Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Männer haben mir eben wirklich leid getan: der Herr Bundesjustizminister und der arme Herr Bundeskanzler,
der einzige Politiker in diesem Saale.
Ich stelle anheim, ob der Herr Bundeskanzler die Rede des Herrn Bundesjustizministers als „Nullum" oder als „Nihil" bezeichnen will.
Gewiß, ich habe den Herrn Bundesjustizminister angeklagt; aber ich habe nur auf Mißbilligung und auf freiwilligen Rücktritt plädiert. Ich hatte nicht erwartet, daß er sich mit seiner Rede nun selber hinrichten würde.
Es scheint mir eine vorzügliche parlamentarische Einrichtung zu sein, daß solche Reden gedruckt werden und daß man sie nachlesen kann.
Der Herr Bundesjustizminister bezweifelt, daß ich mir die Mühe gemacht habe, die Rechtsprechung von Karlsruhe zu verfolgen. Ich will Ihnen sagen, daß ich mich, nachdem mich meine Fraktion im Dezember zu den Gutachtenverhandlungen als Bevollmächtigten nach Karlsruhe geschickt hat, die Wochen vorher mich intensiv bemüht hatte, die bisherige Literatur über das Bundesverfassungsgericht und die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu studieren.
— Im übrigen will ich weiterhin sagen, daß ich mir die Mühe gemacht habe, diese sorgfältig ausgesuchten — nicht von mir ausgesuchten — Zeitungsausschnitte mit Aufsätzen von Herrn Dr. Dehler und über Herrn Dr. Dehler zu studieren, um diesen Mißbilligungsantrag hier zu begründen.
Ich könnte Sie im Rahmen einer längeren Redezeit sehr gut bedienen. Auch die Aufsätze v o n Herrn Dr. Dehler sprechen g e g en ihn.
Herr Dr. Dehler meint, ich hätte vom Unglück des Redners keine Ahnung, und er meint, daß die Reporter immer wieder die Dinge falsch darstellten. Ja, warum hat denn nun ausgerechnet der Herr Bundesjustizminister immer das Pech, daß seine Dinge anders dargestellt werden?
— Das passiert auch anderen, während wir aber doch andere Minister haben, die sich über die Presse in dieser Richtung nicht zu beklagen brauchen.
Herr Dr. Dehler sagte, er sei Landesparteivorsitzender und habe das Recht, sich politisch zu äußern. Nun, ich hatte dazu ja den Altmeister Ferdinand Tönnies zitiert, der den Parteiführer als weise bezeichnet, der in seinem Amt über die Parteileidenschaft hinauswächst. Aber ich will ein Weiteres tun; ich will den Herrn Bundesjustizminister an § 12 der Geschäftsordnung der Bundesregierung erinnern. Da heißt es:
Äußerungen eines Bundesministers, die in der Öffentlichkeit erfolgen oder für die Offentlichkeit bestimmt sind, müssen mit den vom Bundeskanzler gegebenen Richtlinien der Politik in Einklang stehen.
Der vor wenigen Wochen erschienene Kommentar von Lechner/ Hülshoff — beide Herren aus dem Bundesinnenministerium — schreibt dazu folgendes:
Diese Bestimmung verpflichtet die Bundesminister in ihrer gesamten politischen Tätigkeit, also auch als Bundestagsabgeordnete, auf die Richtlinien der Politik. Die Geschäftsordnung der Reichsregierung kannte eine derartige Vorschrift nicht.
Man sieht also, wenn die Geschäftsordnung der Bundesregierung über die Geschäftsordnung der Reichsregierung hinausgeht, daß das also einen Sinn haben muß, und zwar den, daß die Geschäftsordnung die einzelnen Minister in ihren Reden besonders verpflichtet.
Ich will nur noch zu einem Punkt der Rede, die der Herr Dr. Dehler gehalten hat, etwas sagen. Was Herr Dr. Arndt im Sommer als seine Rechtsauffassung über das Gutachten gesagt hat, ist heute in diesem Zusammenhang nicht mehr erheblich. Es handelt sich da um verschiedene Rechtsauffassungen.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluß vom 9. Dezember verkündet hatte, haben wir alle selbstverständlich diesen Beschluß respektiert. Während der Korrespondent der ,.Tat" nach Zürich kabelte: „Es gibt noch Richter in Karlsruhe", brach in Bonn eine Panik aus.
