Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nachricht von einer Einkommensteuersenkung, von einer Steuersenkung überhaupt wird immer gern entgegengenommen. Wer sollte sich bei einer solchen Steuersenkung, wenn sie auch mäßig und klein ist, nicht freuen, und das um so mehr, als der Bundesfinanzminister noch- bis vor kurzer Zeit 'den gegenteiligen Standpunkt hinsichtlich des bei dem Stand der Bundesfinanzen Möglichen vertreten hat? Insofern könnte man also dem Vorschlag des Bundesfinanzministers sehr wohl beitreten. Aber wenn man sich einmal die Einzelheiten ansieht, so wird man unschwer feststellen, daß gewisse grundlegende Voraussetzungen für eine Einkommensteuersenkung vom Bundesfinanzministerium nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.
Da ist zunächst die Tatsache, daß die indirekten Steuern im Laufe der letzten Jahre laufend höher geworden sind und daß diese indirekte Steuerlast, die jeden Verbraucher belastet, eine solche Höhe erreicht hat, daß man die effektive Steuerlast je Kopf der Bevölkerung nur dann richtig feststellen kann, wenn man außer den Einkommensteuern oder Lohnsteuern auch noch die indirekte Steuerlast pro Kopf berücksichtigt. Das bedeutet, daß je Arbeiterhaushalt ein Jahressoll an indirekten Steuerlasten von rund 480 DM hinzugerechnet werden muß. Wenn wir aber einmal die Steuertarife berücksichtigen, die wir hier vor uns sehen, und dann zu diesen Sätzen die indirekten Steuerlasten hinzurechnen, dann ergibt sich eindeutig, daß gerade die kleineren Stufen wesentlich höher belastet sind, auch prozentual, als die mittleren und höheren Stufen. Hier liegt ein Fehler unseres gesamten Steuersystems vor, der unter allen Umständen berücksichtigt werden muß.
Es kommt hinzu, daß der Bundesfinanzminister sein Versprechen 'der Steuersenkung in einem Zeitpunkt vorlegt, in dem — gegenüber 1948 — die Einkommen im Durchschnitt um 50 % gestiegen sind. Diese Einkommenssteigerung korrespondiert mit entsprechenden Preissteigerungen. Das bedeutet, daß die einzelnen Einkommensbezieher in eine höhere Steuerstufe geraten sind. Sie haben jetzt infolge der Steuerprogression nicht nur den Prozentsatz mehr an Steuern zu zahlen, um den das Preisniveau sich erhöht hat, sondern sind auch in eine wesentlich höhere Steuerstufe gekommen. Beispielsweise muß ein Pflichtiger der Steuerklasse I mit einem Einkommen von 5000 DM 723 DM bezahlen, mit einem Einkommen von 7500 DM, also bei einer Steigerung von 50 %, eine Steuer von 1430 DM, was eine Steuersteigerung von 100 % bedeutet.
Die außerordentliche Steigerung des Aufkommens infolge 'der Steuerprogression hat im Laufe der letzten Jahre eine tatsächliche Steuererhöhung mit sich gebracht, die zwar schleichend' vor sich gegangen und nicht infolge einer offiziellen Erhöhung der Tarife eingetreten ist, die aber doch nichts anderes bedeutet, als daß mit der Preisentwicklung von Jahr zu Jahr auch die Steuern erhöht worden sind. Wir haben also in dieser sogenannten
Steuersenkung nichts anderes als eine teilweise Rückgängigmachung 'der Steuererhöhung vor uns, die sich aus der Preisentwicklung 'ergeben hat.
Die vom Bundesfinanzministerium deshalb gerade bei den kleineren und mittleren Einkommen vorgesehene Tarifsenkung entspricht bei weitem nicht dem, was sich einerseits aus der Preisentwicklung und andererseits aus der Belastung des einzelnen Verbauchers mit indirekten Steuern ergeben würde; sie entspricht bei weitem nicht dem, was sich insbesondere bei kinderreichen Familien aus der Belastung mit indirekten Steuern an sonstigen Steuerlasten ergeben würde. Hier muß in der Ausschußarbeit eine entsprechende Korrektur vorgenommen werden.
Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß das Äußerste, was er an Konzessionen machen könne, der Gesamtbetrag von — wie er sagte — 950 Millionen sei. Dazu ist zunächst zu sagen, 'daß dieser Ausfall von 950 Millionen, der in der Begründung des Gesetzes vom Ministerium zunächst angegeben wird, auf der folgenden Seite ganz richtig wieder dahin korrigiert wird, daß durch den Verbrauch der Einkommensteile, die nicht zur Einkommensteuer herangezogen werden, zusätzliche Umsatz- und Verbrauchssteuern entstehen und zusätzliche Einkommensteile, auf die auch wieder Steuern zu zahlen sind. Dieses Mehraufkommen wird vom Bundesfinanzministerium mit einem Betrag von 390 Millionen angegeben, so daß der Minderertrag nicht, wie immer gesagt wird, 950, sondern nur 560 Millionen ausmacht.
Aber auch diese Rechnung ist unzutreffend. Man geht davon aus, daß im Durchschnitt natürliche Personen und Körperschaften mit etwa nur — man höre und staune — 25 % besteuert würden. Wenn I wir auf der anderen Seite hören, daß der Körperschaftsteuersatz 60 % beträgt, die Höchstgrenze der Einkommensteuer nach den neuen Vorschriften 70 % beträgt, so ist ausgeschlossen, daß die Besteuerung im Durchschnitt bei 25 % liegt. Es liegt also auch hier noch eine Reserve; ds. h. der Steuerausfall, den das Bundesfinanzministerium berechnet, ist nicht richtig berechnet.
Ferner: Die Senkung der Körperschaftsteuer auf ausgeschüttete Gewinne kommt ja den Körperschaften in keiner Weise zugute. Im Gegenteil, nach wie vor stehen sich die Körperschaften am besten, die nichts ausschütten und den nicht ausgeschütteten Gewinn voll zur Körperschaftsteuer heranziehen lassen; diese Körperschaften stehen sich immer noch besser, als wenn sie einen Teil der Gewinne ausschütten, auch wenn sie diesen Teil nur mit 40 % zu versteuern haben. Die Senkung der Körperschaftsteuer auf 40 % ist eine Maßnahme, die ausschließlich den Aktionären zugute kommt und die Körperschaften belastet, was sich auch jetzt schon daraus ergibt, daß die Körperschaften insgesamt nur verschwindend geringe Beträge auszahlen im Vergleich zu denen, die sie versteuert haben. Bei einem Körperschaftsteueraufkommen von über 5 Milliarden DM sind tatsächlich nur rund 600 Millionen DM als Gewinne ausgeschüttet worden. Diese Maßnahme. der Senkung der Körperschaftsteuer bewirkt eine Steigerung des Einkommens der Aktionäre und damit auch eine Steigerung der Einkommensteuer. Auch dieser Faktor ist bei den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums nicht berücksichtigt.
Endlich ist folgendes zu sagen. Bei all diesen Berechnungen kommt es nicht nur darauf an, daß der
Saldo des Haushalts rein rechnerisch in Ordnung ist, sondern es kommt auch auf den Zeitpunkt der entstehenden Einnahmen und Ausgaben an. Wenn wir diese Frage untersuchen, so stellt sich eindeutig heraus, daß die öffentlichen Kassen zur Zeit außerordentlich stark angefüllt sind. Das beweist aber, daß die Haushaltsvoranschläge irgendwie nicht richtig, daß sie zumindest zeitlich nicht richtig angeordnet sind. Der Gesamtkassenbestand der öffentlichen Kassen betrug im Dezember 1951 5,2 Milliarden DM, im Januar 1953 7,2 Milliarden DM. Diese Steigerung um 2 Milliarden DM im Verlaufe von 13 Monaten zeigt doch, daß die Entwicklung der Ausgaben überschätzt und der Einnahmen unterschätzt worden ist.
