Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst eine kurze Vorbemerkung zu dem letzten Teil der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers machen. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Auseinandersetzung mit sozialdemokratischen Äußerungen über die heute hier zur Debatte stehenden Fragen wiederholt unseren verstorbenen Vorsitzenden Dr. Kurt Schumacher zitiert, insbesondere .4 ußerungen von Dr. Kurt Schumacher aus dem Jahre 1950, die der Herr Bundeskanzler heute mit sehr starkem Nachdruck als absolut richtig unterstrichen hat. Ich möchte nur sagen: ich bedaure außerordentlich, daß der Herr Bundeskanzler die Übereinstimmung zwischen diesen von Herrn Dr. Kurt Schumacher geäußerten Auffassungen und seinen eigenen nicht vor zweieinhalb oder zwei Jahren hier in diesem Hause zum Ausdruck gebracht hat.
Wenn nämlich damals klargeworden wäre, wie wir es heute nach den Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers annehmen müssen, daß der Herr Bundeskanzler im Grunde die Vorstellungen über die Voraussetzungen, die Dr. Kurt Schumacher für eine Beteiligung an der militärischen Verteidigung Europas für notwendig hielt, auch als richtig anerkannt hätte, dann hätten wir damals eine Basis für eine gemeinsame Außenpolitik finden können,
von der hier im Hause so oft gesprochen worden ist.
Heute allerdings hat der Herr Bundeskanzler diese Äußerungen meines Freundes Schumacher im wesentlichen wohl herangezogen, um — sozusagen um die Sozialdemokratie zu erfreuen oder zu überzeugen — den Verträgen nun gewissermaßen einige Schumachersche Präambeln vorauszuschicken.
Aber mit den Präambeln allein ist es nicht getan. Wir werden im Geiste von Kurt Schumacher handeln, wenn wir uns heute nicht nur die Etikette der Verträge, sondern noch einmal sehr gründlich den Inhalt der Verträge ansehen.
Denn wir sind eben der Meinung — und ich möchte Ihnen das hier gern in dieser letzten Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zu den Verträgen entwickeln —, daß die Voraussetzungen, von denen die Sozialdemokratische Partei in dieser Diskussion seit Jahren, und vor allem auch Dr. Kurt Schumacher immer wieder gesprochen hat, in den vorliegenden Verträgen nicht erfüllt sind
und daß deshalb die Bundesrepublik dieses Vertragssystem nicht annehmen sollte.
Ich möchte das hier im einzelnen zu begründen versuchen. Allerdings werde ich dabei weitgehend darauf verzichten, dem Beispiel des Herrn Bundeskanzlers zu folgen und nun etwa sozialdemokratische Auffassungen mit Äußerungen aus den Reihen der Regierungskoalition zu belegen, die ja noch vor einiger Zeit sehr vernehmlich gegen die Verträge lautgeworden sind. Ich glaube, die in der Sache liegenden Argumente sind stark genug, daß wir weitgehend auf Zitate verzichten können.
Ich möchte noch ein Wort hinzufügen. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn in einer solchen Auseinandersetzung wie dieser, die ja auch eine gewisse grundsätzliche Bedeutung hat, Äußerungen sozialdemokratischer Repräsentanten oder Mitglieder unserer Fraktion zu diesen Fragen hier zitiert werden. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen: Sie müssen sich immer dessen bewußt sein, daß wir gerade in dieser Frage eine sehr freie Aussprache innerhalb und außerhalb der Partei gehabt haben. Heute aber tun Sie besser daran, sich nicht an die eine oder andere Äußerung dieser Art zu halten, sondern den Standpunkt, den ich heute für meine Fraktion zu entwickeln die Ehre habe, als den Standpunkt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands anzusehen.
Wie ist nun die Lage? Wir stehen heute an dem gleichen Punkt, an dem wir uns vor einem Vierteljahr am 5. Dezember 1952 befanden, nämlich vor der dritten abschließenden Lesung der Verträge in diesem Haus. Als wir heute nachmittag diese Plenarsitzung mit einer Geschäftsordnungsdebatte begannen, hat der Herr Kollege Dr. Schröder bedauert, daß das Verhalten der sozialdemokratischen Opposition seit Mai vorigen Jahres die Ratifizierung der Verträge verhindert habe. Nun, wir sind durchaus bereit, den Teil an Verantwortung für die Hinausschiebung der Verabschiedung der Verträge auf uns zu nehmen, den wir tatsächlich haben, aber ich darf doch in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam machen, daß für die Verzögerung von Dezember bis heute ausschließlich die Koalition und insbesondere die Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers, die Koalition zu einem Antrag in Karlsruhe zu veranlassen, verantwortlich ist.
Wir wollen also hier bei der richtigen Verteilung der Gewichte bleiben. Wenn im Anschluß daran Herr Kollege Euler oder Herr von Merkatz — ich weiß nicht — gesagt hat, daß die Folge der Verzögerungstaktik der Sozialdemokratie auch das Zustandekommen der Zusatzprotokolle der französischen Regierung sei, so möchte ich in aller Bescheidenheit wiederum darauf aufmerksam machen, daß dieses Kind der Verteidigungsdebatte in Europa in der Zeit seit Dezember zur Welt gekommen
ist, und wenn dafür Alimente zu zahlen sind, hat sie der Herr Bundeskanzler zu zahlen, und nicht die Opposition.
Im Grunde, meine Damen und Herren, ist dieser Verlust von drei Monaten ein schwerer Mißerfolg der Regierung und ihrer Koalition in dem Kampf um die Ratifizierung der Verträge. Das Bedauerliche dabei ist, daß das ganze deutsche Volk die Folgen dieser Niederlage zu tragen hat. Der Versuch der Koalition, in Karlsruhe eine für sie günstige Entscheidung in der Verfassungsfrage herbeizuführen, ihre Einwirkung auf den Herrn Bundespräsidenten, seinen Antrag auf Erstattung eines Gutachtens zurückzuziehen, haben die beiden höchsten Institutionen der Bundesrepublik in einer nicht wieder gutzumachenden Weise in die politischen Auseinandersetzungen gezogen. Wie groß der Schaden ist, ist wohl jedem von uns noch einmal während der Rede des Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts am letzten Sonnabend klar geworden.
Ich will hier nicht noch einmal den ganzen Fragenkomplex aufrollen; ich habe nur eine einzige Frage: Wann zieht der Bundesminister der Justiz die in jedem Rechtsstaat selbstverständliche Konsequenz aus dieser Auseinandersetzung und tritt von seinem Amt zurück?!
Oder — wenn es dem Herrn Bundesjustizminister an der Einsicht in die Notwendigkeit dieses Schrittes fehlt — wann bittet dann der Herr Bundeskanzler den Herrn Bundespräsidenten um die Entlassung des Bundesjustizministers aus seinem Amt?!
Meine Damen und Herren! Sie wissen so gut wie wir, daß mit der Ablehnung unserer Mißbilligung vor zwei Wochen die Angelegenheit in keiner Weise erledigt ist.
Mit welcher Leichtfertigkeit Regierung und Koalition in den ersten Tagen des Dezember gehandelt haben, wird noch einmal unterstrichen durch die Mitteilung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, daß das Karlsruher Gericht bereit war, das Gutachten schon am 22. Dezember 1952 zu veröffentlichen. Wir hätten seit einem Vierteljahr in dieser grundlegenden Frage Klarheit haben können; sie wäre aus der Diskussion über die politische Seite der Verträge ausgeschieden, nachdem wir Sozialdemokraten von vornherein erklärt hatten, daß wir das Gutachten als auch für uns verbindlich betrachten würden.
Trotz der bitteren Erfahrung, die wir in der zweiten Lesung gemacht haben, sind wir dann noch einen Schritt weiter gegangen: wir sind dem Wunsch des Herrn Bundeskanzlers nach einer Aussprache über eine mögliche Entspannung der politischen Situation gefolgt und haben dem Herrn Bundeskanzler vorgeschlagen, einen gemeinsamen Antrag auf Erstattung eines Gutachtens einzubringen. Aber wir haben nur ein Nein erhalten. Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich feststellen.
