Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung der uns vorliegenden Verträge bewegt über dieses Parlament hinaus unser Volk, die Vertragspartner, und nicht zuletzt ist die Weltöffentlichkeit an dieser parlamentarisch-politischen Abstimmung interessiert. Meine Freunde vom Zentrum wissen um die Bedeutung dieser Verträge. Allein, die politische Seite dieses Vertragswerks ist weniger Angelegenheit einer Partei als vielmehr die Frage der persönlichen Gewissensentscheidung eines jeden Abgeordneten dieses Hohen Hauses, der nach Überprüfung des umfangreichen Werkes entscheiden soll, ob es dem Wohle, dem Frieden, der Einheit und der Freiheit unseres Volkes im Verband mit den freien Völkern Europas und der freien Welt dient oder nicht. Um keinem Zweifel und keiner Mißdeutung Platz zu geben, möchte ich deutlich und nachdrücklichst erklären, daß es in der politischen Grundhaltung meiner Freunde als selbstverständlich gilt, unter Anerkenntnis und Anwendung des Naturrechts, das jedem Menschen Leben und Eigentum sichert, wie des Sittengesetzes, das jedem Menschen Freiheit und Gerechtigkeit verbürgt, auf unsere konkrete Situation hin immer und immer wieder die Verpflichtung zu erkennen und zu realisieren, bereit zu sein, das Leben und die Freiheit des Menschen zu schützen und wenn nötig zu verteidigen.
Aber darum, zu entscheiden, ob wir bereit sind, zu verteidigen, wo es etwas zu verteidigen gibt, geht es nach meiner Meinung nicht; das ist Allgemeingut dieses Hohen Hauses. Es geht darum, ob das Wie in diesem Vertragswerk der beste und einzige Weg für unser Volk ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen, daß es völlig abwegig erscheint, diesem Vertragswerk einen Beigeschmack von Klein-Europa beizumengen. Wir wollen Europa, wir wollen anfangen und aufbauen. Es ist beklagenswert genug, daß in diesen Lebens- und Existenzfragen unseres Volkes die Parteigegensätze tiefer und unüberbrückbar geworden sind, daß so viel persönliches und parteipolitisches Geplänkel den wahren Standort nicht mehr klar erkennen läßt.
Noch eine Bemerkung möchte ich mir in diesem Zusammenhang erlauben. Mit aller Entschiedenheit wehren wir uns dagegen, daß Meinungsverschiedenheiten über Weg und Methode zur Realisierung des politischen Zieles eines freien deutschen
Volkes in einem freien Europa unerlaubter- und unzulässigerweise gleichgesetzt werden mit Ablehnung europäischer Verpflichtung und Zielsetzung. Es muß Schluß damit sein, öffentlich behaupten zu können, wer nicht für diesen Weg sei, sei gegen Europa, ebenso wie wir weder behaupten können noch behaupten wollen noch behauptet haben, daß der, der für diese Verträge stimmt, den Krieg begünstige oder die Wiedervereinigung Deutschlands nicht wolle. Solche Deutungen sind Versuche der politischen Diffamierung und Brunnenvergiftung und nur geeignet, augenblickliche parteipolitische Effekte auf Kosten einer klaren, nüchternen Willensbildung unseres Volkes zu erhaschen, und haben nur zur Folge, daß die Teilnahmslosigkeit gegenüber unserem Staate wächst, den wir aus und auf den Trümmern errichtet haben in unserer Verpflichtung dem Leben und der Freiheit unseres Volkes gegenüber.
Es verdunkelt auch den Blick für die Aufgabe, die unser Parlament und unsere Regierung zu leisten haben, die sie in hartem und mühsamem Ringen zum Wohle unseres Volkes immer zu erfüllen bereit gewesen sind.
Nach Prüfung der uns hier und heute vorliegenden Vertragswerke ist die Mehrzahl meiner Freunde im Zentrum nicht in der Lage, für die Verträge zu stimmen.