Größenordnungen von 2 Milliarden DM im Verlaufe eines guten Jahres bergen bereits außerordentlich gefährliche volkswirtschaftliche Nachteile in sich. Wir haben es ja zum erstenmal im Januar dieses Jahres erlebt, daß der Produktionsindex unter dem des vergleichbaren Monats des Vorjahres lag. Wir waren im Januar dieses Jahres auf einem Produktionsindex von nur 157, während wir im Januar vorigen Jahres auf einem Produktionsindex von 159 waren. Das liegt meines Erachtens zum großen Teil daran, daß die öffentliche Hand in starkem Maße Geld thesauriert hat. Die öffentlichen Geldfässer fließen einfach über. Unter diesen Umständen ist die allzu vorsichtige und ängstliche Betrachtungsweise des Bundesfinanzministeriums hinsichtlich der zu erwartenden Ausgaben, beispielsweise der zu erwartenden Besatzungslasten, oder hinsichtlich der zu erwartenden Einnahmen unbegründet. Ich sage, daß sie auch hinsichtlich der Einnahmen nicht gerechtfertigt ist; denn es ist uns allen bekannt, daß die Steuerrückstände wesentlich höher sind als in den Zeiten vor dem Krieg. Die jetzt laufenden Prüfungen der Finanzämter haben einen starken Auftrieb der Steuereingänge zur Folge gehabt; sie nehmen laufend zu. Dieser Punkt ist bei den Voranschlägen des Finanzministeriums nicht genügend berücksichtigt worden.
Angesichts der Möglichkeiten, die in den öffentlich verfügbaren Mitteln liegen und sich aus dem künftigen Aufkommen der Steuern ergeben und mit Rücksicht auf die bei weitem noch nicht ausgeschöpften Kreditmöglichkeiten des Bundes empfiehlt sich eine wesentlich großzügigere Handhabung, als sie bisher geübt worden ist. Die jetzige Finanzpolitik, vor allen Dingen die des letzten halben Jahres, verdient die Bezeichnung einer deflatorischen Finanzpolitik. Der Bundesfinanzminister hat erklärt, daß er als Gratwanderer zwischen Inflation und Deflation wandere und den Abgründen zu beiden Seiten auszuweichen habe. Man sollte aber nicht vergessen, daß' Deflation und Inflation nicht von blinden Naturgewalten geschaffene gefährliche Abgründe sind, sondern daß w i r die Deflation und die Inflation schaffen. Wenn der Bundesfinanzminister, durch die Erfahrungen der letzten Jahre gewitzigt, in erster Linie auf 'die Gefahren einer inflationistischen Entwicklung schaut, so kann man das verstehen. Die größeren und uns zur Zeit stärker bedrohenden Gefahren kommen aber von einer deflatorischen Finanzpolitik. Deshalb ist es gerechtfertigt, alsbald eine größere Steuersenkung durchzuführen, als sie uns das Finanzministerium vorgeschlagen hat.
Wenn diese Steuersenkung insbesondere den Pflichtigen zugute kommt, 'die ihr geringes Einkommen im wesentlichen zum Konsum verbrauchen, so geht von diesen Pflichtigen als erstes und stärkstes ein Anreiz zur Steigerung der Produktion der Verbrauchsgüterindustrie aus. Gerade von dieser Seite her ist wesentlich schneller ein Erfolg zu erwarten als von jeder anderen steuerlichen Maßnahme. Man darf doch nicht verkennen, daß gerade die Steuerpflichtigen mit größerem Einkommen ihre Dispositionen entscheidend davon abhängig machen, wie sie die zukünftige Wirtschaftsentwicklung und die zukünftige Rendite beurteilen. Diese zukünftige Wirtschaftsentwicklung wird aber allgemein mit Sorge und teilweise mit Ängstlichkeit beurteilt, und das nicht zu Unrecht, wie die Produktionsindices beweisen. Hier also 'eine Steuerpolitik anzusetzen, die eine unmittelbare Anregung gerade des Konsumgütersektors bedeutet, würde alsbald jene wirtschaftspolitischen Ziele erreichen helfen, welche die Bundesregierung uns in ihrer Begründung so beredt vorgetragen hat.