Nun ist der Umgehungsversuch, der gemacht werden sollte, durch die Zurückweisung des Antrages der Koalitionsparteien gescheitert. Aber statt aus dieser Erfahrung zu lernen, wird die Niederlage jetzt zu einem Erfolg umgedichtet. Man sagt, mit dem Entscheid von Karlsruhe sei der Weg zur Ratifizierung der Verträge frei. Das ist unwahr; wir stehen nur wieder genau da, wo wir am 5. Dezember vorigen Jahres standen. Auch wenn die Mehrheit dieses Hauses die Verträge in dritter Lesung annehmen sollte, ist noch ein weiter Weg bis zur endgültigen Ratifizierung; sie braucht die Zustimmung des Bundesrates, und die Verträge werden nicht ratifiziert werden, ehe durch höchstrichterliche Entscheidung klargestellt ist, ob sie ohne Änderung des Grundgesetzes in Kraft treten können oder nicht. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird jedenfalls alle ihr in dieser Beziehung notwendig erscheinenden Schritte unternehmen.
Wir warnen Sie außerdem ausdrücklich und in aller Form vor jedem Versuch der Überrumpelung der zur Mitwirkung an der Ratifizierung der Verträge berufenen Instanzen der Bundesrepublik. Es gibt in den Reihen der Koalition einige Männer, die infolge ihrer mangelnden inneren Verbundenheit mit dem Geist und dem Sinn einer demokratischen Verfassung mit solchen Gedanken spielen.
Wir werden sie daran zu hindern versuchen, weil wir es für unerträglich halten, daß die ohnehin schwere politische Entscheidung über das Schicksal der Verträge noch mit einer Verfassungskrise belastet wird. Wenn es sich um Verträge handelt, durch die die Sicherheit der Bundesrepublik und Europas gewährleistet werden soll, dann dürfen sie nicht durch die Zerstörung der Rechtsordnung belastet werden. Wenn es wirklich um Sicherheit geht, muß zuerst und vor allem in der Bundesrepublik die Rechtssicherheit gewahrt werden.
Gibt es jemanden in diesem Hause, der im Ernst der Meinung sein könnte, es wäre möglich, militärische Streitkräfte aufzustellen, ohne dafür die breiteste Grundlage im Volk zu schaffen? Wenn es sich als unumgänglich herausstellen sollte, daß Deutschland Soldaten stellt, so wäre das nur auf der denkbar breitesten Grundlage möglich. Wenn Sie die verfassungsrechtlichen Bedingungen zu umgehen suchen sollten, würden Sie die Spannungen, unter denen Deutschland lebt, noch erheblich vermehren.
Meine Damen und Herren! Unsere ablehnende Stellung zu den Verträgen ist unverändert. Die innen- und außenpolitische Entwicklung im letzten Vierteljahr hat uns in der Überzeugung von der Richtigkeit unserer Haltung noch bestärkt. Ich will hier nicht die Einzelheiten unserer Argumentation aus der zweiten Lesung wiederholen und mich auf die Darstellung der wesentlichen politischen Gesichtspunkte beschränken, die unsere Ablehnung bestimmen.
Die erste und entscheidende Frage ist nach unserer Auffassung die nach der Vereinbarkeit der Verträge mit der Aufgabe der Bundesrepublik, die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit als das vordringlichste Ziel ihrer Politik zu betrachten. Die Bundesrepublik hat nach unserer Meinung nicht das Recht, internationale vertragliche Verpflichtungen einzugehen, die die Wiederherstellung der deutschen Einheit erschweren oder verhindern.
Niemand kann alle Folgen voraussehen, die die Annahme der Verträge durch die Bundesrepublik auslösen wird. Eines ist aber sicher: die Eingliederung der Bundesrepublik in das militärische Verteidigungssystem des Westens, wie sie durch den EVG-Vertrag erfolgt, kann nur zu einer Vertiefung der Spaltung Deutschlands führen.
Demgegenüber ist die Annahme, daß die Aufrüstung der Bundesrepublik in der europäischen Gemeinschaft zu einer größeren Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion führen könnte, bestenfalls eine spekulative Hoffnung und nicht mehr. Die tatsächliche Wirkung kann auch genau umgekehrt sein; und wer die Verträge annimmt, muß auch bereit sein, diesem Risiko ins Auge zu sehen.
Darüber hinaus nimmt uns der Art. 7 des Generalvertrags die Möglichkeit selbständiger Initiative in der Frage der deutschen Einheit.
— Das Gegenargument, Herr Kollege von Brentano, durch die Annahme des Generalsvertrages hätten sich die drei anderen Vertragspartner geradezu verpflichtet, eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands zu treiben, ist nicht ohne weiteres und in der Unbedingtheit stichhaltig. Das grundsätzliche Bekenntnis zur Wiederherstellung der deutschen Einheit sagt doch noch nichts über die Intensität einer solchen Politik und ihre Methoden und ihre Mittel aus.
Das deutsche Volk kann doch seine Politik nicht darauf aufbauen, daß gelegentlich ausländische Staatsmänner mehr oder weniger feierlich erklären, daß auch sie verstehen, wie wichtig die Wiederherstellung der deutschen Einheit sei. Der Herr Bundeskanzler greift sehr gern nach solchen Äußerungen. Aber ich glaube, damit ist für die deutsche Politik nichts gewonnen.
Hier sei nur am Rande daran erinnert, mit welcher Sicherheit der Herr Bundeskanzler Pressevertretern erklärte, was angeblich mit einer Entschließung des amerikanischen Kongresses, sogenannte frühere Geheimverträge betreffend, für Deutschland an Wichtigem verbunden sei. Nun, meine Damen und Herren, diese geheimnisvollen Andeutungen reichten genau bis zu dem Zeitpunkt, an dem der neue amerikanische Hohe Kommissar in Bonn ohne Umschweife erklärte, die Deutschlandfrage werde durch diese Entschließung überhaupt nicht berührt.
Auf so unsicheren Faktoren kann doch die deutsche Politik, die verpflichtet ist, der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu dienen, nicht aufbauen. Wir alle wissen, daß die Intensität des Willens, zur deutschen Einheit zu kommen, bei den anderen drei Vertragspartnern sehr unterschiedlich ist.
Meine Damen und Herren! Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht mehr auf die Veröffentlichung in der „Zeit" eingehen, die der Herr Bundeskanzler heute hier bereits behandelt hat. Ich möchte in diesem Augenblick nur sagen: Ich bin
dankbar dafür, daß der Herr Bundeskanzler so schnell versucht hat, eine Klärung dieser Angelegenheit durch Rückfragen in London und Paris herbeizuführen, Das war um so notwendiger, als ja die ersten Meldungen dieser Art nicht erst in der von heute datierten „Zeit" in Deutschland veröffentlicht worden sind, sondern schon seit zwei Wochen in der internationalen Presse kursieren, ohne daß eine der da genannten Regierungen es bis heute für nötig gehalten hatte, diese Meldungen zu dementieren.
Meine Damen und Herren! Selbstverständlich nehmen wir die Erklärung der französischen und der englischen Regierung zur Kenntnis. Aber ich mochte doch sagen, daß wir wohl alle gut daran tun, dieses Kapitel erst dann endgültig abzuschließen, wenn wir eine Äußerung des Verfassers dieser Information darüber haben, mit welchem der beiden französischen Kabinettsmitglieder er sich denn in dieser Weise unterhalten hat.
Ich glaube, es geht hier um eine Angelegenheit von so weittragender und im Zusammenhang gerade mit der Deutschlandklausel des Generalvertrags so sensationeller Bedeutung, daß wir wohl alle die Pflicht haben, hier ein sehr aufmerksames Auge auf den weiteren Verlauf dieser Angelegenheit zu lenken.
Die Bedeutung aller solcher Informationen oder die Unruhe, die solche Informationen immer wieder auslösen, haben doch letzten Endes ihren Grund auch darin, daß jedermann weiß, daß nach dem Generalvertrag die Frage der deutschen Einheit der deutschen Zuständigkeit entzogen ist und genau so entzogen bleibt, wie es heute unter dem Besatzungsstatut der Fall ist. Das ist der klare Tatbestand, und er ist von der französischen Regierung in ihrer Begründung, die sie dem französischen Parlament mit den Vertragstexten übermittelt hat, noch ausdrücklich unterstrichen worden.