Es ist nicht möglich, den Generalvertrag in dieser Form anzunehmen, weil er uns ungleich behandelt — ich darf auf die Notstandsklausel hinweisen —, weil er darüber hinaus unabänderlich ist. Denn nur ein völlig neuer Vertrag kann diese Bestimmungen abändern. Dieser Vertrag atmet noch den Geist des Siegers, er dient der vertraglichen Verewigung der Kapitulation und der Vorrechte der Siegerstaaten und ihrer Angehörigen.
Auch wer heute diesem Vertrage zustimmt, kann dies nach meiner Überzeugung nur tun in dem Bewußtsein der Notwendigkeit einer baldigen Änderung des Vertrags.
Was insbesondere den EVG-Vertrag angeht, so sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß durch diese schicksalsschwere Entscheidung der Eingriff in Leben und Freiheit deutscher Menschen, als künftiger deutscher Soldaten, ohne eine echte politische Verantwortungs-, Entscheidungs- und Mitwirkungsmöglichkeit der Bundesrepublik in der NATO nicht zu rechtfertigen ist. Wir haben uns in der Fraktion sehr eingehend mit dem Problem des Rechtsschutzes unseres deutschen Soldaten befaßt, und wir haben nicht die Überzeugung, daß z. B. die französische Regierung bereit ist, sich für die Rechtsgleichheit unserer Soldaten zu verwenden. Das wird auch durch die Tagung der politischen Jugend in den Haag erhärtet, auf der dieser Standpunkt sehr deutlich und nachdrücklichst von einem Vertreter des französischen Außenministeriums vertreten wurde. Das Problem ist von uns ebenfalls sehr ernstgenommen worden.
Die jüngste Entwicklung sowie das Verhalten und Verlangen des französischen Partners scheinen
uns nicht -die Basis des notwendigen Vertrauens zur EVG zu geben. Wir sollten hierbei berücksichtigen, daß wir doch alle einer uns gemeinsam drohenden Gefahr gegenüberstehen.
Noch ein weiterer Punkt hat uns in der Fraktion sehr beschäftigt. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß die notwendige Kenntnis und die Möglichkeit der Einflußnahme bezüglich der Verteidigungsabsichten und des militärischen Einsatzes nicht genügend gegeben und gesichert sind.
— Verzeihen Sie, es muß die Zusicherung gegeben sein, daß die Bundesrepublik Deutschland in die Lage versetzt wird, um diese Dinge zu wissen, damit sie eine echte Entscheidung treffen kann. Denn wir stehen hier doch in Verantwortung vor dem Leben unserer künftigen deutschen Soldaten.
Letzten Endes ist für die Mehrheit meiner Freunde im Zentrum die Verankerung der allgemeinen Wehrpflicht in der EVG nicht annehmbar. Wir richten in dieser Stunde an die Bundesregierung die herzliche und dringende Bitte, daß sie nichts unversucht lassen möge, den nach Europa führenden Weg, den wir von Anfang an wollten und mitgegangen sind,
von Hindernissen zu befreien und alles daran zu setzen, daß unser Volk in völliger Gleichberechtigung und Freiheit in die Gemeinschaft der freien Völker der Welt aufgenommen wird, und zwar mit allen Rechten und Pflichten, die unserem Volke daraus erwachsen.
Meine Damen und meine Herren, ich habe die Gründe dargetan, die meine Freunde aus einer Gewissensentscheidung nicht zum Ja kommen lassen können. Ich bitte Sie sehr, diese Entscheidung in derselben Weise zu respektieren, wie wir immer Ihre Entscheidungen achten. Sie können auch nach draußen gehen: wir haben uns immer und zu jeder Stunde auf den Standpunkt gestellt, daß Ihre Entscheidung, die Sie für unser Volk zu treffen sich anschicken, ebenso zu respektieren ist. Ich möchte schließen mit dem Satz: Was dir heilig, will ich achten, was mir heilig, laß es gelten!