Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich vorweg weniger zur rechtlichen als zur sozusagen menschlichsachlichen Situation äußern, wenngleich auch dabei von der Erörterung gewisser Rechtsbegriffe nicht abgesehen werden kann. Herr Dr. Greve
spricht von „Verdachten" und meint, daß jedem Verdacht nachzugehen ein Zurverantwortungziehen sei. Insoweit kann man mit ihm einig sein. Es fragt sich bloß, was „Verdacht" ist. Das Gesetz kennt den „hinreichenden" Verdacht zur Erhebung der Anklage, den „dringenden" Verdacht zur Verhaftung bzw. Untersuchungshaft und sonst nur den schlichten Verdacht.
In den Fällen, in denen die Immunität aufgehoben werden soll, handelt es sich vielfach noch gar nicht um einen Verdacht, sondern nur um eine Beschuldigung, eine Beschuldigung, die entweder mündlich beim Büro der Staatsanwaltschaft oder einer Polizeibehörde zu Protokoll gegeben wird oder in einem Schriftstück bei der Staatsanwaltschaft eingeht. Ob diese Beschuldigung geeignet ist, einen Verdacht zu erregen, das kann die Staatsanwaltschaft, wenn es sich nicht um einen ihr bekannten Querulanten handelt — und das wird die Ausnahme sein —, unter keinen Umständen feststellen. Die Staatsanwaltschaft hat auch kein Interesse an der Strafverfolgung — das ist ein lapsus linguae, Herr Dr. Greve —, sondern sie ist nach dem Gesetz verpflichtet, den Strafanspruch des Staates geltend zu machen ohne Ansehen der Person und ohne sich im geringsten nach einem Interesse zu richten, es sei denn neuerdings, es handele sich um eine Geringfügigkeit, die sie einstellen kann. Sonst — mit Ausnahme der Geringfügigkeit — ist der Strafverfolgungszwang das oberste Gebot der Staatsanwaltschaft und aller Justizbehörden.
Was soll nun dieser Antrag? Der Antrag soll nicht nur den einzelnen Abgeordneten vor Anprangerung im Bundestag schützen; er soll auch das Ansehen des Parlaments schützen. Denn wir im Geschäftsordnungsausschuß sind betroffen darüber und waren es noch mehr zu Beginn unserer Tätigkeit, daß in unserem Plenum fast in jeder Sitzung gegen diesen oder jenen Kollegen Aufhebungsanträge zur Erörterung standen, die dann je nach der lokalen Bedeutung des betreffenden Abgeordneten in seiner lokalen Presse zum Nachteil des Ansehens des Parlaments, breitgetreten wurden. Die Beschuldigungen waren zum Teil auf den ersten Blick nicht lächerlich, wohl aber auf den zweiten. Bei Personalverwechslungen z. B., die auch vorkommen, genügt ein Hinweis des Beschuldigten, daß er gar nicht gemeint sei, daß es sich etwa um den Nachbarn Soundso handle; bei dem Vorwurf irgendeiner Übertretung oder einem beliebigen Delikt kann für die Staatsanwaltschaft schon ein Hinweis darauf genügen, daß der Anzeigende gestern schon wegen Verleumdung bestraft worden sei, um zu erkennen, daß diese Beschuldigung nichts wert ist. Hier geht man nicht einem „Verdacht" nach, sondern der Frage: kann ich einen Verdacht hegen, muß ich Ermittlungen anstellen? Und hier gibt man dem Beschuldigten Gelegenheit, sich einmal kurz zu äußern, wenn er will.
Daß das Nichtwollen des Abgeordneten irgendwelche Rückschlüsse auf seine Schuld — die das Gericht ja später feststellen muß, wenn die Immunität aufgehoben sein sollte — zuläßt, ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gericht möchte ich sehen, das dann überhaupt noch urteilen will, wenn es Derartiges berücksichtigen sollte. Ich halte so etwas bei einem gewissenhaften Gericht für ausgeschlossen.
Dieser Vorschlag geht davon aus: „zur Verantwortung ziehen" heißt einem bei den Strafverfolgungsbehörden oder einem Privatkläger entstandenen Verdacht nachgehen und ihn durch Ermittlungen klären. Auch die verantwortliche Vernehmung des Beschuldigten ist Ermittlung. Die Mitteilung der Anzeige mit der Bitte um Äußerung ist keine verantwortliche Vernehmung, sondern die Anheimgabe der Rückäußerung an einen Staatsbürger, der hoffentlich allgemeine Achtung genießt. Wir halten diese Methode für unbedingt erforderlich, weil wir im Ausschuß in der Tat bei einer großen Anzahl von Vorwürfen, die sich im Rechtsleben sehr wesentlich ausnehmen, der Meinung gewesen sind, daß die Staatsanwaltschaft, wenn sie sich nur ein Wort zur Aufklärung hätte sagen lassen, niemals daran gedacht hätte, den Antrag auf Immunitätsaufhebung auf die Reise zu schicken. Deswegen hat es weniger mit Rechtsfragen zu tun als einfach mit der Klarstellung — die wir hier wollen —, daß nur Verdächten, die nicht nur von einem Beschuldiger erweckt werden sollen, sondern die irgendwie einleuchtend sind, nachgegangen wird, so daß der Angegriffene und damit der hier im Bundestag, also vor der breiten Offentlichkeit, angeprangerte Abgeordnete die Möglichkeit hat, vollkommen sinnlosen Beschuldigungen von vornherein die Spitze abzubrechen. Es kommt gar nicht in Betracht — und ich bitte die Damen und Herren, das zu glauben —, daß die Staatsanwaltschaft ohne dieses Hilfsmittel von sich aus, auf Grund subjektiver Erwägungen, eine Sache einstellen könnte, weil sie glaubt, daran bestehe kein Interesse.
— Sie haben selbst gesagt, das Interesse der Staatsanwaltschaft — —
— Wörtlich!
— Nein, das ist gar nichts anderes!
— Melden Sie sich wieder zum Wort und reden Sie dann weiter! Wir wollen jetzt keine Privatunterhaltungen führen, wenn ich bitten darf. Sie haben das wörtlich gesagt! Sie haben weiter wörtlich gesagt, daß die Staatsanwaltschaft irgendwelche Schriftstücke, die ihr zugingen, einfach in den Papierkorb schmeißen könne, ohne jemanden zu hören. Das ist ein entscheidender Irrtum, es sei denn, daß die Anzeige von einem ihr bekannten Querulanten ausgeht. Dann kann sie es.
Aber normalerweise wird sie den Beschuldiger, den Anzeigenden nicht kennen; dazu ist sie dann nicht in der Lage.