Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man von den Beschönigungsversuchen einmal absieht, die von der Regierungskoalition unternommen worden sind, dann muß man sagen: der von der Bundesregierung vorgelegte Wahlgesetzentwurf ist eine offene Herausforderung der ganzen Bevölkerung. Mit Hilfe dieses Wahlgesetzes soll der Wille des Volkes ausgeschaltet werden, und von vornherein, noch ehe der erste Wähler ein Wahllokal betreten hat, soll das von Adenauer und seinen Hintermännern gewünschte Wahlresultat schon feststehen. Die Erhaltung und die Festigung der gegenwärtigen Koalitionsmehrheit und damit die Garantie für die Durchführung der amerikanischen Kriegsverträge von Bonn und Paris, das ist das Ziel. Wenn es wahr ist, daß der Sinn einer Wahl darin besteht, den Willen der Wählerschaft zum Ausdruck zu bringen, dann ist dieses Wahlgesetz ein Gesetz zur Legalisierung des Wahlbetrugs. Man müßte sich eigentlich wundern über die Unbekümmertheit, mit der die Regierung dieses Monstrum von Wahlgesetz vorlegt, obwohl es, seitdem es bekannt wurde, auf den einmütigen Widerstand der ganzen Öffentlichkeit, insbesondere auch der Presse, stieß und obwohl es vom Bundes-
rat abgelehnt wurde, wobei sich nicht ein einziger Ländervertreter — nicht einmal einer der CDU — fand, der den Regierungsentwurf zu verteidigen wagte. Aber wer soll sich über Herrn Adenauer heute noch wundern? Er hält sich für ausreichend legitimiert für seine Maßnahmen, wenn er sich dabei nur auf die Ermunterungen und die Empfehlungen des Mr. Dulles stützen kann.
Es ist ein amerikanischer Auftrag, jeden Widerstand gegen das System der Kriegsverträge zu brechen, und es ist ein amerikanischer Auftrag, dabei mit allen Mitteln vorzugehen, auch wenn es gegen Recht und Verfassung ist, auch wenn es die öffentliche Meinung provoziert. Überall, wohin ein amerikanischer Fuß gesetzt wird, entstehen solche Wahlgesetze, die der amerikafreundlichen Partei alle Privilegien und jede erwünschte Mehrheit verschaffen. So war es bekanntlich in Griechenland und in der Türkei, so war es in Japan, und so war es selbst in Frankreich und in Italien. Auf diese Weise soll die Bundesrepublik mit den übrigen amerikanischen Herrschaftsbereichen gleichgeschaltet werden. Auf diese Weise soll auf unserem Boden der Bestand eines Regimes gesichert werden, das den Okkupationsmächten ihren Verbleib im Lande, den Ausbau ihrer militärischen Stützpunkte und die Bereitstellung unseres wirtschaftlichen Potentials für die Erfüllung ihrer militärischen Pläne gewährleistet.
Dieses Regime, das in der Propaganda des Kalten Krieges nie müde wurde, von anderen die Durchführung freier Wahlen zu verlangen, beweist, daß es selbst nichts mehr fürchtet als wirklich freie Wahlen. Es fürchtet freie Wahlen, weil es sich bewußt ist, daß der Wille des Volkes bei freien Wahlen die Regierung der Kriegsverträge, der Aufrüstung und der sozialen Verelendung hinwegfegen würde.
Der Art. 38 des Grundgesetzes bestimmt das Prinzip einer allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl. Dieses Prinzip wird durch den vorliegenden Entwurf aufgehoben. Die Stimmen der Wähler haben nicht mehr gleiches Gewicht. Eine einzelne Stimme kann doppelt gewertet werden, einmal im Wahlkreis und einmal für die Bundesliste. Und das geschieht nur dann, wenn es eine Stimme für die Regierungskoalition ist. Das System der Hilfsstimme — ob es nun so oder so erhalten bleibt — bedeutet ebenfalls eine eindeutige Begünstigung der Koalitionsparteien; denn auch diese zweite Stimme eines Wählers kann nur in gegenseitiger Verrechnung der Koalitionsparteien zum Zuge kommen. Auch solchen Kandidaten soll auf diese Weise zu einem Bundestagsmandat verholfen werden, die bei wirklicher Gleichheit der Wahl in der Minderheit bleiben und durchfallen würden.
