Rede von
Thea
Arnold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Warum, fragt mit mir eine große Menge des deutschen Volkes, wollen wir, das winzige halbe Deutschland, uns durch den Druck Amerikas in die Kriegsabsichten der beiden Großmächte der Welt hineinmanövrieren lassen und uns in ihrem Machtkampf wie zwischen zwei Steinen zerdrücken lassen? Conant gab die Antwort auf diese Frage. Er sagte, daß Amerika dringend der deutschen Soldaten bedürfe. Wir müssen also zum Festlanddegen Amerikas werden.
Seit 1914 ist unser Volk nicht mehr zur Ruhe gekommen, und eine Angst nach der anderen wurde unserem Volk und wird ihm noch heute in unverantwortlicher, propagandistischer Weise suggeriert, um es für eine Wiederaufrüstung gefügig zu machen. Erst war die Angst um Korea.
Es hieß: Wir werden ein zweites Korea. Dann: Der Russe rüstet auf; er überfällt uns. Und als niemand mehr ernstlich daran glaubte, da kam die dritte Angst: Amerika wird uns im Stich lassen, und seine Dollars werden bei uns nicht mehr fließen. Wir werden in Bedrängnis kommen, wenn die Pläne nicht schnell ratifiziert werden. Dazu benutzte unser Herr Bundeskanzler Stalins Tod als Anlaß, um in den Zeitungen zu veröffentlichen: „Nun aber erst recht die Augen auf und schnell ratifizieren!"
Dabei ist es dem Herrn Bundeskanzler bekannt, daß Stalin keinen heißen Krieg wollte; er hat es selbst einmal hier in diesem Hause gesagt.
Stalin glaubte keinen Krieg führen zu sollen, weil er meinte, daß das, was in 35 Jahren in Rußland aufgebaut worden sei, wieder durch einen Krieg zerstört würde. Und die neuen Machthaber drüben
— lassen Sie mich doch bitte ausreden; ich habe vorhin auch bei Ihnen zugehört! —
haben ebenfalls bei ihrem Amtsantritt verkündet, daß sie in Frieden mit allen Völkern auskommen wollen, und sie haben sogar gesagt, daß Kommunismus neben dem Antikommunismus möglich sei. Meine Herren und Damen, wir tragen noch schwer an den Folgen der beiden letzten verlorenen Kriege. Kriegsopfer, Hinterbliebene, Sozialrentner, Flüchtlinge und Ausgebombte führen noch immer
ein Elendsdasein. Ich glaube, wenn die Abgeordneten einmal persönlich in diese Elendslager hineingeschaut hätten, hätten sie es nicht fertiggebracht, 13 Milliarden für die Aufrüstung zu bewilligen.
Glauben Sie wirklich, daß, wie Finanzminister Schäffer gesagt hat, der Lebensstandard des deutschen Volkes trotz dieses Beitrags nicht geschmälert werden würde? Die Ratifizierungsfreudigen unter uns sagen immer: Wir wollen ja gar keinen Krieg. Schlagen Sie das Buch der Geschichte auf; kam nicht jedesmal bei einem Wettrüsten, wie wir es heute wieder haben, mit absoluter Folge der Krieg?
Ich möchte Sie in der letzten Minute warnen. Entscheiden Sie sich für den Frieden und ratifizieren Sie nicht! Suchen Sie zuerst
sich mit Rußland zu verständigen. Rußland hat es uns in Noten, besonders in der letzten Note, angeboten;
es wurde aber von uns wegen der Rangordnung der Tagesordnungspunkte abgelehnt. Es ist keine Diplomatie, von vornherein zu sagen: Rußland will j a keinen Frieden; es meint es nicht ernst mit seinen Noten und Verträgen. Meine Herren und Damen, Sie haben es ja auch nicht versucht, festzustellen, ob dem so ist! Es wäre diplomatischer gewesen, es zu versuchen. Sehr viele Zweifel im deutschen Volk wären dann, wie ich glaube, behoben gewesen. Auch wäre eine Ratifizierung, wie heute mehrfach gesagt wurde, im Augenblick unvernünftig und auch, — bei den unklaren politischen Verhältnissen durch den Regierungswechsel sowohl in Amerika wie in Rußland und infolge der französischen Zusatzprotokolle — überstürzt. Foster Dulles hat am 9. März 1953 auf einer Pressekonferenz in New York gesagt, die Aussichten für einen Frieden in der Welt seien nach Stalins Tod gestiegen. Warum also, fragt das Volk draußen, die anomale Eile des Herrn Bundeskanzlers mit der Ratifizierung?
Ich bitte daher, auf keinen Fall die dritte Lesung abzuschließen, sondern statt dessen Verhandlungen mit der Deutschen Demokratischen Republik —
Deutsche unter Deutschen — und den drei Westmächten aufzunehmen, um schnellstens zu einer Viererkonferenz zu gelangen, die uns endlich den längst fälligen Friedensvertrag gibt, der die Einheit Deutschlands wiederherstellt, die Unantastbarkeit seines Territoriums garantiert, eine sichere politische und wirtschaftliche Stellung zwischen Ost und West und Deutschlands Teilnahme als gleichberechtigte Nation in der Gemeinschaft aller Völker Europas sichert. Wir dürfen nicht in diesem Zustand der Mutlosigkeit verharren und unser Schicksal für 50 Jahre an eine fremde Macht binden. Deutschland muß wieder frei und unabhängig werden,
wie es unsere Väter einst waren, und in Frieden mit allen Völkern leben können. Dies alles wäre aber verbaut, würde man heute diese Verträge ratifizieren. Das Volk käme nie zur Ruhe. Das Ende wäre Deutschlands und Europas Untergang. Das deutsche Volk will endlich den Frieden.