Der Herr Bundesjustizminister hat — ich will Ihnen noch ein einziges Beispiel dazu sagen — nach den Erörterungen im Bundestag über die Partisanenvorgänge in Hessen am 23. Dezember — also nach seinen Auslassungen in Karlsruhe — folgendes an den Bund Deutscher Jugend in Frankfurt übermittelt:
Das Bekenntnis zum Recht und zum Rechtsstaat, das Sie ablegen trotz mancher bitterer Erfahrungen des letzten Jahres, ist für mich eine große Genugtuung.
Was unser höchstes Ziel sein muß, die Freiheit unseres Volkes und die Freiheit des einzelnen im Staate, läßt sich nur schaffen durch die Verbindlichkeit des Rechts zwischen den Völkern und in unserem Staate.
Ich werde mich immer freuen, Ihnen auf diesem Boden zu begegnen. Ihrer Arbeit im nächsten Jahre wünsche ich guten Erfolg.
Ihr sehr ergebener Dehler.
Dr. Dehler, dessen Ministerium das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht seinerzeit unter stärkster Beteiligung von Dr. Dehler entworfen hat, der seinen Aufbau und seinen Wahlmodus selbst gebilligt hat, hat sich durch die Art seiner Kritik und gerade auch durch das, was er heute wieder gesagt hat, an seiner eigenen Schöpfung doch recht unglaubwürdig gemacht.
Ich habe keinen Versuch gemacht — auf diese Feststellung lege ich Wert —, Herrn Dr. Dehler zu diffamieren, ihm menschlich irgendwie zu nahe zu treten. Es kann keiner von Ihnen behaupten, daß ich das getan hätte. Erstens tue ich das wirklich nie, weil es ganz einfach meiner christlichen und ethischen Haltung widerspricht, und zweitens bin ich auch nicht beschränkt genug, das zu tun. Ich I sage lieber ein bißchen weniger, damit die anderen Herren, die da sitzen — und es sitzen ja einige hier, denen in ihrer Haut gar nicht sehr wohl ist —,
sagen können: Er sagt ja noch nicht mal alles, was er weiß; wir jedenfalls wissen noch mehr. Das ist eine bessere Situation, als wenn ich Sie durch das, was ich sage, herausforderte, mir nachzuweisen, daß ich irgendwo übertrieben hätte. Ich habe nichts falsch dargestellt; ich habe nichts übertrieben.
Ich bin der Meinung, daß es in dem bevorstehenden Wahlkampf gut wäre, wenn über die Institution des Bundesjustizministeriums überhaupt nicht gesprochen zu werden brauchte. Ich bin der Meinung
— i c h bin der Meinung —, daß wir uns auseinandersetzen müssen mit der Außen- und Innenpolitik des Herrn Bundeskanzlers, mit der Finanzpolitik des Herrn Schäffer, mit der Wirtschaftspolitik des Herrn Erhard usw. Aber ich bin wirklich davon überzeugt, daß wir im Gedanken an die Empfindlichkeit unserer ganzen Situation und die Empfindlichkeit des neuen Rechtsgefühls nach einer so langen Zeit der Rechtsunsicherheit alles tun sollten, um nicht Institutionen des Rechts in den Wahlkampf zu ziehen.
Deswegen bin ich der Meinung, daß das Problem des Bundesjustizministers vorher gelöst sein muß. Wenn Sie es nicht vorher lösen, werden Sie es, meine Damen und Herren von der Koalition, hinterher, glaube ich, bereuen.
Herr Dr. Dehler — er hat das ja auch heute wieder bewiesen — hat so wenig Takt und so wenig Sinn für Maß und Wert bewiesen, daß ich, obgleich ich ihm menschlich nichts nachsage, der Überzeugung bin, daß er für ein solches Amt nicht qualifiziert ist.
Ich bin der Meinung, daß man über diese Situation gar nicht diskutieren kann, weil sie indiskutabel ist.
Herr Dr. Dehler hat zum Schluß ein Zitat von Abraham Lincoln gebracht. Ich will ihm gerne mit einem Zitat von Abraham Lincoln antworten:
You can fool all of people some of the time and some of the people all of the time but not all of the people all of the time
— zu deutsch —
Sie können zum Narren halten das ganze Volk
für einige Zeit, einen Teil des Volkes für alle
Zeit, aber nicht das ganze Volk für alle Zeit.