Die „Gleichheit" für den Wähler besteht nach diesem Entwurf darin, daß er einen Zettel in den gleichen Kasten werfen darf. Er weiß nicht, welcher Partei und welchem Kandidaten er durch sein Kreuz zu einem Mandat verholfen hat. Seine Stimme wird durch die Wahlmacher der Koalitionsparteien wie eine Handelsware verschachert und verschoben.
Für die Bundeslisten der Koalitionsparteien soll es eine Listenverbindung geben. Auch diese Bestimmung hätte eine klare Begünstigung der Adenauer-Parteien zur Folge. Bei den Parteien der parlamentarischen Opposition würden Hunderttausende von Stimmen ungenutzt unter den Tisch fallen, während die Koalitionsparteien sich durch gemeinsame Anrechnung der Stimmen gegenseitig die Mandate nach vorher vereinbartem Schlüssel zuschustern. In seiner Rundfunkrede vom 28. Januar erklärte Herr Dr. Lehr ganz offen, daß es gar nicht darauf ankomme, eine Partei, sondern eine Koalition zu wählen, die überhaupt nur dadurch zu einer Mehrheit gelangt, die eine Regierung stellen kann, daß sie sich des Wahlbetrugs und der Fälschung des Wählerwillens bedient.
Schließlich will man durch die 5-%-Klausel im Bundesgebiet erreichen, daß keine politische Partei zu einem Bundestagsmandat kommt, die eine selbständige Politik verfolgt und sich durch Adenauer nicht gleichschalten läßt. Ist es nicht grotesk, daß nach dieser Bestimmung eine Partei überhaupt erst dann im Bundestag vertreten sein kann, wenn sie die Stimmenzahl für mindestens 25 Mandate aufbringt? Eine mit Adenauer verbundene Partei könnte 30 Sitze bekommen, auch wenn sie nur die. Stimmenzahl für 20 erhält. Aber eine selbständige, eine wirkliche Oppositionspartei gegen Adenauer bekäme kein einziges Mandat, auch wenn sie die Stimmenzahl für 24 Sitze aufbringen würde. Wirklich, man braucht nicht viel mehr zu sagen als das, was kürzlich der stellvertretende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein erklärt hat, allerdings zu einem Zeitpunkt, als er noch nicht das Objekt bestimmter politischer Manipulationen gewesen ist, als er noch nicht sozusagen über Nacht zum Kostgänger der Adenauerschen Politik herabgesunken ist. Damals sagte er: „Dieser Wahlgesetzentwurf ist ein teuflischer Anschlag gegen die demokratische Grundordnung".
Dieses Gesetz macht den Wahlakt zu einer Farce; denn für Herrn Adenauer steht seine Mehrheit schon fest, noch ehe die erste Stimme abgegeben ist. Aber noch mehr. Es stünde von vornherein sogar die Zweidrittelmehrheit für Adenauer fest, wenn nach diesem Wahlgesetz gewählt würde. Herr Adenauer könnte künftig jeden Verfassungsbruch, alles, was die Amerikaner von ihm wünschen, durch einen formal ,.ordentlichen" Bundestagsbeschluß legalisieren, ohne jemals befürchten zu müssen, daß irgend jemand das Bundesverfassungsgericht anrufen würde.
Das ist eine Methode, die Adolf Hitler mit seiner, Machterschleichung bereits einmal als Muster vorgeführt hat. Erinnern Sie sich: am 5. März 1933 wurde der Reichstag neu gewählt. Vier Tage später wurden die 81 kommunistischen Mandate kassiert, und in fünf Tagen werden es zwanzig Jahre, daß sich Adolf Hitler dann ein Ermächtigungsgesetz bewilligen ließ. Es gibt ja einige Bewilliger hier im Hause. Vielleicht kann Herr Bausch einen mildernden Umstand für seine damalige Haltung dadurch geltend machen, daß er darauf hinweist, daß es Bewilliger auch noch an höheren Stellen der Bundesrepublik, ja sogar an höchster Stelle gibt.