Ich darf vielleicht diese kurze Stelle zitieren. Es heißt da:
Gemäß dem Abkommen über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Alliierten bleibt die Zuständigkeit für alle Fragen, die Gesamtdeutschland betreffen, vor allem die Wiedervereinigung Deutschlands und die Friedensregelung, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten vorbehalten.
Es wird dann zwar auf die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik verwiesen; aber die Zuständigkeit liegt nach der Auffassung der französischen Regierung eindeutig und uneingeschränkt bei den Alliierten, und das, meine Damen und Herren, ist für die Bundesrepublik nach unserer Meinung eine unannehmbare Position.
Die Bundesrepublik, die ja gerade in diesem Punkt nur stellvertretend für das ganze deutsche Volk handeln kann und darf, kann nur eine Lösung annehmen, die der Bundesregierung die Möglichkeit einer eigenen Initiative einräumt. Wir sind doch schließlich in unserem Verhältnis und in unseren Verpflichtungen gegenüber der Sowjetzone, die ein Stück Deutschlands ist, mindestens in derselben
Position wie Frankreich gegenüber den außereuropäischen Teilen der französischen Union, denen es sich so weitgehend verpflichtet fühlt, daß es selbst die Annahme des EVG-Vertrages von der Anerkennung dieser Verpflichtungen durch die anderen Vertragspartner abhängig macht.
Die Unklarheit der Haltung der Vertragspartner in der Frage der deutschen Einheit erschwert auch die Behandlung der Saarfrage, wie auch umgekehrt diese fatale Entwicklung der Saarfrage ungünstige Rückwirkungen auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit haben muß.
Wir diskutieren hier nicht die Selbstverständlichkeit, daß jede internationale Vereinbarung naturnotwendig nationale Souveränitäten einschränkt. Hier handelt es sich aber darum, daß der Generalvertrag einen Ausnahmezustand der Bundesrepublik ausdrücklich festlegt. Ich denke hier nur an die sogenannte Notstandsklausel. Die Notstandsklausel bezieht sich bekanntlich nicht auf den Status der hier in Deutschland stationierten Truppen, wie es der Herr Kollege von Brentano gesagt hat. Der Status der in Deutschland stehenden Truppen ist durch den Truppenvertrag geregelt. Auch dieser Truppenvertrag ist in wesentlichen Punkten eine Ausnahmeregelung zuungunsten Deutschlands, die mit der notwendigen Sicherheit der fremden Truppen auf deutschem Boden nicht begründet werden kann.
Aber ich will hier nicht wiederholen, was wir bereits in der zweiten Lesung zu diesem Punkt vorgebracht haben.
Die Notstandsklausel des Generalvertrags ist die Vollmacht zum Eingriff in die innerdeutschen Verhältnisse nach dem Ermessen der Alliierten.
Alle anderen Abmachungen und Umschreibungen können nichts an der Tatsache ändern, daß es in dem Ermessen der Alliierten steht, wann sie den Notstand erklären und welche Mittel sie für richtig halten anzuwenden, um die normalen Verhältnisse wiederherzustellen.
Das ist auch wieder ausdrücklich — entschuldigen Sie, Herr Kollege von Brentano, wenn ich hier noch einmal, um Sie vielleicht doch in diesem Punkt zu überzeugen, eine Bemerkung aus der Begründung der französischen Regierung zitiere - gesagt:
Es ist klar, daß ein Umsturz der demokratischen Ordnung in Deutschland eine völlig neue Lage schaffen würde, die das normale Funktionieren der Gemeinschaft unmöglich macht. Dies ist im übrigen der Grund dafür, daß der Deutschland-Vertrag in einem solchen Fall den drei Westmächten die Möglichkeit gibt, den Notstand zu verkünden. Auf Grund dieser Notstandsverhängung können die drei Westmächte
— die drei Westmächte —
alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um wieder normale Verhältnisse herzustellen und um die Arbeit der Gemeinschaft zu sichern.
Das heißt, hier entscheiden die drei Westmächte, ob
und wann der Notstand verkündet werden soll, und
sie entscheiden auch über die Maßnahmen, die sie
für die Wiederherstellung normaler Zustände für erforderlich halten. Das ist ein Ausnahmerecht
der Alliierten, das im Vertrag festgelegt ist, ein Ausnahmerecht, das weit über den Artikel hinausgeht, den der Herr Bundeskanzler zu seinem Bedauern in unserem Grundgesetz vermißt hat, den Art. 48, der nun der Anwendungsfreiheit der westlichen Alliierten unterliegt.
— Ich habe ihn gelesen. Sie können doch nicht die Tatsache bestreiten, daß letzten Endes nach Anhörung der Bundesregierung — nach Anhörung — die letzte Entscheidung auch nach dem Wortlaut des Vertrags eindeutig bei den drei anderen Vertragspartnern und nicht bei der deutschen Bundesregierung liegt.
Zu der Deutschlandklausel, die das Vorbehaltsrecht der Alliierten in der Frage der deutschen Einheit festlegt, das ja leider nicht nur ein Vorbehaltsrecht für die Offenhaltung der Verhandlungsposition mit der vierten Besatzungsmacht ist, kommt also das Interventionsrecht der Notstandsklausel, und beide sind sozusagen nur die Eckpfeiler der Einschränkungen deutscher Souveränität, die der Generalvertrag auch sonst noch enthält. Die Behauptung, daß die Bundesrepublik durch den Generalvertrag die Souveränität zurückerhalte, ist eine Täuschung.
Ich darf ein Wort in diesem Zusammenhang sagen. Es ist im Sprachgebrauch der Bundesregierung üblich geworden, den Generalvertrag als Deutschland-Vertrag zu bezeichnen. Ich bedaure das außerordentlich.
Es sollte in Deutschland, in der Geschichte des deutschen Volkes nur einen einzigen Vertrag geben, der diesen Namen verdiente, nämlich der Vertrag, der die Einheit Deutschlands wiederherstellt.
Der Generalvertrag ist im Grunde ein modifiziertes Besatzungsrecht, und Besatzungsrecht und Partnerschaft sind unvereinbar.
Nun, meine Damen und Herren, kommen wir zu der Behauptung, daß der Generalvertrag und vor allem der EVG-Vertrag die deutsche Gleichberechtigung gewährleiste. Die Hauptthese der Anhänger der Verträge ist die Behauptung, daß es im EVG-Vertrag keine Diskriminierung Deutschlands gebe. Ich meine, das Wesentliche ist, daß die Frage der Gleichberechtigung nicht allein aus der militärtechnischen Organisation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu beantworten ist; sie wird im Grunde erst beantwortet aus den allgemeinpolitischen und militärpolitischen Zusammenhängen, in die die EVG hineingestellt wird. Und die Eingliederung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in die Atlantikpaktorganisation schaltet die deutsche Gleichberechtigung aus. Ich will in diesem Augenblick nicht untersuchen, ob eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO vom deutschen Standpunkt aus nötig oder nützlich ist. Das ist eine politische Frage, die wir in einem an-
deren Zusammenhang untersuchen sollten und die uns in der Zukunft sicher noch beschäftigen wird. Hier geht es nur um den durch die Verträge gegebenen Tatbestand.
Die Bundesrepublik bringt deutsche Einheiten in eine Gemeinschaft ein, die einem weitergespannten Verteidigungssystem untergeordnet ist, dem die Bundesrepublik nicht angehört. Wir unterstellen also deutsche Truppen einer fremden Verfügungsgewalt. Man komme uns nicht mit dem Augenzwinkern, meine Damen und Herren, es sei nur eine Frage der Zeit, daß auch die Bundesrepublik Mitglied von NATO sein werde. Heute und hier wird uns zugemutet, Verträge anzunehmen! Wir können unser Ja oder Nein nur von dem bestimmen lassen, was ist oder was in den Verträgen steht.
Wir sind die Schwächeren unter den Verhandlungspartnern und müssen daher sehr sorgsam prüfen, welche Rechte und Pflichten wir durch die Verträge übernehmen.
