Antrag dahin verstanden wissen, Herr Minister, daß Sie sich dieser Mißverhältnisse annehmen. Wir haben auf konkrete Formulierungen verzichtet, weil wir wissen, wie diffizil die ganze Angelegenheit ist. Aber wir erwarten, daß die Planstellen, und zwar im Einvernehmen mit den Ländern auch in den Länderinstituten vermehrt und den Gehältern akademischer Beamtengruppen angeglichen werden. Denken Sie doch bitte daran, daß Diätendozenten und Oberassistenten nicht nur diese 20 000 DM Geldaufwendungen hinter sich gebracht, sondern daß sie auch die schwierige Hürde der Habilitation genommen haben müssen und heute noch längst nicht in die Kategorie der höheren Beamten hineingehören.
Wir erwarten auch, daß ein Ausgleich für das üblich Risiko bei Lehrstuhlwechsel des betreffenden Dozenten oder des Ordinarius geschaffen wird.
Vor allem aber sollen meine heutigen bescheidenen Ausführungen ein Appell an das Haus sein, wenn einmal gründlich über die Neuordnung des gesamten deutschen Forschungswesens gesprochen wird, daß das nicht nur zwischen Tür und Angel in letzter Minute geschieht.
Ich beantrage die Überweisung unseres Antrags an den Ausschuß für Kulturpolitik, damit dessen Unterausschuß „Forschung" endlich eine Arbeitsgrundlage erhält, um die Resultate zu erarbeiten, auf die das Haus Anspruch hat, wenn es Einsicht gewinnen soll in eines unserer wichtigsten Probleme.