Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Aber, meine Damen und Herren, es handelt sich wirklich um sehr ernste Dinge. Es handelt sich um Schicksalsfragen des deutschen Volkes und Europas.
Daher habe ich die wirklich von Herzen kommende Bitte an die sozialdemokratische Fraktion,
sie möchte doch einmal mit sich zu Rate gehen, ob sie sich nicht doch entschließen kann, zuzustimmen. Niemand
würde sich mehr darüber freuen als wir alle und als das deutsche Volk in seiner Gesamtheit.
Die Bedenken, die von Ihnen zu diesen oder jenen Punkten der Verträge gemacht werden, sind wirklich nicht entscheidend. Sie haben die Vorbehaltsrechte getadelt. Ihr Mitglied Herr Luetkens erkennt ja in diesem Artikel an, daß solche Vorbehaltsrechte geschaffen werden müssen. Er erkennt es nach meiner Meinung mit Recht an.
Sie können ja, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, Ihre Bedenken und Beanstandungen einzelner Artikel in ähnlicher Form, wie das andere Fraktionen dieses Hohen Hauses bei der zweiten Lesung getan haben, in Form von Entschließungen niederlegen,
damit die Bundesregierung im Laufe der naturnotwendig einsetzenden Weiterentwicklung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft versuchen kann, diesen Bedenken Rechnung zu tragen.
In den wahrhaft entscheidenden Fragen sind die
Voraussetzungen -für die Zustimmung der Sozial-
demokratischen Partei zu den Verträgen erfüllt. Das kann ich Ihnen beweisen, meine Damen und Herren, mit alledem, was Herr Dr. Schumacher schon früher erklärt hat. Er hat in Bonn am 23. August 1950 in einer Pressekonferenz folgendes erklärt:
Hier, wo wir untersuchen müssen, ob es eine Situation gibt, bei der eine deutsche militärische Leistung einen Sinn hat, sage ich: diese Situation tritt dann ein, wenn die Weltdemokratien, wenn vor allen Dingen die Vereinigten Staaten Deutschland offensiv nach dem Osten verteidigen,
d. h. das ganze Deutschland vor den schwersten Zerstörungen bewahren und ebenso Europa, und die Kriegsentscheidung mit allen Kräften östlich von Deutschland suchen.
Herr Dr. Schumacher hat damals erklärt:
Das ist die erste und die einzige Voraussetzung für unser Ja oder Nein zur deutschen Rüstung.
Nun, ich sage Ihnen nochmals: diese Voraussetzung ist erfüllt. Es liegt in den Plänen von NATO,
sobald die Europaarmee steht, die Verteidigung Europas einschließlich Deutschlands soweit wie irgend möglich im Osten aufzuziehen.
Herr Dr. Schumacher hat bei einer anderen Gelegenheit im September 1950 in Stuttgart gesagt:
Wir sind bereit, wieder Waffen zu tragen, wenn die westlichen Alliierten mit uns das gleiche Risiko und die gleiche Chance der Abwehr eines sowjetischen Angriffs übernehmen und sich mit größtmöglicher Macht an der Elbe etablieren.
Und er hat ebenfalls in Stuttgart am 27. September 1950 gesagt: Die Sozialdemokratie sei nur dann mit einem militärischen Beitrag Deutschlands für eine notwendig werdende europäische Verteidigung einverstanden, wenn das Schicksal der westlichen Demokratien mit dem deutschen Schicksal unlösbar verbunden sei.
Voraussetzung hierfür sei, daß die Verbundenheit durch die Entfaltung entsprechender Machtmittel der westlichen Demokratien in Deutschland überzeugend sichtbar gemacht werde.
— Das war im Jahre 1950! Da hat er recht gehabt, und heute schreiben wir 1953. Heute haben wir diese Verträge, heute haben wir diese Bindungen in den Atlantikpakt hinein, heute haben wir die Zusicherungen von Großbritannien, heute haben wir die Zusicherung von den Vereinigten Staaten,
und dasjenige, was damals Herr Dr. Schumacher als
Voraussetzung - und als einzige Voraussetzung,
wie er es mehrfach gesagt hat — erklärt hat, ist nunmehr eingetreten.
Ich will noch etwas anderes anführen, was er gesagt hat, und zwar in Dortmund am 8. Oktober 1950. Da hat er diese Erklärung wiederholt, und gerade aus der häufigen Wiederholung dieser Erklärungen können Sie erkennen, daß es ihm mit dem ernst war, was er da sagte, und daß es wohl überlegt war. Er hat in Dortmund erklärt:
Ein Ja zum Verteidigungsbeitrag könnten wir politisch unter einer ganz bestimmten Voraussetzung sagen, natürlich dann, wenn die Völker der Weltdemokratien sich hier so stark machen, daß diese Völker ihr Schicksal vom Schicksal des deutschen Volkes nicht mehr lösen können. Das ist die einzige Voraussetzung.
So hat er damals erklärt, und ich betone es nochmals, diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Ich betone auch nochmals folgendes: man muß auch in der Politik einmal den Mut haben,
über Dinge, die vorüber sind, hinwegzusehen. Wenn es sich um das Schicksal des ganzen deutschen Volkes handelt, um das Schicksal aller, dann darf man sich unter keinen Umständen in Einzelheiten und Kritiken verlieren, sondern man muß "einer solchen Parole folgen, wie Sie Herr Dr. Schumacher aufgestellt hat.
Aber ich glaube, wir handeln nicht richtig, wenn wir uns bei der Betrachtung der ganzen Situation und bei einer Würdigung der Vertragswerke allein und lediglich von den Spannungen leiten lassen, die jetzt in der Welt bestehen und die ja doch eines Tages auch einmal wieder abklingen werden. Wir müssen in Europa loskommen von dem Denken in nationalstaatlichen Begriffen!
Durch den letzten Krieg, durch die Entwicklung der Waffentechnik und der Technik überhaupt sind ganz andere und neue Verhältnisse in der Welt geschaffen worden. Es gibt zwei Weltstaaten, das sind die Vereinigten Staaten und Sowjetrußland, und es gibt das Britische Commonwealth; und dann kommen die westeuropäischen Länder, zu denen wir gehören, Länder, die durch die Kriege wirtschaftlich und machtmäßig verarmt sind, so daß sie jedes für sich allein nicht in der Lage sind, ihren Angehörigen die Freiheit und einen menschenwürdigen Lebensstandard zu gewährleisten.
Diese westeuropäischen Länder sind nicht mehr in der Lage, sich jedes für sich allein zu schützen; sie sind nicht mehr in der Lage, jedes für sich allein die europäische Kultur zu retten. Alle diese Ziele, die uns doch gemeinsam sind, meine Damen und Herren, können nur dann erreicht werden, wenn sich die westeuropäischen Länder zusammenschließen — politisch, wirtschaftlich und auch kulturell — und wenn sie vor allem auch weitere kriegerische Auseinandersetzungen unter sich selbst unmöglich machen.
Alles das bezwecken diese Verträge, die man über die gegenwärtige Zeitlage hinaus betrachten muß als ein sehr wesentliches Glied in der Weiterentwicklung zu Europa hin. Nur diese Politik wird es europäischen Völkern ermöglichen, den Frieden zu schützen, Europa wieder aufzubauen, die europäische Kultur zu retten und Europa wieder zu einem maßgebenden Faktor in der Weltpolitik und in der Weltwirtschaft zu machen.
Ich bitte Sie alle, meine Damen und Herren, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.