Das kardinale Problem in diesem Zusammenhang ist nicht die innere demokratische und gleichberechtigte Ordnung der kommenden Verteidigungsorganisation, sondern die gleichberechtigte Mitwirkung der Bundesrepublik bei der Verfügungsgewalt über die EVG. Diese aber ist durch die Unterordnung der EVG unter die NATO nicht gegeben. Welche Bedeutung z. B. .die französische Regierung gerade der Unterordnung der EVG unter die NATO beimißt, geht wiederum aus ihrer Begründung zu den Verträgen hervor. Dabei geht man sehr weit, und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, gerade auch diese Ausweitung der Bedeutung der Kontrolle durch die NATO ernsthaft in Betracht zu ziehen. Es wird gesagt:
Man verkennt die Tatsache, daß die Verteidigungsgemeinschaft integrierender Bestandteil des atlantischen Systems ist und daß sich die Tätigkeit ihrer Einrichtung auf atlantischer Ebene vollzieht, wenn man dem Vertrag vorwirft, er schaffe eine gemeinsame Armee ohne gemeinsame Politik. In Wirklichkeit ist diese gemeinsame Politik keine andere als die atlantische Politik, wie sie innerhalb des Atlantischen Rates von den Mitgliedern dieser Organisation definiert worden ist.
Oder an anderer Stelle:
Darüber hinaus ist die Europa-Armee der Autorität des atlantischen Oberkommandos unterstellt, das gemäß den vom Nordatlantikrat ausgegebenen Weisungen handelt, indem keine Entscheidung ohne unsere Zustimmung
— d. h. ohne die Zustimmung Frankreichs —gefaßt werden wird.
Und schließlich:
Die genannten Vorschriften berücksichtigen das berechtigte Interesse der Bundesregierung, an der Ausarbeitung der Entscheidungen über den Einsatz der europäischen Streitkräfte beteiligt zu werden, wobei jedoch vermieden wird, daß die Bundesrepublik dem Atlantikpakt beitritt. Diesen möglichen Fall hat die Nationalversammlung in ihrer Tagesordnung vom 19. Februar 1952 ausgeschaltet.
Nun, meine Damen und Herren, was bedeutet das? Hier wird völlig klar gesagt, daß der Atlantikrat die allein entscheidende Körperschaft für die Politik und für die Strategie des atlantischen Verteidigungssystems ist, daß die EVG eindeutig den Entscheidungen und der Verfügungsgewalt des Atlantikrats untergeordnet ist und die Bundesrepublik nach dem Willen Frankreichs nicht Mitglied der NATO werden soll.
Wer will angesichts dieses Tatbestandes behaupten, daß es in dieser Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine Gleichberechtigung des deutschen Partners gebe oder geben könne!
Vor allem aus diesem Grunde sind wir nicht bereit, den Verträgen zuzustimmen. Eine effektive Verteidigung der Freiheit ist nur durch eine Gemeinschaft von Freien und Gleichen möglich.
Meine Damen und Herren! Das sind einige der wesentlichen Argumente, deren Sachlichkeit und deren Berechtigung wohl kaum bestritten werden kann. Man kann sich nur darüber streiten, ob sie schwerwiegend genug sind, angesichts der gegebenen politischen Situation eine Ablehnung der Verträge zu rechtfertigen. Aber das will ich später untersuchen.
Ich möchte hier zunächst nur feststellen, daß die Entwicklung der Vertragssituation seit Dezember unsere Bedenken weiter erheblich verstärkt hat. Wir haben in der zweiten Lesung ausführlich über die finanziellen und wirtschaftlichen Belastungen gesprochen, die sich aus den Verträgen ergeben. Auf diesen Gebieten sind inzwischen neue und sehr ernste Unklarheiten entstanden. Aus der Erklärung der Alliierten Hohen Kommission zu den Angaben des Herrn Finanzministers S c h ä f f er über den finanziellen Verteidigungsbeitrag und die Besatzungskosten muß zumindest der Schluß gezogen werden, daß auch auf diesem so entscheidenden Gebiet noch immer die fundamentale Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der Vertragsfolgen und Absprachen herrscht. Finanzminister Schäffer hat lediglich erklärt, die Bundesrepublik werde auch nach dem 30. Juni 1953 einen in gleicher Höhe, nicht höher bemessenen finanziellen Verteidigungsbeitrag leisten, wie er für die Zeit bis zum 30. Juni veranschlagt war. Herr Schäffer ist darauf hingewiesen worden, daß über die Höhe des Beitrags für die Zeit nach dem 30. Juni keinerlei Abmachungen vorliegen. Man hat von alliierter Seite schließlich sogar seinen Brutto-Voranschlag von 13 Milliarden DM als zu niedrig bezeichnet.
Ohne hier wiederholen zu wollen, was ich in der zweiten Lesung über die realen Kosten, die aus den Verträgen erwachsen werden, gesagt habe, muß Ich doch unterstreichen, daß in dieser Hinsicht von seiten der Bundesregierung bemerkenswert unklar operiert worden ist, so daß heute, am Tage der von Ihnen gewünschten Abstimmung, niemand weiß, wie hoch die tatsächlichen finanziellen Verpflichtungen der Bundesrepublik aus den Verträgen sein werden.
Welche Konsequenzen eine derart dilatorische Behandlung so wesentlicher Fragen hat, beweist ja auch die Entwicklung in der sogenannten Schuldenfrage. Die Bundesregierung hat auch hier mit bemerkenswert leichter Hand das sogenannte Schuldenanerkenntnis geleistet, obwohl es nicht an Warnungen und konkreten Vorschlägen gefehlt hat. Jetzt stehen wir vor der Tatsache, daß dem Schul-
denanerkenntnis ein Abkommen über die Schuldentilgung gefolgt ist und daß im Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen der ausdrückliche und totale Verzicht auf die deutschen Auslandsvermögen und -werte besiegelt werden soll.
Nun kommt eine Tatsache von weittragender Bedeutung hinzu, die mein Freund Erler bereits heute mittag in unserer Begründung für die Vertagung der dritten Lesung erwähnt hat: die Vorlage von Zusatzprotokollen durch die französische Regierung. Meine Damen und Herren, Sie können diesen Tatbestand nicht einfach dadurch aus der Welt schaffen, daß Sie erklären: „Er ist für unsere heutige Beratung über die Verträge nicht gegeben!"
Das ist doch eine Politik außerhalb jeder Realität.
Ich gebe Ihnen eines zu, meine Damen und Herren: das Parlament befindet sich in dieser Beziehung tatsächlich in einer unmöglichen Lage. Wir kennen den Inhalt dieser Protokolle nur aus der Presse. Die Regierung hat sich nicht in der Lage gesehen, sie auch nur dem vertraulichen EVG-Ausschuß vorzulegen.
Aber es ist doch unmöglich, die Verträge zu diskutieren und gar über sie zu beschließen mindestens ohne die Kenntnis dieser Dokumente.
wenn Sie sich auf das Kommuniqué der Ministerpräsidentenkonferenz in Rom beziehen. Es ist doch aus all dem, was sich an Kontroversen über das Resultat dieser Konferenz in der Presse ergeben hat, bekannt, daß es in der Sache überhaupt keine Spur einer Verständigung gegeben hat und daß hier die Gegensätze offensichtlich sind.
Wie soll denn eine Europapolitik funktionieren, wenn Sie die Tatsache ignorieren, daß einer der entscheidenden Partner, Frankreich, noch dazu der eigentliche Initiator dieser Europapolitik, sich seit dem Regierungswechsel in Frankreich entschlossen hat, eine andere Politik zu treiben? Das ist doch eine Tatsache, die von Ihnen unmöglich geleugnet werden kann.
Ich will hier nur sagen: es ist eine neue Lage in dem Augenblick, in dem ein Partner, noch dazu ein so wichtiger Partner wie Frankreich, neue Vorschläge, noch dazu von so weittragender Bedeutung, macht. Wir haben ja in den Auseinandersetzungen über die Verträge schon viele merkwürdige Situationen erlebt. Aber das, was jetzt hier geschieht, ist tatsächlich ohne Beispiel. Sie wollen eine Entscheidung über die Verträge, von denen Sie wissen, daß einer der Vertragspartner sie nicht ohne wesentliche Änderungen annehmen wird.
