Meine Damen und Herren! Vorab möchte ich kurz zur Frage der Immunität schlechthin einiges sagen, da ich glaube, daß der Bericht, den Herr Kollege Dr. Mende hier gegeben hat, überhaupt erst dann richtig verstanden werden kann, wenn man sich über das Wesen der Immunität klar geworden ist. Die Immunität ist nämlich nicht im Interesse der Abgeordneten geschaffen, sondern einzig und allein im Interesse des Parlaments und der Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit. Die Ausführungen, die mein Freund Carlo Schmid zu Beginn dieses Bundestages über die Prärogative des Parlaments gemacht hat, haben nach wie vor ihre Gültigkeit. Es ist sehr schwer zu begreifen, was den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität veranlaßt hat, dem Bundestag diesen Antrag in Drucksache Nr. 4052 vorzulegen.
Ich sagte: Nicht der Abgeordnete selbst ist es, in dessen Interesse die Immunität geschaffen worden ist. Das Parlament, und zwar ausschließlich und allein das Parlament, hat über die Immunität eines Abgeordneten zu entscheiden, darüber also, ob sie in dem Fall, daß der Verdacht einer strafbaren Handlung bei einem Abgeordneten besteht, aufrechterhalten oder aufgehoben werden soll.
Herr Kollege Dr. Mende hat hier eine Reihe von Gutachten der Länderjustizministerien angeführt, in denen keine Bedenken gegen diesen Antrag des Ausschusses erhoben worden sind. Meine sehr verehrten Anwesenden, wir wissen nicht, wie diese Äußerungen der Länderjustizministerien zustande gekommen sind, welcher Art sie im einzelnen sind, auf welche Gründe sie gestützt sind, so daß es in diesem summarischen Verfahren unmöglich ist, dem Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität zuzustimmen.
Herr Kollege Dr. Mende hat auch den Art. 46 des Grundgesetzes angezogen, in dem es mit völliger Klarheit heißt, daß wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden kann, es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgendes Tages festgenommen wird. Was heißt denn „zur Verantwortung ziehen"? Doch nichts anderes, als daß mit den Ermittlungen begonnen wird: und auch die Vernehmung eines, der sich angeblich strafbar gemacht haben soll, oder die Herbeiführung einer Stellungnahme des Beschuldigten ist schon der Beginn von Ermittlungen und erfüllt den Tatbestand des Zurverantwortungziehens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann unter gar keinen Umständen die Aufgabe des Parlaments sein, zu verhindern. daß ein Abgeordneter, der in dem Verdacht einer strafbaren Handlung steht, der Unterstellung unter das Strafgesetz entzogen wird.
Wenn wir etwa dazu kämen, würden wir alle, glaube ich, uns zu nichts weiter zu entschließen brauchen, als die Immunität überhaupt abzuschaffen.
Es ist zum Ausdruck gebracht worden, der Abgeordnete sei schlechter gestellt als jeder Staatsbürger, der nicht Abgeordneter ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf kommt es gar nicht an. Einzig und allein auf das Parlament kommt es an. Es trifft auch gar nicht zu, daß der Abgeordnete schlechter gestellt ist als jeder andere, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird. Das Parlament als solches hat durchaus ein Interesse daran, zu erfahren, ob ein Abgeordneter im Verdacht einer strafbaren Handlung steht oder nicht; und das würde gerade unter Umständen verhindert, wenn man dem Antrage in Drucksache Nr. 4052 zustimmte, wonach es dem Abgeordneten allein, ohne daß der Bundestag vorher mit der in seinem Interesse liegenden Frage der Aufhebung der Immunität befaßt worden ist, anheimgegeben ist, sich zu äußern zu einem Tatbestand, der ein strafbarer Tatbestand sein soll.
Wo würden wir hinkommen, meine sehr verehrten Anwesenden, wenn etwa ein Abgeordneter aus grundsätzlichen Erwägungen heraus — was nach dem Beschluß, der uns hier vorliegt, ja auch möglich ist — sich weigern sollte, zur Vorbereitung der Entscheidung auf ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft hin Stellung zu nehmen! Derjenige, der sich weigerte, würde von vornherein — auch dann, wenn er es aus grundsätzlichen Erwägungen heraus tut — in den Verdacht kommen, ein schlechtes Gewissen zu haben, während derjenige, der sich nicht weigert, einer solchen Beurteilung nicht an-heimfällt.
Besteht denn nicht durchaus die Möglichkeit, daß jemand, der zu einem Ersuchen der Staatsanwaltschaft Stellung nimmt — was meines Erachtens nach Art. 46 des Grundgesetzes unzulässig ist —, damit nicht erreicht, daß das Verfahren dann unter Umständen eingestellt wird, obwohl es eigentlich erst eingestellt werden dürfte, nachdem vor Aufhebung der Immunität in weit größerem Umfang Ermittlungen angestellt sind, weil der Verdacht der strafbaren Handlung es erfordert?
Es ist auch nicht so, Herr Kollege Mende, daß man hier nur die querulatorischen und vexatorischen Beschuldigungen nicht in die Arbeitstätigkeit des Bundestages kommen lassen will. Die Staatsanwaltschaften, die von sich aus nicht unterscheiden können, ob es sich um eine offenbar an den Haaren herbeigezogene Anschuldigung handelt oder nicht, verkennen eben das Wesen ihrer Aufgabe. Jeder tüchtige Staatsanwalt hat es auch für den Fall, daß ein Abgeordneter einer strafbaren Handlung verdächtigt wird, in der Hand, von sich aus das Verfahren einzustellen, ohne vorher den Bundestag um die Aufhebung der Immunität anzugehen, wenn sich schon auf Grund der Durchsicht der bei ihm eingegangenen Anschuldigung ergibt, daß eine strafbare Handlung überhaupt nicht vorliegt, sondern nur ein Querulant mit Verdächtigungen völlig unsubstantiierter Art an die Staatsanwaltschaft herangetreten ist.
Ich glaube, auf Grund des Ihnen in Drucksache Nr. 4052 vorliegenden Antrags kann in solchen Fragen nicht entschieden werden ohne eingehende Prüfung der Unterlagen, die dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zur Verfügung standen, im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Wenn nach dem Antrag ein Abgeordneter das Recht haben soll, sich zu äußern, dann wird es ihm in keiner Weise schwerfallen, sofern er ein Interesse daran hat und dieses Interesse sich mit dem Interesse des Parlaments begegnet, zu erreichen, daß seine Immunität aufgehoben wird.
Hier haben wir aber nach den entscheidenden Bestimmungen nach Art. 46 des Grundgesetzes allein darüber zu entscheiden, ob auf der einen Seite das Interesse des Parlaments gewahrt wird und auf der anderen Seite das Interesse, das die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich an der Verfolgung einer strafbaren Handlung haben. Ein Interesse des Abgeordneten an der Immunität ist, wie ich eingangs sagte, nicht gegeben. Die Gründe, die zu dem Antrag in Drucksache Nr. 4052 geführt haben, gehen wesentlich von dem Interesse des Abgeordneten aus. Aus grundsätzlichen rechtlichen Bedenken sehen sich meine politischen Freunde und ich nicht in der Lage, dem Antrag Drucksache Nr. 4052 zuzustimmen.