Sie gaben Hitler ein Ermächtigungsgesetz, das ihm erlaubte, die faschistische Diktatur zu verwirklichen, indem er sich auf eine formale Gesetzlichkeit, auf eine scheinbar parlamentarische Legitimation stützte.
Zur Durchführung dieser Hitler-Methode, die den Amerikanern so sehr imponiert, der Diktatur mit „demokratischen" Rockaufschlägen, der faschistischen Willkür unter dem Aushängeschild einer „freiheitlich demokratischen Grundordnung", braucht man dieses Wahlgesetz, braucht man ein faschistisches Gesinnungsstrafrecht;
dazu braucht man all die anderen Sondergesetze faschistischer Prägung, um die Politik der Kriegsverträge, der Aufrüstung und der imperialistischen Provokation betreiben zu können.
Ich möchte noch eine Frage an Herrn Dr. Adenauer und seine Koalition richten. Haben Sie ein so kurzes Gedächtnis, daß Sie nicht mehr wissen, was — wenigstens nach Ihren eigenen Erklärungen — vor noch gar nicht langer Zeit Ihre Auffassung über freie Wahlen gewesen ist? Am 15. September 1951 hat die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik dem Bundestag einen Vorschlag unterbreitet, in ganz Deutschland freie, demokratische, geheime Wahlen durchzuführen,
und zwar auf der Grundlage des Wahlgesetzes zum Deutschen Reichstag vom 6. März 1924, und die hierfür erforderlichen Vorbereitungen unverzüglich durchzuführen.
Am 27. September 1951 gab der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus eine ablehnende Antwort auf diese Vorschläge. Er verband aber diese Ablehnung mit der Verkündung von 14 Punkten einer Wahlordnung für freie demokratische Wahlen, die angeblich für die Bundesregierung unabdingbar wären. Gestatten Sie, daß ich etwas aus diesen 14 Punkten zitiere.
In Punkt 1 hieß es:
Das Gebiet der Wahl bildet einen einheitlichen Wahlkreis. Jede Partei reicht einen Wahlvorschlag für das gesamte Wahlgebiet ein.
Also, meine Damen und Herren, ein Verhältniswahlsystem für ganz Deutschland unter den Bedingungen der Gleichheit! Ja, damals wollte man für
ein Verhältniswahlrecht eintreten, weil man befürchtete, sonst in der Minderheit zu bleiben. Heute
tritt man für das Mehrheitswahlrecht ein, weil man
hofft, sich mit dessen Hilfe die Zweidrittelmehrheit, die verfassungändernde Mehrheit in diesem
Hause erschleichen zu können. Warum verfährt
man heute nicht nach dem Prinzip, das Herr Adenauer am 27. September 1951 feierlich verkündet
hat, wenigstens in dem Gebiet, für das Sie in der
Gesetzgebung zuständig sind? Sie beweisen ja damit, daß Ihre Prinzipien von damals nicht das Papier wert waren, auf dem sie geschrieben waren.
In Punkt 2 dieser damaligen Erklärung hieß es:
Die Freiheit der politischen Betätigung zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl wird gewährleistet.
Aber heute bereiten Sie das Verbot der Kommunistischen Partei vor!
Damals sagten Sie in Punkt 5 Ihrer Erklärung: Niemand darf vor, während und nach der Wahl wegen seiner politischen Haltung verhaftet, vorläufig festgenommen, gerichtlich oder dienstlich verfolgt, aus seinem Dienstoder Arbeitsverhältnis entlassen oder sonst zur Verantwortung gezogen oder benachteiligt werden.
Und heute verfolgen Sie Tausende von aufrechten deutschen Menschen, und Sie möchten jeden bestrafen, der die Kriegspolitik der Adenauer-Regierung ablehnt und für eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands eintritt.
Heute legen Sie ein faschistisches Versammlungsverbotsgesetz auf den Tisch und lassen zu Hunderten Versammlungen verbieten, nur weil in ihnen das Programm der nationalen Wiedervereinigung und die Ablehnung der amerikanischen Kriegspakte verkündigt wird.