Die Veränderungen sind derart, daß die den Verträgen innewohnende Diskriminierung Deutschlands durch sie noch weiter verstärkt wird. Die Bundesregierung wird also über diesen Tatbestand verhandeln müssen. Das heißt doch praktisch: niemand kennt heute im Augenblick der Abstimmung den endgültigen Text. Denn auch Protokolle und Briefwechsel, die vielleicht noch vereinbart werden, um eine direkte Vertragsänderung zu verhindern, sind Bestandteile des Vertragswerkes.
Wir beneiden Sie nicht um die Verantwortung, die Sie heute zusätzlich mit dieser Taktik auf sich nehmen. Bei den Zusatzprotokollen handelt es sich nicht nur um eine Interpretation des Vertrages. Die Zusatzprotokolle bedeuten im Effekt die Umkehrung des Prinzips der Integrierung, das ursprünglich dem EVG-Plan zugrunde liegen sollte. Die französische Regierung will, wie mein Freund Erler schon gesagt hat, nicht mehr und nicht weniger als die freie Entscheidung darüber, in welchem Ausmaß sie ihre Streitmacht und ihre Rüstungsindustrie in die EVG einbringt, die freie Entscheidung darüber, jederzeit nach ihrem Ermessen und ohne Mitwirkung des Oberbefehlshabers von NATO Truppen aus der EVG abzuziehen. Diese wesentlichen Punkte der französischen Forderungen sind der Todesstoß gegen die Idee der Integration, soweit überhaupt versucht wurde, sie im EVG-Vertrag zu realisieren. Damit entsteht doch, glaube ich, auch für Sie, die Sie die Verträge wollen, eine neue Situation. Denn dann bleibt ganz real .und nüchtern übrig, daß die EVG ein reines Sicherungsinstrument gegen die Bundesrepublik wird.
Das wird auch in der Begründung der französischen Regierung ausdrücklich als eine wesentliche Aufgabe der EVG erklärt.
Ich bedaure, daß ich Ihnen, obwohl Sie die Bedeutung dieser Protokolle für Ihre Entscheidung heute so mutig bestritten haben, diesen Tatbestand hier vorlegen mußte. Aber ich bin der Meinung, daß es angesichts der brutalen Offenheit, mit der hier durch die neuen französischen Forderungen das wirkliche politische Ziel, das die französische Regierung mit der Organisation der Verteidigungsgemeinschaft gegenüber der Bundesrepublik verfolgt, deutlich geworden ist, einfach eine nationale Pflicht ist, diesen Tatbestand und seine Konsequenzen mit derselben Offenheit darzustellen.
Denn wir sind noch nicht am Ende dieses unglücklichen Versuchs, die europäische Verteidigung unter Einschluß der Bundesrepublik bei gleichzeitiger Diskriminierung der Deutschen zu organisieren, und niemand soll sagen können, er habe es nicht gewußt oder er habe es nicht gewollt.
Es gibt noch einen zweiten Punkt, den ich mit derselben Offenheit hier anspreche. Das ist die Saarfrage. Tatbestand ist, daß die jetzige französische Regierung ein neues Junktim hergestellt hat. Sie hat sich gegenüber dem Parlament verpflichtet, die Saarfrage endgültig im Sinne der französischen Vorstellungen einer definitiven Loslösung des Saargebiets aus dem deutschen Staatsverband vor der Ratifizierung zu regeln.
— Lesen Sie bitte die verschiedenen Erklärungen des Herrn Außenministers Bidault! — Der Herr Bundeskanzler hat sich z. B. schon befriedigt darüber geäußert, daß Herr Bidault in einer seiner letzten Erklärungen nicht mehr von einer Lösung, sondern nur von einer Klärung der Saarfrage gesprochen hat. Ich muß sagen, der Herr Bundeskanzler ist nach seinen dauernden Mißerfolgen in der Saarfrage bescheiden geworden.
Aber für das deutsche Volk ist eine Klärung der Saarfrage im französischen Sinne ebensowenig akzeptabel wie eine Lösung.
Mit Silbenstecherei ist ein so elementares Problem der deutschen Einheit, wie das Saarproblem es darstellt, nicht zu meistern. Es gibt nur eine mögliche deutsche Position: Ehe wir in den EVG-Vertrag gehen, muß die Saarfrage im Sinne der Anerkennung der deutschen These, daß das Saargebiet ein Teil Deutschlands ist, beantwortet werden. Die Erfahrungen mit der Regelung der Saarfrage im Schumanplan sind für uns eine so ernste Warnung, daß wir den Herrn Bundeskanzler in aller Form und hier in aller Öffentlichkeit fragen müssen, ob er bereit ist, in diesem Sinne die Saarfrage jetzt vor der Ratifizierung der Verträge zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen und die Ratifizierung der Verträge von einer das deutsche Volk befriedigenden Lösung abhängig zu machen.
Meine Damen und Herren, Sie können heute nicht mehr mit dem Argument auftreten, es bleibe keine Zeit für die Bundesrepublik, die Entscheidungen über die französischen Zusatzprotokolle und über die Saarfrage abzuwarten. Selbst Sie, die Sie die Annahme der Verträge wollen, haben mindestens bis zum Herbst dieses Jahres Zeit. Denn wie ist die Lage? Frankreich wird nicht vor dem Herbst dieses Jahres zur parlamentarischen Entscheidung kommen. Es wird keinesfalls vor den deutschen Bundestagswahlen ratifizieren, und es ist sehr unwahrscheinlich, ob sich unter dieser Regierung und in diesem französischen Parlament überhaupt eine Mehrheit findet. Nach meinen Informationen ist diese Mehrheit nicht vorhanden. Aber ich will darüber nicht spekulieren. In jedem Falle beginnt die entscheidende Beratung im französischen Parlament nicht vor dem Ende der Sommerferien, d. h. frühestens im Oktober. Jetzt spricht Herr Bidault sogar von vorherigen Neuwahlen. In Italien, wo man in den Tagen der Rom-Konferenz noch europafreudig im Sinne der Verträge war, ist jetzt entschieden worden, die Verträge erst im neuen Parlament zu behandeln. Auch das heißt frühestens Herbst 1953. Belgien wird sich auf keinen Fall vor der Entscheidung in Bonn und Paris schlüssig werden. Das sind Tatsachen, die Sie alle kennen. Sie bedeuten, daß im günstigsten Falle, d. h. wenn überhaupt alle sechs Unterzeichner ratifizieren, im Frühjahr 1954 die ersten konkreten Maßnahmen zur Realisierung des Projektes eingeleitet werden können. Alle anderen Überlegungen sind Träumereien an europäischen Kaminen.
Ich sehe überhaupt nur einen Grund für diese jetzt so dringlich gemachte dritte Lesung, nämlich den, daß vielleicht der Herr Bundeskanzler auf
seiner Reise nach den Vereinigten Staaten die positive Entscheidung des Bundestags als einen Beweis des guten Willens mitnehmen möchte. Aber ist das noch nötig? Nicht einmal wir als Opposition bestreiten, daß der Herr Bundeskanzler diesen Beweis des guten Willens gegenüber der amerikanischen Politik längst erbracht hat.
Was für uns unendlich viel wichtiger ist, das ist die Behauptung der möglichst günstigen deutschen Position in den schweren Verhandlungen,. die vor uns liegen und die auf Sie zukommen, ganz gleich, was Sie heute entscheiden. Was heißt das praktisch? Eine vorzeitige Entscheidung - und eine Abstimmung über die Verträge in diesem Augenblick ist eine vorzeitige Entscheidung — kann die zukünftige deutsche Verhandlungsposition nur schwächen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben uns immer wieder unterstellt, daß wir den Kampf gegen die Verträge nur aus parteitaktischen und opportunistischen Gründen führen.
Ich will heute mit Ihnen darüber nicht rechten. Aber wenn Ihre Annahme richtig wäre, dann könnten wir uns heute nichts Besseres wünschen, als Sie kauften die Katze im Sack, wie Sie es heute tun wollen.