Meine Damen und Herren! Die Frage der gemeinsamen Veranlagung wird vom Bundesfinanzministerium unter verschiedenen Gesichtspunkten vorgetragen, insbesondere im Vergleich zu der Steuerlast eines Verheirateten. Ich glaube, dieser Vergleich ist ganz abwegig. Gegen eine gemeinsame Veranlagung würde sich ja niemand wehren, wenn es sich nicht darum handelte, daß hier zwei Menschen deshalb, weil sie eine Ehe miteinander eingegangen sind, in eine höhere Progressionsstufe geraten sollen durch das 'dem Steuerrecht an sich wesensfremde Element der Gründung einer Lebensgemeinschaft. Diese höhere Progressionsstufe, in die zwei Steuerpflichtige nur deshalb kommen, weil sie verheiratet sind, ist es, gegen die sie sich mit Recht wehren und wehren müssen.
Es ist auch nicht richtig, aus der Tatsache, daß die jetzt geltende Rechtslage beispielsweise zwei im freien Beruf tätige Eheleute nicht begünstigt, nunmehr rückzuschließen, daß die Begünstigung auch für die Arbeitnehmer beseitigt werden müsse. Eine Ungerechtigkeit, wie sie zur Zeit bei vielen Handwerkern und freien Berufen vorliegt, wird doch nicht dadurch beseitigt, daß man sie- auch auf einen Kreis von Pflichtigen ausdehnt, denen zur Zeit entsprechend den Grundsätzen wahrer Gerechtigkeit diese Vergünstigungen zustehen.
Wenn der Bundesfinanzminister darauf hingewiesen hat, daß ein Junktim zwischen der ganz bescheidenen Erhöhung der Steuerfreibeträge einerseits und 'dieser Vorschrift andererseits bestehe, so ist das Junktim ja völlig willkürlich, und niemand zwingt uns, das Junktim als solches anzunehmen. Wir haben es in der Hand, darüber frei zu entscheiden.
Der Herr Bundesfinanzminister hat dann auf den amerikanischen Reichtum hingewiesen. Meine Damen und Herren, stimmt es nicht außerordentlich nachdenklich, daß in Amerika die Zahl der Erwerbstätigen einen wesentlich höheren Prozentsatz als in Deutschland erreicht, daß, soweit ich weiß, zur Zeit 63 Millionen Erwerbstätige vorhanden sind, die eine Fülle von Arbeit leisten, die wir in dem ärmeren Deutschland nicht leisten können, weil uns die nötigen Arbeitsplätze fehlen, daß also gerade die Tatsache, daß in Amerika in größerem Umfang als in Deutschland Mann und Frau arbeiten, neben dem natürlichen Reichtum eine der Quellen des amerikanischen Reichtums gewesen ist? Wir verschütten wahrscheinlich in 'Deutschland
eine potentielle Quelle des Reichtumszuwachses, wenn wir den Weg gehen, den der Bundesfinanzminister hier mit so heftigen Worten verteidigt, indem er die anderen, die nicht so denken wie er, als unsozial und als die Ungerechten bezeichnet, wodurch er von vornherein eine Animosität zu schaffen sucht, in der die Sachlichkeit der Debatte unterzugehen droht.
Meine Damen und Herren, ich bin am Ende meiner Ausführungen; ich darf nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen: auf die Notwendigkeit, den Sparer auch weiterhin steuerlich zu begünstigen. Der kleine Sparer, der unter Konsumverzicht — das ist doch das Entscheidende —, indem er sich etwas vom Munde abspart, ein paar Mark zur Sparkasse trägt, verdient eine steuerliche Belohnung unter allen Umständen, und es ist gar nicht zu verstehen, wie die Bundesregierung ihre bisherige, das Sparen fördernde Linie plötzlich deswegen abbrechen will, weil sie in anderen Größenordnungen, nämlich in Größenordnungen der Kapitalanlage, die Begünstigung abschafft, während die besondere Begründung des steuerbegünstigten Sparens, nämlich der Konsumverzicht, von ihr plötzlich nicht mehr beachtet wird.
Ich hoffe, daß in den Ausschußberatungen auch die Damen und Herren der Regierungskoalition sich unseren Argumenten gegenüber aufgeschlossen zeigen werden, so daß wir aus diesem Gesetz etwas Ganzes machen können.