Wir wünschen es nicht, weil es um unendlich viel mehr geht. Es geht um die zukünftige Position der Bundesrepublik und des ganzen deutschen Volkes in der Gemeinschaft der Völker, und diese Position, so meinen wir jedenfalls, können und sollten wir nicht aushandeln im Halbdunkel unfertiger Verträge,
Das ist das Anliegen, das uns heute veranlaßt hat, Sie mit unserem Geschäftordnungsantrag noch einmal vor die Frage zu stellen, die Entscheidung nicht jetzt zu fällen. Das ist eine Frage, die jenseits des Verhältnisses von Koalition und Opposition gesehen und entschieden werden sollte.
Es gibt noch ein anderes, ein neues Moment. Der Herr Bundeskanzler hat es erwähnt, und ich möchte mit einigen Bemerkungen darauf zurückkommen, weil es wirklich auch für unsere heutige Debatte so große Bedeutung hat: das ist die internationale Lage nach dem Tode von Stalin. Ich muß sagen, ich beneide den Herrn Bundeskanzler um seine Sicherheit, mit der er sich mit diesem Problem heute hier auseinandergesetzt hat.
Seine einfache Antwort: „es ist keine neue Situation"
umschließt doch ein außerordentlich großes Maß von Verantwortung. Sicher: bis heute sehen wir noch nicht, wie sich die Dinge in der Sowjetunion entwickeln,
und man kann sagen: bis heute gibt es keine neue
Situation. Aber, meine Damen und Herren, wir
entscheiden ja heute mit der Annahme oder Ab-
lehnung der Verträge nicht über heute und morgen, sondern über die Richtung der deutschen Außenpolitik für eine lange Zeit, für eine große Periode.
Und in einer solchen Lage soll man nicht nur an die Stunde denken. Wir gehören nicht zu den Spekulanten in der Politik, und unser Panzer des Mißtrauens gegenüber der Politik der Sowjetunion ist sehr dick. Mit dem Tode eines Mannes, und sei er so mächtig wie Stalin, fällt kein System, das Jahrzehnte auch der schwersten Krisen überstanden hat. Aber die Frage der Stabilität und der Kontinuität eines Systems ist eine Sache, und die Frage seiner Varianten in der Außenpolitik ist eine ganz andere Sache.
Hier liegt das Problem. Wir wissen noch nicht, welche Variante die neuen Machthaber der Sowjetunion spielen werden.
Wir kennen bis jetzt zwei Äußerungen des neuen Staatschefs Malenkow, in denen er sehr pointiert die Stalinsche These von der Vermeidbarkeit des Krieges zwischen den beiden großen Mächtegruppen wiederholt hat. Auf der andern Seite steht die Erklärung des amerikanischen Präsidenten Eisenhower, daß er auch zu einer Unterhaltung mit dem neuen Führer der Sowjetunion bereit sei. Das bedeutet: die Frage der Möglichkeit einer neuen Begegnung zwischen West und Ost steht auf der Tagesordnung der internationalen Politik.
Es ist unwahrscheinlich, daß diese Begegnung nicht zustande kommt, wenn Malenkow sich zu ihr bereit erklärt.
— Ich nehme nicht an, daß Herr Malenkow die deutschen Kommunisten fragen wird.
Das ist die Situation. Wir können nur feststellen, daß eine solche Möglichkeit besteht und daß niemand weiß, wo eine solche Unterhaltung endet, wenn sie zustande kommt. Aber die Hoffnung der Völker und vor allem des deutschen Volkes kann doch nur sein, daß sie mit einer Entspannung der Weltlage enden möge.
In dieser Lage kann Deutschland, für das die Sowjetunion die vierte Besatzungsmacht ist, die das Schicksal von 18 Millionen Deutschen in ihren Händen hält, die Möglichkeit einer solchen Entwicklung nicht übersehen. Dabei steht aber die Bundesrepublik im Begriff, einen Teil des deutschen Volkes in ein Verteidigungssystem einzugliedern, das den Westen gegen eine mögliche Bedrohung aus dem Osten schützen soll. Wir Sozialdemokraten können die Notwendigkeit nicht einsehen — angesichts der Verhandlungslage für die Ratifizierung der Verträge in den sechs Ländern und angesichts der gegenwärtigen internationalen Situation —, die Entscheidung in Deutschland ausgerechnet in diesem Moment der internationalen Entwicklung zu fällen.
Eine andere Haltung ist ja eigentlich nur zu erklären, wenn man davon ausgeht, daß man die
Eingliederung des Teils des deutschen Volkes, der durch die Bundesrepublik repräsentiert wird, in die kontinentale Europa-Organisation unter allen Umständen und um jeden Preis will.
Nun, es bleibt in dieser Auseinandersetzung ein Argument, das vielleicht alle von uns vorgebrachten Bedenken beiseite schieben könnte, nämlich der
Hinweis auf die Notwendigkeit einer schnellen
Verstärkung der Sicherheit der Bundesrepublik or einer möglichen drohenden Aggression aus em Osten. Der Bundeskanzler hat ziemlich dramatisch darüber gesprochen; aber ich weiß nicht, ob es die Aufgabe des deutschen Bundeskanzlers ist, die Zwischenfälle, die sich mit Flugzeugen alliierter Völker ereignen
und die offensichtlich von den unmittelbar beteiligten Regierungen mit solcher Delikatesse behandelt werden, in dieser Weise hier als Argument für seine eigene Politik zu gebrauchen.
Ich will mich im einzelnen mit der Frage der wachsenden militärischen Stärke im Osten nicht auseinandersetzen. Die Lage ist zweifellos ernst, und wir leben zu nahe an der Gefahrenzone, um nicht besorgt zu sein. Wir sollten alles tun, um die naturliche und verständliche Angst der Menschen vor einem neuen Krieg und der Menschen in Deutschland vor einer Situation der Wehrlosigkeit und der Hilflosigkeit zu mindern.
Unsere erste und vordringlichste Aufgabe dabei ist, daß wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Spannungen in der Welt zu vermindern
und den Frieden zu erhalten.
— Herr Abgeordneter Euler, ich habe Ihnen das auch nicht unterstellt; aber wenn wir jetzt hier über unsere Politik sprechen, liegt mir daran, daß ich einer solchen grundsätzlichen Auseinandersetzung über die deutsche Beteiligung an der Verteidigung, an einem militärischen Beitrag, auch als Repräsentant der Sozialdemokratie noch einmal mit aller Klarheit zum Ausdruck bringe: Für uns ist das oberste Ziel der deutschen Politik, den Frieden zu erhalten!
— Ich habe Ihnen erklärt, meine Damen und Herren, aus welchem Grunde ich diese Bemerkung gemacht habe, und ich weiß nicht, warum Sie sich betroffen fühlen, wenn eine solche Bemerkung bar jedes polemischen Charakters ist.
Ich möchte noch ein zweites hinzufügen. Ein weiteres Mittel, den Menschen hier dieses Gefühl ,zu geben, kann ein deutscher Beitrag zur europäischen und internationalen Verteidigung der Freiheit sein; aber es muß ein effektiver Beitrag sein. Unsere Auffassung ist die: durch die Annahme
des EVG-Vertrags wird die Sicherheit der Bundesrepublik nicht erhöht. Selbst wenn man unterstellt, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ein geeignetes Mittel für den Aufbau der europäischen Verteidigung sein könnte, so ist angesichts der gegenwärtigen Ratifizierungssituation für absehbare Zeit mit dieser Politik keine größere Sicherheit für die Bundesrepublik zu erwarten.
Nun wird schließlich die Notwendigkeit der Verträge auch immer wieder begründet mit dem Argument, im Interesse der Erhaltung des Friedens sei eine Politik der Stärke notwendig. Lassen Sig, mich auch dazu ein Wort sagen. Wir halten dieses Argument für das törichteste, das vom deutschen Standpunkt aus in diese Debatte geworfen werden konnte.
Es hat in der Bundesrepublik den Sinn für die Realitäten getrübt; es hat in der Sowjetzone falsche Hoffnungen erweckt, und es unterschlägt die Tatsache, daß die Eingliederung der Bundesrepublik in die Verteidigungsgemeinschaft mindestens für absehbare Zeit die deutschen Menschen in der Sowjetzone noch weiter isolieren und in Bedrängnis bringen wird. Was von der sogenannten Politik der Stärke zu halten ist, hat einer der hervorragendsten Mitarbeiter des Herrn Bundeskanzlers während der Vertragsverhandlungen in einem nach der zweiten Lesung veröffentlichten Artikel ausgesprochen. Dort ist von einer primitiven und unklaren Vorstellung einer Politik der Stärke die Rede, und es wird hinzugefügt, es sei kein Wort darüber zu verlieren, daß militärische Stärke keine Politik ist. Immer wieder aber wird dieses Argument in der Diskussion — auch in der Auseinandersetzung darüber mit uns — gebraucht.
Was wir wünschen, ist, daß uns alle diejenigen, die diese sogenannte Stärke zur Sicherung des Friedens als eine Richtlinie ihrer Politik ansehen, endlich einmal erklären, wohin nach ihrer Meinung die sogenannte Politik der Stärke denn konkret führen soll.
Was soll das Resultat sein, was soll der Nutzen sein,
und zu welchen Zielen wollen wir damit gelangen?
— Das habe ich nicht gesagt! — Jedenfalls legen Sie immer Wert darauf, alle Fragen — das gilt jedenfalls in Ihrer Diskussion mit uns —, die offen sind, zu klären; bitte, meine Herren, vielleicht helfen Sie uns da auf die Sprünge! Sagen Sie uns, was Sie konkret mit Politik der Stärke meinen!
Überprüft man den wesentlichen Inhalt der Verträge noch einmal und zieht man die gegenwärtigen Umstände in Betracht, dann kann man nur zu dem Schluß kommen, daß dieses Vertragssystem in der jetzt gegebenen Situation unter keinem Gesichtspunkt eine Lösung der dringenden Probleme unserer Sicherheit und unserer Eingliederung in die Gemeinschaft der freien Völker darstellt. Dieses Experiment — es ist ein Experiment — ist offensichtlich zum Scheitern verurteilt, auch wenn Sie heute durch die Verabschiedung in dritter Lesung
noch den letzten Versuch zu seiner Rettung unternehmen.
Was bleibt in dieser Lage zu tun? Zweifellos sind wir durch die geschichtliche Entwicklung vor die Frage gestellt, welchen Standort wir für die Bundesrepublik Deutschland beziehen wollen. Wir müssen die Frage ernsthaft untersuchen. Wir Sozialdemokraten sind bereit, es in aller Offenheit und mit dem Willen zu einer Lösung auf einer breiten Basis gemeinsam mit allen denen zu tun, denen das Beste für das deutsche Volk und für die Freiheit und den Frieden der Völker am Herzen liegt. Nach unserer Meinung ist für eine solche Untersuchung die einzig vertretbare und tragbare Annahme, daß der Friede erhalten und der dritte Weltkrieg vermieden wird.
Wir leben in einer Übergangszeit. Wir sind belastet mit dem Erbe der Sünden und Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Wir können nicht erwarten, daß die Völker, die die Opfer dieses Regimes waren, leicht und schnell vergessen. Wir wissen, daß wir in diesen Prozeß der Wiedergewinnung unserer internationalen Geltung nicht allein durch überzeugende Beweise unseres guten Willens gelangt sind, sondern auch durch den Notstand der freien Völker angesichts der Bedrohung ihrer Existenz durch die neue totalitäre Macht.
In diesem Versuch, unsere Position zu beziehen, streiten wir mit Ihnen nicht um zwei elementare Grundtatsachen. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bekennt sich zur westlichen Freiheit und zur westlichen Kultur.
Ihre Erhaltung ist die Voraussetzung für unser sinnvolles Dasein in dieser Welt.
Wenn diese Freiheiten in Gefahr sind, müssen wir versuchen, sie zu schützen und zu verteidigen. Wir wollen es.
Schweren Herzens, weil es gerade in unserem Volk so große aufbauende menschliche Aufgaben der Sicherung der Existenz für alle gibt, auf die wir uns ganz konzentrieren müssen.
Aber nun im konkreten Politischen: was wir der Bundesregierung in ihrer bisherigen Außenpolitik vorwerfen, ist, daß sie diese eingeleitet und durchgeführt hat, ohne den deutschen Ausgangspunkt vorher klar und eindeutig zu fixieren, ohne am Beginn die Grundsatzfragen der deutschen Position zu klären.
Der Bundeskanzler hat sich in seiner Außenpolitik einseitig auf die französische These der Integration eines Teileuropas durch die Schaffung supranationaler Autoritäten festgelegt.
Jetzt ist er der Gefangene dieser Konzeption.
Das Scheitern dieser Politik zwingt uns zur Untersuchung anderer Möglichkeiten.
Die Frage der möglichen Alternative — das wissen Sie genau so gut wie ich — ist ja Gegenstand der ernsthaftesten internationalen Diskussion.
— Ich weiß nicht, Herr von Brentano, ob Sie all diese sehr ernsthaften Untersuchungen in der großen Presse leugnen wollen. Außerdem ist das nicht nur die Meinung von Journalisten, sondern sicher Gegenstand von Überlegungen ganz anderer Leute.
Man kann der Notwendigkeit solcher Diskussionen
über eine andere Lösung nicht dadurch ausweichen
— auch hier nicht —, daß man der Sozialdemokratie unterstellt, sie sei an der Sicherheit des deutschen Volkes überhaupt nicht interessiert. Eine solche Unterstellung ist angesichts des praktischen Verhaltens unserer Partei nicht haltbar.
Man soll in dieser Diskussion — das gilt für alle, die es angeht — auch nicht mit dem Druckmittel arbeiten, daß von der Annahme oder Ablehnung der Verträge das Interesse Amerikas an einer weiteren Teilnahme an der Verteidigung Europas abhänge.
In bezug auf die Verteidigung Europas gibt es glücklicherweise auch gemeinsame Interessen Amerikas und Europas.
Die Organisation der Verteidigung Europas mit den Mitteln des EVG-Vertrags ist nicht die einzig mögliche Form; sie ist nicht die einzige Möglichkeit, die Verteidigung Europas effektiv zu gestalten.
Ich bin überzeugt, der Herr Bundeskanzler rechnet selber damit, daß er sich während seines Aufenthalts in Washington mehr über die Frage einer möglichen anderen Lösung als über das Schicksal des EVG-Vertrags unterhalten muß.
Wir Sozialdemokraten sind für neue Verhandlungen auf einer neuen und breiteren Grundlage.
— Meine Damen und Herren, es ist kein Beitrag zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit unserer Idee, wenn Sie auf unser Argument, daß wir eine Arbeitsgemeinschaft auf breiterer Grundlage — —
- Wollen Sie nicht so freundlich sein, mir endlich
einmal die Möglichkeit zu geben, meinen Gedankengang zu entwickeln! Sonst sagen Sie nachher wieder, Sie hätten mich nicht verstanden!
Das möchte ich vermeiden. Außerdem möchte ich sagen: Schließlich haben wir jetzt mit der Rede des Herrn Bundeskanzlers und der des Herrn von Brentano zweieinhalb Stunden Auffassung der Regierung und Koalition gehört, und wir haben wohl das Recht, wenigstens anderthalb Stunden einmal in Ruhe unseren Standpunkt entwickeln zu können.
Wenn Sie anderer Meinung sind, haben Sie im Rahmen dieser Redezeit jede Möglichkeit, sich mit uns auseinanderzusetzen.
Da Sie aber schon bei meiner Bemerkung von der breiteren Grundlage hier glaubten, einwenden zu können, das sei ja gar nicht möglich, und da der Herr Bundeskanzler, und ich glaube, auch Herr Kollege von Brentano sehr nachdrücklich hier die These entwickelt haben, praktisch schließe die EVG die Mitarbeit von Großbritannien und anderen Ländern gar nicht aus, ja man habe ein so enges Vertragsverhältnis, daß es praktisch nicht mehr enger gestaltet werden könne, — lieber Herr von Brentano,
Sie wissen aus den Verhandlungen gerade in Ihrer Position am allerbesten, daß es bei allen Verträgen über das sogenannte Assoziierungsverhältnis von Großbritannien zu den supra-nationalen Behörden einen prinzipiellen und nicht überbrückbaren Unterschied gibt zwischen der Mitgliedschaft in der Hohen Behörde der Montan-Union und der vorgesehenen Hohen Behörde der europäischen Gemeinschaft. Sie wissen so gut wie ich, daß Großbritannien eben nicht Mitglied dieser Hohen Behörde werden wird. Bitte! Und das ist der Punkt, bei dem Sie doch endlich einmal akzeptieren könnten, daß sich fünf Minuten Gedanken darüber lohnen, daß man eine Mitarbeit Englands vielleicht in einer anderen Form in stärkerer Weise haben kann als durch die supra-nationale Behörde!
Entschuldigen Sie — Herr von Brentano, Sie schütteln mit dem Kopf —, warum wollen Sie denn nicht akzeptieren, daß intergouvernemental die englische und andere europäische Regierungen unter Verzicht auf supra-nationale Autoritäten ein sehr effektives Maß von Kooperation durchgeführt haben?
Meine Damen und Herren, da steht die Frage. Sie wissen es, und Sie werden es ja auch ernsthaft nicht bestreiten: Bleiben Sie bei dem Prinzip der supra-nationalen Autoritäten des EVG-Vertrages, dann ist das eine unvermeidliche Beschränkung auf die sechs kontinentalen Länder.
— Das wissen Sie genau so gut wie ich und jeder andere!
Darüber ist nun die Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und uns. Wir sind der Meinung: die
notwendige, auch von uns gewünschte Zusammenarbeit, auch auf militärischem Gebiet, ist auf der Basis der Zusammenarbeit von Regierungen auf einem breiteren Feld unter Einschluß von Großbritannien und vielleicht den skandinavischen Ländern eher möglich als in der EVG-Gemeinschaft. Da liegt für uns ein entscheidender Punkt, wenn wir jetzt vor der Frage stehen: was können wir tun, wenn sich diese EVG-Gemeinschaft nicht realisieren läßt? Deshalb sind wir für neue Verhandlungen auf dieser breiten Grundlage, von vornherein eingeschlossen Großbritannien, Dänemark und Norwegen.
Ich glaube, der Verzicht auf das Modell der supranationalen Behörden ist unausweichlich geworden, weil sie sich jetzt als der tote Punkt in den Bemühungen um eine gemeinsame europäische Sicherheit erwiesen haben.
Ich glaube — das möchte ich hier weiter an Konkretem sagen —, für die Erreichung des gewollten Zieles ist auch der Weg über einen Ministerrat als entscheidende Instanz eines neuen Sicherheitssystems möglich. Auch unter einem Ministerrat kann man in technischer und militärischer und rüstungswirtschaftlicher Beziehung weitgehende Integration erreichen, an dem alle Beteiligten mitwirken können.
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Es ist vorstellbar, daß unter der politischen Führung des Ministerrats ein Verteidigungs- und Sicherheitsamt geschaffen wird, dem die Integration
der militärischen und wirtschaftlichen Verteidigungskräfte im Rahmen der durch die Entscheidungen des Ministerrats gezogenen Grenzen obliegt.
Die Mitarbeit der Bundesrepublik in einer solchen europäischen Sicherheitsorganisation, deren Verhältnis zur Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft noch bestimmt werden kann, erscheint uns Sozialdemokraten unter folgenden Voraussetzungen möglich:
1. Unsere Situation als Bundesrepublik ist gegenüber allen freien europäischen Völkern einmalig. Unser Land ist gespalten. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist die vornehmste nationalpolitische Aufgabe, und wir müssen immer wieder maximale Anstrengungen machen und von den Besatzungsmächten verlangen, die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch ein Übereinkommen zu schaffen. Die vierte Besatzungsmacht Deutschlands ist die Sowjetunion. Wir können darum vertragliche Bindungen mit dem freien Westen nur bis zu der Grenze eingehen, die uns die Freiheit läßt, in der Frage der deutschen Einheit immer wieder und immer dann, wenn wir selbst es für notwendig halten, aktiv zu werden. In der Frage der deutschen Einheit können wir nicht Objekt der Politik der Vertragspartner sein.
2. Wir sind bereit zur Teilnahme an einem europäischen Sicherheitssystem auf der gleichen Basis der Souveränität und der Gleichberechtigung, die allen anderen Partnern zugebilligt wird. Das neue Europa wird entweder ein Europa der Freien und Gleichen sein, oder es wird nicht sein.
3. Die Einbeziehung der Bundesrepublik in ein europäisches Sicherheitssystem bedingt eine Strategie, die der Bundesrepublik Deutschland dasselbe Maß von Sicherheit gibt, das irgend ein anderer Partner der Gemeinschaft für sich beansprucht. Das bedeutet, daß die Sicherung der Grenzen der Bundesrepublik und die Sicherung von Berlin die gemeinsame anerkannte Aufgabe aller Vertragspartner sein muß.
4. Das europäische Sicherheitssystem muß auf der. breitesten Basis zustande kommen, das heißt, es muß Großbritannien und Dänemark und Norwegen einschließen. Es muß eine Form der Zusammenarbeit gefunden werden, die auch Großbritannien akzeptieren kann. Der Effekt der gemeinsamen europäischen Verteidigung ist entscheidend, nicht die Form. Wie ziehen die Zusammenarbeit der europäischen Regierungen dem supranationalen Prinzip der EVG vor, weil diese Zusammenarbeit größere reale Möglichkeiten schafft.
5. Schließlich, meine Damen und Herren, muß eine solche Verteidigungsgemeinschaft das besondere Problem der sozialen Sicherung der Bundesrepublik in Betracht ziehen. In der Bundesrepublik ist angesichts der Kriegsfolgen die soziale Sicherung der Demokratie gleichwertig im Verhältnis zu der militärischen Seite der Verteidigung.
Nur ein sozial gesichertes Volk in der Bundesrepublik garantiert die notwendige moralische Verteidigungskraft, ohne die militärische Kraft nicht wirksam werden kann.
Meine Damen und Herren, das ist ein konkreter Vorschlag.
Wir leugnen nicht die Schwierigkeiten, die auch seiner Verwirklichung entgegenstehen. Aber gegenüber dem drohenden Vakuum, vor dem wir jetzt stehen, ist hier die Möglichkeit geboten, umfassender und effektiver die europäische Zusammenarbeit einzuleiten.
Sie können die sozialdemokratischen Vorschläge ablehnen oder als utopisch beiseite schieben.
Meine Damen und Herren, Sie werden in Monaten oder vielleicht schon in Wochen vor der Situation stehen, sich ernstlich mit ihnen zu beschäftigen.
Alle Gründe der Vernunft und die Logik sprechen dagegen, daß Sie heute die Verträge in der dritten Lesung annehmen. Dagegen sprechen auch die realen Umstände, unter denen wir heute diese Beratung durchführen. Sie kämpfen für eine Außenpolitik, die vor einer entscheidenden Niederlage steht.
Und wenn Sie trotzdem für die Verträge stimmen. deren endgültigen Text Sie nicht kennen
— dessen endgültigen Text Sie nicht kennen! —,
dann ist das eine Politik nach dem Grundsatz: es ist mehr wegen der Schönheit als wegen der Richtigkeit.
Die Annahme der Verträge in diesem Hause bedeutet noch nicht die Ratifizierung.
Der Kampf geht weiter. Wir Sozialdemokraten werden ihn führen mit dem Ziel, an die Stelle der nach unserer Auffassung verfehlten Außenpolitik der Bundesregierung eine Politik der effektiven Sicherheit zu setzen, eine Politik der Rechtssicherheit, der sozialen Sicherheit im Innern und eine Außenpolitik, die unserem Volke 'in Gemeinschaft mit den anderen europäischen Völkern eine effektive Sicherheit gibt, ohne die Chancen für eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands zu zerstören. In diesem Geiste lehnt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die vorliegenden Verträge ab.
Präsident Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.